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1891
Friedrich Nietzsche
Also sprach Zarathustra
Ein Buch fur Alle und Keinen
Inhaltsverzeichnis
Erster Theil
Zarathustra's Vorrede
Die Reden Zarathustra's
Von den drei Verwandlungen
Von den Lehrstuhlen der Tugend
Von den Hinterweltlern
Von den Verachtern des Leibes
Von den Freuden- und Leidenschaften
Vom bleichen Verbrecher
Vom Lesen und Schreiben
Vom Baum am Berge
Von den Predigern des Todes
Vom Krieg und Kriegsvolke
Vom neuen Gotzen
Von den Fliegen des Marktes
Von der Keuschheit
Vom Freunde
Von tausend und Einem Ziele
Von der Nachstenliebe
Vom Wege des Schaffenden
Von alten und jungen Weiblein
Vom Biss der Natter
Von Kind und Ehe
Vom freien Tode
Von der schenkenden Tugend
Zweiter Theil
Das Kind mit dem Spiegel
Auf den gluckseligen Inseln
Von den Mitleidigen
Von den Priestern
Von den Tugendhaften
Vom Gesindel
Von den Taranteln
Von den beruhmten Weisen
Das Nachtlied
Das Tanzlied
Das Grablied
Von der Selbst-Ueberwindung
Von den Erhabenen
Vom Lande der Bildung
Von der unbefleckten Erkenntniss
Von den Gelehrten
Von den Dichtern
Von grossen Ereignissen
Der Wahrsager
Von der Erlosing
Von der Menschen-Klugheit
Die stillste Stunde
Dritter Theil
Der Wanderer
Vom Gesicht und Rathsel
Von der Seligkeit wider Willen
Vor Sonnen-Aufgang
Von der verkleinernden Tugend
Auf dem Oelberge
Vom Vorubergehen
Von den Abtrunnigen
Die Heimkehr
Von den drei Bosen
Vom Geist der Schwere
Von alten und neuen Tafeln
Der Genesende
Von der grossen Sehnsucht
Das andere Tanzlied
Die sieben Siegel (Oder: das Ja- und Amen-Lied)
Vierter und letzter Theil
Das Honig-Opfer
Der Nothschrei
Gesprach mit den Konigen
Der Blutegel
Der Zauberer
Ausser Dienst
Der hasslichste Mensch
Der freiwillige Bettler
Der Schatten
Mittags
Die Begrussung
Das Abendmahl
Vom hoheren Menschen
Das Lied der Schwermuth
Von der Wissenschaft
Unter Tochtern der Wuste
Die Erweckung
Das Eselsfest
Das Nachtwandler-Lied
Das Zeichen
Erster Theil
Zarathustra's Vorrede.
Als Zarathustra dreissig Jahr alt war, verliess er seine Heimat und den See
seiner Heimat und
gieng in das Gebirge. Hier genoss er seines Geistes und seiner Einsamkeit und
wurde dessen zehn
Jahr nicht mude. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, - und eines Morgens
stand er mit der
Morgenrothe auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also:
``Du grosses Gestirn! Was ware dein Gluck, wenn du nicht Die hattest, welchen du
leuchtest!
Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Hohle: du wurdest deines Lichtes und
dieses Weges
satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.
Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Uberfluss ab und
segneten dich
dafur.
Siehe! Ich bin meiner Weisheit uberdrussig, wie die Biene, die des Honigs zu
viel gesammelt hat,
ich bedarf der Hande, die sich ausstrecken.
Ich mochte verschenken und austheilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder
einmal ihrer
Thorheit und die Armen einmal ihres Reichthums froh geworden sind.
Dazu muss ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends thust, wenn du hinter das
Meer gehst und
noch der Unterwelt Licht bringst, du uberreiches Gestirn!
Ich muss, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab
will.
So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugrosses Gluck
sehen kann!
Segne den Becher, welche uberfliessen will, dass das Wasser golden aus ihm
fliesse und uberallhin
den Abglanz deiner Wonne trage!
Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch
werden.''
-Also begann Zarathustra's Untergang.
Die Reden Zarathustra's
Von den drei Verwandlungen
Drie Verwandlungen nenne ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele wird,
und zum
Lowen das Kameel, und zum Kinde zuletzt der Lowe.
Vieles Schwere giebt es dem Geiste, dem starken, tragsamen Geiste, dem Ehrfurcht
innewohnt:
nach dem Schweren und Schwersten verlangt seine Starke.
Was ist schwer? so fragt der tragsame Geist, so kniet er nieder, dem Kameele
gleich, und will gut
beladen sein.
Was ist das Schwerste, ihr Helden? so fragt der tragsame Geist, dass ich es auf
mich nehme und
meiner Starke froh werde.
Ist es nicht das: sich erniedrigen, um seinem Hochmuth wehe zu thun? Seine
Thorheit leuchten
lassen, um seiner Weisheit zu spotten?
Oder ist es das: von unserer Sache scheiden, wenn sie ihren Sieg feiert? Auf
hohe Berge steigen,
um den Versucher zu versuchen?
Oder ist es das: sich von Eicheln und Gras der Erkenntniss nahren und um der
Wahrheit willen an
der Seele Hunger leiden?
Oder ist es das: krank sein und die Troster heimschicken und mit Tauben
Freundschaft schliessen,
die niemals horen, was du willst?
Oder ist es das: in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser der Wahrheit
ist, und kalte
Frosche und heisse Kroten nicht von sich weisen?
Oder ist es das: Die lieben, die uns verachten, und dem Gespenste die Hand
reichen, wenn es uns
furchten machen will?
Alles diess Schwerste nimmt der tragsame Geist auf sich: dem Kameele gleich, das
beladen in die
Wuste eilt, also eilt er in seine Wuste.
Aber in der einsamsten Wuste geschieht die zweite Verwandlung: zum Lowen wird
hier der
Geist, Freiheit will er sich erbeuten und Herr sein in seiner eignen Wuste.
Seinen letzten Herrn sucht er sich hier: feind will er ihm werden und seinem
letzten Gotte, um
Sieg will er mit dem grossen Drachen ringen.
Welches ist der grosse Drache, den der Geist nicht mehr Herr und Gott heissen
mag? ``Du-sollst''
heisst der grosse Drache. Aber der Geist des Lowen sagt ``Ich will''.
``Du-sollst'' liegt ihm am Wege, goldfunkelnd, ein Schuppenthier, und auf jeder
Schuppe glanzt
golden ``Du-sollst!''
Tausendjahrige Werthe glanzen an diesen Schuppen, und also spricht der
machtigste aller
Drachen ``aller Werth der Dinge - der glanzt an mir.''
``Aller Werth ward schon geschaffen, und aller geschaffene Werth - das bin ich.
Wahrlich, es soll
kein ``Ich will'' mehr geben!'' Also spricht der Drache.
Meine Bruder, wozu bedarf es des Lowen im Geiste? Was genugt nicht das lastbare
Thier, das
entsagt und ehrfurchtig ist?
Neue Werthe schaffen - das vermag auch der Lowe noch nicht: aber Freiheit sich
schaffen zu
neuem Schaffen - das vermag die Macht des Lowen.
Freiheit sich schaffen und ein heiliges Nein auch vor der Pflicht: dazu, meine
Bruder bedarf es des
Lowen.
Recht sich nehmen zu neuen Werthen - das ist das furchtbarste Nehmen fur einen
tragsamen und
ehrfurchtigen Geist. Wahrlich, ein Rauben ist es ihm und eines raubenden Thieres
Sache.
Als sein Heiligstes liebte er einst das ``Du-sollst'': nun muss er Wahn und
Willkur auch noch im
Heiligsten finden, dass er sich Freiheit raube von seiner Liebe: des Lowen
bedarf es zu diesem
Raube.
Aber sagt, meine Bruder, was vermag noch das Kind, das auch der Lowe nicht
vermochte? Was
muss der raubende Lowe auch noch zum Kinde werden?
Unschuld ist das Kind und Vergessen, ein Neubeginnen, ein Spiel, ein aus sich
rollendes Rad, eine
erste Bewegung, ein heiliges Ja-sagen.
Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Bruder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens:
seinen Willen will
nun der Geist, seine Welt gewinnt sich der Weltverlorene.
Drei Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele ward,
und zum
Lowen das Kameel, und der Lowe zuletzt zum Kinde. -Also
sprach Zarathustra. Und damals weilte er in der Stadt, welche genannt wird: die
bunte Kuh.
Von den Lehrstuhlen der Tugend
Man ruhmte Zarathustra einen Weisen, der gut vom Schlafe und von der Tugend zu
reden wisse:
sehr werde er geehrt und gelohnt dafur, und alle Junglinge sassen vor seinem
Lehrstuhle. Zu ihm
gieng Zarathustra, und mit allen Junglingen sass er vor seinem Lehrstuhle. Und
also sprach der
Weise:
Ehre und Scham vor dem Schlafe! Das ist das Erste! Und Allen aus dem Wege gehn,
die schlecht
schlafen und Nachts wachen!
Schamhaft ist noch der Dieb vor dem Schlafe: stets stiehlt er sich leise durch
die Nacht. Schamlos
aber ist der Wachter der Nacht, schamlos tragt er sein Horn.
Keine geringe Kunst ist schlafen: es thut schon Noth, den ganzen Tag darauf hin
zu wachen.
Zehn Mal musst du des Tages dich selber uberwinden: das macht eine gute
Mudigkeit und ist
Mohn der Seele.
Zehn Mal musst du dich wieder dir selber versohnen; denn Uberwindung ist
Bitterniss, und
schlecht schlaft der Unversohnte.
Zehn Wahrheiten musst du des Tages finden: sonst suchst du noch des Nachts nach
Wahrheit,
und deine Seele blieb hungrig.
Zehn Mal musst du lachen am Tage und heiter sein: sonst stort dich der Magen in
der Nacht,
dieser Vater der Trubsal.
Wenige wissen das: aber man muss alle Tugenden haben, um gut zu schlafen. Werde
ich falsch
Zeugniss reden? Werde ich ehebrechen?
Werde ich mich gelusten lassen meines Nachsten Magd? Das Alles vertruge sich
schlecht mit
gutem Schlafe.
Und selbst wenn man alle Tugenden hat, muss man sich noch auf Eins verstehn:
selber die
Tugenden zur rechten Zeit schlafen schicken.
Dass sie sich nicht mit einander zanken, die artigen Weiblein! Und uber dich, du
Ungluckseliger!
Friede mit Gott und dem Nachbar: so will es der gute Schlaf. Und Friede auch
noch mit des
Nachbars Teufel! Sonst geht er bei dir des Nachts um.
Ehre der Obrigkeit und Gehorsam, und auch der krummen Obrigkeit! So will es der
gute Schlaf.
Was kann ich dafur, dass die Macht gerne auf krummen Beinen Wandelt?
Der soll mir immer der beste Hirt heissen, der sein Schaf auf die grunste Aue
fuhrt: so vertragt es
sich mit dem gutem Schlafe.
Viel Ehren will ich nicht, noch grosse Schatze: das entzundet die Milz. Aber
schlecht schlaft es
sich ohne einen guten Namen und einen kleinen Schatz.
Eine kleine Gesellschaft ist mir willkommener als eine bose: doch muss sie gehn
und kommen zur
rechten Zeit. So vertragt es sich mit gutem Schlafe.
Sehr gefallen mir auch die Geistig-Armen: sie fordern den Schlaf. Selig sind
die, sonderlich, wenn
man ihnen immer Recht giebt.
Also lauft der Tag dem Tugendsamen. Kommt nun die Nacht, so hute ich mich wohl,
den Schlaf
zu rufen! Nicht will er gerufen sein, der Schlaf, der der Herr der Tugenden ist!
Sondern ich denke, was ich des Tages gethan und gedacht. Wiederkauend frage ich
mich,
geduldsam gleich einer Kuh: welches waren doch deine zehn Uberwindungen?
Und welches waren die zehn Versohnungen und die zehn Wahrheiten und die zehn
Gelachter, mit
denen sich mein Herz gutlich that?
Solcherlei erwagend und gewiegt von vierzig Gedanken, uberfallt mich auf einmal
der Schlaf, der
Ungerufne, der Herr der Tugenden.
Der Schlaf klopft mir auf meine Auge: da wird es schwer. Der Schlaf beruhrt mir
den Mund: da
bleibt er offen.
Wahrlich, auf weichen Sohlen kommt er mir, der liebste der Diebe, und stiehlt
mir meine
Gedanken: dumm stehe ich da wie dieser Lehrstuhl.
Aber nicht lange mehr stehe ich dann: da liege ich schon. -
Als Zarathustra den Weisen also sprechen horte, lachte er bei sich im Herzen:
denn ihm war dabei
ein Licht aufgegangen. Und also sprach er zu seinem Herzen:
Ein Narr ist mir dieser Weise da mit seinen vierzig Gedanken: aber ich glaube,
dass er sich wohl
auf das Schlafen versteht.
Glucklich schon, wer in der Nahe dieses Weisen wohnt! Solch ein Schlaf steckt
an, noch durch
eine dicke Wand hindurch steckt er an.
Ein Zauber wohnt selbst in seinem Lehrstuhle. Und nicht vergebens sassen die
Junglinge vor dem
Prediger der Tugend.
Seine Weisheit heisst: wachen, um gut zu schlafen. Und wahrlich, hatte das Leben
keinen Sinn
und musste ich Unsinn wahlen, so ware auch mir diess der wahlenswurdigste Unsinn.
Jetzo verstehe ich klar, was einst man vor Allem suchte, wenn man Lehrer der
Tugend suchte.
Guten Schlaf suchte man sich und mohnblumige Tugenden dazu!
Allen diesen gelobten Weisen der Lehrstuhle war Weisheit der Schlaf ohne Traume:
sie kannten
keinen bessern Sinn des Lebens.
Auch noch heute wohl giebt es Einige, wie diesen Prediger der Tugend, und nicht
immer so
Ehrliche: aber ihre Zeit ist um. Und nicht mehr lange stehen sie noch: da liegen
sie schon.
Selig sind diese Schlafrigen: denn sie sollen bald einnicken. Also
sprach Zarathustra.
Von den Hinterweltlern
Einst warf auch Zarathustra seinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen
Hinterweltlern.
Eines leidenden und zerqualten Gottes Werk schien mir da die Welt.
Traum schien mir da die Welt und Dichtung eines Gottes; farbiger Rauch vor den
Augen eines
gottlich Unzufriednen.
Gut und bose und Lust und Leid und Ich und Du - farbiger Rauch dunkte mich's vor
schopferischen Augen. Wegsehn wollte der Schopfer von sich, - da schuf er die
Welt.
Trunkne Lust ist's dem Leidenden, wegzusehn von seinem Leiden und sich zu
verlieren. Trunkne
Lust Und Selbst-sich-Verlieren dunkte mich einst die Welt.
Diese Welt, die ewig unvollkommene, eines ewigen Widerspruches Abbild und
unvollkommnes
Abbild - eine trunkne Lust ihrem unvollkommnen Schopfer: - also dunkte mich
einst die Welt.
Also warf auch ich einst meinen Wahn jenseits des Menschen, gleich allen
Hinterweltlern. Jenseits
des Menschen in Wahrheit?
Ach, ihr Bruder, dieser Gott, den ich schuf, war Menschen-Werk und -Wahnsinn,
gleich allen
Gottern!
Mensch war er, und nur ein armes Stuck Mensch und Ich: aus der eigenen Asche und
Gluth kam
es mir, dieses Gespenst, und wahrlich! Nicht kam es mir von Jenseits!
Was geschah, meine Bruder? Ich uberwand mich, den Leidenden, ich trug meine
eigne Asche zu
Berge, eine hellere Flamme erfand ich mir. Und siehe! Da wich das Gespenst von
mir!
Leiden ware es mir jetzt und Qual dem Genesenen, solche Gespenster zu glauben:
Leiden ware es
mir jetzt und Erniedrigung. Also rede ich zu den Hinterweltlern.
Leiden war's und Unvermogen - das schuf alle Hinterwelten; und jener kurze
Wahnsinn des
Glucks, den nur der Leidendste erfahrt.
Mudigkeit, die mit Einem Sprunge zum Letzten will, mit einem Todessprunge, eine
arme
unwissende Mudigkeit, die nicht einmal mehr wollen will: die schuf alle Gotter
und Hinterwelten.
Glaubt es mir, meine Bruder! Der Leib war's, der am Leibe verzweifelte, - der
tastete mit den
Fingern des bethorten Geistes an die letzten Wande.
Glaubt es mir, meine Bruder! Der Leib war's, der an der Erde verzweifelte, - der
horte den Bauch
des Seins zu sich reden.
Und da wollte er mit dem Kopfe durch die letzten Wande, und nicht nur mit dem
Kopfe, - hinuber
zu ``jener Welt''.
Aber ``jene Welt'' ist gut verborgen vor dem Menschen, jene entmenschte
unmenschliche Welt,
die ein himmlisches Nichts ist; und der Bauch des Seins redet gar nicht zum
Menschen, es sei
denn als Mensch.
Wahrlich, schwer zu beweisen ist alles Sein und schwer zum Reden zu bringen.
Sagt mir, ihr
Bruder, ist nicht das Wunderlichste aller Dinge noch am besten bewiesen?
Ja, diess Ich und des Ich's Widerspruch und Wirrsal redet noch am redlichsten
von seinem Sein,
dieses schaffende, wollende, werthende Ich, welches das Maass und der Werth der
Dinge ist.
Und diess redlichste Sein, das Ich - das redet vom Leibe, und es will noch den
Leib, selbst wenn
es dichtet und schwarmt und mit zerbrochnen Flugeln flattert.
Immer redlicher lernt es reden, das Ich: und je mehr es lernt, um so mehr findet
es Worte und
Ehren fur Leib und Erde.
Einen neuen Stolz lehrte mich mein Ich, den lehre ich die Menschen: - nicht mehr
den Kopf in den
Sand der himmlischen Dinge zu stecken, sondern frei ihn zu tragen, einen Erden-Kopf,
der der
Erde Sinn schafft!
Einen neuen Willen lehre ich die Menschen: diesen Weg wollen, den blindlings der
Mensch
gegangen, und gut ihn heissen und nicht mehr von ihm bei Seite schleichen,
gleich den Kranken
und Absterbenden!
Kranke und Absterbende waren es, die verachteten Leib und Erde und erfanden das
Himmlische
und die erlosenden Blutstropfen: aber auch noch diese sussen und dustern Gifte
nahmen sie von
Leib und Erde!
Ihrem Elende wollten sie entlaufen, und die Sterne waren ihnen zu weit. Da
seufzten sie: ``Oh
dass es doch himmlische Wege gabe, sich in ein andres Sein und Gluck zu
schleichen!'' - da
erfanden sie sich ihre Schliche und blutigen Tranklein!
Ihrem Leibe und dieser Erde nun entruckt wahnten sie sich, diese Undankbaren.
Doch wem
dankten sie ihrer Entruckung Krampf und Wonne? Ihrem Leibe und dieser Erde.
Milde ist Zarathustra den Kranken. Wahrlich, er zurnt nicht ihren Arten des
Trostes und
Undanks. Mogen sie Genesende werden und Uberwindende und einen hoheren Leib sich
schaffen!
Nicht auch zurnt Zarathustra dem Genesenden, wenn er zartlich nach seinem Wahne
blickt und
Mitternachts um das Grab seines Gottes schleicht: aber Krankheit und kranker
Leib bleiben mir
auch seine Thranen noch.
Vieles krankhafte Volk gab es immer unter Denen, welche dichten und gottsuchtig
sind; wuthend
hassen sie den Erkennenden und jene jungste der Tugenden, welche heisst:
Redlichkeit.
Ruckwarts blicken sie immer nach dunklen Zeiten: da freilich war Wahn und Glaube
ein ander
Ding; Raserei der Vernunft war Gottahnlichkeit, und Zweifel Sunde.
Allzugut kenne ich diese Gottahnlichen: sie wollen, dass an sie geglaubt werde,
und Zweifel
Sunde sei. Allzugut weiss ich auch, woran sie selber am besten glauben.
Wahrlich nicht an Hinterwelten und erlosende Blutstropfen: sondern an den Leib
glauben auch sie
am besten, und ihr eigener Leib ist ihnen ihr Ding an sich.
Aber ein krankhaftes Ding ist er ihnen: und gerne mochten sie aus der Haut
fahren. Darum
horchen sie nach den Predigern des Todes und predigen selber Hinterwelten.
Hort mir lieber, meine Bruder, auf die Stimme des gesunden Leibes: eine
redlichere und reinere
Simme ist diess.
Redlicher redet und reiner der gesunde Leib, der vollkommne und rechtwinklige:
und er redet
vom Sinn der Erde.
Also sprach Zarathustra.
Von den Verachtern des Leibes
Den Verachtern des Leibes will ich mein Wort sagen. Nicht umlernen und umlehren
sollen sie mir,
sondern nur ihrem eignen Leibe Lebewohl sagen - und also stumm werden.
``Leib bin ich und Seele'' - so redet das Kind. Und warum sollte man nicht wie
die Kinder reden?
Aber der Erwachte, der Wissende sagt: Leib bin ich ganz und gar, und Nichts
ausserdem; und
Seele ist nur ein Wort fur ein Etwas am Leibe.
Der Leib ist eine grosse Vernunft, eine Vielheit mit Einem Sinne, ein Krieg und
ein Frieden, eine
Heerde und ein Hirt.
Werkzeug deines Leibes ist auch deine kleine Vernunft, mein Bruder, die du
``Geist'' nennst, ein
kleines Werk- und Spielzeug deiner grossen Vernunft.
``Ich'' sagst du und bist stolz auf diess Wort. Aber das Grossere ist, woran du
nicht glauben willst,
-dein Leib und seine grosse Vernunft: die sagt nicht Ich, aber thut Ich.
Was der Sinn fuhlt, was der Geist erkennt, das hat niemals in sich sein Ende.
Aber Sinn und Geist
mochten dich uberreden, sie seien aller Dinge Ende: so eitel sind sie.
Werk- und Spielzeuge sind Sinn und Geist: hinter ihnen liegt noch das Selbst.
Das Selbst sucht
auch mit den Augen der Sinne, es horcht auch mit den Ohren des Geistes.
Immer horcht das Selbst und sucht: es vergleicht, bezwingt, erobert, zerstort.
Es herrscht und ist
auch des Ich's Beherrscher.
Hinter deinen Gedanken und Gefuhlen, mein Bruder, steht ein machtiger Gebieter,
ein
unbekannter Weiser - der heisst Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist
er.
Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit. Und wer
weiss denn, wozu
dein Leib gerade deine beste Weisheit nothig hat?
Dein Selbst lacht uber dein Ich und seine stolzen Sprunge. ``Was sind mir diese
Sprunge und
Fluge des Gedankens? sagt es sich. Ein Umweg zu meinem Zwecke. Ich bin das
Gangelband des
Ich's und der Einblaser seiner Begriffe.''
Das Selbst sagt zum Ich: ``hier fuhle Schmerz!'' Und da leidet es und denkt
nach, wie es nicht
mehr leide - und dazu eben soll es denken.
Das Selbst sagt zum Ich: ``hier fuhle Lust!'' Da freut es sich und denkt nach,
wie es noch oft sich
freue - und dazu eben soll es denken.
Den Verachtern des Leibes will ich ein Wort sagen. Dass sie verachten, das macht
ihr Achten.
Was ist es, das Achten und Verachten und Werth und Willen schuf?
Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten, es schuf sich Lust und
Weh. Der
schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens.
Noch in eurer Thorheit und Verachtung, ihr Verachter des Leibes, dient ihr eurem
Selbst. Ich
sage euch: euer Selbst selber will sterben und kehrt sich vom Leben ab.
Nicht mehr vermag es das, was es am liebsten wilI: - uber sich hinaus zu
schaffen. Das will es am
liebsten, das ist seine ganze Inbrunst.
Aber zu spat ward es ihm jetzt dafur: - so will euer Selbst untergehn, ihr
Verachter des Leibes.
Untergehn will euer Selbst, und darum wurdet ihr zu Verachtern des Leibes! Denn
nicht mehr
vermogt ihr uber euch hinaus zu schaffen.
Und darum zurnt ihr nun dem Leben und der Erde. Ein ungewusster Neid ist im
scheelen Blick
eurer Verachtung.
Ich gehe nicht euren Weg, ihr Verachter des Leibes! Ihr seid mir keine Brucken
zum
Ubermenschen! Also
sprach Zarathustra.
Von den Freuden- und Leidenschaften
Mein Bruder, wenn du eine Tugend hast, und es deine Tugend ist, so hast du sie
mit Niemandem
gemeinsam.
Freilich, du willst sie bei Namen nennen und liebkosen; du willst sie am Ohre
zupfen und
Kurzweil mit ihr treiben.
Und siehe! Nun hast du ihren Namen mit dem Volke gemeinsam und bist Volk und
Heerde
geworden mit deiner Tugend!
Besser thatest du, zu sagen: ``unaussprechbar ist und namenlos, was meiner Seele
Qual und Susse
macht und auch noch der Hunger meiner Eingeweide ist.''
Deine Tugend sei zu hoch fur die Vertraulichkeit der Namen: und musst du von ihr
reden, so
schame dich nicht, von ihr zu stammeln.
So sprich und stammle: ``Das ist mein Gutes, das liebe ich, so gefallt es mir
ganz, so allein will ich
das Gute.
Nicht will ich es als eines Gottes Gesetz, nicht will ich es als eine
Menschen-Satzung und -
Nothdurft: kein Wegweiser sei es mir fur Uber-Erden und Paradiese.
Eine irdische Tugend ist es, die ich liebe: wenig Klugheit ist darin und am
wenigsten die Vernunft
Aller.
Aber dieser Vogel baute bei mir sich das Nest: darum liebe und herze ich ihn, -
nun sitze er bei
mir auf seinen goldnen Eiern.''
So sollst du stammeln und deine Tugend loben.
Einst hattest du Leidenschaften und nanntest sie bose. Aber jetzt hast du nur
noch deine
Tugenden: die wuchsen aus deinen Leidenschaften.
Du legtest dein hochstes Ziel diesen Leidenschaften an's Herz: da wurden sie
deine Tugenden und
Freudenschaften.
Und ob du aus dem Geschlechte der Jahzornigen warest oder aus dem der
Wollustigen oder der
Glaubens-Wuthigen oder der Rachsuchtigen:
Am Ende wurden alle deine Leidenschaften zu Tugenden und alle deine Teufel zu
Engeln.
Einst hattest du wilde Hunde in deinem Keller: aber am Ende verwandelten sie
sich zu Vogeln
und lieblichen Sangerinnen.
Aus deinen Giften brautest du dir deinen Balsam; deine Kuh Trubsal melktest du,
- nun trinkst du
die susse Milch ihres Euters.
Und nichts Boses wachst mehr furderhin aus dir, es sei denn das Bose, das aus
dem Kampfe
deiner Tugenden wachst.
Mein Bruder, wenn du Gluck hast, so hast du Eine Tugend und nicht mehr: so gehst
du leichter
uber die Brucke.
Auszeichnend ist es, viele Tugenden zu haben, aber ein schweres Loos; und
Mancher gieng in die
Wuste und todtete sich, weil er mude war, Schlacht und Schlachtfeld von Tugenden
zu sein.
Mein Bruder, ist Krieg und Schlacht bose? Aber nothwendig ist diess Bose,
nothwendig ist der
Neid und das Misstrauen und die Verleumdung unter deinen Tugenden.
Siehe, wie jede deiner Tugenden begehrlich ist nach dem Hochsten: sie will
deinen ganzen Geist,
dass er ihr Herold sei, sie will deine ganze Kraft in Zorn, Hass und Liebe.
Eifersuchtig ist jede Tugend auf die andre, und ein furchtbares Ding ist
Eifersucht. Auch
Tugenden konnen an der Eifersucht zu Grunde gehn.
Wen die Flamme der Eifersucht umringt, der wendet zuletzt, gleich dem Scorpione,
gegen sich
selber den vergifteten Stachel.
Ach, mein Bruder, sahst du noch nie eine Tugend sich selber verleumden und
erstechen?
Der Mensch ist Etwas, das uberwunden werden muss: und darum sollst du deine
Tugenden
lieben, - denn du wirst an ihnen zu Grunde gehn. Also
sprach Zarathustra.
Vom bleichen Verbrecher
Ihr wollt nicht todten, ihr Richter und Opferer, bevor das Thier nicht genickt
hat? Seht, der
bleiche Verbrecher hat genickt: aus seinem Auge redet die grosse Verachtung.
``Mein Ich ist Etwas, das uberwunden werden soll: mein Ich ist mir die grosse
Verachtung des
Menschen'': so redet es aus diesem Auge.
Dass er sich selber richtete, war sein hochster Augenblick: lasst den Erhabenen
nicht wieder
zuruck in sein Niederes!
Es giebt keine Erlosung fur Den, der so an sich selber leidet, es sei denn der
schnelle Tod.
Euer Todten, ihr Richter, soll ein Mitleid sein und keine Rache. Und indem ihr
todtet, seht zu,
dass ihr selber das Leben rechtfertiget!
Es ist nicht genug, dass ihr euch mit Dem versohnt, den ihr todtet. Eure
Traurigkeit sei Liebe zum
Ubermenschen: so rechtfertigt ihr euer Noch-Leben!
``Feind'' sollt ihr sagen, aber nicht ``Bosewicht''; ``Kranker'' sollt ihr
sagen, aber nicht ``Schuft'';
``Thor'' sollt ihr sagen, aber nicht ``Sunder''.
Und du, rother Richter, wenn du laut sagen wolltest, was du Alles schon in
Gedanken gethan
hast: so wurde Jedermann schreien: ``Weg mit diesem Unflath und Giftwurm!''
Aber ein Anderes ist der Gedanke, ein Anderes die That, ein Anderes das Bild der
That. Das Rad
des Grundes rollt nicht wischen ihnen.
Ein Bild machte diesen bleichen Menschen bleich. Gleichwuchsig war er seiner
That, als er sie
that: aber ihr Bild ertrug er nicht, als sie gethan war.
Immer sah er sich nun als Einer That Thater. Wahnsinn heisse ich diess: die
Ausnahme verkehrte
sich ihm zum Wesen.
Der Strich bannt die Henne; der Streich, den er fuhrte, bannte seine arme
Vernunft - den
Wahnsinn nach der That heisse ich diess.
Hort, ihr Richter! Einen anderen Wahnsinn giebt es noch: und der ist vor der
That. Ach, ihr
krocht mir nicht tief genug in diese Seele!
So spricht der rothe Richter: ``was mordete doch dieser Verbrecher? Er wollte
rauben.'' Aber ich
sage euch: seine Seele wollte Blut, nicht Raub: er durstete nach dem Gluck des
Messers!
Seine arme Vernunft aber begriff diesen Wahnsinn nicht und uberredete ihn. ``Was
liegt an Blut!
sprach sie; willst du nicht zum mindesten einen Raub dabei machen? Eine Rache
nehmen?''
Und er horchte auf seine arme Vernunft: wie Blei lag ihre Rede auf ihm, - da
raubte er, als er
mordete. Er wollte sich nicht seines Wahnsinns schamen.
Und nun wieder liegt das Blei seiner Schuld auf ihm, und wieder ist seine arme
Vernunft so steif,
so gelahmt, so schwer.
Wenn er nur den Kopf schutteln konnte, so wurde seine Last herabrollen: aber wer
schuttelt
diesen Kopf?
Was ist dieser Mensch? Ein Haufen von Krankheiten, welche durch den Geist in die
Welt
hinausgreifen: da wollen sie ihre Beute machen.
Was ist dieser Mensch? Ein Knauel wilder Schlangen, welche selten bei einander
Ruhe haben, - da
gehn sie fur sich fort und suchen Beute in der Welt.
Seht diesen armen Leib! Was er litt und begehrte, das deutete sich diese arme
Seele, - sie deutete
es als morderische Lust und Gier nach dem Gluck des Messers.
Wer jetzt krank wird, den uberfallt das Bose, das jetzt bose ist: wehe will er
thun, mit dem, was
ihm wehe thut. Aber es gab andre Zeiten und ein andres Boses und Gutes.
Einst war der Zweifel bose und der Wille zum Selbst. Damals wurde der Kranke zum
Ketzer und
zur Hege: als Ketzer und Hexe litt er und wollte leiden machen.
Aber diess will nicht in eure Ohren: euren Guten schade es, sagt ihr mir. Aber
was liegt mir an
euren Guten!
Vieles an euren Guten macht mir Ekel, und wahrlich nicht ihr Boses. Wollte ich
doch, sie hatten
einen Wahnsinn, an dem sie zu Grunde giengen, gleich diesem bleichen Verbrecher!
Wahrlich, ich wollte, ihr Wahnsinn hiesse Wahrheit oder Treue oder
Gerechtigkeit: aber sie haben
ihre Tugend, um lange zu leben und in einem erbarmlichen Behagen.
Ich bin ein Gelander am Strome: fasse mich, wer mich fassen kann! Eure Krucke
aber bin ich
nicht. Also
sprach Zarathustra.
Vom Lesen und Schreiben
Von allem Geschriebenen liebe ich nur Das, was Einer mit seinem Blute schreibt.
Schreibe mit
Blut: und du wirst erfahren, dass Blut Geist ist.
Es ist nicht leicht moglich, fremdes Blut zu verstehen: ich hasse die lesenden
Mussigganger.
Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr fur den Leser. Noch ein Jahrhundert
Leser - und der
Geist selber wird stinken.
Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das
Schreiben, sondern auch
das Denken.
Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er gar noch
Pobel.
Wer in Blut und Spruchen schreibt, der will nicht gelesen, sondern auswendig
gelernt werden.
Im Gebirge ist der nachste Weg von Gipfel zu Gipfel: aber dazu musst du lange
Beine haben.
Spruche sollen Gipfel sein: und Die, zu denen gesprochen wird, Grosse und
Hochwuchsige.
Die Luft dunn und rein, die Gefahr nahe und der Geist voll einer frohlichen
Bosheit: so passt es
gut zu einander.
Ich will Kobolde um mich haben, denn ich bin muthig. Muth, der die Gespenster
verscheucht,
schafft sich selber Kobolde, - der Muth will lachen.
Ich empfinde nicht mehr mit euch: diese Wolke, die ich unter mir sehe, diese
Schwarze und
Schwere, uber die ich lache, - gerade das ist eure Gewitterwolke.
Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil
ich erhoben bin.
Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?
Wer auf den hochsten Bergen steigt, der lacht uber alle Trauer-Spiele und
Trauer-Ernste.
Muthig, unbekummert, spottisch, gewaltthatig - so will uns die Weisheit: sie ist
ein Weib und liebt
immer nur einen Kriegsmann.
Ihr sagt mir: ``das Leben ist schwer zu tragen.'' Aber wozu hattet ihr
Vormittags euren Stolz und
Abends eure Ergebung?
Das Leben ist schwer zu tragen: aber so thut mir doch nicht so zartlich! Wir
sind allesammt
hubsche lastbare Esel und Eselinnen.
Was haben wir gemein mit der Rosenknospe, welche zittert, weil ihr ein Tropfen
Thau auf dem
Leibe liegt?
Es ist wahr: wir lieben das Leben, nicht, weil wir an's Leben, sondern weil wir
an's Lieben
gewohnt sind.
Es ist immer etwas Wahnsinn in der Liebe. Es ist aber immer auch etwas Vernunft
im Wahnsinn.
Und auch mir, der ich dem Leben gut bin, scheinen Schmetterlinge und
Seifenblasen und was
ihrer Art unter Menschen ist, am meisten vom Glucke zu wissen.
Diese leichten thorichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu sehen -
das verfuhrt
Zarathustra zu Thranen und Liedern.
Ich wurde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstunde.
Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, grundlich, tief,
feierlich: es war der Geist der
Schwere, - durch ihn fallen alle Dinge.
Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen todtet man. Auf, lasst uns den Geist der
Schwere
todten!
Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen. Ich habe fliegen gelernt:
seitdem will ich
nicht erst gestossen sein, um von der Stelle zu kommen.
Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich, jetzt sehe ich mich unter mir, jetzt
tanzt ein Gott durch mich.
Also sprach Zarathustra.
Vom Baum am Berge
Zarathustra's Auge hatte gesehn, dass ein Jungling ihm auswich. Und als er eines
Abends allein
durch die Berge gieng, welche die Stadt umschliessen, die genannt wird ``die
bunte Kuh'': siehe,
da fand er im Gehen diesen Jungling, wie er an einen Baum gelehnt sass und muden
Blickes in das
Thal schaute. Zarathustra fasste den Baum an, bei welchem der Jungling sass, und
sprach also:
Wenn ich diesen Baum da mit meinen Handen schutteln wollte, ich wurde es nicht
vermogen.
Aber der Wind, den wir nicht sehen, der qualt und biegt ihn, wohin er will. Wir
werden am
schlimmsten von unsichtbaren Handen gebogen und gequalt.
Da erhob sich der Jungling besturzt und sagte: ``ich hore Zarathustra und eben
dachte ich an ihn.''
Zarathustra entgegnete:
``Was erschrickst du desshalb? - Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume.
Je mehr er hinauf in die Hohe und Helle will, um so starker streben seine
Wurzeln erdwarts,
abwarts, in's Dunkle, Tiefe, - in's Bose.''
``Ja in's Bose! rief der Jungling. Wie ist es moglich, dass du meine Seele
entdecktest?''
Zarathustra lachelte und sprach: ``Manche Seele wird man nie entdecken, es sei
denn, dass man
sie zuerst erfindet.'' ``Ja in's Bose! rief der Jungling nochmals.
Du sagtest die Wahrheit, Zarathustra. Ich traue mir selber nicht mehr, seitdem
ich in die Hohe
will, und Niemand traut mir mehr, - wie geschieht diess doch?
Ich verwandele mich zu schnell: mein Heute widerlegt mein Gestern. Ich
uberspringe oft die
Stufen, wenn ich steige, - das verzeiht mir keine Stufe.
Bin ich oben, so finde ich mich immer allein. Niemand redet mit mir, der Frost
der Einsamkeit
macht mich zittern. Was will ich doch in der Hohe?
Meine Verachtung und meine Sehnsucht wachsen mit einander; je hoher ich steige,
um so mehr
verachte ich Den, der steigt. Was will er doch in der Hohe?
Wie schame ich mich meines Steigens und Stolperns! Wie spotte ich meines
heftigen Schnaubens!
Wie hasse ich den Fliegenden! Wie mude bin ich in der Hohe!''
Hier schwieg der Jungling. Und Zarathustra betrachtete den Baum, an dem sie
standen, und
sprach also:
Dieser Baum steht einsam hier am Gebirge; er wuchs hoch hinweg uber Mensch und
Thier.
Und wenn er reden wollte, er wurde Niemanden haben, der ihn verstunde: so hoch
wuchs er.
Nun wartet er und wartet, - worauf wartet er doch? Er wohnt dem Sitze der Wolken
zu nahe: er
wartet wohl auf den ersten Blitz?
Als Zarathustra diess gesagt hatte, rief der Jungling mit heftigen Gebarden:
``Ja, Zarathustra, du
sprichst die Wahrheit. Nach meinem Untergange verlangte ich, als ich in die Hohe
wollte, und du
bist der Blitz, auf den ich wartete! Siehe, was bin ich noch, seitdem du uns
erschienen bist? Der
Neid auf dich ist's, der mich zerstort hat!'' - So sprach der Jungling und
weinte bitterlich.
Zarathustra aber legte seinen Arm um ihn und fuhrte ihn mit sich fort.
Und als sie eine Weile mit einander gegangen waren, hob Zarathustra also an zu
sprechen:
Es zerreisst mir das Herz. Besser als deine Worte es sagen, sagt mir dein Auge
alle deine Gefahr.
Noch bist du nicht frei, du suchst noch nach Freiheit. Ubernachtig machte dich
dein Suchen und
uberwach.
In die freie Hohe willst du, nach Sternen durstet deine Seele. Aber auch deine
schlimmen Triebe
dursten nach Freiheit.
Deine wilden Hunde wollen in die Freiheit; sie bellen vor Lust in ihrem Keller,
wenn dein Geist
alle Gefangnisse zu losen trachtet.
Noch bist du mir ein Gefangner, der sich Freiheit ersinnt: ach, klug wird
solchen Gefangnen die
Seele, aber auch arglistig und schlecht.
Reinigen muss sich noch der Befreite des Geistes. Viel Gefangniss und Moder ist
noch in ihm
zuruck: rein muss noch sein Auge werden.
Ja, ich kenne deine Gefahr. Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwore ich
dich: wirf deine
Liebe und Hoffnung nicht weg!
Edel fuhlst du dich noch, und edel fuhlen dich auch die Andern noch, die dir
gram sind und bose
Blicke senden. Wisse, dass Allen ein Edler im Wege steht.
Auch den Guten steht ein Edler im Wege: und selbst wenn sie ihn einen Guten
nennen, so wollen
sie ihn damit bei Seite bringen.
Neues will der Edle schaffen und eine neue Tugend. Altes will der Gute, und dass
Altes erhalten
bleibe.
Aber nicht das ist die Gefahr des Edlen, dass er ein Guter werde, sondern ein
Frecher, ein
Hohnender, ein Vernichter.
Ach, ich kannte Edle, die verloren ihre hochste Hoffnung. Und nun verleumdeten
sie alle hohen
Hoffnungen.
Nun lebten sie frech in kurzen Lusten, und uber den Tag hin warfen sie kaum noch
Ziele.
``Geist ist auch Wollust'' - so sagten sie. Da zerbrachen ihrem Geiste die
Flugel: nun kriecht er
herum und beschmutzt im Nagen.
Einst dachten sie Helden zu werden: Lustlinge sind es jetzt. Ein Gram und ein
Grauen ist ihnen
der Held.
Aber bei meiner Liebe und Hoffnung beschwore ich dich: wirf den Helden in deiner
Seele nicht
weg! Halte heilig deine hochste Hoffnung! Also
sprach Zarathustra.
Von den Predigern des Todes
Es giebt Prediger des Todes: und die Erde ist voll von Solchen, denen Abkehr
gepredigt werden
muss vom Leben.
Voll ist die Erde von Uberflussigen, verdorben ist das Leben durch die
Viel-zu-Vielen. Moge man
sich mit dem ``ewigen Leben'' aus diesem Leben weglocken!
``Gelbe'': so nennt man die Prediger des Todes, oder ``Schwarze''. Aber ich will
sie euch noch in
andern Farben zeigen.
Da sind die Furchterlichen, welche in sich das Raubthier herumtragen und keine
Wahl haben, es
sei denn Luste oder Selbstzerfleischung. Und auch ihre Luste sind noch
Selbstzerfleischung.
Sie sind noch nicht einmal Menschen geworden, diese Furchterlichen: mogen sie
Abkehr predigen
vom Leben und selber dahinfahren!
Da sind die Schwindsuchtigen der Seele: kaum sind sie geboren, so fangen sie
schon an zu
sterben und sehnen sich nach Lehren der Mudigkeit und Entsagung.
Sie wollen gerne todt sein, und wir sollten ihren Willen gut heissen! Huten wir
uns, diese Todten
zu erwecken und diese lebendigen Sarge zu versehren!
Ihnen begegnet ein Kranker oder ein Greis oder ein Leichnam; und gleich sagen
sie ``das Leben
ist widerlegt!''
Aber nur sie sind widerlegt und ihr Auge, welches nur das Eine Gesicht sieht am
Dasein.
Eingehullt in dicke Schwermuth und begierig auf die kleinen Zufalle, welche den
Tod bringen: so
warten sie und beissen die Zahne auf einander.
Oder aber: sie greifen nach Zuckerwerk und spotten ihrer Kinderei dabei: sie
hangen an ihrem
Strohhalm Leben und spotten, dass sie noch an einem Strohhalm hangen.
Ihre Weisheit lautet: ``ein Thor, der leben bleibt, aber so sehr sind wir
Thoren! Und das eben ist
das Thorichtste am Leben!'' ``
Das Leben ist nur Leiden'' - so sagen Andre und lugen nicht: so sorgt doch, dass
ihr aufhort! So
sorgt doch, dass das Leben aufhort, welches nur Leiden ist!
Und also laute die Lehre eurer Tugend ``du sollst dich selber todten! Du sollst
dich selber
davonstehlen!'' ``
Wollust ist Sunde, - so sagen die Einen, welche den Tod predigen - lasst uns bei
Seite gehn und
keine Kinder zeugen!''
``Gebaren ist muhsam, - sagen dich Andern - wozu noch gebaren? Man gebiert nur
Ungluckliche!'' Und auch sie sind Prediger des Todes.
``Mitleid thut noth - so sagen die Dritten. Nehmt hin, was ich habe! Nehmt hin,
was ich bin! Um
so weniger bindet mich das Leben!''
Waren sie Mitleidige von Grund aus, so wurden sie ihren Nachsten das Leben
verleiden. Bose
sein - das ware ihre rechte Gute.
Aber sie wollen loskommen vom Leben: was schiert es sie, dass sie Andre mit
ihren Ketten und
Geschenken noch fester binden! -
Und auch ihr, denen das Leben wilde Arbeit und Unruhe ist: seid ihr nicht sehr
mude des Lebens?
Seid ihr nicht sehr reif fur die Predigt des Todes?
Ihr Alle, denen die wilde Arbeit lieb ist und das Schnelle, Neue, Fremde, - ihr
ertragt euch
schlecht, euer Fleiss ist Flucht und Wille, sich selber zu vergessen.
Wenn ihr mehr an das Leben glaubtet, wurdet ihr weniger euch dem Augenblicke
hinwerfen. Aber
ihr habt zum Warten nicht Inhalt genug in euch - und selbst zur Faulheit nicht!
Uberall ertont die Stimme Derer, welche den Tod predigen: und die Erde ist voll
von Solchen,
welchen der Tod gepredigt werden muss.
Oder ``das ewige Leben'': das gilt mir gleich, - wofern sie nur schnell
dahinfahren!
Also sprach Zarathustra.
Vom Krieg und Kriegsvolke
Von unsern besten Feinden wollen wir nicht geschont sein, und auch von Denen
nicht, welche wir
von Grund aus lieben. So lasst mich denn euch die Wahrheit sagen!
Meine Bruder im Kriege! Ich liebe euch von Grund aus, ich bin und war
Euresgleichen. Und ich
bin auch euer bester Feind. So lasst mich denn euch die Wahrheit sagen!
Ich weiss um den Hass und Neid eures Herzens. Ihr seid nicht gross genug, um
Hass und Neid
nicht zu kennen. So seid denn gross genug, euch ihrer nicht zu schamen!
Und wenn ihr nicht Heilige der Erkenntniss sein konnt, so seid mir wenigstens
deren
Kriegsmanner. Das sind die Gefahrten und Vorlaufer solcher Heiligkeit.
Ich sehe viel Soldaten: mochte ich viel Kriegsmanner sehn! ``Ein-form'' nennt
man's, was sie
tragen: moge es nicht Ein-form sein, was sie damit verstecken!
Ihr sollt mir Solche sein, deren Auge immer nach einem Feinde sucht - nach eurem
Feinde. Und
bei Einigen von euch giebt es einen Hass auf den ersten Blick.
Euren Feind sollt ihr suchen, euren Krieg sollt ihr fuhren und fur eure
Gedanken! Und wenn euer
Gedanke unterliegt, so soll eure Redlichkeit daruber noch Triumph rufen!
Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden
mehr, als den
langen.
Euch rathe ich nicht zur Arbeit, sondern zum Kampfe. Euch rathe ich nicht zum
Frieden, sondern
zum Siege. Eure Arbeit sei ein Kampf, euer Friede sei ein Sieg!
Man kann nur schweigen und stillsitzen, wenn man Pfeil und Bogen hat: sonst
schwatzt und zankt
man. Euer Friede sei ein Sieg!
Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der
gute Krieg ist es,
der jede Sache heiligt.
Der Krieg und der Muth haben mehr grosse Dinge gethan, als die Nachstenliebe.
Nicht euer
Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verungluckten.
Was ist gut? fragt ihr. Tapfer sein ist gut. Lasst die kleinen Madchen reden:
``gut sein ist, was
hubsch zugleich und ruhrend ist.''
Man nennt euch herzlos: aber euer Herz ist acht, und ich liebe die Scham eurer
Herzlichkeit. Ihr
schamt euch eurer Fluth, und Andre schamen sich ihrer Ebbe.
Ihr seid hasslich? Nun wohlan, meine Bruder! So nehmt das Erhabne um euch, den
Mantel des
Hasslichen!
Und wenn eure Seele gross wird, so wird sie ubermuthig, und in eurer Erhabenheit
ist Bosheit.
Ich kenne euch.
In der Bosheit begegnet sich der Ubermuthige mit dem Schwachlinge. Aber sie
missverstehen
einander. Ich kenne euch.
Ihr durft nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten.
Ihr musst stolz
auf euern Feind sein: dann sind die Erfolge eures Feindes auch eure Erfolge.
Auflehnung - das ist die Vornehmheit am Sclaven. Eure Vornehmheit sei Gehorsam!
Euer
Befehlen selber sei ein Gehorchen!
Einem guten Kriegsmanne klingt ``du sollst'' angenehmer, als ``ich will''. Und
Alles, was euch lieb
ist, sollt ihr euch erst noch befehlen lassen.
Eure Liebe zum Leben sei Liebe zu eurer hochsten Hoffnung: und eure hochste
Hoffnung sei der
hochste Gedanke des Lebens!
Euren hochsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen - und er
lautet: der Mensch
ist Etwas, das uberwunden werden soll.
So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am Lang-Leben!
Welcher Krieger
will geschont sein!
Ich schone euch nicht, ich liebe euch von Grund aus, meine Bruder im Kriege!
Also
sprach Zarathustra.
Vom neuen Gotzen
Irgendwo giebt es noch Volker und Heerden, doch nicht bei uns, meine Bruder: da
giebt es
Staaten.
Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich
euch mein Wort
vom Tode der Volker.
Staat heisst das kalteste aller kalten Ungeheuer. Kalt lugt es auch; und diese
Luge kriecht aus
seinem Munde: ``Ich, der Staat, bin das Volk.''
Luge ist's! Schaffende waren es, die schufen die Volker und hangten einen
Glauben und eine
Liebe uber sie hin: also dienten sie dem Leben.
Vernichter sind es, die stellen Fallen auf fur Viele und heissen sie Staat: sie
hangen ein Schwert
und hundert Begierden uber sie hin.
Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und hasst ihn als bosen
Blick und Sunde an
Sitten und Rechten.
Dieses Zeichen gebe ich euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und
Bosen: die versteht
der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten und Rechten.
Aber der Staat lugt in allen Zungen des Guten und Bosen; und was er auch redet,
er lugt - und
was er auch hat, gestohlen hat er's.
Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Zahnen beisst er, der Bissige. Falsch
sind selbst seine
Eingeweide.
Sprachverwirrung des Guten und Bosen: dieses Zeichen gebe ich euch als Zeichen
des Staates.
Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen! Wahrlich, es winkt den
Predigern des
Todes!
Viel zu Viele werden geboren: fur die Uberflussigen ward der Staat erfunden!
Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Viel-zu-Vielen! Wie er sie schlingt
und kaut und
wiederkaut!
``Auf der Erde ist nichts Grosseres als ich: der ordnende Finger bin ich
Gottes'' - also brullt das
Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzgeaugte sinken auf die Kniee!
Ach, auch in euch, ihr grossen Seelen, raunt er seine dusteren Lugen! Ach, er
errath die reichen
Herzen, die gerne sich verschwenden!
Ja, auch euch errath er, ihr Besieger des alten Gottes! Mude wurdet ihr im
Kampfe, und nun dient
eure Mudigkeit noch dem neuen Gotzen!
Helden und Ehrenhafte mochte er um sich aufstellen, der neue Gotze! Gerne sonnt
er sich im
Sonnenschein guter Gewissen, - das kalte Unthier!
Alles will er euch geben, wenn ihr ihn anbetet, der neue Gotze: also kauft er
sich den Glanz eurer
Tugend und den Blick eurer stolzen Augen.
Kodern will er mit euch die Viel-zu-Vielen! Ja, ein Hollenkunststuck ward da
erfunden, ein Pferd
des Todes, klirrend im Putz gottlicher Ehren!
Ja, ein Sterben fur Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist:
wahrlich, ein
Herzensdienst allen Predigern des Todes!
Staat nenne ich's, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo Alle
sich selber
verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller - ``das
Leben'' heisst.
Seht mir doch diese Uberflussigen! Sie stehlen sich die Werke der Erfinder und
die Schatze der
Weisen: Bildung nennen sie ihren Diebstahl - und Alles wird ihnen zu Krankheit
und Ungemach!
Seht mir doch diese Uberflussigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen ihre
Galle und nennen es
Zeitung. Sie verschlingen einander und konnen sich nicht einmal verdauen.
Seht mir doch diese Uberflussigen! Reichthumer erwerben sie und werden armer
damit. Macht
wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, - diese
Unvermogenden!
Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern uber einander hinweg
und zerren sich also
in den Schlamm und die Tiefe.
Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, - als ob das Gluck auf dem
Throne sasse!
Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron - und oft auch der Thron auf dem Schlamme.
Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Uberheisse. Ubel riecht
mir ihr Gotze, das
kalte Unthier: ubel riechen sie mir alle zusammen, diese Gotzendiener.
Meine Bruder, wollt ihr denn ersticken im Dunste ihrer Mauler und Begierden!
Lieber zerbrecht
doch die Fenster und springt in's Freie!
Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der Gotzendienerei
der
Uberflussigen!
Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem Dampfe dieser
Menschenopfer!
Frei steht grossen Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze
fur Einsame und
Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht.
Frei steht noch grossen Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt,
wird um so weniger
besessen: gelobt sei die kleine Armuth!
Dort, wo der Staat aufhort, da beginnt erst der Mensch, der nicht uberflussig
ist: da beginnt das
Lied des Nothwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise.
Dort, wo der Staat aufhort, - so seht mir doch hin, meine Bruder! Seht ihr ihn
nicht, den
Regenbogen und die Brukken des Ubermenschen? Also
sprach Zarathustra.
Von den Fliegen des Marktes
Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit! Ich sehe dich betaubt vom Larme der
grossen Manner
und zerstochen von den Stacheln der kleinen.
Wurdig wissen Wald und Fels mit dir zu schweigen. Gleiche wieder dem Baume, den
du liebst,
dem breitastigen: still und aufhorchend hangt er uber dem Meere.
Wo die Einsamkeit aufhort, da beginnt der Markt; und wo der Markt beginnt, da
beginnt auch der
Larm der grossen Schauspieler und das Geschwirr der giftigen Fliegen.
In der Welt taugen die besten Dinge noch Nichts, ohne Einen, der sie erst
auffuhrt: grosse
Manner heisst das Volk diese Auffuhrer.
Wenig begreift das Volk das Grosse, das ist: das Schaffende. Aber Sinne hat es
fur alle Auffuhrer
und Schauspieler grosser Sachen.
Um die Erfinder von neuen Werthen dreht sich die Welt: - unsichtbar dreht sie
sich. Doch um die
Schauspieler dreht sich das Volk und der Ruhm: so ist es der Welt Lauf.
Geist hat der Schauspieler, doch wenig Gewissen des Geistes. Er glaubt immer an
Das, womit er
am starksten glauben macht, - glauben an sich macht!
Morgen hat er einen neuen Glauben und ubermorgen einen neueren. Rasche Sinne hat
er, gleich
dem Volke, und veranderliche Witterungen.
Umwerfen - das heisst ihm: beweisen. Toll machen - das heisst ihm: uberzeugen.
Und Blut gilt
ihm als aller Grunde bester.
Eine Wahrheit, die nur in feine Ohren schlupft, nennt er Luge und Nichts.
Wahrlich, er glaubt nur
an Gotter, die grossen Larm in der Welt machen!
Voll von feierlichen Possenreissern ist der Markt - und das Volk ruhmt sich
seiner grossen
Manner! das sind ihm die Herrn der Stunde.
Aber die Stunde drangt sie: so drangen sie dich. Und auch von dir wollen sie Ja
oder Nein. Wehe,
du willst zwischen Fur und Wider deinen Stuhl setzen?
Dieser Unbedingten und Drangenden halber sei ohne Eifersucht, du Liebhaber der
Wahrheit!
Niemals noch hangte sich die Wahrheit an den Arm eines Unbedingten.
Dieser Plotzlichen halber gehe zuruck in deine Sicherheit: nur auf dem Markt
wird man mit Ja?
oder Nein? uberfallen.
Langsam ist das Erleben allen tiefen Brunnen: lange mussen sie warten, bis sie
wissen, was in ihre
Tiefe fiel.
Abseits vom Markte und Ruhme begiebt sich alles Grosse: abseits vom Markte und
Ruhme
wohnten von je die Erfinder neuer Werthe.
Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit: ich sehe dich von giftigen Fliegen
zerstochen. Fliehe
dorthin, wo rauhe, starke Luft weht!
Fliehe in deine Einsamkeit! Du lebtest den Kleinen und Erbarmlichen zu nahe.
Fliehe vor ihrer
unsichtbaren Rache! Gegen dich sind sie Nichts als Rache.
Hebe nicht mehr den Arm gegen sie! Unzahlbar sind sie, und es ist nicht dein
Loos, Fliegenwedel
zu sein.
Unzahlbar sind diese Kleinen und Erbarmlichen; und manchem stolzen Baue
gereichten schon
Regentropfen und Unkraut zum Untergange.
Du bist kein Stein, aber schon wurdest du hohl von vielen Tropfen. Zerbrechen
und zerbersten
wirst du mir noch von vielen Tropfen.
Ermudet sehe ich dich durch giftige Fliegen, blutig geritzt sehe ich dich an
hundert Stellen; und
dein Stolz will nicht einmal zurnen.
Blut mochten sie von dir in aller Unschuld, Blut begehren ihre blutlosen Seelen
- und sie stechen
daher in aller Unschuld.
Aber, du Tiefer, du leidest zu tief auch an kleinen Wunden; und ehe du dich noch
geheilt hast,
kroch dir der gleiche Giftwurm uber die Hand.
Zu stolz bist du mir dafur, diese Naschhaften zu todten. Hute dich aber, dass es
nicht dein
Verhangniss werde, all ihr giftiges Unrecht zu tragen!
Sie summen um dich auch mit ihrem Lobe: Zudringlichkeit ist ihr Loben. Sie
wollen die Nahe
deiner Haut und deines Blutes.
Sie schmeicheln dir wie einem Gotte oder Teufel; sie winseln vor dir wie vor
einem Gotte oder
Teufel. Was macht es ! Schmeichler sind es und Winsler und nicht mehr.
Auch geben sie sich dir oft als Liebenswurdige. Aber das war immer die Klugheit
der Feigen. Ja,
die Feigen sind klug!
Sie denken viel uber dich mit ihrer engen Seele, - bedenklich bist du ihnen
stets! Alles, was viel
bedacht wird, wird bedenklich.
Sie bestrafen dich fur alle deine Tugenden. Sie verzeihen dir von Grund aus nur
- deine Fehlgriffe.
Weil du milde bist und gerechten Sinnes, sagst du: ``unschuldig sind sie an
ihrem kleinen Dasein.''
Aber ihre enge Seele denkt: ``Schuld ist alles grosse Dasein.''
Auch wenn du ihnen milde bist, fuhlen sie sich noch von dir verachtet; und sie
geben dir deine
Wohlthat zuruck mit versteckten Wehthaten.
Dein wortloser Stolz geht immer wider ihren Geschmack; sie frohlocken, wenn du
einmal
bescheiden genug bist, eitel zu sein.
Das, was wir an einem Menschen erkennen, das entzunden wir an ihm auch. Also
hute dich vor
den Kleinen !
Vor dir fuhlen sie sich klein, und ihre Niedrigkeit glimmt und gluht gegen dich
in unsichtbarer
Rache.
Merktest du nicht, wie oft sie stumm wurden, wenn du zu ihnen tratest, und wie
ihre Kraft von
ihnen gieng wie der Rauch von einem erloschenden Feuer?
Ja, mein Freund, das bose Gewissen bist du deinen Nachsten: denn sie sind deiner
unwerth. Also
hassen sie dich und mochten gerne an deinem Blute saugen.
Deine Nachsten werden immer giftige Fliegen sein; Das, was gross an dir ist, -
das selber muss sie
giftiger machen und immer fliegenhafter.
Fliehe, mein Freund, in deine Einsamkeit und dorthin, wo eine rauhe, starke Luft
weht. Nicht ist
es dein Loos, Fliegenwedel zu sein. Also
sprach Zarathustra.
Von der Keuschheit
Ich liebe den Wald. In den Stadten ist schlecht zu leben: da giebt es zu Viele
der Brunstigen.
Ist es nicht besser, in die Hande eines Morders zu gerathen, als in die Traume
eines brunstigen
Weibes?
Und seht mir doch diese Manner an: ihr Auge sagt es - sie wissen nichts Besseres
auf Erden, als
bei einem Weibe zu liegen.
Schlamm ist auf dem Grunde ihrer Seele; und wehe, wenn ihr Schlamm gar noch
Geist hat!
Dass ihr doch wenigstens als Thiere vollkommen waret! Aber zum Thiere gehort die
Unschuld.
Rathe ich euch, eure Sinne zu todten? Ich rathe euch zur Unschuld der Sinne.
Rathe ich euch zur Keuschheit? Die Keuschheit ist bei Einigen eine Tugend, aber
bei Vielen
beinahe ein Laster.
Diese enthalten sich wohl: aber die Hundin Sinnlichkeit blickt mit Neid aus
Allem, was sie thun.
Noch in die Hohen ihrer Tugend und bis in den kalten Geist hinein folgt ihnen
diess Gethier und
sein Unfrieden.
Und wie artig weiss die Hundin Sinnlichkeit um ein Stuck Geist zu betteln, wenn
ihr ein Stuck
Fleisch versagt wird!
Ihr liebt Trauerspiele und Alles, was das Herz zerbricht? Aber ich bin
misstrauisch gegen eure
Hundin.
Ihr habt mir zu grausame Augen und blickt lustern nach Leidenden. Hat sich nicht
nur eure
Wollust verkleidet und heisst sich Mitleiden?
Und auch diess Gleichniss gebe ich euch: nicht Wenige, die ihren Teufel
austreiben wollten,
fuhren dabei selber in die Saue.
Wem die Keuschheit schwer fallt, dem ist sie zu widerrathen: dass sie nicht der
Weg zur Holle
werde - das ist zu Schlamm und Brunst der Seele.
Rede ich von schmutzigen Dingen? Das ist mir nicht das Schlimmste.
Nicht, wenn die Wahrheit schmutzig ist, sondern wenn sie seicht ist, steigt der
Erkennende
ungern in ihr Wasser.
Wahrlich, es giebt Keusche von Grund aus: sie sind milder von Herzen, sie lachen
lieber und
reichlicher als ihr.
Sie lachen auch uber die Keuschheit und fragen: ``was ist Keuschheit!
``Ist Keuschheit nicht Thorheit? Aber diese Thorheit kam zu uns und nicht wir
zur ihr.
``Wir boten diesem Gaste Herberge und Herz: nun wohnt er bei uns, - mag er
bleiben, wie lange
er will!''
Also sprach Zarathustra.
Vom Freunde
``Einer ist immer zu viel um mich'' - also denkt der Einsiedler. ``Immer Einmal
Eins - das giebt auf
die Dauer Zwei!''
Ich und Mich sind immer zu eifrig im Gesprache: wie ware es auszuhalten, wenn es
nicht einen
Freund gabe?
Immer ist fur den Einsiedler der Freund der Dritte: der Dritte ist der Kork, der
verhindert, dass
das Gesprach der Zweie in die Tiefe sinkt.
Ach, es giebt zu viele Tiefen fur alle Einsiedler. Darum sehnen sie sich so nach
einem Freunde
und nach seiner Hohe.
Unser Glaube an Andre verrath, worin wir gerne an uns selber glauben mochten.
Unsre Sehnsucht
nach einem Freunde ist unser Verrather.
Und oft will man mit der Liebe nur den Neid uberspringen. Und oft greift man an
und macht sich
einen Feind, um zu verbergen, dass man angreifbar ist.
``Sei wenigstens mein Feind!'' - so spricht die wahre Ehrfurcht, die nicht um
Freundschaft zu
bitten wagt.
Will man einen Freund haben, so muss man auch fur ihn Krieg fuhren wollen: und
um Krieg zu
fuhren, muss man Feind sein konnen.
Man soll in seinem Freunde noch den Feind ehren. Kannst du an deinen Freund
dicht herantreten,
ohne zu ihm uberzutreten?
In seinem Freunde soll man seinen besten Feind haben. Du sollst ihm am nachsten
mit dem
Herzen sein, wenn du ihm widerstrebst.
Du willst vor deinem Freunde kein Kleid tragen? Es soll deines Freundes Ehre
sein, dass du dich
ihm giebst, wie du bist? Aber wunscht dich darum zum Teufel!
Wer aus sich kein Hehl macht, emport: so sehr habt ihr Grund, die Nacktheit zu
furchten! Ja,
wenn ihr Gotter waret, da durftet ihr euch eurer Kleider schamen!
Du kannst dich fur deinen Freund nicht schon genug putzen: denn du sollst ihm
ein Pfeil und eine
Sehnsucht nach dem Ubermenschen sein.
Sahst du deinen Freund schon schlafen, - damit du erfahrest, wie er aussieht?
Was ist doch sonst
das Gesicht deines Freundes? Es ist dein eignes Gesicht, auf einem rauhen und
unvollkommnen
Spiegel.
Sahst du deinen Freund schon schlafen? Erschrakst du nicht, dass dein Freund so
aussieht? Oh,
mein Freund, der Mensch ist Etwas, das uberwunden werden muss.
Im Errathen und Stillschweigen soll der Freund Meister sein: nicht Alles musst
du sehn wollen.
Dein Traum soll dir verrathen, was dein Freund im Wachen thut.
Ein Errathen sei dein Mitleiden: dass du erst wissest, ob dein Freund Mitleiden
wolle. Vielleicht
liebt er an dir das ungebrochne Auge und den Blick der Ewigkeit.
Das Mitleiden mit dem Freunde berge sich unter einer harten Schale, an ihm
sollst du dir einen
Zahn ausbeissen. So wird es seine Feinheit und Susse haben.
Bist du reine Luft und Einsamkeit und Brod und Arznei deinem Freunde? Mancher
kann seine
eignen Ketten nicht losen und doch ist er dem Freunde ein Erloser.
Bist du ein Sclave? So kannst du nicht Freund sein. Bist du ein Tyrann? So
kannst du nicht
Freunde haben.
Allzulange war im Weibe ein Sclave und ein Tyrann versteckt. Desshalb ist das
Weib noch nicht
der Freundschaft fahig: es kennt nur die Liebe.
In der Liebe des Weibes ist Ungerechtigkeit und Blindheit gegen Alles, was es
nicht liebt. Und
auch in der wissenden Liebe des Weibes ist immer noch Uberfall und Blitz und
Nacht neben dem
Lichte.
Nodl ist das Weib nicht der Freundschaft fahig: Katzen sind immer noch die
Weiber, und Vogel.
Oder, besten Falles, Kuhe.
Noch ist das Weib nicht der Freundschaft fahig. Aber sagt mir, ihr Manner, wer
von euch ist denn
fahig der Freundschaft?
Oh uber eure Armuth, ihr Manner, und euren Geiz der Seele! Wie viel ihr dem
Freunde gebt, das
will ich noch meinem Feinde geben, und will auch nicht armer damit geworden
sein.
Es giebt Kameradschaft: moge es Freundschaft geben!
AIso sprach Zarathustra.
Von tausend und Einem Ziele
VieIe Lander sah Zarathustra und viele Volker: so entdeckte er vieler Volker
Gutes und Boses.
Keine grossere Macht fand Zarathustra auf Erden, als gut und bose.
Leben konnte kein Volk, das nicht erst schatzte; will es sich aber erhalten, so
darf es nicht
schatzen, wie der Nachbar schatzt.
Vieles, das diesem Volke gut hiess, hiess einem andern Hohn und Schmach: also
fand ich's. Vieles
fand ich hier bose genannt und dort mit purpurnen Ehren geputzt.
Nie verstand ein Nachbar den andern: stets verwunderte sich seine Seele ob des
Nachbarn Wahn
und Bosheit.
Eine Tafel der Guter hangt uber jedem Volke. Siehe, es ist seiner Uberwindungen
Tafel; siehe, es
ist die Stimme seines Willens zur Macht.
Loblich ist, was ihm schwer gilt; was unerlasslich und schwer, heisst gut, und
was aus der
hochsten Noth noch befreit, das Seltene, Schwerste, - das preist es heilig.
Was da macht, dass es herrscht und siegt und glanzt, seinem Nachbarn zu Grauen
und Neide: das
gilt ihm das Hohe, das Erste, das Messende, der Sinn aller Dinge.
Wahrlich, mein Bruder, erkanntest du erst eines Volkes Noth und Land und Himmel
und
Nachbar: so errathst du wohl das Gesetz seiner Uberwindungen und warum es auf
dieser Leiter
zu seiner Hoffnung steigt.
``Immer sollst du der Erste sein und den Andern vorragen: Niemanden soll deine
eifersuchtige
Seele lieben, es sei denn den Freund'' - diess machte einem Griechen die Seele
zittern: dabei gieng
er seinen Pfad der Grosse.
``Wahrheit reden und gut mit Bogen und Pfeil verkehren'' - so dunkte es jenem
Volke zugleich
lieb und schwer, aus dem mein Name kommt - der Name, welcher mir zugleich lieb
und schwer
ist.
``Vater und Mutter ehren und bis in die Wurzel der Seele hinein ihnen zu Willen
sein'': diese Tafel
der Uberwindung hangte ein andres Volk uber sich auf und wurde machtig und ewig
damit.
``Treue uben und um der Treue Willen Ehre und Blut auch an bose und fahrliche
Sachen setzen'':
also sich lehrend bezwang sich ein anderes Volk, und also sich bezwingend wurde
es schwanger
und schwer von grossen Hoffnungen.
Wahrlich, die Menschen gaben sich alles ihr Gutes und Boses. Wahrlich, sie
nahmen es nicht, sie
fanden es nicht, nicht fiel es ihnen als Stimme vom Himmel.
Werthe legte erst der Mensch in die Dinge, sich zu erhalten, - er schuf erst den
Dingen Sinn, einen
Menschen-Sinn! Darum nennt er sich ``Mensch'', das ist: der Schatzende.
Schatzen ist Schaffen: hort es, ihr Schaffenden! Schatzen selber ist aller
geschatzten Dinge Schatz
und Kleinod.
Durch das Schatzen erst giebt es Werth: und ohne das Schatzen ware die Nuss des
Daseins hohl.
Hort es, ihr Schaffenden!
Wandel der Werthe, - das ist Wandel der Schaffenden. Immer vernichtet, wer ein
Schopfer sein
muss.
Schaffende waren erst Volker und spat erst Einzelne; wahrlich, der Einzelne
selber ist noch die
jungste Schopfung.
Volker hangten sich einst eine Tafel des Guten uber sich. Liebe, die herrschen
will, und Liebe, die
gehorchen will, erschufen sich zusammen solche Tafeln.
Alter ist an der Heerde die Lust, als die Lust am Ich: und so lange das gute
Gewissen Heerde
heisst, sagt nur das schlechte Gewissen: Ich.
Wahrlich, das schlaue Ich, das lieblose, das seinen Nutzen im Nutzen Vieler
will: das ist nicht der
Heerde Ursprung, sondern ihr Untergang.
Liebende waren es stets und Schaffende, die schufen Gut und Bose. Feuer der
Liebe gluht in aller
Tugenden Namen und Feuer des Zorns.
Viele Lander sah Zarathustra und viele Volker: keine grossere Macht fand
Zarathustra auf Erden,
als die Werke der Liebenden: ``gut'' und ``bose'' ist ihr Name.
Wahrlich, ein Ungethum ist die Macht dieses Lobens und Tadelns. Sagt, wer
bezwingt es mir, ihr
Bruder? Sagt, wer wirft diesem Thier die Fessel uber die tausend Nacken?
Tausend Ziele gab es bisher, denn tausend Volker gab es. Nur die Fessel der
tausend Nacken fehlt
noch, es fehlt das Eine Ziel. Noch hat die Menschheit kein Ziel.
Aber sagt mir doch, meine Bruder: wenn der Menschheit das Ziel noch fehlt, fehlt
da nicht auch sie
selber noch? Also
sprach Zarathustra.
Von der Nachstenliebe
Ihr drangt euch um den Nachsten und habt schone Worte dafur. Aber ich sage euch:
eure
Nachstenliebe ist eure schlechte Liebe zu euch selber.
Ihr fluchtet zum Nachsten vor euch selber und mochtet euch daraus eine Tugend
machen: aber
ich durchschaue euer ``Selbstloses''.
Das Du ist alter als das Ich; das Du ist heilig gesprochen, aber noch nicht das
Ich: so drangt sich
der Mensch hin zum Nachsten.
Rathe ich euch zur Nachstenliebe? Lieber noch rathe ich euch zur Nachsten-Flucht
und zur
Fernsten-Liebe!
Hoher als die Liebe zum Nachsten ist die Liebe zum Fernsten und Kunftigen; hoher
noch als die
Liebe zu Menschen ist die Liebe zu Sachen und Gespenstern.
Diess Gespenst, das vor dir herlauft, mein Bruder, ist schoner als du; warum
giebst du ihm nicht
dein Fleisch und deine Knochen? Aber du furchtest dich und laufst zu deinem
Nachsten.
Ihr haltet es mit euch selber nicht aus und liebt euch nicht genug: nun wollt
ihr den Nachsten zur
Liebe verfuhren und euch mit seinem Irrthum vergolden.
Ich wollte, ihr hieltet es nicht aus mit allerlei Nachsten und deren Nachbarn;
so musstet ihr aus
euch selber euren Freund und sein uberwallendes Herz schaffen.
Ihr ladet euch einen Zeugen ein, wenn ihr von euch gut reden wollt; und wenn ihr
ihn verfuhrt
habt, gut von euch zu denken, denkt ihr selber gut von euch.
Nicht nur Der lugt, welcher wider sein Wissen redet, sondern erst recht Der,
welcher wider sein
Nichtwissen redet. Und so redet ihr von euch im Verkehre und belugt mit euch den
Nachbar.
Also spricht der Narr: ``der Umgang mit Menschen verdirbt den Charakter,
sonderlich wenn man
keinen hat.''
Der Eine geht zum Nachsten, weil er sich sucht, und der Andre, weil er sich
verlieren mochte.
Eure schlechte Liebe zu euch selber macht euch aus der Einsamkeit ein
Gefangniss.
Die Ferneren sind es, welche eure Liebe zum Nachsten bezahlen; und schon wenn
ihr zu funfen
mit einander seid, muss immer ein sechster sterben.
Ich liebe auch eure Feste nicht: zu viel Schauspieler fand ich dabei, und auch
die Zuschauer
gebardeten sich oft gleich Schauspielern.
Nicht den Nachsten lehre ich euch, sondern den Freund. Der Freund sei euch das
Fest der Erde
und ein Vorgefuhl des Ubermenschen.
Ich lehre euch den Freund und sein ubervolles Herz. Aber man muss verstehn, ein
Schwamm zu
sein, wenn man von ubervollen Herzen geliebt sein will.
Ich lehre euch den Freund, in dem die Welt fertig dasteht, eine Schale des
Guten, - den
schaffenden Freund, der immer eine fertige Welt zu verschenken hat.
Und wie ihm die Welt auseinander rollte, so rollt sie ihm wieder in Ringen
zusammen, als das
Werden des Guten durch das Bose, als das Werden der Zwecke aus dem Zufalle.
Die Zukunft und das Fernste sei dir die Ursache deines Heute: in deinem Freunde
sollst du den
Ubermenschen als deine Ursache lieben.
Meine Bruder, zur Nachstenliebe rathe ich euch nicht: ich rathe euch zur
Fernsten-Liebe.
Also sprach Zarathustra.
Vom Wege des Schaffenden
Willst du, mein Bruder, in die Vereinsamung gehen? Willst du den Weg zu dir
selber suchen?
Zaudere noch ein Wenig und hore mich.
``Wer sucht, der geht leicht selber verloren. Alle Vereinsamung ist Schuld'':
also spricht die
Heerde. Und du gehortest lange zur Heerde.
Die Stimme der Heerde wird auch in dir noch tonen. Und wenn du sagen wirst ``ich
habe nicht
mehr Ein Gewissen mit euch'', so wird es eine Klage und ein Schmerz sein.
Siehe, diesen Schmerz selber gebar noch das Eine Gewissen: und dieses Gewissens
letzter
Schimmer gluht noch auf deiner Trubsal.
Aber du willst den Weg deiner Trubsal gehen, welches ist der Weg zu dir selber?
So zeige mir
dein Recht und deine Kraft dazu!
Bist du eine neue Kraft und ein neues Recht? Eine erste Bewegung? Ein aus sich
rollendes Rad?
Kannst du auch Sterne zwingen, dass sie um dich sich drehen?
Ach, es giebt so viel Lusternheit nach Hohe! Es giebt so viel Krampfe der
Ehrgeizigen! Zeige mir,
dass du keiner der Lusternen und Ehrgeizigen bist!
Ach, es giebt so viel grosse Gedanken, die thun nicht mehr als ein Blasebalg:
sie blasen auf und
machen leerer.
Frei nennst du dich? Deinen herrschenden Gedanken will ich horen und nicht, dass
du einem
Joche entronnen bist.
Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen durfte ? Es giebt Manchen, der
seinen letzten
Werth wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf.
Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge kunden:
frei wozu ?
Kannst du dir selber dein Boses und dein Gutes geben und deinen Willen uber dich
aufhangen wie
ein Gesetz? Kannst du dir selber Richter sein und Racher deines Gesetzes?
Furchtbar ist das Alleinsein mit dem Richter und Racher des eignen Gesetzes.
Also wird ein Stern
hinausgeworfen in den oden Raum und in den eisigen Athem des Alleinseins.
Heute noch leidest du an den Vielen, du Einer: heute noch hast du deinen Muth
ganz und deine
Hoffnungen.
Aber einst wird dich die Einsamkeit mude machen, einst wird dein Stolz sich
krummen und dein
Muth knirschen. Schreien wirst du einst ``ich bin allein!''
Einst wirst du dein Hohes nicht mehr sehn und dein Niedriges allzunahe; dein
Erhabnes selbst
wird dich furchten machen wie ein Gespenst. Schreien wirst du einst: ``Alles ist
falsch!''
Es giebt Gefuhle, die den Einsamen todten wollen; gelingt es ihnen nicht, nun,
so mussen sie
selber sterben! Aber vermagst du das, Morder zu sein?
Kennst du, mein Bruder, schon das Wort ``Verachtung''? Und die Qual deiner
Gerechtigkeit,
Solchen gerecht zu sein, die dich verachten?
Du zwingst Viele, uber dich umzulernen; das rechnen sie dir hart an. Du kamst
ihnen nahe und
giengst doch voruber: das verzeihen sie dir niemals.
Du gehst uber sie hinaus: aber je hoher du steigst, um so kleiner sieht dich das
Auge des Neides.
Am meisten aber wird der Fliegende gehasst.
``Wie wolltet ihr gegen mich gerecht sein! - musst du sprechen - ich erwahle mir
eure
Ungerechtigkeit als den mir zugemessnen Theil.''
Ungerechtigkeit und Schmutz werfen sie nach dem Einsamen: aber, mein Bruder,
wenn du ein
Stern sein willst, so musst du ihnen desshalb nicht weniger leuchten!
Und hute dich vor den Guten und Gerechten! Sie kreuzigen gerne Die, welche sich
ihre eigne
Tugend erfinden, - sie hassen den Einsamen.
Hute dich auch vor der heiligen Einfalt! Alles ist ihr unheilig, was nicht
einfaltig ist; sie spielt auch
gerne mit dem Feuer - der Scheiterhaufen.
Und hute dich auch vor den Anfallen deiner Liebe! Zu schnell streckt der Einsame
Dem die Hand
entgegen, der ihm begegnet.
Manchem Menschen darfst du nicht die Hand geben, sondern nur die Tatze: und ich
will, dass
deine Tatze auch Krallen habe.
Aber der schlimmste Feind, dem du begegnen kannst, wirst du immer dir selber
sein; du selber
lauerst dir auf in Hohlen und Waldern.
Einsamer, du gehst den Weg zu dir selber! Und an dir selber fuhrt dein Weg
vorbei und an deinen
sieben Teufeln!
Ketzer wirst du dir selber sein und Hexe und Wahrsager und Narr und Zweifler und
Unheiliger
und Bosewicht.
Verbrennen musst du dich wollen in deiner eignen Flamme: wie wolltest du neu
werden, wenn du
nicht erst Asche geworden bist!
Einsamer, du gehst den Weg des Schaffenden: einen Gott willst du dir schaffen
aus deinen sieben
Teufeln!
Einsamer, du gehst den Weg des Liebenden: dich selbst liebst du und desshalb
verachtest du dich,
wie nur Liebende verachten.
Schaffen will der Liebende, weil er verachtet! Was weiss Der von Liebe, der
nicht gerade
verachten musste, was er liebte!
Mit deiner Liebe gehe in deine Vereinsamung und mit deinem Schaffen, mein
Bruder; und spat
erst wird die Gerechtigkeit dir nachhinken.
Mit meinen Thranen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe Den, der
uber sich
selber hinaus schaffen will und so zu Grunde geht. Also
sprach Zarathustra.
Von alten und jungen Weiblein
``Was schleichst du so scheu durch die Dammerung, Zarathustra? Und was birgst du
behutsam
unter deinem Mantel?
``Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren wurde?
Oder gehst du jetzt
selber auf den Wegen der Diebe, du Freund der Bosen?'' -
Wahrlich, mein Bruder! sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir geschenkt
wurde: eine
kleine Wahrheit ist's, die ich trage.
Aber sie ist ungebardig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht den Mund
halte, so schreit sie
uberlaut.
Als ich heute allein meines Weges gieng, zur Stunde, wo die Sonne sinkt,
begegnete mir ein altes
Weiblein und redete also zu meiner Seele:
``Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns uber das
Weib.''
Und ich entgegnete ihr: ``uber das Weib soll man nur zu Mannern reden.''
``Rede auch zu mir vom Weibe, sprach sie; ich bin alt genug, um es gleich wieder
zu vergessen.''
Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm:
Alles am Weibe ist ein Rathsel, und Alles am Weibe hat Eine Losung: sie heisst
Schwangerschaft.
Der Mann ist fur das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. Aber was ist
das Weib fur
den Mann?
Zweierlei will der achte Mann: Gefahr und Spiel. Desshalb will er das Weib, als
das gefahrlichste
Spielzeug.
Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers:
alles Andre
ist Thorheit.
Allzususse Fruchte - die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; bitter
ist auch noch das
susseste Weib.
Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist kindlicher
als das Weib.
Im achten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr Frauen, so
entdeckt mir doch
das Kind im Manne!
Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, bestrahlt von
den Tugenden
einer Welt, welche noch nicht da ist.
Der Strahl eines Sternes glanze in eurer Liebe! Eure Hoffnung heisse: ``moge ich
den
Ubermenschen gebaren!''
In eurer Liebe sei Tapferkeit! Mit eurer Liebe sollt ihr auf Den losgehn, der
euch Furcht einflosst!
In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber
diess sei eure
Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt werdet, und nie die Zweiten zu sein.
Der Mann furchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes Opfer,
und jedes andre
Ding gilt ihm ohne Werth.
Der Mann furchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist im Grunde
der Seele nur
bose, das Weib aber ist dort schlecht.
Wen hasst das Weib am meisten? - Also sprach das Eisen zum Magneten: ``ich hasse
dich am
meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug bist, an dich zu ziehen.''
Das Gluck des Mannes heisst: ich will. Das Gluck des Weibes heisst: er will.
``Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!'' - also denkt ein jedes Weib,
wenn es aus ganzer
Liebe gehorcht.
Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberflache.
Oberflache ist des
Weibes Gemuth, eine bewegliche sturmische Haut auf einem seichten Gewasser.
Des Mannes Gemuth aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen Hohlen:
das Weib ahnt
seine Kraft, aber begreift sie nicht. Da
entgegnete mir das alte Weiblein: ``Vieles Artige sagte Zarathustra und
sonderlich fur Die,
welche jung genug dazu sind.
``Seltsam ist's, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er uber sie
Recht! Geschieht
diess desshalb, weil beim Weibe kein Ding unmoglich ist?
``Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug fur sie!
``Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie uberlaut, diese
kleine Wahrheit.''
``Gieb mir, Weib, deine kleine Wahrheit!'' sagte ich. Und also sprach das alte
Weiblein:
``Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!'' Also
sprach Zarathustra.
Vom Biss der Natter
Eines Tages war Zarathustra unter einem Feigenbaume eingeschlafen, da es heiss
war, und hatte
seine Arme uber das Gesicht gelegt. Da kam eine Natter und biss ihn in den Hals,
so dass
Zarathustra vor Schmerz aufschrie. Als er den Arm vom Gesicht genommen hatte,
sah er die
Schlange an: da erkannte sie die Augen Zarathustra's, wand sich ungeschickt und
wollte davon.
``Nicht doch, sprach Zarathustra; noch nahmst du meinen Dank nicht an! Du
wecktest mich zur
Zeit, mein Weg ist noch lang.'' ``Dein Weg ist noch kurz, sagte die Natter
traurig; mein Gift
todtet.'' Zarathustra lachelte. ``Wann starb wohl je ein Drache am Gift einer
Schlange? - sagte er.
Aber nimm dein Gift zuruck! Du bist nicht reich genug, es mir zu schenken.'' Da
fiel ihm die
Natter von Neuem um den Hals und leckte ihm seine Wunde.
Als Zarathustra diess einmal seinen Jungern erzahlte, fragten sie: ``Und was, oh
Zarathustra, ist
die Moral deiner Geschichte?'' Zarathustra antwortete darauf also:
Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine Geschichte
ist
unmoralisch. So
ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Boses mit Gutem: denn das
wurde
beschamen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes angethan hat.
Und lieber zurnt noch, als dass ihr beschamt! Und wenn euch geflucht wird, so
gefallt es mir
nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein Wenig mitfluchen!
Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind funf kleine dazu!
Grasslich ist Der
anzusehn, den allein das Unrecht druckt.
Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der soll das
Unrecht auf sich
nehmen, der es tragen kann!
Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die Strafe
nicht auch ein
Recht und eine Ehre ist fur den Ubertretenden, so mag ich auch euer Strafen
nicht.
Vornehmer ist's, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, sonderlich wenn
man Recht hat.
Nur muss man reich genug dazu sein.
Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter blickt
mir immer der
Henker und sein kaltes Eisen.
Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden Augen ist?
So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern auch alle
Schuld tragt!
So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, ausgenommen den
Richtenden!
Wollt ihr auch diess noch horen? An Dem, der von Grund aus gerecht sein will,
wird auch noch
die Luge zur Menschen-Freundlichkeit.
Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das Seine
geben! Diess sei
mir genug: ich gebe Jedem das Meine.
Endlich, meine Bruder, hutet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern! Wie konnte
ein Einsiedler
vergessen! Wie konnte er vergelten!
Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein
hineinzuwerfen; sank er aber
bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder hinausbringen?
Hutet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr's aber, nun, so todtet ihn
auch noch!
Also sprach Zarathustra.
Von Kind und Ehe
Ich habe eine Frage fur dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei werfe ich
diese Frage in deine
Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei.
Du bist jung und wunschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein
Mensch, der ein
Kind sich wunschen darf ?
Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr
deiner Tugenden?
Also frage ich dich.
Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder Vereinsamung?
Oder
Unfriede mit dir?
Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne.
Lebendige Denkmale
sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung.
Uber dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein,
rechtwinklig an Leib
und Seele.
Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der
Garten der Ehe!
Einen hoheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich
rollendes Rad, - einen
Schaffenden sollst du schaffen.
Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als
die es schufen.
Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen
Willens.
Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die Viel-zu-Vielen
Ehe nennen,
diese Uberflussigen, - ach, wie nenne ich das?
Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien!
Ach diess
erbarmliche Behagen zu Zweien!
Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel
geschlossen.
Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der Uberflussigen! Nein, ich mag sie
nicht, diese im
himmlischen Netz verschlungenen Thiere!
Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht
zusammenfugte!
Lacht mir nicht uber solche Ehen! Welches Kind hatte nicht Grund, uber seine
Eltern zu weinen?
Wurdig schien mir dieser Mann und reif fur den Sinn der Erde: aber als ich sein
Weib sah, schien
mir die Erde ein Haus fur Unsinnige.
Ja, ich wollte, dass die Erde in Krampfen bebte, wenn sich ein Heiliger und eine
Gans mit
einander paaren.
Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er sich eine
kleine geputzte
Luge. Seine Ehe nennt er's.
Jener war sprode im Verkehre und wahlte wahlerisch. Aber mit Einem Male verdarb
er fur alle
Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er's.
Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem Male wurde
er die Magd
eines Weibes, und nun thate es Noth, dass er daruber noch zum Engel werde.
Sorgsam fand ich jetzt alle Kaufer, und Alle haben listige Augen. Aber seine
Frau kauft auch der
Listigste noch im Sack.
Viele kurze Thorheiten - das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht vielen
kurzer Thorheiten
ein Ende, als Eine lange Dummheit.
Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, mochte sie doch
Mitleiden sein
mit leidenden und verhullten Gottern! Aber zumeist errathen zwei Thiere
einander.
Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzucktes Gleichniss und eine
schmerzhafte Gluth.
Eine Fackel ist sie, die euch zu hoheren Wegen leuchten soll.
Uber euch hinaus sollt ihr einst lieben! So lernt erst lieben! Und darum musstet
ihr den bittern
Kelch eurer Liebe trinken.
Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht zum
Ubermenschen, so
macht sie Durst dir, dem Schaffenden!
Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum Ubermenschen: sprich, mein
Bruder, ist diess
dein Wille zur Ehe?
Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe. Also
sprach Zarathustra.
Vom freien Tode
Viele sterben zu spat, und Einige sterben zu fruh. Noch klingt fremd die Lehre:
``stirb zur rechten
Zeit!''
Stirb zur rechten Zeit: also lehrt es Zarathustra.
Freilich, wer nie zur rechten Zeit lebt, wie sollte der je zur rechten Zeit
sterben? Mochte er doch
nie geboren sein! - Also rathe ich den Uberflussigen.
Aber auch die Uberflussigen thun noch wichtig mit ihrem Sterben, und auch die
hohlste Nuss will
noch geknackt sein.
Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten
die Menschen
nicht, wie man die schonsten Feste weiht.
Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein
Gelobniss wird.
Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und
Gelobenden.
Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher
Sterbender nicht der
Lebenden Schwure weihte!
Also zu sterben ist das Beste; das Zweite aber ist: im Kampfe zu sterben und
eine grosse Seele zu
verschwenden.
Aber dem Kampfenden gleich verhasst wie dem Sieger ist euer grinsender Tod, der
heranschleicht
wie ein Dieb - und doch als Herr kommt.
Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will.
Und wann werde ich wollen? - Wer ein Ziel hat und einen Erben, der will den Tod
zur rechten
Zeit fur Ziel und Erben.
Und aus Ehrfurcht vor Ziel und Erben wird er keine durren Kranze mehr im
Heiligthum des
Lebens aufhangen.
Wahrlich, nicht will ich den Seildrehern gleichen: sie ziehen ihren Faden in die
Lange und gehen
dabei selber immer ruckwarts.
Mancher wird auch fur seine Wahrheiten und Siege zu alt; ein zahnloser Mund hat
nicht mehr das
Recht zu jeder Wahrheit.
Und Jeder, der Ruhm haben will, muss sich bei Zeiten von der Ehre verabschieden
und die
schwere Kunst uben, zur rechten Zeit zu - gehn.
Man muss aufhoren, sich essen zu lassen, wenn man am besten schmeckt: das wissen
Die, welche
lange geliebt werden wollen.
Saure Apfel giebt es freilich, deren Loos will, dass sie bis auf den letzten Tag
des Herbstes
warten: und zugleich werden sie reif, gelb und runzelig.
Andern altert das Herz zuerst und Andern der Geist. Und Einige sind greis in der
Jugend: aber
spat jung erhalt lang jung.
Manchem missrath das Leben: ein Giftwurm frisst sich ihm an's Herz. So moge er
zusehn, dass
ihm das Sterben um so mehr gerathe.
Mancher wird nie suss, er fault im Sommer schon. Feigheit ist es, die ihn an
seinem Aste festhalt.
Viel zu Viele leben und viel zu lange hangen sie an ihren Asten. Mochte ein
Sturm kommen, der
all diess Faule und Wurmfressne vom Baume schuttelt!
Mochten Prediger kommen des schnellen Todes ! Das waren mir die rechten Sturme
und
Schuttler an Lebensbaumen Aber ich hore nur den langsamen Tod predigen und
Geduld mit allem
``Irdischen''.
Ach, ihr predigt Geduld mit dem Irdischen? Dieses Irdische ist es, das zu viel
Geduld mit euch
hat, ihr Lastermauler!
Wahrlich, zu fruh starb jener Hebraer, den die Prediger des langsamen Todes
ehren: und Vielen
ward es seitdem zum Verhangniss, dass er zu fruh starb.
Noch kannte er nur Thranen und die Schwermuth des Hebraers, sammt dem Hasse der
Guten und
Gerechten, - der Hebraer Jesus: da uberfiel ihn die Sehnsucht zum Tode.
Ware er doch in der Wuste geblieben und ferne von den Guten und Gerechten!
Vielleicht hatte er
leben gelernt und die Erde lieben gelernt - und das Lachen dazu!
Glaubt es mir, meine Bruder! Er starb zu fruh; er selber hatte seine Lehre
widerrufen, ware er bis
zu meinem Alter gekommen! Edel genug war er zum Widerrufen!
Aber ungereift war er noch. Unreif liebt der Jungling und unreif hasst er auch
Mensch und Erde.
Angebunden und schwer ist ihm noch Gemuth und Geistesflugel.
Aber im Manne ist mehr Kind als im Junglinge, und weniger Schwermuth: besser
versteht er sich
auf Tod und Leben.
Frei zum Tode und frei im Tode, ein heiliger Nein-sager, wenn es nicht Zeit mehr
ist zum Ja: also
versteht er sich auf Tod und Leben.
Dass euer Sterben keine Lasterung sei auf Mensch und Erde, meine Freunde: das
erbitte ich mir
von dem Honig eurer Seele.
In eurem Sterben soll noch euer Geist und eure Tugend gluhn, gleich einem
Abendroth um die
Erde: oder aber das Sterben ist euch schlecht gerathen.
Also will ich selber sterben, dass ihr Freunde um meinetwillen die Erde mehr
liebt; und zur Erde
will ich wieder werden, dass ich in Der Ruhe habe, die mich gebar.
Wahrlich, ein Ziel hatte Zarathustra, er warf seinen Ball: nun seid ihr Freunde
meines Zieles Erbe,
euch werfe ich den goldenen Ball zu.
Lieber als Alles sehe ich euch, meine Freunde, den goldenen Ball werfen! Und so
verziehe ich
noch ein Wenig auf Erden: verzeiht es mir!
Also sprach Zarathustra.
Von der schenkenden Tugend
1
Als Zarathustra von der Stadt Abschied genommen hatte, welcher sein Herz
zugethan war und
deren Name lautet: ``die bunte Kuh'' - folgten ihm Viele, die sich seine Junger
nannten und gaben
ihm das Geleit. Also kamen sie an einen Kreuzweg: da sagte ihnen Zarathustra,
dass er nunmehr
allein gehen wolle; denn er war ein Freund des Alleingehens. Seine Junger aber
reichten ihm zum
Abschiede einen Stab, an dessen goldnem Griffe sich eine Schlange um die Sonne
ringelte.
Zarathustra freute sich des Stabes und stutzte sich darauf; dann sprach er also
zu seinen Jungern.
Sagt mir doch: wie kam Gold zum hochsten Werthe? Darum, dass es ungemein ist und
unnutzlich
und leuchtend und mild im Glanze; es schenkt sich immer.
Nur als Abbild der hochsten Tugend kam Gold zum hochsten Werthe. Goldgleich
leuchtet der
Blick dem Schenkenden. Goldes-Glanz schliesst Friede zwischen Mond und Sonne.
Ungemein ist die hochste Tugend und unnutzlich, leuchtend ist sie und mild im
Glanze: eine
schenkende Tugend ist die hochste Tugend.
Wahrlich, ich errathe euch wohl, meine Junger: ihr trachtet, gleich mir, nach
der schenkenden
Tugend. Was hattet ihr mit Katzen und Wolfen gemeinsam?
Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt
ihr den Durst,
alle Reichthumer in euren Seele zu haufen.
Unersattlich trachtet eure Seele nach Schatzen und Kleinodien, weil eure Tugend
unersattlich ist
im Verschenken-Wollen.
Ihr zwingt alle Dinge zu euch und in euch, dass sie aus eurem Borne
zuruckstromen sollen als die
Gaben eurer Liebe.
Wahrlich, zum Rauber an allen Werthen muss solche schenkende Liebe werden; aber
heil und
heilig heisse ich diese Selbstsucht.
Eine andre Selbstsucht giebt es, eine allzuarme, eine hungernde, die immer
stehlen will, jene
Selbstsucht der Kranken, die kranke Selbstsucht.
Mit dem Auge des Diebes blickt sie auf alles Glanzende; mit der Gier des Hungers
misst sie Den,
der reich zu essen hat; und immer schleicht sie um den Tisch der Schenkenden.
Krankheit redet aus solcher Begierde und unsichtbare Entartung; von siechem
Leibe redet die
diebische Gier dieser Selbstsucht.
Sagt mir, meine Bruder: was gilt uns als Schlechtes und Schlechtestes? Ist es
nicht Entartung? -
Und auf Entartung rathen wir immer, wo die schenkende Seele fehlt.
Aufwarts geht unser Weg, von der Art hinuber zur Uber-Art. Aber ein Grauen ist
uns der
entartende Sinn, welcher spricht: ``Alles fur mich.''
Aufwarts fliegt unser Sinn: so ist er ein Gleichniss unsres Leibes, einer
Erhohung Gleichniss.
Solcher Erhohungen Gleichnisse sind die Namen der Tugenden.
Also geht der Leib durch die Geschichte, ein Werdender und ein Kampfender. Und
der Geist was
ist er ihm? Seiner Kampfe und Siege Herold, Genoss und Wiederhall.
Gleichnisse sind alle Namen von Gut und Bose: sie sprechen nicht aus, sie winken
nur. Ein Thor,
welcher von ihnen Wissen will!
Achtet mir, meine Bruder, auf jede Stunde, wo euer Geist in Gleichnissen reden
will: da ist der
Ursprung eurer Tugend.
Erhoht ist da euer Leib und auferstanden; mit seiner Wonne entzuckt er den
Geist, dass er
Schopfer wird und Schatzer und Liebender und aller Dinge Wohlthater.
Wenn euer Herz breit und voll wallt, dem Strome gleich, ein Segen und eine
Gefahr den
Anwohnenden: da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wenn ihr erhaben seid uber Lob und Tadel, und euer Wille allen Dingen befehlen
will, als eines
Liebenden Wille: da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wenn ihr das Angenehme verachtet und das weiche Bett, und von den Weichlichen
euch nicht
weit genug betten konnt: da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wenn ihr Eines Willens Wollende seid, und diese Wende aller Noth euch
Nothwendigkeit heisst:
da ist der Ursprung eurer Tugend.
Wahrlich, ein neues Gutes und Boses ist sie! Wahrlich, ein neues tiefes Rauschen
und eines neuen
Quelles Stimme!
Macht ist sie, diese neue Tugend; ein herrschender Gedanke ist sie und um ihn
eine kluge Seele:
eine goldene Sonne und um sie die Schlange der Erkenntniss
2
Hier schwieg Zarathustra eine Weile und sah mit Liebe auf seine Junger. Dann
fuhr er also fort zu
reden: - und seine Stimme hatte sich verwandelt.
Bleibt mir der Erde treu, meine Bruder, mit der Macht eurer Tugend! Eure
schenkende Liebe und
eure Erkenntniss diene dem Sinn der Erde! Also bitte und beschwore ich euch.
Lasst sie nicht davon fliegen vom Irdischen und mit den Flugeln gegen ewige
Wande schlagen!
Ach, es gab immer so viel verflogene Tugend!
Fuhrt, gleich mir, die verflogene Tugend zur Erde zuruck - ja, zuruck zu Leib
und Leben: dass sie
der Erde ihren Sinn gebe, einen Menschen-Sinn!
Hundertfaltig verflog und vergriff sich bisher so Geist wie Tugend. Ach, in
unserm Leibe wohnt
jetzt noch all dieser Wahn und Fehlgriff: Leib und Wille ist er da geworden.
Hundertfaltig versuchte und verirrte sich bisher so Geist wie Tugend. Ja, ein
Versuch war der
Mensch. Ach, viel Unwissen und Irrthum ist an uns Leib geworden!
Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden - auch ihr Wahnsinn bricht an uns aus.
Gefahrlich ist
es, Erbe zu sein.
Noch kampfen wir Schritt um Schritt mit dem Riesen Zufall, und uber der ganzen
Menschheit
waltete bisher noch der Unsinn, der Ohne-Sinn.
Euer Geist und eure Tugend diene dem Sinn der Erde, meine Bruder: und aller
Dinge Werth
werde neu von euch gesetzt! Darum sollt ihr Kampfende sein! Darum sollt ihr
Schaffende sein!
Wissend reinigt sich der Leib; mit Wissen versuchend erhoht er sich; dem
Erkennenden heiligen
sich alle Triebe; dem Erhohten wird die Seele frohlich.
Arzt, hilf dir selber: so hilfst du auch deinem Kranken noch. Das sei seine
beste Hulfe, dass er
Den mit Augen sehe, der sich selber heil macht.
Tausend Pfade giebt es, die nie noch gegangen sind; tausend Gesundheiten und
verborgene
Eilande des Lebens. Unerschopft und unentdeckt ist immer noch Mensch und
Menschen-Erde.
Wachet und horcht, ihr Einsamen! Von der Zukunft her kommen Winde mit heimlichem
Flugelschlagen; und an feine Ohren ergeht gute Botschaft.
Ihr Einsamen von heute, ihr Ausscheidenden, ihr sollt einst ein Volk sein: aus
euch, die ihr euch
selber auswahltet, soll ein auserwahltes Volk erwachsen: - und aus ihm der
Ubermensch.
Wahrlich, eine Statte der Genesung soll noch die Erde werden! Und schon liegt
ein neuer Geruch
um sie, ein Heil bringender, - und eine neue Hoffnung!
3
Als Zarathustra diese Worte gesagt hatte, schwieg er, wie Einer, der nicht sein
letztes Wort
gesagt hat; lange wog er den Stab zweifelnd in seiner Hand. Endlich sprach er
also: - und seine
Stimme hatte sich verwandelt.
Allein gehe ich nun, meine Junger! Auch ihr geht nun davon und allein! So will
ich es.
Wahrlich, ich rathe euch: geht fort von mir und wehrt euch gegen Zarathustra!
Und besser noch:
schamt euch seiner! Vielleicht betrog er euch.
Der Mensch der Erkenntniss muss nicht nur seine Feinde lieben, sondern auch
seine Freunde
hassen konnen.
Man vergilt einem Lehrer schlecht, wenn man immer nur der Schuler bleibt. Und
warum wollt ihr
nicht an meinem Kranze rupfen?
Ihr verehrt mich; aber wie, wenn eure Verehrung eines Tages umfallt? Hutet euch,
dass euch
nicht eine Bildsaule erschlage!
Ihr sagt, ihr glaubt an Zarathustra? Aber was liegt an Zarathustra! Ihr seid
meine Glaubigen: aber
was liegt an allen Glaubigen!
Ihr hattet euch noch nicht gesucht: da fandet ihr mich. So thun alle Glaubigen;
darum ist es so
wenig mit allem Glauben.
Nun heisse ich euch, mich verlieren und euch finden; und erst, wenn ihr mich
Alle verleugnet
habt, will ich euch wiederkehren.
Wahrlich, mit andern Augen, meine Bruder, werde ich mir dann meine Verlorenen
suchen; mit
einer anderen Liebe werde ich euch dann lieben.
Und einst noch sollt ihr mir Freunde geworden sein und Kinder Einer Hoffnung:
dann will ich
zum dritten Male bei euch sein, dass ich den grossen Mittag mit euch feiere.
Und das ist der grosse Mittag, da der Mensch auf der Mitte seiner Bahn steht
zwischen Thier und
Ubermensch und seinen Weg zum Abende als seine hochste Hoffnung feiert: denn es
ist der Weg
zu einem neuen Morgen.
Alsda wird sich der Untergehende selber segnen, dass er ein Hinubergehender sei;
und die Sonne
seiner Erkenntniss wird ihm im Mittage stehn.
``Todt sind alle Gotter: nun wollen wir, dass der Ubermensch lebe.'' - diess sei
einst am grossen
Mittage unser letzter Wille! Also
sprach Zarathustra.
Zweiter Theil
``- und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren.
Wahrlich, mit andern Augen, meine Bruder, werde ich mir dann meine Verlorenen
suchen; mit
einer andern Liebe werde ich euch dann lieben''.
Das Kind mit dem Spiegel
Hierauf gieng Zarathustra wieder zuruck in das Gebirge und in die Einsamkeit
seiner Hohle und
entzog sich den Menschen: wartend gleich einem Saemann, der seinen Samen
ausgeworfen hat.
Seine Seele aber wurde voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, welche er
liebte: denn er
hatte ihnen noch Viel zu geben. Diess namlich ist das Schwerste, aus Liebe die
offne Hand
schliessen und als Schenkender die Scham bewahren.
Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber wuchs und
machte ihm
Schmerzen durch ihre Fulle.
Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenrothe auf, besann sich lange
auf seinem
Lager und sprach endlich zu seinem Herzen:
``Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat nicht ein
Kind zu mir,
das einen Spiegel trug?
``Oh Zarathustra - sprach das Kind zu mir - schaue Dich an im Spiegel!''
Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz war
erschuttert: denn nicht
mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze und Hohnlachen.
Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine Lehre ist
in Gefahr,
Unkraut will Weizen heissen!
Meine Feinde sind machtig worden und haben meiner Lehre Bildniss entstellt,
also, dass meine
Liebsten sich der Gaben schamen mussen, die ich ihnen gab.
Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine Verlornen zu
suchen!' -
Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein Geangstigter, der
nach Luft sucht,
sondern eher wie ein Seher und Sanger, welchen der Geist anfallt. Verwundert
sahen sein Adler
und seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein kommendes
Gluck auf
seinem Antlitze.
Was geschah mir doch, meine Thiere? - sagte Zarathustra. Bin ich nicht
verwandelt! Kam mir
nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind?
``Thoricht ist mein Gluck und Thorichtes wird es reden: zu jung noch ist es - so
habt Geduld mit
ihm!
Verwundet bin ich von meinem Glucke: alle Leidenden sollen mir Arzte sein!
Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! Zarathustra
darf wieder
reden und schenken und Lieben das Liebste thun!
Meine ungeduldige Liebe fliesst uber in Stromen, abwarts, nach Aufgang und
Niedergang. Aus
schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine Seele in die
Thaler.
Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehorte ich der
Einsamkeit: so
verlernte ich das Schweigen.
Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen Felsen:
hinab will ich
meine Rede sturzen in die Thaler.
Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames sturzen! Wie sollte ein Strom nicht
endlich den
Weg zum Meere finden!
Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber mein Strom
der Liebe reisst
ihn mit sich hinab - zum Meere!
Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; mude wurde ich, gleich allen
Schaffenden, der
alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen Sohlen wandeln.
Zu langsam lauft mir alles Reden: - in deinen Wagen springe ich, Sturm! Und auch
dich will ich
noch peitschen mit meiner Bosheit!
Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich uber weite Meere hinfahren, bis ich die
gluckseligen
Inseln finde, wo meine Freunde weilen: -
Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur reden
darf! Auch meine
Feinde gehoren zu meiner Seligkeit.
Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein Speer
immer am besten
hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener: Der
Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es meinen Feinden,
dass ich
endlich ihn schleudern darf!
Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelachtern der Blitze will ich
Hagelschauer
in die Tiefe werfen.
Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm uber die
Berge hinblasen:
so kommt ihr Erleichterung.
Wahrlich, einem Sturme gleich kommt mein Gluck und meine Freiheit! Aber meine
Feinde sollen
glauben, der Bose rase uber ihren Hauptern.
Ja, auch ihr werdet erschreckt sein, meine Freunde, ob meiner wilden Weisheit;
und vielleicht
flieht ihr davon sammt meinen Feinden.
Ach, dass ich's verstunde, euch mit Hirtenfloten zuruck zu locken! Ach, dass
meine Lowin
Weisheit zartlich brullen lernte! Und Vieles lernten wir schon mit einander!
Meine wilde Weisheit wurde trachtig auf einsamen Bergen; auf rauhen Steinen
gebar sie ihr
Junges, Jungstes.
Nun lauft sie narrisch durch die harte Wuste und sucht und sucht nach sanftem
Rasen - meine alte
wilde Weisheit!
Auf eurer Herzen sanften Rasen, meine Freunde! - auf eure Liebe mochte sie ihr
Liebstes betten!
Also sprach Zarathustra.
Auf den gluckseligen Inseln
Die Feigen fallen von den Baumen, sie sind gut und suss; und indem sie fallen,
reisst ihnen die
rothe Haut. Ein Nordwind bin ich reifen Feigen.
Also, gleich Feigen, fallen euch diese Lehren zu, meine Freunde: nun trinkt
ihren Saft und ihr
susses Fleisch! Herbst ist es umher und reiner Himmel und Nachmittag.
Seht, welche Fulle ist um uns! Und aus dem Uberflusse heraus ist es schon hinaus
zu blicken auf
ferne Meere.
Einst sagte man Gott, wenn man auf ferne Meere blickte; nun aber lehrte ich euch
sagen:
Ubermensch.
Gott ist eine Muthmaassung; aber ich will, dass euer Muthmaassen nicht weiter
reiche, als euer
schaffender Wille.
Konntet ihr einen Gott schaffen ? - So schweigt mir doch von allen Gottern! Wohl
aber konntet
ihr den Ubermenschen schaffen.
Nicht ihr vielleicht selber, meine Bruder! Aber zu Vatern und Vorfahren konntet
ihr euch
umschaffen des Ubermenschen: und Diess sei euer bestes Schaffen! -
Gott ist eine Muthmaassung: aber ich will, dass euer Muthmaassen begrenzt sei in
der
Denkbarkeit.
Konntet ihr einen Gott denken ? - Aber diess bedeute euch Wille zur Wahrheit,
dass Alles
verwandelt werde in Menschen - Denkbares, Menschen - Sichtbares, Menschen -
Fuhlbares! Eure
eignen Sinne sollt ihr zu Ende denken!
Und was ihr Welt nanntet, das soll erst von euch geschaffen werden: eure
Vernunft, euer Bild,
euer Wille, eure Liebe soll es selber werden! Und wahrlich, zu eurer Seligkeit,
ihr Erkennenden!
Und wie wolltet ihr das Leben ertragen ohne diese Hoffnung, ihr Erkennenden?
Weder in's
Unbegreifliche durftet ihr eingeboren sein, noch in's Unvernunftige.
Aber dass ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: wenn es Gotter gabe,
wie hielte ich's
aus, kein Gott zu sein! Also giebt es keine Gotter.
Wohl zog ich den Schluss; nun aber zieht er mich. -
Gott ist eine Muthmaassung: aber wer tranke alle Qual dieser Muthmaassung, ohne
zu sterben?
Soll dem Schaffenden sein Glaube genommen sein und dem Adler sein Schweben in
Adler-
Fernen?
Gott ist ein Gedanke, der macht alles Gerade krumm und Alles, was steht,
drehend. Wie? Die Zeit
ware hinweg, und alles Vergangliche nur Luge?
Diess zu denken ist Wirbel und Schwindel menschlichen Gebeinen und noch dem
Magen ein
Erbrechen: wahrlich, die drehende Krankheit heisse ich's, Solches zu
muthmaassen.
Bose heisse ich's und menschenfeindlich: all diess Lehren vom Einen und Vollen
und Unbewegten
und Satten und Unverganglichen!
Alles Unvergangliche - das ist nur ein Gleichniss! Und die Dichter lugen zuviel.
-
Aber von Zeit und Werden sollen die besten Gleichnisse reden: ein Lob sollen sie
sein und eine
Rechtfertigung aller Verganglichkeit!
Schaffen - das ist die grosse Erlosung vom Leiden, und des Lebens Leichtwerden.
Aber dass der
Schaffende sei, dazu selber thut Leid noth und viel Verwandelung.
Ja, viel bitteres Sterben muss in eurem Leben sein, ihr Schaffenden! Also seid
ihr Fursprecher und
Rechtfertiger aller Verganglichkeit.
Dass der Schaffende selber das Kind sei, das neu geboren werde, dazu muss er
auch die
Gebarerin sein wollen und der Schmerz der Gebarerin.
Wahrlich, durch hundert Seelen gieng ich meinen Weg und durch hundert Wiegen und
Geburtswehen. Manchen Abschied nahm ich schon, ich kenne die herzbrechenden
letzten
Stunden.
Aber so will's mein schaffender Wille, mein Schicksal. Oder, dass ich's euch
redlicher sage:
solches Schicksal gerade - will mein Wille.
Alles Fuhlende leidet an mir und ist in Gefangnissen: aber mein Wollen kommt mir
stets als mein
Befreier und Freudebringer.
Wollen befreit: das ist die wahre Lehre von Wille und Freiheit - so lehrt sie
euch Zarathustra.
Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schatzen und Nicht-mehr-schaffen! ach, dass
diese grosse
Mudigkeit mir stets ferne bleibe!
Auch im Erkennen fuhle ich nur meines Willens Zeuge- und Werde-Lust; und wenn
Unschuld in
meiner Erkenntniss ist, so geschieht diess, weil Wille zur Zeugung in ihr ist.
Hinweg von Gott und Gottem lockte mich dieser Wille; was ware denn zu schaffen,
wenn Gotter
-da waren!
Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbrunstiger
Schaffens-Wille; so treibt's
den Hammer hin zum Steine.
Ach, ihr Menschen, im Steine schlaft mir ein Bild, das Bild meiner Bilder! Ach,
dass es im
hartesten, hasslichsten Steine schlafen muss!
Nun wuthet mein Hammer grausam gegen sein Gefangniss. Vom Steine stauben Stucke:
was
schiert mich das?
Vollenden will ich's: denn ein Schatten kam zu mir - aller Dinge Stillstes und
Leichtestes kam
einst zu mir!
Des Ubermenschen Schonheit kam zu mir als Schatten. Ach, meine Bruder! Was gehen
mich
noch - die Gotter an! Also
sprach Zarathustra.
Von den Mitleidigen
Meine Freunde, es kam eine Spottrede zu eurem Freunde: ``seht nur Zarathustra!
Wandelt er
nicht unter uns wie unter Thieren?''
Aber so ist es besser geredet: ``der Erkennende wandelt unter Menschen als unter
Thieren.''
Der Mensch selber aber heisst dem Erkennenden: das Thier, das rothe Backen hat.
Wie geschah ihm das? Ist es nicht, weil er sich zu oft hat schamen mussen?
Oh meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das ist die
Geschichte
des Menschen!
Und darum gebeut sich der Edle, nicht zu beschamen: Scham gebeut er sich vor
allem Leidenden.
Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem
Mitleiden: zu sehr gebricht
es ihnen an Scham.
Muss ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heissen; und wenn ich's bin,
dann gern aus der
Ferne.
Gerne verhulle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin:
und also heisse
ich euch thun, meine Freunde!
Moge mein Schicksal mir immer Leidlose, gleich euch, uber den Weg fuhren, und
Solche, mit
denen mir Hoffnung und Mahl und Honig gemein sein darf!
Wahrlich, ich that wohl Das und jenes an Leidenden: aber Besseres schien ich mir
stets zu thun,
wenn ich lernte, mich besser freuen.
Seit es Menschen giebt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine
Bruder, ist unsre
Erbsunde!
Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, Andern wehe zu
thun und Wehes
auszudenken.
Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir auch
noch die
Seele ab.
Denn dass ich den Leidenden leidend sah, dessen schamte ich mich um seiner Scham
willen; und
als ich ihm half, da vergieng ich mich hart an seinem Stolze.
Grosse Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsuchtig; und wenn die
kleine
Wohlthat nicht vergessen wird, so wird noch ein Nage-Wurm daraus.
``Seid sprode im Annehmen! Zeichnet aus damit, dass ihr annehmt!'' - also rathe
ich Denen, die
Nichts zu verschenken haben.
Ich aber bin ein Schenkender: gerne schenke ich, als Freund den Freunden. Fremde
aber und
Arme mogen sich die Frucht selber von meinem Baume pflucken: so beschamt es
weniger.
Bettler aber sollte man ganz abschaffen! Wahrlich, man argert sich ihnen zu
geben und, argert
sich ihnen nicht zu geben.
Und insgleichen die Sunder und bosen Gewissen! Glaubt mir, meine Freunde:
Gewissensbisse
erziehn zum Beissen.
Das Schlimmste aber sind die kleinen Gedanken. Wahrlich, besser noch bos gethan,
als klein
gedacht!
Zwar ihr sagt: ``die Lust an kleinen Bosheiten erspart uns manche grosse bose
That.'' Aber hier
sollte man nicht sparen wollen.
Wie ein Geschwur ist die bose That: sie juckt und kratzt und bricht heraus, -
sie redet ehrlich.
``Siehe, ich bin Krankheit'' - so redet die bose That; das ist ihre Ehrlichkeit.
Aber dem Pilze gleich ist der kleine Gedanke: er kriecht und duckt sich und will
nirgendswo sein bis
der ganze Leib morsch und welk ist vor kleinen Pilzen.
Dem aber, der vom Teufel besessen ist, sage ich diess Wort in's Ohr: ``besser
noch, du ziehest
deinen Teufel gross! Auch fur dich giebt es noch einen Weg der Grosse!'' -
Ach, meine Bruder! Man weiss von Jedermann Etwas zu viel! Und Mancher wird uns
durchsichtig, aber desshalb konnen wir noch lange nicht durch ihn hindurch.
Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist.
Und nicht gegen Den, der uns zuwider ist, sind wir am unbilligsten, sondern
gegen Den, welcher
uns gar Nichts angeht.
Hast du aber einen leidenden Freund, so sei seinem Leiden eine Ruhestatte, doch
gleichsam ein
hartes Bett, ein Feldbett: so wirst du ihm am besten nutzen.
Und thut dir ein Freund Ubles, so sprich: ``ich vergebe dir, was du mir thatest;
dass du es aber dir
thatest, - wie konnte ich das vergeben!''
Also redet alle grosse Liebe: die uberwindet auch noch Vergebung und Mitleiden.
Man soll sein Herz festhalten; denn lasst man es gehn, wie bald geht Einem da
der Kopf durch!
Ach, wo in der Welt geschahen grossere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und
was in der
Welt stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?
Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Hohe haben, welche uber ihrem
Mitleiden ist!
Also sprach der Teufel einst zu mir: ``auch Gott hat seine Holle: das ist seine
Liebe zu den
Menschen.''
Und jungst horte ich ihn diess Wort sagen: ``Gott ist todt; an seinem Mitleiden
mit den Menschen
ist Gott gestorben.''
So seid mir gewarnt vordem Mitleiden: daher kommt noch den Menschen eine schwere
Wolke!
Wahrlich, ich verstehe mich auf Wetterzeichen!
Merket aber auch diess Wort: alle grosse Liebe ist noch uber all ihrem
Mitleiden: denn sie will das
Geliebte noch - schaffen!
``Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nachsten gleich mir'' - so
geht die Rede
allen Schaffenden.
Alle Schaffenden aber sind hart. Also
sprach Zarathustra.
Von den Priestern
Und einstmals gab Zarathustra seinen Jungern ein Zeichen und sprach diese Worte
zu ihnen:
``Hier sind Priester: und wenn es auch meine Feinde sind, geht mir still an
ihnen voruber und mit
schlafendem Schwerte!
Auch unter ihnen sind Helden; Viele von ihnen litten zuviel -: so wollen sie
Andre leiden machen.
Bose Feinde sind sie: Nichts ist rachsuchtiger als ihre Demuth. Und leicht
besudelt sich Der,
welcher sie angreift.
Aber mein Blut ist mit dem ihren verwandt; und ich will mein Blut auch noch in
dem ihren geehrt
wissen.'' -
Und als sie voruber gegangen waren, fiel Zarathustra der Schmerz an; und nicht
lange hatte er mit
seinem Schmerze gerungen, da hub er also an zu reden:
Es jammert mich dieser Priester. Sie gehen mir auch wider den Geschmack; aber
das ist mir das
Geringste, seit ich unter Menschen bin.
Aber ich leide und litt mit ihnen: Gefangene sind es mir und Abgezeichnete. Der,
welchen sie
Erloser nennen, schlug sie in Banden: In
Banden falscher Werthe und Wahn-Worte! Ach dass Einer sie noch von ihrem Erloser
erloste!
Auf einem Eilande glaubten sie einst zu landen, als das Meer sie herumriss; aber
siehe, es war ein
schlafendes Ungeheuer!
Falsche Werthe und Wahn-Worte: das sind die schlimmsten Ungeheuer fur
Sterbliche, - lange
schlaft und wartet in ihnen das Verhangniss.
Aber endlich kommt es und wacht und frisst und schlingt, was auf ihm sich Hutten
baute.
Oh seht mir doch diese Hutten an, die sich diese Priester bauten! Kirchen
heissen sie ihre
sussduftenden Hohlen.
Oh uber diess verfalschte Licht, diese versumpfte Luft! Hier, wo die Seele zu
ihrer Hohe hinauf nicht
fliegen darf!
Sondern also gebietet ihr Glaube: ``auf den Knien die Treppe hinan, ihr
Sunder!''
Wahrlich, lieber sehe ich noch den Schamlosen, als die verrenkten Augen ihrer
Scham und
Andacht!
Wer schuf sich solche Hohlen und Buss-Treppen? Waren es nicht Solche, die sich
verbergen
wollten und sich vor dem reinen Himmel schamten?
Und erst wenn der reine Himmel wieder durch zerbrochne Decken blickt, und hinab
auf Gras und
rothen Mohn an zerbrochnen Mauern, - will ich den Statten dieses Gottes wieder
mein Herz
zuwenden.
Sie nannten Gott, was ihnen widersprach und wehe that: und wahrlich, es war viel
Helden-Art in
ihrer Anbetung!
Und nicht anders wussten sie ihren Gott zu lieben, als indem sie den Menschen
an's Kreuz
schlugen!
Als Leichname gedachten sie zu leben, schwarz schlugen sie ihren Leichnam aus;
auch aus ihren
Reden rieche ich noch die uble Wurze von Todtenkammern.
Und wer ihnen nahe lebt, der lebt schwarzen Teichen nahe, aus denen heraus die
Unke ihr Lied
mit sussem Tiefsinne singt.
Bessere Lieder mussten sie mir singen, dass ich an ihren Erloser glauben lerne:
erloster mussten
mir seine junger aussehen!
Nackt mochte ich sie sehn: denn allein die Schonheit sollte Busse predigen. Aber
wen uberredet
wohl diese vermummte Trubsal!
Wahrlich, ihre Erloser selber kamen nicht aus der Freiheit und der Freiheit
siebentem Himmel!
Wahrlich, sie selber wandelten niemals auf den Teppichen der Erkenntniss!
Aus Lucken bestand der Geist dieser Erloser; aber in jede Lucke hatten sie ihren
Wahn gestellt,
ihren Luckenbusser, den sie Gott nannten.
In ihrem Mitleiden war ihr Geist ertrunken, und wenn sie schwollen und
uberschwollen von
Mitleiden, schwamm immer obenauf eine grosse Thorheit.
Eifrig trieben sie und mit Geschrei ihre Heerde uber ihren Steg: wie als ob es
zur Zukunft nur
Einen Steg gabe! Wahrlich, auch diese Hirten gehorten noch zu den Schafen!
Kleine Geister und umfangliche Seelen hatten diese Hirten: aber, meine Bruder,
was fur kleine
Lander waren bisher auch die umfanglichsten Seelen!
Blutzeichen schrieben sie auf den Weg, den sie giengen, und ihre Thorheit
lehrte, dass man mit
Blut die Wahrheit beweise.
Aber Blut ist der schlechteste Zeuge der Wahrheit; Blut vergiftet die reinste
Lehre noch zu Wahn
und Hass der Herzen.
Und wenn Einer durch's Feuer geht fur seine Lehre, - was beweist diess! Mehr
ist's wahrlich, dass
aus eignem Brande die eigne Lehre kommt!
Schwules Herz und kalter Kopf: wo diess zusammentrifft, da entsteht der
Brausewind, der
``Erloser''.
Grossere gab es wahrlich und Hoher-Geborene, als Die, welche das Volk Erloser
nennt, diese
hinreissenden Brausewinde!
Und noch von Grosseren, als alle Erloser waren, musst ihr, meine Bruder, erlost
werden, wollt ihr
zur Freiheit den Weg finden!
Niemals noch gab es einen Ubermenschen. Nackt sah ich Beide, den grossten und
den kleinsten
Menschen: -
Allzuahnlich sind sie noch einander. Wahrlich, auch den Grossten fand ich -
allzumenschlich!
Also sprach Zarathustra.
Von den Tugendhaften
Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden
Sinnen
reden.
Aber der Schonheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die
aufgewecktesten Seelen.
Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schonheit heiliges
Lachen und Beben.
Uber euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schonheit. Und also kam ihre
Stimme zu mir:
``sie wollen noch - bezahlt sein!''
Ihr wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn fur Tugend und Himmel
fur Erden und
Ewiges fur euer Heute haben?
Und nun zurnt ihr mir, dass ich lehre, es giebt keinen Lohn- und Zahlmeister?
Und wahrlich, ich
lehre nicht einmal, dass Tugend ihr eigener Lohn ist.
Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe
hineingelogen - und
nun auch noch in den Grund eurer Seelen, ihr Tugendhaften!
Aber dem Russel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen
aufreissen; Pflugschar
will ich euch heissen.
Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen an's Licht; und wenn ihr aufgewuhlt und
zerbrochen in
der Sonne liegt, wird auch eure Luge von eurer Wahrheit ausgeschieden sein.
Denn diess ist eure Wahrheit: ihr seid zu reinlich fur den Schmutz der Worte:
Rache, Strafe,
Lohn, Vergeltung.
Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann horte man, dass eine
Mutter bezahlt
sein wollte fur ihre Liebe?
Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes Durst ist in euch: sich
selber wieder zu
erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring.
Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: immer ist sein
Licht noch
unterwegs und wandert - und wann wird es nicht mehr unterwegs sein?
Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk gethan ist.
Mag es nun
vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wandert.
Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine
Bemantelung: das ist die
Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugendhaften! -
Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer Peitsche heisst:
und ihr habt mir
zuviel auf deren Geschrei gehort!
Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und wenn ihr
Hass und ihre
Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre ``Gerechtigkeit'' munter und
reibt sich die
verschlafenen Augen.
Und Andre giebt es, die werden abwarts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. Aber je
mehr sie sinken,
um so gluhender leuchtet ihr Auge und die Begierde nach ihrem Gotte.
Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was ich nicht
bin, das, das ist
mir Gott und Tugend!'
Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Wagen, die
Steine abwarts
fahren: die reden viel von Wurde und Tugend, - ihren Hemmschuh heissen sie
Tugend!
Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurden; sie
machen ihr Tiktak
und wollen, dass man Tiktak - Tugend heisse.
Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich
sie mit meinem
Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren!
Und Andre sind stolz uber ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um ihrerwillen
Frevel an
allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertrankt wird.
Ach, wie ubel ihnen das Wort ``Tugend'' aus dem Munde lauft! Und wenn sie sagen:
``ich bin
gerecht,'' so klingt es immer gleich wie: ``ich bin geracht!''
Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben
sich nur, um
Andre zu erniedrigen.
Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus
aus dem
Schilfrohr: ``Tugend - das ist still im Sumpfe sitzen.
Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; und in Allem
haben wir
die Meinung, die man uns giebt.''
Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebarden und denken: Tugend ist eine
Art Gebarde.
Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hande sind Lobpreisungen der Tugend, aber
ihr Herz weiss
Nichts davon.
Und wiederum giebt es Solche, die halten es fur Tugend, zu sagen: ``Tugend ist
nothwendig'';
aber sie glauben im Grunde nur daran, dass Polizei nothwendig ist.
Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es Tugend,
dass er ihr
Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen bosen Blick Tugend.
Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; und Andre
wollen
umgeworfen sein - und heissen es auch Tugend.
Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; und zum
Mindesten will ein
jeder Kenner sein uber ``gut'' und ``bose''.
Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lugnern und Narren zu sagen: ``was
wisst ihr von
Tugend! Was konntet ihr von Tugend wissen!'' -
Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte mude wurdet, welche ihr von
den Narren und
Lugnern gelernt habt:
Mude wurdet der Worte ``Lohn,'' ``Vergeltung,'' ``Strafe,'' ``Rache in der
Gerechtigkeit'' -
Mude wurdet zu sagen: ``dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist
selbstlos.''
Ach, meine Freunde! Dass euer Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im
Kinde ist: das sei
mir euer Wort von Tugend!
Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste Spielwerke;
und nun
zurnt ihr mir, wie Kinder zurnen.
Sie spielten am Meere, - da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk in die
Tiefe: nun weinen
sie.
Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte Muscheln
vor sie hin
ausschutten!
So werden sie getrostet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine Freunde,
eure Trostungen
haben - und neue bunte Muscheln! Also
sprach Zarathustra.
Vom Gesindel
Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da sind alle
Brunnen vergiftet.
Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mauler nicht sehn und
den Durst der
Unreinen.
Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glanzt mir ihr widriges Lacheln
herauf aus dem
Brunnen.
Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lusternheit; und als sie ihre
schmutzigen Traume
Lust nannten, vergifteten sie auch noch die Worte.
Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an's Feuer legen; der
Geist selber
brodelt und raucht, wo das Gesindel an's Feuer tritt.
Susslich und ubermurbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfallig und wipfeldurr
macht ihr Blick
den Fruchtbaum.
Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel ab: er
wollte nicht
Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel theilen.
Und Mancher, der in die Wuste gieng und mit Raubthieren Durst litt, wollte nur
nicht mit
schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne sitzen.
Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag allen
Fruchtfeldern,
wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen setzen und also seinen Schlund
stopfen.
Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten wurgte, zu wissen, dass das
Leben selber
Feindschaft nothig hat und Sterben und Marterkreuze: -
Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat das Leben
auch das Gesindel
nothig?
Sind vergiftete Brunnen nothig und stinkende Feuer und beschmutzte Traume und
Maden im
Lebensbrode?
Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, des Geistes
wurde ich oft
mude, als ich auch das Gesindel geistreich fand!
Und den Herrschenden wandt'ich den Rucken, als ich sah, was sie jetzt Herrschen
nennen:
schachern und markten um Macht - mit dem Gesindel!
Unter Volkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass mir ihres
Schacherns
Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht.
Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und Heute:
wahrlich, ubel
riecht alles Gestern und Heute nach dem schreibenden Gesindel!
Einem Kruppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte ich lange,
dass ich nicht
mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel lebte.
Muhsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust waren sein
Labsal; am
Stabe schlich dem Blinden das Leben.
Was geschah mir doch? Wie erloste ich mich vom Ekel? Wer verjungte mein Auge?
Wie erflog
ich die Hohe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt?
Schuf mein Ekel selber mir Flugel und quellenahnende Krafte? Wahrlich, in's
Hochste musste ich
fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfande!
Oh, ich fand ihn, meine Bruder! Hier im Hochsten quillt mir der Born der Lust!
Und es giebt ein
Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt!
Fast zu heftig stromst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher
wieder, dadurch dass
du ihn fullen willst!
Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig stromt dir noch
mein Herz
entgegen: Mein
Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermuthige, uberselige:
wie
verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kuhle!
Vorbei die zogernde Trubsal meines Fruhlings! Voruber die Bosheit meiner
Schneeflocken im
Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag!
Ein Sommer im Hochsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine
Freunde, dass
die Stille noch seliger werde! Denn diess ist unsre Hohe und unsre Heimat: zu
hoch und steil
wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in
den Born
meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trube werden! Entgegenlachen soll
er euch mit
seiner Reinheit.
Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise
bringen in ihren
Schnabeln!
Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen durften! Feuer wurden sie zu
fressen wahnen
und sich die Mauler verbrennen!
Wahrlich, keine Heimstatten halten wir hier bereit fur Unsaubere! Eishohle wurde
ihren Leibern
unser Gluck heissen und ihren Geistern!
Und wie starke Winde wollen wir uber ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn
dem Schnee,
Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde.
Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem
Geiste ihrem
Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft.
Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und solchen Rath
rath er seinen
Feinden und Allem, was spuckt und speit: hutet euch gegen den Wind zu speien!"
Also sprach Zarathustra.
Von den Taranteln
Siehe, das ist der Tarantel Hohle! Willst du sie selber sehn? Hier hangt ihr
Netz: ruhre daran, dass
es erzittert.
Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem Rucken dein
Dreieck und
Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner Seele sitzt.
Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wachst schwarzer Schorf; mit
Rache macht dein
Gift die Seele drehend!
Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, ihr
Prediger der Gleichheit!
Taranteln seid ihr mir und versteckte Rachsuchtige!
Aber ich will eure Verstecke schon an's Licht bringen: darum lache ich euch in's
Antlitz mein
Gelachter der Hohe.
Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer Lugen-Hohle
locke, und eure
Rache hervorspringe hinter eurem Wort ``Gerechtigkeit.''
Denn dass der Mensch erlost werde von der Rache: das ist mir die Brucke zur
hochsten Hoffnung
und ein Regenbogen nach langen Unwettern.
Aber anders wollen es freilich die Taranteln. ``Das gerade heisse uns
Gerechtigkeit, dass die Welt
voll werde von den Unwettern unsrer Rache'' - also reden sie mit einander.
``Rache wollen wir uben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich sind'' -
so geloben sich
die Tarantel-Herzen.
Und ``Wille zur Gleichheit'' - das selber soll furderhin der Name fur Tugend
werden; und gegen
Alles, was Macht hat, wollen wir unser Geschrei erheben!''
Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also aus
euch nach
``Gleichheit'': eure heimlichsten Tyrannen-Geluste vermummen sich also in
Tugend-Worte!
Vergramter Dunkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Vater Dunkel und Neid: aus
euch bricht's
als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.
Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn
als des
Vaters entblosstes Geheimniss.
Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert, -
sondern die Rache.
Und wenn sie fein und kalt werden, ist's nicht der Geist, sondern der Neid, der
sie fein und kalt
macht.
Ihre Eifersucht fuhrt sie auch auf der Denker Pfade; und diess ist das Merkmal
ihrer Eifersucht immer
gehn sie zu weit: dass ihre Mudigkeit sich zuletzt noch auf Schnee schlafen
legen muss.
Aus jeder ihrer Klagen tont Rache, in jedem ihrer Lobspruche ist ein Wehethun;
und Richter-sein
scheint ihnen Seligkeit.
Also aber rathe ich euch, meine Freunde: misstraut Allen, in welchen der Trieb,
zu strafen,
machtig ist!
Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt der Henker
und der
Spurhund.
Misstraut allen Denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! Wahrlich, ihren
Seelen fehlt es nicht
nur an Honig.
Und wenn sie sich selber ``die Guten und Gerechten'' nennen, so vergesst nicht,
dass ihnen zum
Pharisaer Nichts fehlt als - Macht!
Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden.
Es giebt Solche, die predigen meine Lehre vom Leben: und zugleich sind sie
Prediger der
Gleichheit und Taranteln.
Dass sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Hohle sitzen, diese
Gift-Spinnen, und
abgekehrt vom Leben: das macht, sie wollen damit wehethun.
Solchen wollen sie damit wehethun, die jetzt die Macht haben: denn bei diesen
ist noch die
Predigt vom Tode am besten zu Hause.
Ware es anders, so wurden die Taranteln anders lehren: und gerade sie waren
ehemals die besten
Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner.
Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt
sein. Denn so redet
mir die Gerechtigkeit: ``die Menschen sind nicht gleich.''
Und sie sollen es auch nicht werden! Was ware denn meine Liebe zum Ubermenschen,
wenn ich
anders sprache?
Auf tausend Brucken und Stegen sollen sie sich drangen zur Zukunft, und immer
mehr Krieg und
Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so lasst mich meine grosse Liebe
reden!
Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren Feindschaften,
und mit ihren
Bildern und Gespenstern sollen sie noch gegeneinander den hochsten Kampf
kampfen!
Gut und Bose, und Reich und Arm, und Hoch und Gering, und alle Namen der Werthe:
Waffen
sollen es sein und klirrende Merkmale davon, dass das Leben sich immer wieder
selber
uberwinden muss!
In die Hohe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben selber: in
weite Fernen will es
blicken und hinaus nach seligen Schonheiten, - darum braucht es Hohe!
Und weil es Hohe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und
Steigenden!
Steigen will das Leben und steigend sich uberwinden.
Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Hohle ist, heben sich
eines alten
Tempels Trummer aufwarts, - seht mir doch mit erleuchteten Augen hin!
Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach Oben thurmte, um das
Geheimniss alles
Lebens wusste er gleich dem Weisesten!
Dass Kampf und Ungleiches auch noch in der Schonheit sei und Krieg um Macht und
Ubermacht:
das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichniss.
Wie sich gottlich hier Gewolbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht
und Schatten
sie wider einander streben, die gottlich-Strebenden Also
sicher und schon lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! Gottlich wollen wir
wider
einander streben! -
Wehe! Da biss mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Gottlich sicher und
schon biss sie
mich in den Finger!
``Strafe muss sein und Gerechtigkeit - so denkt sie: nicht umsonst soll er hier
der Feindschaft zu
Ehren Lieder singen!''
Ja, sie hat sich geracht! Und wehe! nun wird sie mit Rache auch noch meine Seele
drehend
machen!
Dass ich mich aber nicht drehe, meine Freunde, bindet mich fest hier an diese
Saule! Lieber noch
Saulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel der Rachsucht!
Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein Tanzer ist,
nimmermehr
doch ein Tarantel-Tanzer! Also
sprach Zarathustra.
Von den beruhmten Weisen
Dem Volke habt ihr gedient und des Volkes Aberglauben, ihr beruhmten Weisen
alle! - und nicht
der Wahrheit! Und gerade darum zollte man euch Ehrfurcht.
Und darum auch ertrug man euren Unglauben, weil er ein Witz und Umweg war zum
Volke. So
lasst der Herr seine Sclaven gewahren und ergotzt sich noch an ihrem Ubermuthe.
Aber wer dem Volke verhasst ist wie ein Wolf den Hunden: das ist der freie
Geist, der Fessel-
Feind, der Nicht-Anbeter, der in Waldern Hausende.
Ihn zu jagen aus seinem Schlupfe - das hiess immer dem Volke ``Sinn fur das
Rechte'': gegen ihn
hetzt es noch immer seine scharfzahnigsten Hunde.
``Denn die Wahrheit ist da: ist das Volk doch da! Wehe, wehe den Suchenden!'' -
also scholl es
von jeher.
Eurem Volke wolltet ihr Recht schaffen in seiner Verehrung: das hiesset ihr
``Wille zur
Wahrheit,'' ihr beruhmten Weisen!
Und euer Herz sprach immer zu sich: ``vom Volke kam ich: von dort her kam mir
auch Gottes
Stimme.''
Hart-nackig und klug, dem Esel gleich, wart ihr immer als des Volkes
Fursprecher.
Und mancher Machtige, der gut fahren wollte mit dem Volke, spannte vor seine
Rosse noch - ein
Eselein, einen beruhmten Weisen.
Und nun wollte ich, ihr beruhmten Weisen, ihr wurfet endlich das Fell des Lowen
ganz von euch!
Das Fell des Raubthiers, das buntgefleckte, und die Zotten des Forschenden,
Suchenden,
Erobernden!
Ach, dass ich an eure ``Wahrhaftigkeit'' glauben lerne, dazu musstet ihr mir
erst euren
verehrenden Willen zerbrechen.
Wahrhaftig - so heisse ich Den, der in gotterlose Wusten geht und sein
verehrendes Herz
zerbrochen hat.
Im gelben Sande und verbrannt von der Sonne schielt er wohl durstig nach den
quellenreichen
Eilanden, wo Lebendiges unter dunkeln Baumen ruht.
Aber sein Durst uberredet ihn nicht, diesen Behaglichen gleich zu werden: denn
wo Oasen sind,
da sind auch Gotzenbilder.
Hungernd, gewaltthatig, einsam, gottlos: so will sich selber der Lowen-Wille.
Frei von dem Gluck der Knechte, erlost von Gottern und Anbetungen, furchtlos und
furchterlich,
gross und einsam: so ist der Wille des Wahrhaftigen.
In der Wuste wohnten von je die Wahrhaftigen, die freien Geister, als der Wuste
Herren; aber in
den Stadten wohnen die gutgefutterten, beruhmten Weisen, - die Zugthiere.
Immer namlich ziehen sie, als Esel - des Volkes Karren!
Nicht dass ich ihnen darob zurne: aber Dienende bleiben sie mir und
Angeschirrte, auch wenn sie
von goldnem Geschirre glanzen.
Und oft waren sie gute Diener und preiswurdige. Denn so spricht die Tugend:
musst du Diener
sein, so suche Den, welchem dein Dienst am besten nutzt!
``Der Geist und die Tugend deines Herrn sollen wachsen, dadurch dass du sein
Diener bist: so
wachsest du selber mit seinem Geiste und seiner Tugend!''
Und wahrlich, ihr beruhmten Weisen, ihr Diener des Volkes! Ihr selber wuchset
mit des Volkes
Geist und Tugend - und das Volk durch euch! Zu euren Ehren sage ich das!
Aber Volk bleibt ihr mir auch noch in euren Tugenden, Volk mit bloden Augen, -
Volk, das nicht
weiss, was Geist ist!
Geist ist das Leben, das selber in's Leben schneidet: an der eignen Qual mehrt
es sich das eigne
Wissen, - wusstet ihr das schon?
Und des Geistes Gluck ist diess: gesalbt zu sein und durch Thranen geweiht zum
Opferthier, wusstet
ihr das schon?
Und die Blindheit des Blinden und sein Suchen und Tappen soll noch von der Macht
der Sonne
zeugen, in die er schaute, - wusstet ihr das schon?
Und mit Bergen soll der Erkennende bauen lernen! Wenig ist es, dass der Geist
Berge versetzt, wusstet
ihr das schon?
Ihr kennt nur des Geistes Funken: aber ihr seht den Ambos nicht, der er ist, und
nicht die
Grausamkeit seines Hammers!
Wahrlich, ihr kennt des Geistes Stolz nicht! Aber noch weniger wurdet ihr des
Geistes
Bescheidenheit ertragen, wenn sie einmal reden wollte!
Und niemals noch durftet ihr euren Geist in eine Grube von Schnee werfen: ihr
seid nicht heiss
genug dazu! So kennt ihr auch die Entzuckungen seiner Kalte nicht.
In Allem aber thut ihr mir zu vertraulich mit dem Geiste; und aus der Weisheit
machtet ihr oft ein
Armen- und Krankenhaus fur schlechte Dichter.
Ihr seid keine Adler: so erfuhrt ihr auch das Gluck im Schrekken des Geistes
nicht. Und wer kein
Vogel ist, soll sich nicht uber Abgrunden lagern.
Ihr seid mir Laue: aber kalt stromt jede tiefe Erkenntniss. Eiskalt sind die
innersten Brunnen des
Geistes: ein Labsal heissen Handen und Handelnden.
Ehrbar steht ihr mir da und steif und mit geradem Rucken, ihr beruhmten Weisen!
- euch treibt
kein starker Wind und Wille.
Saht ihr nie ein Segel uber das Meer gehn, gerundet und geblaht und zitternd vor
dem Ungestum
des Windes?
Dem Segel gleich, zitternd vor dem Ungestum des Geistes, geht meine Weisheit
uber das Meer meine
wilde Weisheit!
Aber ihr Diener des Volkes, ihr beruhmten Weisen, - wie konntet ihr mit mir
gehn! Also
sprach Zarathustra.
Das Nachtlied
Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele
ist ein springender
Brunnen.
Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele
ist das Lied
eines Liebenden.
Ein Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden. Eine Begierde
nach Liebe ist in mir,
die redet selber die Sprache der Liebe.
Licht bin ich: ach, dass ich Nacht ware! Aber diess ist meine Einsamkeit, dass
ich von Licht
umgurtet bin.
Ach, dass ich dunkel ware und nachtig! Wie wollte ich an den Brusten des Lichts
saugen!
Und euch selber wollte ich noch segnen, ihr kleinen Funkelsterne und
Leuchtwurmer droben! und
selig sein ob eurer Licht-Geschenke.
Aber ich lebe in meinem eignen Lichte, ich trinke die Flammen in mich zuruck,
die aus mir
brechen.
Ich kenne das Gluck des Nehmenden nicht; und oft traumte mir davon, dass Stehlen
noch seliger
sein musse, als Nehmen.
Das ist meine Armuth, dass meine Hand niemals ausruht vom Schenken; das ist mein
Neid, dass
ich wartende Augen sehe und die erhellten Nachte der Sehnsucht.
Oh Unseligkeit aller Schenkenden! Oh Verfinsterung meiner Sonne! Oh Begierde
nach Begehren!
Oh Heisshunger in der Sattigung!
Sie nehmen von mir: aber ruhre ich noch an ihre Seele? Eine Kluft ist zwischen
Geben und
Nehmen; und die kleinste Kluft ist am letzten zu uberbrucken.
Ein Hunger wachst aus meiner Schonheit: wehethun mochte ich Denen, welchen ich
leuchte,
berauben mochte ich meine Beschenkten: - also hungere ich nach Bosheit.
Die Hand zuruckziehend, wenn sich schon ihr die Hand entgegenstreckt; dem
Wasserfalle gleich
zogernd, der noch im Sturze zogert: - also hungere ich nach Bosheit.
Solche Rache sinnt meine Fulle aus; solche Tucke quillt aus meiner Einsamkeit.
Mein Gluck im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber mude
an ihrem
Uberflusse!
Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer
austheilt, dessen
Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen.
Mein Auge quillt nicht mehr uber vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde
zu hart fur
das Zittern gefullter Hande.
Wohin kam die Thrane meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit
aller
Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!
Viel Sonnen kreisen im oden Raume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem
Lichte, - mir
schweigen sie.
Oh diess ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes, erbarmungslos wandelt
es seine
Bahnen.
Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen: kalt gegen Sonnen, - also wandelt
jede Sonne.
Einem Sturme gleich fliegen die Sonnen ihre Bahnen, das ist ihr Wandeln. Ihrem
unerbittlichen
Willen folgen sie, das ist ihre Kalte.
Oh, ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nachtigen, die ihr Warme schafft aus
Leuchtendem! Oh, ihr
erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern!
Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in
mir, der
schmachtet nach eurem Durste!
Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nachtigem! Und
Einsamkeit!
Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, - nach Rede
verlangt mich.
Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele
ist ein springender
Brunnen.
Nacht ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele
ist das Lied
eines Liebenden. Also
sang Zarathustra.
Das Tanzlied
Eines Abends gieng Zarathustra mit seinen Jungern durch den Wald; und als er
nach einem
Brunnen suchte, siehe, da kam er auf eine grune Wiese, die von Baumen und
Gebusch still
umstanden war: auf der tanzten Madchen mit einander. Sobald die Madchen
Zarathustra
erkannten, liessen sie vom Tanze ab; Zarathustra aber trat mit freundlicher
Gebarde zu ihnen und
sprach diese Worte:
``Lasst vom Tanze nicht ab, ihr lieblichen Madchen! Kein Spielverderber kam zu
euch mit bosem
Blick, kein Madchen-Feind.
Gottes Fursprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der Schwere.
Wie sollte ich, ihr
Leichten, gottlichen Tanzen feind sein? Oder Madchen-Fussen mit schonen
Knocheln?
Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht dunkler Baume: doch wer sich vor meinem
Dunkel nicht
scheut, der findet auch Rosenhange unter meinen Cypressen.
Und auch den kleinen Gott findet er wohl, der den Madchen der liebste ist: neben
dem Brunnen
liegt er, still, mit geschlossenen Augen.
Wahrlich, am hellen Tage schlief er mir ein, der Tagedieb! Haschte er wohl zu
viel nach
Schmetterlingen?
Zurnt mir nicht, ihr schonen Tanzenden, wenn ich den kleinen Gott ein Wenig
zuchtige! Schreien
wird er wohl und weinen, - aber zum Lachen ist er noch im Weinen!
Und mit Thranen im Auge soll er euch um einen Tanz bitten; und ich selber will
ein Lied zu
seinem Tanze singen:
Ein Tanz- und Spottlied auf den Geist der Schwere, meinen allerhochsten
grossmachtigsten
Teufel, von dem sie sagen, dass er ``der Herr der Welt'' sei.'' -
Und diess ist das Lied, welches Zarathustra sang, als Cupido und die Madchen
zusammen
tanzten.
In dein Auge schaute ich jungst, oh Leben! Und in's Unergrundliche schien ich
mir da zu sinken.
Aber du zogst mich mit goldner Angel heraus; spottisch lachtest du, als ich dich
unergrundlich
nannte.
``So geht die Rede aller Fische, sprachst du; was sie nicht ergrunden, ist
unergrundlich.
``Aber veranderlich bin ich nur und wild und in Allem ein Weib, und kein
tugendhaftes:
``Ob ich schon euch Mannern ``die Tiefe'' heisse oder ``die Treue'', ``die
Ewige'', ``die
Geheimnissvolle.'' ``
Doch ihr Manner beschenkt uns stets mit den eignen Tugenden - ach, ihr
Tugendhaften!''
Also lachte sie, die Unglaubliche; aber ich glaube ihr niemals und ihrem Lachen,
wenn sie bos von
sich selber spricht.
Und als ich unter vier Augen mit meiner wilden Weisheit redete, sagte sie mir
zornig: ``Du willst,
du begehrst, du liebst, darum allein lobst du das Leben!''
Fast hatte ich da bos geantwortet und der Zornigen die Wahrheit gesagt; und man
kann nicht
boser antworten, als wenn man seiner Weisheit ``die Wahrheit sagt.''
So namlich steht es zwischen uns Dreien. Von Grund aus liebe ich nur das Leben -
und, wahrlich,
am meisten dann, wenn ich es hasse!
Dass ich aber der Weisheit gut bin und oft zu gut: das macht, sie erinnert mich
gar sehr an das
Leben!
Sie hat ihr Auge, ihr Lachen und sogar ihr goldnes Angelruthchen: was kann ich
dafur, dass die
Beiden sich so ahnlich sehen?
Und als mich einmal das Leben fragte: Wer ist denn das, die Weisheit? - da sagte
ich eifrig: ``Ach
ja! die Weisheit!
Man durstet um sie und wird nicht satt, man blickt durch Schleier, man hascht
durch Netze.
Ist sie schon? Was weiss ich! Aber die altesten Karpfen werden noch mit ihr
gekodert.
Veranderlich ist sie und trotzig; oft sah ich sie sich die Lippe beissen und den
Kamm wider ihres
Haares Strich fuhren.
Vielleicht ist sie bose und falsch, und in Allem ein Frauenzimmer; aber wenn sie
von sich selber
schlecht spricht, da gerade verfuhrt sie am meisten.''
Als ich diess zu dem Leben sagte, da lachte es boshaft und machte die Augen zu.
Von wem redest
du doch? sagte sie, wohl von mir?
Und wenn du Recht hattest, - sagt man das mir so in's Gesicht! Aber nun sprich
doch auch von
deiner Weisheit!''
Ach, und nun machtest du wieder dein Auge auf, oh geliebtes Leben! Und in's
Unergrundliche
schien ich mir wieder zu sinken. Also
sang Zarathustra. Als aber der Tanz zu Ende und die Madchen fortgegangen waren,
wurde
er traurig.
``Die Sonne ist lange schon hinunter, sagte er endlich; die Wiese ist feucht,
von den Waldern her
kommt Kuhle.
Ein Unbekanntes ist um mich und blickt nachdenklich. Was! Du lebst noch,
Zarathustra?
Warum? Wofur? Wodurch? Wohin? Wo? Wie? Ist es nicht Thorheit, noch zu leben? -
Ach, meine Freunde, der Abend ist es, der so aus mir fragt. Vergebt mir meine
Traurigkeit!
Abend ward es: vergebt mir, dass es Abend ward!''
Also sprach Zarathustra.
Das Grablied
``Dort ist die Graberinsel, die schweigsame; dort sind auch die Graber meiner
Jugend. Dahin will
ich einen immergrunen Kranz des Lebens tragen.''
Also im Herzen beschliessend fuhr ich uber das Meer. Oh
ihr, meiner Jugend Gesichte und Erscheinungen! Oh, ihr Blicke der Liebe alle,
ihr gottlichen
Augenblicke! Wie starbt ihr mir so schnell! Ich gedenke eurer heute wie meiner
Todten.
Von euch her, meinen liebsten Todten, kommt mir ein susser Geruch, ein herz- und
thranenlosender. Wahrlich, er erschuttert und lost das Herz dem einsam
Schiffenden.
Immer noch bin ich der Reichste und Bestzubeneidende - ich der Einsamste! Denn
ich hatte euch
doch, und ihr habt mich noch: sagt, wem fielen, wie mir, solche Rosenapfel vom
Baume?
Immer noch bin ich eurer Liebe Erbe und Erdreich, bluhend zu eurem Gedachtnisse
von bunten
wildwachsenen Tugenden, oh ihr Geliebtesten!
Ach, wir waren gemacht, einander nahe zu bleiben, ihr holden fremden Wunder; und
nicht
schuchternen Vogeln gleich kamt ihr zu mir und meiner Begierde - nein, als
Trauende zu dem
Trauenden!
Ja, zur Treue gemacht, gleich mir, und zu zartlichen Ewigkeiten: muss ich nun
euch nach eurer
Untreue heissen, ihr gottlichen Blicke und Augenblicke: keinen andern Namen
lernte ich noch.
Wahrlich, zu schnell starbt ihr mir, ihr Fluchtlinge. Doch floht ihr mich nicht,
noch floh ich euch:
unschuldig sind wir einander in unsrer Untreue.
Mich zu todten, erwurgte man euch, ihr Singvogel meiner Hoffnungen! Ja, nach
euch, ihr
Liebsten, schoss immer die Bosheit Pfeile - mein Herz zu treffen!
Und sie traf! Wart ihr doch stets mein Herzlichstes, mein Besitz und mein
Besessen-sein: darum
musstet ihr jung sterben und allzu fruhe!
Nach dem Verwundbarsten, das ich besass, schoss man den Pfeil: das waret ihr,
denen die Haut
einem Flaume gleich ist und mehr noch dem Lacheln, das an einem Blick erstirbt!
Aber diess Wort will ich zu meinen Feinden reden: was ist alles Menschen-Morden
gegen Das,
was ihr mir thatet!
Boseres thatet ihr mir, als aller Menschen-Mord ist; Unwiederbringliches nahmt
ihr mir: - also
rede ich zu euch, meine Feinde!
Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine Gespielen
nahmt ihr mir,
die seligen Geister! Ihrem Gedachtnisse lege ich diesen Kranz und diesen Fluch
nieder.
Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges kurz, wie
ein Ton
zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken gottlicher Augen kam es mir nur,
- als
Augenblick!
Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: ``gottlich sollen mir alle
Wesen sein.''
Da uberfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun jene gute
Stunde!
``Alle Tage sollen mir heilig sein'' - so redete einst die Weisheit meiner
Jugend: wahrlich, einer
frohlichen Weisheit Rede!
Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nachte und verkauftet sie zu schlafloser
Qual: ach, wohin
floh nun jene frohliche Weisheit?
Einst begehrte ich nach glucklichen Vogelzeichen: da fuhrtet ihr mir ein
Eulen-Unthier uber den
Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine zartliche Begierde?
Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine Nahen und
Nachsten in
Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes Gelobniss''
Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den Weg des
Blinden: und nun
ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs.
Und als ich mein Schwerstes that und meiner Uberwindungen Sieg feierte: da
machtet ihr Die,
welche mich liebten, schrein, ich thue ihnen am wehesten.
Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergalltet mir meinen besten Honig und
den Fleiss meiner
besten Bienen.
Meiner Mildthatigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; um mein
Mitleiden drangtet ihr
immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr meine Tugend in ihrem
Glauben.
Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure
``Frommigkeit'' ihre fetteren
Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes noch mein Heiligstes erstickte.
Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: uber alle Himmel weg
wollte ich tanzen. Da
uberredetet ihr meinen liebsten Sanger.
Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, wie ein
dusteres Horn, zu
Ohren!
Morderischer Sanger, Werkzeug der Bosheit, Unschuldigster! Schon stand ich
bereit zum besten
Tanze: da mordetest du mit deinen Tonen meine Verzuckung!
Nur im Tanze weiss ich der hochsten Dinge Gleichniss zu reden: - und nun blieb
mir mein
hochstes Gleichniss ungeredet in einen Gliedern!
Ungeredet und unerlost blieb mir die hochste Hoffnung! Und es starben mir alle
Gesichte und
Trostungen meiner Jugend!
Wie ertrug ich's nur? Wie verwand und uberwand ich solche Wunden? Wie erstand
meine Seele
wieder aus diesen Grabern?
Ja, ein Unverwundbares, Unbegrabbares ist an mir, ein Felsensprengendes: das
heisst mein Wille.
Schweigsam schreitet es und unverandert durch die Jahre.
Seinen Gang will er gehn auf meinen Fussen, mein alter Wille; herzenshart ist
ihm der Sinn und
unverwundbar.
Unverwundbar bin ich allein an meiner Ferse. Immer noch lebst du da und bist dir
gleich,
Geduldigster! Immer noch brachst du dich durch alle Graber!
In dir lebt auch noch das Unerloste meiner Jugend; und als Leben und Jugend
sitzest du hoffend
hier auf gelben Grab-Trummern.
Ja, noch bist du mir aller Graber Zertrummerer: Heil dir, mein Wille! Und nur wo
Graber sind,
giebt es Auferstehungen. Also
sang Zarathustra.
Von der Selbst-Ueberwindung
``Wille zur Wahrheit'' heisst ihr's, ihr Weisesten, was euch treibt und brunstig
macht?
Wille zur Denkbarkeit alles Seienden: also heisse ich euren Willen!
Alles Seiende wollt ihr erst denkbar machen : denn ihr zweifelt mit gutem
Misstrauen, ob es
schon denkbar ist.
Aber es soll sich euch fugen und biegen! So will's euer Wille. Glatt soll es
werden und dem Geiste
unterthan, als sein Spiegel und Widerbild.
Das ist euer ganzer Wille, ihr Weisesten, als ein Wille zur Macht; und auch wenn
ihr vom Guten
und Bosen redet und von den Werthschatzungen. Schaffen wollt ihr noch die Welt,
vor der ihr
knien konnt: so ist es eure letzte Hoffnung und Trunkenheit.
Die Unweisen freilich, das Volk, - die sind gleich dem Flusse, auf dem ein
Nachen weiter
schwimmt: und im Nachen sitzen feierlich und vermummt die Werthschatzungen.
Euren Willen und eure Werthe setztet ihr auf den Fluss des Werdens; einen alten
Willen zur
Macht verrath mir, was vom Volke als gut und bose geglaubt wird.
Ihr wart es, ihr Weisesten, die solche Gaste in diesen Nachen setzten und ihnen
Prunk und stolze
Namen gaben, - ihr und euer herrschender Wille!
Weiter tragt nun der Fluss euren Nachen: er muss ihn tragen. Wenig thut's, ob
die gebrochene
Welle schaumt und zornig dem Kiele widerspricht!
Nicht der Fluss ist eure Gefahr und das Ende eures Guten und Bosen, ihr
Weisesten: sondern
jener Wille selber, der Wille zur Macht, - der unerschopfte zeugende
Lebens-Wille.
Aber damit ihr mein Wort versteht vom Guten und Bosen: dazu will ich euch noch
mein Wort
vom Leben sagen und von der Art alles Lebendigen.
Dem Lebendigen gieng ich nach, ich gieng die grossten und die kleinsten Wege,
dass ich seine Art
erkenne.
Mit hundertfachem Spiegel fieng ich noch seinen Blick auf, wenn ihm der Mund
geschlossen war:
dass sein Auge mir rede. Und sein Auge redete mir.
Aber, wo ich nur Lebendiges fand, da horte ich auch die Rede vom Gehorsame.
Alles Lebendige
ist ein Gehorchendes.
Und diess ist das Zweite: Dem wird befohlen, der sich nicht selber gehorchen
kann. So ist es des
Lebendigen Art.
Diess aber ist das Dritte, was ich horte: dass Befehlen schwerer ist, als
Gehorchen. Und nicht nur,
dass der Befehlende die Last aller Gehorchenden tragt, und dass leicht ihn diese
Last zerdruckt: -
Ein Versuch und Wagniss erschien mir in allem Befehlen; und stets, wenn es
befiehlt, wagt das
Lebendige sich selber dran.
Ja noch, wenn es sich selber befiehlt: auch da noch muss es sein Befehlen
bussen. Seinem eignen
Gesetze muss es Richter und Racher und Opfer werden.
Wie geschieht diess doch! so fragte ich mich. Was uberredet das Lebendige, dass
es gehorcht und
befiehlt und befehlend noch Gehorsam ubt?
Hort mir nun mein Wort, ihr Weisesten! Pruft es ernstlich, ob ich dem Leben
selber in's Herz
kroch und bis in die Wurzeln seines Herzens!
Wo ich Lebendiges fand, da fand ich Willen zur Macht; und noch im Willen des
Dienenden fand
ich den Willen, Herr zu sein.
Dass dem Starkeren diene das Schwachere, dazu uberredet es sein Wille, der uber
noch
Schwacheres Herr sein will: dieser Lust allein mag es nicht entrathen.
Und wie das Kleinere sich dem Grosseren hingiebt, dass es Lust und Macht am
Kleinsten habe:
also giebt sich auch das Grosste noch hin und setzt um der Macht willen - das
Leben dran.
Das ist die Hingebung des Grossten, dass es Wagniss ist und Gefahr und um den
Tod ein
Wurfelspielen.
Und wo Opferung und Dienste und Liebesblicke sind: auch da ist Wille, Herr zu
sein. Auf
Schleichwegen schleicht sich da der Schwachere in die Burg und bis in's Herz dem
Machtigeren und
stiehlt da Macht.
Und diess Geheimniss redete das Leben selber zu mir. Siehe, sprach es, ich bin
das, was sich
immer selber uberwinden muss.
``Freilich, ihr heisst es Wille zur Zeugung oder Trieb zum Zwecke, zum Hoheren,
Ferneren,
Vielfacheren: aber all diess ist Eins und Ein Geheimniss.
``Lieber noch gehe ich unter, als dass ich diesem Einen absagte; und wahrlich,
wo es Untergang
giebt und Blatterfallen, siehe, da opfert sich Leben - um Macht!
``Dass ich Kampf sein muss und Werden und Zweck und der Zwecke Widerspruch: ach,
wer
meinen Willen errath, errath wohl auch, auf welchen krummen Wegen er gehen muss!
``Was ich auch schaffe und wie ich's auch liebe, - bald muss ich Gegner ihm sein
und meiner
Liebe: so will es mein Wille.
``Und auch du, Erkennender, bist nur ein Pfad und Fusstapfen meines Willens:
wahrlich, mein
Wille zur Macht wandelt auch auf den Fussen deines Willens zur Wahrheit!
``Der traf freilich die Wahrheit nicht, der das Wort nach ihr schoss vom
``Willen zum Dasein'':
diesen Willen - giebt es nicht!
``Denn: was nicht ist, das kann nicht wollen; was aber im Dasein ist, wie konnte
das noch zum
Dasein wollen!
``Nur, wo Leben ist, da ist auch Wille: aber nicht Wille zum Leben, sondern - so
lehre ich's dich -
Wille zur Macht!
``Vieles ist dem Lebenden hoher geschatzt, als Leben selber; doch aus dem
Schatzen selber
heraus redet - der Wille zur Macht!'' Also
lehrte mich einst das Leben: und daraus lose ich euch, ihr Weisesten, noch das
Rathsel eures
Herzens.
Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Boses, das unverganglich ware - das giebt es
nicht! Aus sich
selber muss es sich immer wieder uberwinden.
Mit euren Werthen und Worten von Gut und Bose ubt ihr Gewalt, ihr
Werthschatzenden: und
diess ist eure verborgene Liebe und eurer Seele Glanzen, Zittern und Uberwallen.
Aber eine starkere Gewalt wachst aus euren Werthen und eine neue Uberwindung: an
der
zerbricht Ei und Eierschale.
Und wer ein Schopfer sein muss im Guten und Bosen: wahrlich, der muss ein
Vernichter erst sein
und Werthe zerbrechen.
Also gehort das hochste Bose zur hochsten Gute: diese aber ist die
schopferische. -
Reden wir nur davon, ihr Weisesten, ob es gleich schlimm ist. Schweigen ist
schlimmer; alle
verschwiegenere Wahrheiten werden giftig.
Und mag doch Alles zerbrechen, was an unseren Wahrheiten zerbrechen - kann!
Manches Haus
giebt es noch zu bauen!
Also sprach Zarathustra.
Von den Erhabenen
Still ist der Grund meines Meeres: wer erriethe wohl, dass er scherzhafte
Ungeheuer birgt!
Unerschutterlich ist meine Tiefe: aber sie glanzt von schwimmenden Rathseln und
Gelachtern.
Einen Erhabenen sah ich heute, einen Feierlichen, einen Busser des Geistes: oh
wie lachte meine
Seele ob seiner Hasslichkeit!
Mit erhobener Brust und Denen gleich, welche den Athem an sich ziehn: also stand
er da, der
Erhabene, und schweigsam:
Behangt mit hasslichen Wahrheiten, seiner Jagdbeute, und reich an zerrissenen
Kleidern; auch
viele Dornen hiengen an ihm - aber noch sah ich keine Rose.
Noch lernte er das Lachen nicht und die Schonheit. Finster kam dieser Jager
zuruck aus dem
Walde der Erkenntniss.
Vom Kampfe kehrte er heim mit wilden Thieren: aber aus seinem Ernste blickt auch
noch ein
wildes Thier - ein unuberwundenes!
Wie ein Tiger steht er immer noch da, der springen will; aber ich mag diese
gespannten Seelen
nicht, unhold ist mein Geschmack allen diesen Zuruckgezognen.
Und ihr sagt mir, Freunde, dass nicht zu streiten sei uber Geschmack und
Schmecken? Aber alles
Leben ist Streit um Geschmack und Schmecken!
Geschmack: das ist Gewicht zugleich und Wagschale und Wagender; und wehe allem
Lebendigen, das ohne Streit um Gewicht und Wagschale und Wagende leben wollte!
Wenn er seiner Erhabenheit mude wurde, dieser Erhabene: dann erst wurde seine
Schonheit
anheben, - und dann erst will ich ihn schmecken und schmackhaft finden.
Und erst, wenn er sich von sich selber abwendet, wird er uber seinen eignen
Schatten springen und,
wahrlich! hinein in seine Sonne.
Allzulange sass er im Schatten, die Wangen bleichten dem Busser des Geistes;
fast verhungerte er
an seinen Erwartungen.
Verachtung ist noch in seinem Auge; und Ekel birgt sich an seinem Munde. Zwar
ruht er jetzt,
aber seine Ruhe hat sich noch nicht in die Sonne gelegt.
Dem Stiere gleich sollte er thun; und sein Gluck sollte nach Erde riechen und
nicht nach
Verachtung der Erde.
Als weissen Stier mochte ich ihn sehn, wie er schnaubend und brullend der
Pflugschar vorangeht:
und sein Gebrull sollte noch alles Irdische preisen!
Dunkel noch ist sein Antlitz; der Hand Schatten spielt auf ihm. Verschattet ist
noch der Sinn
seines Auges.
Seine That selber ist noch der Schatten auf ihm: die Hand verdunkelt den
Handelnden. Noch hat
er seine That nicht uberwunden.
Wohl liebe ich an ihm den Nacken des Stiers: aber nun will ich auch noch das
Auge des Engels
sehn.
Auch seinen Helden-Willen muss er noch verlernen: ein Gehobener soll er mir sein
und nicht nur
ein Erhabener: - der Aether selber sollte ihn heben, den Willenlosen!
Er bezwang Unthiere, er loste Rathsel: aber erlosen sollte er auch noch seine
Unthiere und
Rathsel, zu himmlischen Kindern sollte er sie noch verwandeln.
Noch hat seine Erkenntniss nicht lacheln gelernt und ohne Eifersucht sein; noch
ist seine
stromende Leidenschaft nicht stille geworden in der Schonheit.
Wahrlich, nicht in der Sattheit soll sein Verlangen schweigen und untertauchen,
sondern in der
Schonheit! Die Anmuth gehort zur Grossmuth des Grossgesinnten.
Den Arm uber das Haupt gelegt: so sollte der Held ausruhn, so sollte er auch
noch sein Ausruhen
uberwinden.
Aber gerade dem Helden ist das Schone aller Dinge Schwerstes. Unerringbar ist
das Schone allem
heftigen Willen.
Ein Wenig mehr, ein Wenig weniger: das gerade ist hier Viel, das ist hier das
Meiste.
Mit lassigen Muskeln stehn und mit abgeschirrtem Willen: das ist das Schwerste
euch Allen, ihr
Erhabenen!
Wenn die Macht gnadig wird und herabkommt in's Sichtbare: Schonheit heisse ich
solches
Herabkommen.
Und von Niemandem will ich so als von dir gerade Schonheit, du Gewaltiger: deine
Gute sei
deine letzte Selbst-Uberwaltigung.
Alles Bose traue ich dir zu: darum will ich von dir das Gute.
Wahrlich, ich lachte oft der Schwachlinge, welche sich gut glauben, weil sie
lahme Tatzen haben!
Der Saule Tugend sollst du nachstreben: schoner wird sie immer und zarter, aber
inwendig harter
und tragsamer, je mehr sie aufsteigt.
Ja, du Erhabener, einst sollst du noch schon sein und deiner eignen Schonheit
den Spiegel
vorhalten.
Dann wird deine Seele vor gottlichen Begierden schaudern; und Anbetung wird noch
in deiner
Eitelkeit sein!
Diess namlich ist das Geheimniss der Seele: erst, wenn sie der Held verlassen
hat, naht ihr, im
Traume, - der Uber-Held.
Also sprach Zarathustra.
Vom Lande der Bildung
Zu weit hinein flog ich in die Zukunft: ein Grauen uberfiel mich.
Und als ich um mich sah, siehe! da war die Zeit mein einziger Zeitgenosse.
Da floh ich ruckwarts, heimwarts - und immer eilender: so kam ich zu euch, ihr
Gegenwartigen,
und in's Land der Bildung.
Zum ersten Male brachte ich ein Auge mit fur euch, und gute Begierde: wahrlich,
mit Sehnsucht
im Herzen kam ich.
Aber wie geschah mir? So angst mir auch war, - ich musste lachen! Nie sah mein
Auge etwas so
Buntgesprenkeltes!
Ich lachte und lachte, wahrend der Fuss mir noch zitterte und das Herz dazu:
``hier ist ja die
Heimat aller Farbentopfe!'' - sagte ich.
Mit funfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so sasset ihr da zu meinem
Staunen, ihr
Gegenwartigen!
Und mit funfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten und
nachredeten!
Wahrlich, ihr konntet gar keine bessere Maske tragen, ihr Gegenwartigen, als
euer eignes Gesicht
ist! Wer konnte euch - erkennen!
Vollgeschrieben mit den Zeichen der Vergangenheit, und auch diese Zeichen
uberpinselt mit
neuen Zeichen: also habt ihr euch gut versteckt vor allen Zeichendeutern!
Und wenn man auch Nierenprufer ist: wer glaubt wohl noch, dass ihr Nieren habt!
Aus Farben
scheint ihr gebacken und aus geleimten Zetteln.
Alle Zeiten und Volker blicken bunt aus euren Schleiern; alle Sitten und Glauben
reden bunt aus
euren Gebarden.
Wer von euch Schleier und Uberwurfe und Farben und Gebarden abzoge: gerade genug
wurde er
ubrig behalten, um die Vogel damit zu erschrecken.
Wahrlich, ich selber bin der erschreckte Vogel, der euch einmal nackt sah und
ohne Farbe; und
ich flog davon, als das Gerippe mir Liebe zuwinkte.
Lieber wollte ich doch noch Tagelohner sein in der Unterwelt und bei den
Schatten des Ehemals!
-feister und voller als ihr sind ja noch die Unterweltlichen!
Diess, ja diess ist Bitterniss meinen Gedarmen, dass ich euch weder nackt, noch
bekleidet
aushalte, ihr Gegenwartigen!
Alles Unheimliche der Zukunft, und was je verflogenen Vogeln Schauder machte,
ist wahrlich
heimlicher noch und traulicher als eure ``Wirklichkeit''.
Denn so sprecht ihr: ``Wirkliche sind wir ganz, und ohne Glauben und
Aberglauben'': also brustet
ihr euch - ach, auch noch ohne Bruste!
Ja, wie solltet ihr glauben konnen, ihr Buntgesprenkelten! - die ihr Gemalde
seid von Allem, was
je geglaubt wurde!
Wandelnde Widerlegungen seid ihr des Glaubens selber, und aller Gedanken
Gliederbrechen.
Unglaubwurdige : also heisse ich euch, ihr Wirklichen!
Alle Zeiten schwatzen wider einander in euren Geistern; und aller Zeiten Traume
und Geschwatz
waren wirklicher noch als euer Wachsein ist!
Unfruchtbare seid ihr: darum fehlt es euch an Glauben. Aber wer schaffen musste,
der hatte auch
immer seine Wahr-Traume und Stern-Zeichen - und glaubte an Glauben! -
Halboffne Thore seid ihr, an denen Todtengraber warten. Und das ist eure
Wirklichkeit: ``Alles ist
werth, dass es zu Grunde geht.''
Ach, wie ihr mir dasteht, ihr Unfruchtbaren, wie mager in den Rippen! Und
Mancher von euch
hatte wohl dessen selber ein Einsehen.
Und er sprach: ``es hat wohl da ein Gott, als ich schlief, mir heimlich Etwas
entwendet? Wahrlich,
genug, sich ein Weibchen daraus zu bilden!
Wundersam ist die Armuth meiner Rippen!'' also sprach schon mancher
Gegenwartige.
Ja, zum Lachen seid ihr mir, ihr Gegenwartigen! Und sonderlich, wenn ihr euch
uber euch selber
wundert!
Und wehe mir, wenn ich nicht lachen konnte uber eure Verwunderung, und alles
Widrige aus
euren Napfen hinunter trinken musste!
So aber will ich's mit euch leichter nehmen, da ich Schweres zu tragen habe; und
was thut's mir,
wenn sich Kafer und Flugelwurmer noch auf mein Bundel setzen!
Wahrlich, es soll mir darob nicht schwerer werden! Und nicht aus euch, ihr
Gegenwartigen, soll
mir die grosse Mudigkeit kommen. - Ach, wohin soll ich nun noch steigen mit
meiner Sehnsucht!
Von allen Bergen schaue ich aus nach Vater- und Mutterlandern.
Aber Heimat fand ich nirgends: unstat bin ich in allen Stadten und ein Aufbruch
an allen Thoren.
Fremd sind mir und ein Spott die Gegenwartigen, zu denen mich jungst das Herz
trieb; und
vertrieben bin ich aus Vater- und Mutterlandern.
So liebe ich allein noch meiner Kinder Land, das unentdeckte, im fernsten Meere:
nach ihm heisse
ich meine Segel suchen und suchen.
An meinen Kindern will ich es gut machen, dass ich meiner Vater Kind bin: und an
aller Zukunft diese
Gegenwart!
Also sprach Zarathustra.
Von der unbefleckten Erkenntniss
Als gestern der Mond aufgieng, wahnte ich, dass er eine Sonne gebaren wolle: so
breit und
trachtig lag er am Horizonte.
Aber ein Lugner war er mir mit seiner Schwangerschaft; und eher noch will ich an
den Mann im
Monde glauben als an das Weib.
Freilich, wenig Mann ist er auch, dieser schuchterne Nachtschwarmer. Wahrlich,
mit schlechtem
Gewissen wandelt er uber die Dacher.
Denn er ist lustern und eifersuchtig, der Monch im Monde, lustern nach der Erde
und nach allen
Freuden der Liebenden.
Nein, ich mag ihn nicht, diesen Kater auf den Dachern! Widerlich sind mir Alle,
die um
halbverschlossne Fenster schleichen!
Fromm und schweigsam wandelt er hin auf Sternen-Teppichen: - aber ich mag alle
leisetretenden
Mannsfusse nicht, an denen auch nicht ein Sporen klirrt.
Jedes Redlichen Schritt redet; die Katze aber stiehlt sich uber den Boden weg.
Siehe, katzenhaft
kommt der Mond daher und unredlich. -
Dieses Gleichniss gebe ich euch empfindsamen Heuchlern, euch, den
"Rein-Erkennenden!'' Euch
heisse ich - Lusterne!
Auch ihr liebt die Erde und das Irdische: ich errieth euch wohl! - aber Scham
ist in eurer Liebe
und schlechtes Gewissen, - dem Monde gleicht ihr!
Zur Verachtung des Irdischen hat man euren Geist uberredet, aber nicht eure
Eingeweide: die
aber sind das Starkste an euch!
Und nun schamt sich euer Geist, dass er euren Eingeweiden zu willen ist und geht
vor seiner
eignen Scham Schleich- und Lugenwege.
``Das ware mir das Hochste - also redet euer verlogner Geist zu sich - auf das
Leben ohne
Begierde zu schaun und nicht gleich dem Hunde mit hangender Zunge:
``Glucklich zu sein im Schauen, mit erstorbenem Willen, ohne Griff und Gier der
Selbstsucht kalt
und aschgrau am ganzen Leibe, aber mit trunkenen Mondesaugen!''
``Das ware mir das Liebste, - also verfuhrt sich selber der Verfuhrte - die Erde
zu lieben, wie der
Mond sie liebt, und nur mit dem Auge allein ihre Schonheit zu betasten.
``Und das heisse mir aller Dinge unbefleckte Erkenntniss, dass ich von den
Dingen Nichts will:
ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel mit hundert Augen.''
Oh,
ihr empfindsamen Heuchler, ihr Lusternen! Euch fehlt die Unschuld in der
Begierde: und nun
verleumdet ihr drum das Begehren!
Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die Erde!
Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer uber sich hinaus schaffen
will, der hat
mir den reinsten Willen.
Wo ist Schonheit? Wo ich mit allem Willen wollen muss; wo ich lieben und
untergehn will, dass
ein Bild nicht nur Bild bleibe.
Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: das ist,
willig auch sein
zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen!
Aber nun will euer entmanntes Schielen ``Beschaulichkeit'' heissen! Und was mit
feigen Augen
sich tasten lasst, soll ``schon'' getauft werden! oh, ihr Beschmutzer edler
Namen!
Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden, dass ihr
nie gebaren
werdet: und wenn ihr auch breit und trachtig am Horizonte liegt!
Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen glauben, dass
euch das Herz
ubergehe, ihr Lugenbolde?
Aber in eine Worte sind geringe, verachtete, krumme Worte: gerne nehme ich auf,
was bei eurer
Mahlzeit unter den Tisch fallt.
Immer noch kann ich mit ihnen - Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, meine Graten,
Muscheln und
Stachelblatter sollen - Heuchlern die Nasen kitzeln!
Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lusternen Gedanken,
eure Lugen und
Heimlichkeiten sind ja in der Luft!
Wagt es doch erst, euch selber zu glauben - euch und euren Eingeweiden! Wer sich
selber nicht
glaubt, lugt immer.
Eines Gottes Larve hangtet ihr um vor euch selber, ihr ``Reinen'': in eines
Gottes Larve verkroch
sich euer greulicher Ringelwurm.
Wahrlich, ihr tauscht, ihr ``Beschaulichen''! Auch Zarathustra war einst der
Narr eurer gottlichen
Haute; nicht errieth er das Schlangengeringel, mit denen sie gestopft waren.
Eines Gottes Seele wahnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, ihr
Rein-Erkennenden!
Keine bessere Kunst wahnte ich einst als eure Kunste!
Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und dass einer
Eidechse List
lustern hier herumschlich.
Aber ich kam euch nah: da kam mir der Tag - und nun kommt er euch, - zu Ende
gieng des
Mondes Liebschaft!
Seht doch hin! Ertappt und bleich steht er da - vor der Morgenrothe!
Denn schon kommt sie, die Gluhende, - ihre Liebe zur Erde kommt! Unschuld und
Schopfer-
Begier ist alle Sonnen-Liebe!
Seht doch hin, wie sie ungeduldig uber das Meer kommt! Fuhlt ihr den Durst und
den heissen
Athem ihrer Liebe nicht?
Am Meere will sie saugen und seine Tiefe zu sich in die Hohe trinken: da hebt
sich die Begierde
des Meeres mit tausend Brusten.
Gekusst und gesaugt will es sein vom Durste der Sonne; Luft will es werden und
Hohe und
Fusspfad des Lichts und selber Licht!
Wahrlich, der Sonne gleich liebe ich das Leben und alle tiefen Meere.
Und diess heisst mir Erkenntniss: alles Tiefe soll hinauf - zu meiner Hohe!
Also sprach Zarathustra.
Von den Gelehrten
Als ich im Schlafe lag, da frass ein Schaf am Epheukranze meines Hauptes, -
frass und sprach
dazu: ``Zarathustra ist kein Gelehrter mehr.''
Sprach's und gieng stotzig davon und stolz. Ein Kind erzahlte mir's.
Gerne liege ich hier, wo die Kinder spielen, an der zerbrochnen Mauer, unter
Disteln und rothen
Mohnblumen.
Ein Gelehrter bin ich den Kindern noch und auch den Disteln und rothen
Mohnblumen.
Unschuldig sind sie, selbst noch in ihrer Bosheit.
Aber den Schafen bin ich's nicht mehr: so will es mein Loos - gesegnet sei es!
Denn diess ist die Wahrheit: ausgezogen bin ich aus dem Hause der Gelehrten: und
die Thur habe
ich noch hinter mir zugeworfen.
Zu lange sass meine Seele hungrig an ihrem Tische; nicht, gleich ihnen, bin ich
auf das Erkennen
abgerichtet wie auf das Nusseknacken.
Freiheit liebe ich und die Luft uber frischer Erde; lieber noch will ich auf
Ochsenhauten schlafen,
als auf ihren Wurden und Achtbarkeiten.
Ich bin zu heiss und verbrannt von eigenen Gedanken: oft will es mir den Athem
nehmen. Da
muss ich in's Freie und weg aus allen verstaubten Stuben.
Aber sie sitzen kuhl in kuhlem Schatten: sie wollen in Allem nur Zuschauer sein
und huten sich
dort zu sitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt.
Gleich Solchen, die auf der Strasse stehn und die Leute angaffen, welche
vorubergehn: also
warten sie auch und gaffen Gedanken an, die Andre gedacht haben.
Greift man sie mit Handen, so stauben sie um sich gleich Mehlsacken, und
unfreiwillig. aber wer
erriethe wohl, dass ihr Staub vom Korne stammt und von der gelben Wonne der
Sommerfelder?
Geben sie sich weise, so frostelt mich ihrer kleinen Spruche und Wahrheiten: ein
Geruch ist oft an
ihrer Weisheit, als ob sie aus dem Sumpfe stamme: und wahrlich, ich horte auch
schon den Frosch
aus ihr quaken!
Geschickt sind sie, sie haben kluge Finger: was will meine Einfalt bei ihrer
Vielfalt! Alles Fadeln
und Knupfen und Weben verstehn ihre Finger: also wirken sie die Strumpfe des
Geistes!
Gute Uhrwerke sind sie: nur sorge man, sie richtig aufzuziehn! Dann zeigen sie
ohne Falsch die
Stunde an und machen einen bescheidnen Larm dabei.
Gleich Muhlwerken arbeiten sie und Stampfen: man werfe ihnen nur seine
Fruchtkorner zu! - sie
wissen schon, Korn klein zu mahlen und weissen Staub daraus zu machen.
Sie sehen einander gut auf die Finger und trauen sich nicht zum Besten.
Erfinderisch in kleinen
Schlauheiten warten sie auf Solche, deren Wissen auf lahmen Fussen geht, -
gleich Spinnen
warten sie.
Ich sah sie immer mit Vorsicht Gift bereiten; und immer zogen sie glaserne
Handschuhe dabei an
ihre Finger.
Auch mit falschen Wurfeln wissen sie zu spielen; und so eifrig fand ich sie
spielen, dass sie dabei
schwitzten.
Wir sind einander fremd, und ihre Tugenden gehn mir noch mehr wider den
Geschmack, als ihre
Falschheiten und falschen Wurfel.
Und als ich bei ihnen wohnte, da wohnte ich uber ihnen. Daruber wurden sie mir
gram.
Sie wollen Nichts davon horen, dass Einer uber ihren Kopfen wandelt; und so
legten sie Holz und
Erde und Unrath zwischen mich und ihre Kopfe.
Also dampften sie den Schall meiner Schritte: und am schlechtesten wurde ich
bisher von den
Gelehrtesten gehort.
Aller Menschen Fehl und Schwache legten sie zwischen sich und mich: -
``Fehlboden'' heissen sie
das in ihren Hausern.
Aber trotzdem wandele ich mit meinen Gedanken uber ihren Kopfen; und selbst,
wenn ich auf
meinen eignen Fehlern wandeln wollte, wurde ich noch uber ihnen sein und ihren
Kopfen.
Denn die Menschen sind nicht gleich: so spricht die Gerechtigkeit. Und was ich
will, durften sie
nicht wollen!
Also sprach Zarathustra.
Von den Dichtern
``Seit ich den Leib besser kenne, - sagte Zarathustra zu einem seiner Junger -
ist mir der Geist nur
noch gleichsam Geist; und alles das ``Unvergangliche'' - das ist auch nur ein
Gleichniss.''
``So horte ich dich schon einmal sagen, antwortete der Junger; und damals
fugtest du hinzu:
``aber die Dichter lugen zuviel.'' Warum sagtest du doch, dass die Dichter
zuviel lugen?''
``Warum? sagte Zarathustra. Du fragst warum? Ich gehore nicht zu Denen, welche
man nach
ihrem Warum fragen darf.
Ist denn mein Erleben von Gestern? Das ist lange her, dass ich die Grunde meiner
Meinungen
erlebte.
Musste ich nicht ein Fass sein von Gedachtniss, wenn ich auch meine Grunde bei
mir haben
wollte?
Schon zuviel ist mir's, meine Meinungen selber zu behalten; und mancher Vogel
fliegt davon.
Und mitunter finde ich auch ein zugezogenes Thier in meinem Taubenschlage, das
mir fremd ist,
und das zittert, wenn ich meine Hand darauf lege.
Doch was sagte dir einst Zarathustra? Dass die Dichter zuviel lugen? - Aber auch
Zarathustra ist
ein Dichter.
Glaubst du nun, dass er hier die Wahrheit redete? Warum glaubst du das?''
Der Junger antwortete: ``ich glaube an Zarathustra.'' Aber Zarathustra
schuttelte den Kopf und
lachelte.
Der Glaube macht mich nicht selig, sagte er, zumal nicht der Glaube an mich.
Aber gesetzt, dass jemand allen Ernstes sagte, die Dichter lugen zuviel: so hat
er Recht, - wir
lugen zuviel.
Wir wissen auch zu wenig und sind schlechte Lerner: so mussen wir schon lugen.
Und wer von uns Dichtern hatte nicht seinen Wein verfalscht? Manch giftiger
Mischmasch
geschah in unsern Kellern, manches Unbeschreibliche ward da gethan.
Und weil wir wenig wissen, so gefallen uns von Herzen die geistig Armen,
sonderlich wenn es
junge Weibchen sind!
Und selbst nach den Dingen sind wir noch begehrlich, die sich die alten Weibchen
Abends
erzahlen. Das heissen wir selber an uns das Ewig-Weibliche.
Und als ob es einen besondren geheimen Zugang zum Wissen gabe, der sich Denen
verschutte,
welche Etwas lernen: so glauben wir an das Volk und seine ``Weisheit.''
Das aber glauben alle Dichter: dass wer im Grase oder an einsamen Gehangen
liegend die Ohren
spitze, Etwas von den Dingen erfahre, die zwischen Himmel und Erde sind.
Und kommen ihnen zartliche Regungen, so meinen die Dichter immer, die Natur
selber sei in sie
verliebt:
Und sie schleiche zu ihrem Ohre, Heimliches hinein zu sagen und verliebte
Schmeichelreden:
dessen brusten und blahen sie sich vor allen Sterblichen!
Ach, es giebt so viel Dinge zwischen Himmel und Erden, von denen sich nur die
Dichter Etwas
haben traumen lassen!
Und zumal uber dem Himmel: denn alle Gotter sind Dichter-Gleichniss,
Dichter-Erschleichniss!
Wahrlich, immer zieht es uns hinan - namlich zum Reich der Wolken: auf diese
setzen wir unsre
bunten Balge und heissen sie dann Gotter und Ubermenschen: Sind
sie doch gerade leicht genug fur diese Stuhle! - alle diese Gotter und
Ubermenschen.
Ach, wie bin ich all des Unzulanglichen mude, das durchaus Ereigniss sein soll!
Ach, wie bin ich
der Dichter mude!
Als Zarathustra so sprach, zurnte ihm sein Junger, aber er schwieg. Und auch
Zarathustra
schwieg; und sein Auge hatte sich nach innen gekehrt, gleich als ob es in weite
Fernen sahe.
Endlich seufzte er und holte Athem.
Ich bin von Heute und Ehedem, sagte er dann; aber Etwas ist in mir, das ist von
Morgen und
ubermorgen und Einstmals.
Ich wurde der Dichter mude, der alten und der neuen: Oberflachliche sind sie mir
Alle und seichte
Meere.
Sie dachten nicht genug in die Tiefe: darum sank ihr Gefuhl nicht bis zu den
Grunden.
Etwas Wollust und etwas Langeweile: das ist noch ihr bestes Nachdenken gewesen.
Gespenster-Hauch und -Huschen gilt mir all ihr Harfen-Klingklang; was wussten
sie bisher von
der Inbrunst der Tone! -
Sie sind mir auch nicht reinlich genug: sie truben Alle ihr Gewasser, dass es
tief scheine.
Und gerne geben sie sich damit als Versohner: aber Mittler und Mischer bleiben
sie mir und Halbund-
Halbe und Unreinliche! -
Ach, ich warf wohl mein Netz in ihre Meere und wollte gute Fische fangen; aber
immer zog ich
eines alten Gottes Kopf herauf.
So gab dem Hungrigen das Meer einen Stein. Und sie selber mogen wohl aus dem
Meere
stammen.
Gewiss, man findet Perlen in ihnen: um so ahnlicher sind sie selber harten
Schalthieren. Und statt
der Seele fand ich oft bei ihnen gesalzenen Schleim.
Sie lernten vom Meere auch noch seine Eitelkeit: ist nicht das Meer der Pfau der
Pfauen?
Noch vor dem hasslichsten aller Buffel rollt es seinen Schweif hin, nimmer wird
es seines
Spitzenfachers von Silber und Seide mude.
Trutzig blickt der Buffel dazu, dem Sande nahe in seiner Seele, naher noch dem
Dickicht, am
nachsten aber dem Sumpfe.
Was ist ihm Schonheit und Meer und Pfauen-Zierath! Dieses Gleichniss sage ich
den Dichtern.
Wahrlich, ihr Geist selber ist der Pfau der Pfauen und ein Meer von Eitelkeit!
Zuschauer will der Geist des Dichters: sollten's auch Buffel sein! -
Aber dieses Geistes wurde ich mude: und ich sehe kommen, dass er seiner selber
mude wird.
Verwandelt sah ich schon die Dichter und gegen sich selber den Blick gerichtet.
Busser des Geistes sah ich kommen: die wuchsen aus ihnen.
Also sprach Zarathustra.
Von grossen Ereignissen
Es giebt eine Insel im Meere - unweit den gluckseligen Inseln Zarathustra's -
auf welcher
bestandig ein Feuerberg raucht; von der sagt das Volk, und sonderlich sagen es
die alten
Weibchen aus dem Volke, dass sie wie ein Felsblock vor das Thor der Unterwelt
gestellt sei:
durch den Feuerberg selber aber fuhre der schmale Weg abwarts, der zu diesem
Thore der
Unterwelt geleite.
Um jene Zeit nun, als Zarathustra auf den gluckseligen Inseln weilte, geschah
es, dass ein Schiff
an der Insel Anker warf, auf welcher der rauchende Berg steht; und seine
Mannschaft gieng an's
Land, um Kaninchen zu schiessen. Gegen die Stunde des Mittags aber, da der
Capitan und seine
Leute wieder beisammen waren, sahen sie plotzlich durch die Luft einen Mann auf
sich
zukommen, und eine Stimme sagte deutlich: ``es ist Zeit! Es ist die hochste
Zeit!'' Wie die Gestalt
ihnen aber am nachsten war - sie flog aber schnell gleich einem Schatten vorbei,
in der Richtung,
wo der Feuerberg lag - da erkannten sie mit grosster Besturzung, dass es
Zarathustra sei; denn sie
hatten ihn Alle schon gesehn, ausgenommen der Capitan selber, und sie liebten
ihn, wie das Volk
liebt: also dass zu gleichen Theilen Liebe und Scheu beisammen sind.
``Seht mir an! sagte der alte Steuermann, da fahrt Zarathustra zur Holle!'' -
Um die gleiche Zeit, als diese Schiffer an der Feuerinsel landeten, lief das
Gerucht umher, dass
Zarathustra verschwunden sei; und als man seine Freunde fragte, erzahlten sie,
er sei bei Nacht zu
Schiff gegangen, ohne zu sagen, wohin er reisen wolle.
Also entstand eine Unruhe; nach drei Tagen aber kam zu dieser Unruhe die
Geschichte der
Schiffsleute hinzu - und nun sagte alles Volk, dass der Teufel Zarathustra
geholt habe. Seine
junger lachten zwar ob dieses Geredes; und einer von ihnen sagte sogar: ``eher
glaube ich noch,
dass Zarathustra sich den Teufel geholt hat.' Aber im Grunde der Seele waren sie
Alle voll
Besorgniss und Sehnsucht: so war ihre Freude gross, als am funften Tage
Zarathustra unter ihnen
erschien.
Und diess ist die Erzahlung von Zarathustra's Gesprach mit dem Feuerhunde.
Die Erde, sagte er, hat eine Haut; und diese Haut hat Krankheiten. Eine dieser
Krankheiten heisst
zum Beispiel: ``Mensch.''
Und eine andere dieser Krankheiten heisst ``Feuerhund'': uber den haben sich die
Menschen Viel
vorgelogen und vorlugen lassen.
Diess Geheimniss zu ergrunden gieng ich uber das Meer: und ich habe die Wahrheit
nackt gesehn,
wahrlich! barfuss bis zum Halse.
Was es mit dem Feuerhund auf sich hat, weiss ich nun; und insgleichen mit all
den Auswurf- und
Umsturz-Teufeln, vor denen sich nicht nur alte Weibchen furchten.
Heraus mit dir, Feuerhund, aus deiner Tiefe! rief ich, und bekenne, wie tief
diese Tiefe ist! Woher
ist das, was du da heraufschnaubst?
Du trinkst reichlich am Meere: das verrath deine versalzte Beredsamkeit!
Furwahr, fur einen
Hund der Tiefe nimmst du deine Nahrung zu sehr von der Oberflache!
Hochstens fur den Bauchredner der Erde halt' ich dich: und immer, wenn ich
Umsturz- und
Auswurf-Teufel reden horte, fand ich sie gleich dir: gesalzen, lugnerisch und
flach.
Ihr versteht zu brullen und mit Asche zu verdunkeln! Ihr seid die besten
Grossmauler und lerntet
sattsam die Kunst, Schlamm heiss zu sieden.
Wo ihr seid, da muss stets Schlamm in der Nahe sein, und viel Schwammichtes,
Hohlichtes,
Eingezwangtes: das will in die Freiheit.
``Freiheit'' brullt ihr Alle am liebsten: aber ich verlernte den Glauben an
``grosse Ereignisse,''
sobald viel Gebrull und Rauch um sie herum ist.
Und glaube mir nur, Freund Hollenlarm! Die grossten Ereignisse - das sind nicht
unsre lautesten,
sondern unsre stillsten Stunden.
Nicht um die Erfinder von neuem Larme: um die Erfinder von neuen Werthen dreht
sich die Welt;
unhorbar dreht sie sich.
Und gesteh es nur! Wenig war immer nur geschehn, wenn dein Larm und Rauch sich
verzog. Was
liegt daran, dass eine Stadt zur Mumie wurde, und eine Bildsaule im Schlamme
liegt!
Und diess Wort sage ich noch den Umsturzern von Bildsaulen. Das ist wohl die
grosste Thorheit,
Salz in's Meer und Bildsaulen in den Schlamm zu werfen.
Im Schlamme eurer Verachtung lag die Bildsaule: aber das ist gerade ihr Gesetz,
dass ihr aus der
Verachtung wieder Leben und lebende Schonheit wachst!
Mit gottlicheren Zugen steht sie nun auf und leidendverfuhrerisch; und wahrlich!
sie wird euch
noch Dank sagen, dass ihr sie umsturztet, ihr Umsturzer!
Diesen Rath aber rathe ich Konigen und Kirchen und Allem, was alters- und
tugendschwach ist lasst
euch nur umsturzen! Dass ihr wieder zum Leben kommt, und zu euch - die Tugend!
Also
redete ich vor dem Feuerhunde: da unterbrach er mich murrisch und fragte:
``Kirche? Was
ist denn das?''
Kirche? antwortete ich, das ist eine Art von Staat, und zwar die verlogenste.
Doch schweig still,
du Heuchelhund! Du kennst deine Art wohl am besten schon!
Gleich dir selber ist der Staat ein Heuchelhund; gleich dir redet er gern mit
Rauch und Gebrulle, dass
er glauben mache, gleich dir, er rede aus dem Bauch der Dinge.
Denn er will durchaus das wichtigste Thier auf Erden sein, der Staat; und man
glaubt's ihm auch.
-
Als ich das gesagt hatte, gebardete sich der Feuerhund wie unsinnig vor Neid.
``Wie? schrie er,
das wichtigste Thier auf Erden? Und man glaubt's ihm auch?'' Und so viel Dampf
und grassliche
Stimmen kamen ihm aus dem Schlunde, dass ich meinte, er werde vor Arger und Neid
ersticken.
Endlich wurde er stiller, und sein Keuchen liess nach; sobald er aber stille
war, sagte ich lachend:
``Du argerst dich, Feuerhund: also habe ich uber dich Recht!
Und dass ich auch noch Recht behalte, so hore von einem andern Feuerhunde: der
spricht
wirklich aus dem Herzen der Erde.
Gold haucht sein Athem und goldigen Regen: so will's das Herz ihm. Was ist ihm
Asche und
Rauch und heisser Schleim noch!
Lachen flattert aus ihm wie ein buntes Gewolke; abgunstig ist er deinem Gurgeln
und Speien und
Grimmen der Ein- geweide!
Das Gold aber und das Lachen - das nimmt er aus dem Herzen der Erde: denn dass
du's nur
weisst, - das Herz der Erde ist von Gold.''
Als diess der Feuerhund vernahm, hielt er's nicht mehr aus, mir zuzuhoren.
Beschamt zog er
seinen Schwanz ein, sagte auf eine kleinlaute Weise Wau! Wau! und kroch hinab in
seine Hohle. Also
erzahlte Zarathustra. Seine Junger aber horten ihm kaum zu: so gross war ihre
Begierde,
ihm von den Schiffsleuten, den Kaninchen und dem fliegenden Manne zu erzahlen.
``Was soll ich davon denken! sagte Zarathustra. Bin ich denn ein Gespenst?
Aber es wird mein Schatten gewesen sein. Ihr hortet wohl schon Einiges vom
Wanderer und
seinem Schatten?
Sicher aber ist das: ich muss ihn kurzer halten, - er verdirbt mir sonst noch
den Ruf.''
Und nochmals schuttelte Zarathustra den Kopf und wunderte sich. ``Was soll ich
davon denken!''
sagte er nochmals.
``Warum schrie denn das Gespenst: es ist Zeit! Es ist die hochste Zeit!
Wozu ist es denn - hochste Zeit?'' Also
sprach Zarathustra.
Der Wahrsager
``- und ich sahe eine grosse Traurigkeit uber die Menschen kommen. Die Besten
wurden ihrer
Werke mude.
Eine Lehre ergieng, ein Glauben lief neben ihr: ``Alles ist leer, Alles ist
gleich, Alles war!''
Und von allen Hugeln klang es wieder: ``Alles ist leer, Alles ist gleich, Alles
war!''
Wohl haben wir geerntet: aber warum wurden alle Fruchte uns faul und braun? Was
fiel vom
bosen Monde bei der letzten Nacht hernieder?
Umsonst war alle Arbeit, Gift ist unser Wein geworden, boser Blick sengte unsre
Felder und
Herzen gelb.
Trocken wurden wir Alle; und fallt Feuer auf uns, so stauben wir der Asche
gleich: - ja das Feuer
selber machten wir mude.
Alle Brunnen versiegten uns, auch das Meer wich zuruck. Aller Grund will
reissen, aber die Tiefe
will nicht schlingen!
``Ach, wo ist noch ein Meer, in dem man ertrinken konnte'': so klingt unsre
Klage - hinweg uber
flache Sumpfe.
Wahrlich, zum Sterben wurden wir schon zu mude; nun wachen wir noch und leben
fort - in
Grabkammern!'' Also
horte Zarathustra einen Wahrsager reden; und seine Weissagung gieng ihm zu
Herzen und
verwandelte ihn. Traurig gieng er umher und mude; und er wurde Denen gleich, von
welchen der
Wahrsager geredet hatte.
Wahrlich, so sagte er zu seinen Jungern, es ist um ein Kleines, so kommt diese
lange Dammerung.
Ach, wie soll ich mein Licht hinuber retten!
Dass es mir nicht ersticke in dieser Traurigkeit! Ferneren Welten soll es ja
Licht sein und noch
fernsten Nachten!
Dergestalt im Herzen bekummert gieng Zarathustra umher; und drei Tage lang nahm
er nicht
Trank und Speise zu sich, hatte keine Ruhe und verlor die Rede. Endlich geschah
es, dass er in
einen tiefen Schlaf verfiel. Seine junger aber sassen um ihn in langen
Nachtwachen und warteten
mit Sorge, ob er wach werde und wieder rede und genesen sei von seiner Trubsal.
Diess aber ist die Rede, welche Zarathustra sprach, als er aufwachte; seine
Stimme aber kam zu
seinen Jungern wie aus weiter Ferne.
Hort mir doch den Traum, den ich traumte, ihr Freunde, und helft mir seinen Sinn
rathen!
Ein Rathsel ist er mir noch, dieser Traum; sein Sinn ist verborgen in ihm und
eingefangen und
fliegt noch nicht uber ihn hin mit freien Flugeln.
Allem Leben hatte ich abgesagt, so traumte mir. Zum Nacht- und Grabwachter war
ich worden,
dort auf der einsamen Berg-Burg des Todes.
Droben hutete ich seine Sarge: voll standen die dumpfen Gewolbe von solchen
Siegeszeichen.
Aus glasernen Sargen blickte mich uberwundenes Leben an.
Den Geruch verstaubter Ewigkeiten athmete ich: schwul und verstaubt lag meine
Seele. Und wer
hatte dort auch seine Seele luften konnen!
Helle der Mitternacht war immer um mich, Einsamkeit kauerte neben ihr; und,
zudritt, rochelnde
Todesstille, die schlimmste meiner Freundinnen.
Schlussel fuhrte ich, die rostigsten aller Schlussel; und ich verstand es, damit
das knarrendste aller
Thore zu offnen.
Einem bitterbosen Gekrachze gleich lief der Ton durch die langen Gange, wenn
sich des Thores
Flugel hoben: unhold schrie dieser Vogel, ungern wollte er geweckt sein.
Aber furchtbarer noch und herzzuschnurender war es, wenn es wieder schwieg und
rings stille
ward, und ich allein sass in diesem tuckischen Schweigen.
So gieng mir und schlich die Zeit, wenn Zeit es noch gab: was weiss ich davon!
Aber endlich
geschah das, was mich weckte.
Dreimal schlugen Schlage an's Thor, gleich Donnern, es hallten und heulten die
Gewolbe dreimal
wieder: da gieng ich zum Thore.
Alpa! rief ich, wer tragt seine Asche zu Berge? Alpa! Alpa! Wer tragt seine
Asche zu Berge?
Und ich druckte den Schlussel und hob am Thore und muhte mich. Aber noch keinen
Fingerbreit
stand es offen:
Da riss ein brausender Wind seine Flugel auseinander: pfeifend, schrillend und
schneidend warf er
mir einen schwarzen Sarg zu:
Und im Brausen und Pfeifen und Schrillen zerbarst der Sarg und spie
tausendfaltiges Gelachter
aus.
Und aus tausend Fratzen von Kindern, Engeln, Eulen, Narren und kindergrossen
Schmetterlingen
lachte und hohnte und brauste es wider mich.
Grasslich erschrak ich darob: es warf mich nieder. Und ich schrie vor Grausen,
wie nie ich schrie.
Aber der eigne Schrei weckte mich auf: - und ich kam zu mir. Also
erzahlte Zarathustra seinen Traum und schwieg dann: denn er wusste noch nicht
die
Deutung seines Traumes. Aber der junger, den er am meisten lieb hatte, erhob
sich schnell, fasste
die Hand Zarathustra's und sprach:
``Dein Leben selber deutet uns diesen Traum, oh Zarathustra!
Bist du nicht selber der Wind mit schrillem Pfeifen, der den Burgen des Todes
die Thore
aufreisst?
Bist du nicht selber der Sarg voll bunter Bosheiten und Engelsfratzen des
Lebens?
Wahrlich, gleich tausendfaltigem Kindsgelachter kommt Zarathustra in alle
Todtenkammern,
lachend uber diese Nacht- und Grabwachter, und wer sonst mit dustern Schlusseln
rasselt.
Schrecken und umwerfen wirst du sie mit deinem Gelachter; Ohnmacht und
Wachwerden wird
deine Macht uber sie beweisen.
Und auch, wenn die lange Dammerung kommt und die Todesmudigkeit, wirst du an
unserm
Himmel, nicht untergehn, du Fursprecher des Lebens!
Neue Sterne liessest du uns sehen und neue Nachtherrlichkeiten; wahrlich, das
Lachen selber
spanntest du wie ein buntes Gezelt uber uns.
Nun wird immer Kindes-Lachen aus Sargen quellen; nun wird immer siegreich ein
starker Wind
kommen aller Todesmudigkeit: dessen bist du uns selber Burge und Wahrsager!
Wahrlich, sie selber traumtest du, deine Feinde: das war dein schwerster Traum!
Aber wie du von ihnen aufwachtest und zu dir kamst, also sollen sie selber von
sich aufwachen und
zu dir kommen!'' So
sprach der junger; und alle Anderen drangten sich nun um Zarathustra und
ergriffen ihn bei
den Handen und wollten ihn bereden, dass er vom Bette und von der Traurigkeit
lasse und zu
ihnen zuruckkehre. Zarathustra aber sass aufgerichtet auf seinem Lager, und mit
fremdem Blicke.
Gleichwie Einer, der aus langer Fremde heimkehrt, sah er auf seine Junger und
prufte ihre
Gesichter; und noch erkannte er sie nicht. Als sie aber ihn hoben und auf die
Fusse stellten, siehe,
da verwandelte sich mit Einem Male sein Auge; er begriff Alles, was geschehen
war, strich sich
den Bart und sagte mit starker Stimme:
``Wohlan! Diess nun hat seine Zeit; sorgt mir aber dafur, meine junger, dass wir
eine gute
Mahlzeit machen, und in Kurze! Also gedenke ich Busse zu thun fur schlimme
Traume!
Der Wahrsager aber soll an meiner Seite essen und trinken: und wahrlich, ich
will ihm noch ein
Meer zeigen, in dem er ertrinken kann!''
Also sprach Zarathustra. Darauf aber blickte er dem junger, welcher den
Traumdeuter abgegeben
hatte, lange in's Gesicht und schuttelte dabei den Kopf.
Von der Erlosung
Als Zarathustra eines Tags uber die grosse Brucke gieng, umringten ihn die
Kruppel und Bettler,
und ein Bucklichter redete also zu ihm:
``Siehe, Zarathustra! Auch das Volk lernt von dir und gewinnt Glauben an deine
Lehre: aber dass
es ganz dir glauben soll, dazu bedarf es noch Eines - du musst erst noch uns
Kruppel uberreden!
Hier hast du nun eine schone Auswahl und wahrlich, eine Gelegenheit mit mehr als
Einem
Schopfe! Blinde kannst du heilen und Lahme laufen machen; und Dem, der zuviel
hinter sich hat,
konntest du wohl auch ein Wenig abnehmen: - das, meine ich, ware die rechte Art,
die Kruppel an
Zarathustra glauben zu machen!''
Zarathustra aber erwiderte Dem, der da redete, also: ``Wenn man dem Bucklichten
seinen Buckel
nimmt, so nimmt man ihm seinen Geist - also lehrt das Volk. Und wenn man dem
Blinden seine
Augen giebt, so sieht er zuviel schlimme Dinge auf Erden: also dass er Den
verflucht, der ihn
heilte. Der aber, welcher den Lahmen laufen macht, der thut ihm den grossten
Schaden an: denn
kaum kann er laufen, so gehn seine Laster mit ihm durch - also lehrt das Volk
uber Kruppel. Und
warum sollte Zarathustra nicht auch vom Volke lernen, wenn das Volk von
Zarathustra lernt?
Das ist mir aber das Geringste, seit ich unter Menschen bin, dass ich sehe:
``Diesem fehlt ein
Auge und jenem ein Ohr und einem Dritten das Bein, und Andre giebt es, die
verloren die Zunge
oder die Nase oder den Kopf.''
Ich sehe und sah Schlimmeres und mancherlei so Abscheuliches, dass ich nicht von
Jeglichem
reden und von Einigem nicht einmal schweigen mochte: namlich Menschen, denen es
an Allem
fehlt, ausser dass sie Eins zuviel haben - Menschen, welche Nichts weiter sind
als ein grosses
Auge, oder ein grosses Maul oder ein grosser Bauch oder irgend etwas Grosses, -
umgekehrte
Kruppel heisse ich Solche.
Und als ich aus meiner Einsamkeit kam und zum ersten Male uber diese Brucke
gieng: da traute
ich meinen Augen nicht und sah hin, und wieder hin, und sagte endlich: ``das ist
ein Ohr! Ein Ohr,
so gross wie ein Mensch!'' Ich sah noch besser hin: und wirklich, unter dem Ohre
bewegte sich
noch Etwas, das zum Erbarmen klein und armlich und schmachtig war. Und
wahrhaftig, das
ungeheure Ohr sass auf einem kleinen dunnen Stiele, - der Stiel aber war ein
Mensch! Wer ein
Glas vor das Auge nahm, konnte sogar noch ein kleines neidisches Gesichtchen
erkennen; auch,
dass ein gedunsenes Seelchen am Stiele baumelte. Das Volk sagte mir aber, das
grosse Ohr sei
nicht nur ein Mensch, sondern ein grosser Mensch, ein Genie. Aber ich glaubte
dem Volke
niemals, wenn es von grossen Menschen redete - und behielt meinen Glauben bei,
dass es ein
umgekehrter Kruppel sei, der an Allem zu wenig und an Einem zu viel habe.''
Als Zarathustra so zu dem Bucklichten geredet hatte und zu Denen, welchen er
Mundstuck und
Fursprecher war, wandte er sich mit tiefem Unmuthe zu seinen Jungern und sagte:
``Wahrlich, meine Freunde, ich wandle unter den Menschen wie unter den
Bruchstucken und
Gliedmaassen von Menschen!
Diess ist meinem Auge das Furchterliche, dass ich den Menschen zertrummert finde
und
zerstreuet wie uber ein Schlacht- und Schlachterfeld hin.
Und fluchtet mein Auge vom Jetzt zum Ehemals: es findet immer das Gleiche:
Bruchstucke und
Gliedmaassen und grause Zufalle - aber keine Menschen!
Das jetzt und das Ehemals auf Erden - ach! meine Freunde - das, ist mein
Unertraglichstes; und
ich wusste nicht zu leben, wenn ich nicht noch ein Seher ware, dessen, was
kommen muss.
Ein Seher, ein Wollender, ein Schaffender, eine Zukunft selber und eine Brucke
zur Zukunft - und
ach, auch noch gleichsam ein Kruppel an dieser Brucke: das Alles ist
Zarathustra.
Und auch ihr fragtet euch oft: ``wer ist uns Zarathustra? Wie soll er uns
heissen?'' Und gleich mir
selber gabt ihr euch Fragen zur Antwort.
Ist er ein Versprechender? Oder ein Erfuller? Ein Erobernder? Oder ein Erbender?
Ein Herbst?
Oder eine Pflugschar? Ein Arzt? Oder ein Genesener?
Ist er ein Dichter? Oder ein Wahrhaftiger? Ein Befreier? Oder ein Bandiger? Ein
Guter? Oder ein
Boser?
Ich wandle unter Menschen als den Bruchstucken der Zukunft: jener Zukunft, die
ich schaue.
Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und
zusammentragen was
Bruchstuck ist und Rathsel und grauser Zufall.
Und wie ertruge ich es, Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch Dichter und
Rathselrather
und der Erloser des Zufalls ware!
Die Vergangnen zu erlosen und alles ``Es war'' umzuschauen in ein ``So wollte
ich es!'' - das
hiesse mir erst Erlosung!
Wille - so heisst der Befreier und Freudebringer: also lehrte ich euch, meine
Freunde! Und nun
lernt diess hinzu: der Wille selber ist noch ein Gefangener.
Wollen befreit: aber wie heisst Das, was auch den Befreier noch in Ketten
schlagt?
``Es war'': also heisst des Willens Zahneknirschen und einsamste Trubsal.
Ohnmachtig gegen Das,
was gethan ist - ist er allem Vergangenen ein boser Zuschauer.
Nicht zuruck kann der Wille wollen; dass er die Zeit nicht brechen kann und der
Zeit Begierde, das
ist des Willens einsamste Trubsal.
Wollen befreit: was ersinnt sich das Wollen selber, dass es los seiner Trubsal
werde und seines
Kerkers spotte?
Ach, ein Narr wird jeder Gefangene! Narrisch erlost sich auch der gefangene
Wille.
Dass die Zeit nicht zurucklauft, das ist sein Ingrimm; ``Das, was war'' - so
heisst der Stein, den er
nicht walzen kann.
Und so walzt er Steine aus Ingrimm und Unmuth und ubt Rache an dem, was nicht
gleich ihm
Grimm und Unmuth fuhlt.
Also wurde der Wille, der Befreier, ein Wehethater: und an Allem, was leiden
kann, nimmt er
Rache dafur, dass er nicht zuruck kann.
Diess, ja diess allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit
und ihr ``Es war.''
Wahrlich, eine grosse Narrheit wohnt in unserm Willen; und zum Fluche wurde es
allem
Menschlichen, dass diese Narrheit Geist lernte!
Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes
Nachdenken; und wo
Leid war, da sollte immer Strafe sein.
``Strafe'' namlich, so heisst sich die Rache selber: mit einem Lugenwort
heuchelt sie sich ein gutes
Gewissen.
Und weil im Wollenden selber Leid ist, darob dass es nicht zuruck wollen kann, -
also sollte
Wollen selber und alles Leben - Strafe sein!
Und nun walzte sich Wolke auf Wolke uber den Geist: bis endlich der Wahnsinn
predigte: ``Alles
vergeht, darum ist Alles werth zu vergehn!''
``Und diess ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre
Kinder fressen muss'': also
predigte der Wahnsinn.
``Sittlich sind die Dinge geordnet nach Recht und Strafe. Oh wo ist die Erlosung
vom Fluss der
Dinge und der Strafe Dasein''? Also predigte der Wahnsinn.
``Kann es Erlosung geben, wenn es ein ewiges Recht giebt? Ach, unwalzbar ist der
Stein ``Es
war'': ewig mussen auch alle Strafen sein!'' Also predigte der Wahnsinn.
``Keine That kann vernichtet werden: wie konnte sie durch die Strafe ungethan
werden! Diess,
diess ist das Ewige an der Strafe ``Dasein'', dass das Dasein auch ewig wieder
That und Schuld
sein muss!
``Es sei denn, dass der Wille endlich sich selber erloste und Wollen zu
Nicht-Wollen wurde -'':
doch ihr kennt, meine Bruder, diess Fabellied des Wahnsinns!
Weg fuhrte ich euch von diesen Fabelliedern, als ich euch lehrte: ``der Wille
ist ein Schaffender.''
Alles ``Es war'' ist ein Bruchstuck, ein Rathsel, ein grauser Zufall - bis der
schaffende Wille dazu
sagt: aber so wollte ich es!''
Bis der schaffende Wille dazu sagt: ``Aber so will ich es! So werde ich's
wollen!''
Aber sprach er schon so? Und wann geschieht diess? Ist der Wille schon
abgeschirrt von seiner
eignen Thorheit?
Wurde der Wille sich selber schon Erloser und Freudebringer? Verlernte er den
Geist der Rache
und alles Zahneknirschen?
Und wer lehrte ihn Versohnung mit der Zeit, und Hoheres als alle Versohnung ist?
Hoheres als alle Versohnung muss der Wille wollen, welcher der Wille zur Macht
ist -: doch wie
geschieht ihm das? Wer lehrte ihn auch noch das Zuruckwollen?''
-Aber an dieser Stelle seiner Rede geschah es, dass Zarathustra plotzlich
innehielt und ganz
einem Solchen gleich sah, der auf das Ausserste erschrickt. Mit erschrecktem
Auge blickte er auf
seine Junger; sein Auge durchbohrte wie mit Pfeilen ihre Gedanken und
Hintergedanken. Aber
nach einer kleinen Weile lachte er schon wieder und sagte begutigt:
``Es ist schwer, mit Menschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist. Sonderlich
fur einen
Geschwatzigen.'' Also
sprach Zarathustra. Der Bucklichte aber hatte dem Gesprache zugehort und sein
Gesicht
dabei bedeckt; als er aber Zarathustra lachen horte, blickte er neugierig auf
und sagte langsam:
``Aber warum redet Zarathustra anders zu uns als zu seinen Jungern?''
Zarathustra antwortete: ``Was ist da zum Verwundern! Mit Bucklichten darf man
schon bucklicht
reden!''
``Gut, sagte der Bucklichte; und mit Schulern darf man schon aus der Schule
schwatzen.
Aber warum redet Zarathustra anders zu seinen Schulern - als zu sich selber?''
Von
der Menschen-Klugheit
Nicht die Hohe: der Abhang ist das Furchtbare!
Der Abhang, wo der Blick hinunter sturzt und die Hand hinauf greift. Da
schwindelt dem Herzen
vor seinem doppelten Willen.
Ach, Freunde, errathet ihr wohl auch meines Herzens doppelten Willen?
Das, Das ist mein Abhang und meine Gefahr, dass mein Blick in die Hohe sturzt,
und dass meine
Hand sich halten und stutzen mochte - an der Tiefe!
An den Menschen klammert sich mein Wille, mit Ketten binde ich mich an den
Menschen, weil es
mich hinauf reisst zum Obermenschen: denn dahin will mein andrer Wille.
Und dazu lebe ich blind unter den Menschen; gleich als ob ich sie nicht kennte:
dass meine Hand
ihren Glauben an Festes nicht ganz verliere.
Ich kenne euch Menschen nicht: diese Finsterniss und Trostung ist oft um mich
gebreitet.
Ich sitze am Thorwege fur jeden Schelm und frage: wer will mich betrugen?
Das ist meine erste Menschen-Klugheit, dass ich mich betrugen lasse, um nicht
auf der Hut zu
sein vor Betrugern.
Ach, wenn ich auf der Hut ware vor dem Menschen: wie konnte meinem Balle der
Mensch ein
Anker sein! Zu leicht risse es mich hinauf und hinweg!
Diese Vorsehung ist uber meinem Schicksal, dass ich ohne Vorsicht sein muss.
Und wer unter Menschen nicht verschmachten will, muss lernen, aus allen Glasern
zu trinken; und
wer unter Menschen rein bleiben will, muss verstehn, sich auch mit schmutzigem
Wasser zu
waschen.
Und also sprach ich oft mir zum Troste: ``Wohlan! Wohlauf! Altes Herz! Ein
Ungluck missrieth
dir: geniesse diess als dein - Gluck!''
Diess aber ist meine andre Menschen-Klugheit: ich schone die Eitlen mehr als die
Stolzen.
Ist nicht verletzte Eitelkeit die Mutter aller Trauerspiele? Wo aber Stolz
verletzt wird, da wachst
wohl etwas Besseres noch, als Stolz ist.
Damit das Leben gut anzuschaun sei, muss sein Spiel gut gespielt werden: dazu
aber bedarf es
guter Schauspieler.
Gute Schauspieler fand ich alle Eitlen: sie spielen und wollen, dass ihnen gern
zugeschaut werde,
-all ihr Geist ist bei diesem Willen.
Sie fuhren sich auf, sie erfinden sich; in ihrer Nahe liebe ich's, dem Leben
zuzuschaun, - es heilt
von der Schwermuth.
Darum schone ich die Eitlen, weil sie mir Arzte sind meiner Schwermuth und mich
am Menschen
fest halten als an einem Schauspiele.
Und dann: wer ermisst am Eitlen die ganze Tiefe seiner Bescheidenheit! Ich bin
ihm gut und
mitleidig ob seiner Bescheidenheit.
Von euch will er seinen Glauben an sich lernen; er nahrt sich an euren Blicken,
er frisst das Lob
aus euren Handen.
Euren Lugen glaubt er noch, wenn ihr gut uber ihn lugt: denn im Tiefsten seufzt
sein Herz: was
bin ich!''
Und wenn das die rechte Tugend ist, die nicht um sich selber weiss: nun, der
Eitle weiss nicht um
seine Bescheidenheit! -
Das ist aber meine dritte Menschen-Klugheit, dass ich mir den Anblick der Bosen
nicht verleiden
lasse durch eure Furchtsamkeit.
Ich bin selig, die Wunder zu sehn, welche heisse Sonne ausbrutet: Tiger und
Palmen und
Klapperschlangen.
Auch unter Menschen giebt es schone Brut heisser Sonne und viel Wunderwurdiges
an den
Bosen.
Zwar, wie eure Weisesten mir nicht gar so weise erschienen: so fand ich auch der
Menschen
Bosheit unter ihrem Rufe.
Und oft fragte ich mit Kopfschutteln: Warum noch klappern, ihr Klapperschlangen?
Wahrlich, es giebt auch fur das Bose noch eine Zukunft! Und der heisseste Suden
ist noch nicht
entdeckt fur den Menschen.
Wie Manches heisst jetzt schon argste Bosheit, was doch nur zwolf Schuhe breit
und drei Monate
lang ist! Einst aber werden grossere Drachen zur Welt kommen.
Denn dass dem Ubermenschen sein Drache nicht fehle, der Uber-Drache, der seiner
wurdig ist:
dazu muss viel heisse Sonne noch auf feuchten Urwald gluhen!
Aus euren Wildkatzen mussen erst Tiger geworden sein und aus euren Giftkroten
Krokodile:
denn der gute Jager soll eine gute Jagd haben!
Und wahrlich, ihr Guten und Gerechten! An euch ist Viel zum Lachen und zumal
eure Furcht vor
dem, was bisher ``Teufel'' hiess!
So fremd seid ihr dem Grossen mit eurer Seele, dass euch der Ubermensch
furchtbar sein wurde
in seiner Gute!
Und ihr Weisen und Wissenden, ihr wurdet vor dem Sonnenbrande der Weisheit
fluchten, in dem
der Ubermensch mit Lust seine Nacktheit badet!
Ihr hochsten Menschen, denen mein Auge begegnete! das ist mein Zweifel an euch
und mein
heimliches Lachen: ich rathe, ihr wurdet meinen Ubermenschen - Teufel heissen!
Ach, ich ward dieser Hochsten und Besten mude: aus ihrer ``Hohe'' verlangte mich
hinauf, hinaus,
hinweg zu dem Ubermenschen!
Ein Grausen uberfiel mich, als ich diese Besten nackend sah: da wuchsen mir die
Flugel,
fortzuschweben in ferne Zukunfte.
In fernere Zukunfte, in sudlichere Suden, als je ein Bildner traumte: dorthin,
wo Gotter sich aller
Kleider schamen!
Aber verkleidet will ich euch sehn, ihr Nachsten und Mitmenschen, und gut
geputzt, und eitel,
und wurdig, als ``die Guten und Gerechten,'' -
Und verkleidet will ich selber unter euch sitzen, - dass ich euch und mich
verkenne: das ist
namlich meine letzte Menschen-Klugheit.
Also sprach Zarathustra.
Die stillste Stunde
Was geschah mir, meine Freunde? Ihr seht mich verstort, fortgetrieben,
unwillig-folgsam, bereit
zu gehen - ach, von euch fortzugehen!
Ja, noch Ein Mal muss Zarathustra in seine Einsamkeit: aber unlustig geht
diessmal der Bar
zuruck in seine Hohle!
Was geschah mir? Wer gebeut diess? - Ach, meine zornige Herrin will es so, sie
sprach zu mir:
nannte ich je euch schon ihren Namen?
Gestern gen Abend sprach zu mir meine stillste Stunde: das ist der Name meiner
furchtbaren
Herrin.
Und so geschah's, - denn Alles muss ich euch sagen, dass euer Herz sich nicht
verharte gegen den
plotzlich Scheidenden!
Kennt ihr den Schrecken des Einschlafenden? -
Bis in die Zehen hinein erschrickt er, darob, dass ihm der Boden weicht und der
Traum beginnt.
Dieses sage ich euch zum Gleichniss. Gestern, zur stillsten Stunde, wich mir der
Boden: der
Traum begann.
Der Zeiger ruckte, die Uhr meines Lebens holte Athem - nie horte ich solche
Stille um mich: also
dass mein Herz erschrak.
Dann sprach es ohne Stimme zu mir: ``Du weisst es, Zarathustra?'' -
Und ich schrie vor Schrecken bei diesem Flustern, und das Blut wich aus meinem
Gesichte: aber
ich schwieg.
Da sprach es abermals ohne Stimme zu mir: ``Du weisst es, Zarathustra, aber du
redest es nicht!''
-
Und ich antwortete endlich gleich einem Trotzigen: ``Ja, ich weiss es, aber ich
will es nicht
reden!''
Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ``Du willst nicht, Zarathustra? Ist
diess auch wahr?
Verstecke dich nicht in deinen Trotz!'' -
Und ich weinte und zitterte wie ein Kind und sprach: ``Ach, ich wollte schon,
aber wie kann ich
es! Erlass mir diess nur! Es ist uber meine Kraft!''
Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ``Was liegt an dir, Zarathustra! Sprich
dein Wort und
zerbrich!'' -
Und ich antwortete: ``Ach, ist es mein Wort? Wer bin ich? Ich warte des
Wurdigeren; ich bin
nicht werth, an ihm auch nur zu zerbrechen.''
Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ``Was liegt an dir? Du bist mir noch
nicht demuthig
genug. Die Demuth hat das harteste Fell.'' -
Und ich antwortete: ``Was trug nicht schon das Fell meiner Demuth! Am Fusse
wohne ich meiner
Hohe: wie hoch meine Gipfel sind? Niemand sagte es mir noch. Aber gut kenne ich
meine
Thaler.''
Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ``Oh Zarathustra, wer Berge zu versetzen
hat, der
versetzt auch Thaler und Niederungen.'' -
Und ich antwortete: ``Noch versetzte mein Wort keine Berge, und was ich redete,
erreichte die
Menschen nicht. Ich gieng wohl zu den Menschen, aber noch langte ich nicht bei
ihnen an.''
Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ``Was weisst du davon! Der Thau fallt
auf das Gras,
wenn die Nacht am verschwiegensten ist.'' -
Und ich antwortete: ``sie verspotteten mich, als ich meinen eigenen Weg fand und
gieng; und in
Wahrheit zitterten damals meine Fusse.
Und so sprachen sie zu mir: du verlerntest den Weg, nun verlernst du auch das
Gehen!''
Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ``Was liegt an ihrem Spotte! Du bist
Einer, der das
Gehorchen verlernt hat: nun sollst du befehlen!
Weisst du nicht, wer Allen am nothigsten thut? Der Grosses befiehlt.
Grosses vollfuhren ist schwer: aber das Schwerere ist, Grosses befehlen.
Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht
herrschen.'' -
Und ich antwortete: ``Mir fehlt des Lowen Stimme zu allem Befehlen.''
Da sprach es wieder wie ein Flustern zu mir: ``Die stillsten Worte sind es,
welche den Sturm
bringen. Gedanken, die mit Taubenfussen kommen, lenken die Welt.
Oh Zarathustra, du sollst gehen als ein Schatten dessen, was kommen muss: so
wirst du befehlen
und befehlend vorangehen.'' -
Und ich antwortete: ``Ich schame mich.''
Da sprach es wieder ohne Stimme zu mir: ``Du musst noch Kind werden und ohne
Scham.
Der Stolz der Jugend ist noch auf dir, spat bist du jung geworden: aber wer zum
Kinde werden
will, muss auch noch seine Jugend uberwinden.'' -
Und ich besann mich lange und zitterte. Endlich aber sagte ich, was ich zuerst
sagte: ``Ich will
nicht.''
Da geschah ein Lachen um mich. Wehe, wie diess Lachen mir die Eingeweide zerriss
und das
Herz aufschlitzte!
Und es sprach zum letzten Male zu mir: ``Oh Zarathustra, deine Fruchte sind
reif, aber du bist
nicht reif fur deine Fruchte!
So musst du wieder in die Einsamkeit: denn du sollst noch murbe werden.'' -
Und wieder lachte es und floh: dann wurde es stille um mich wie mit einer
zwiefachen Stille. Ich
aber lag am Boden, und der Schweiss floss mir von den Gliedern.
-Nun hortet ihr Alles, und warum ich in meine Einsamkeit zuruck muss. Nichts
verschwieg ich
euch, meine Freunde.
Aber auch diess hortet ihr von mir, wer immer noch aller Menschen
Verschwiegenster ist - und es
sein will!
Ach meine Freunde! Ich hatte euch noch Etwas zu sagen, ich hatte euch noch Etwas
zu geben!
Warum gebe ich es nicht? Bin ich denn geizig?'' -
Als Zarathustra aber diese Worte gesprochen hatte, uberfiel ihn die Gewalt des
Schmerzes und
die Nahe des Abschieds von seinen Freunden, also dass er laut weinte; und
Niemand wusste ihn
zu trosten. Des Nachts aber gieng er allein fort und verliess seine Freunde.
Dritter Theil
``Ihr seht nach Oben, wenn ihr nach Erhebung verlangt. Und ich sehe hinab, weil
ich erhoben bin.
Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?
Wer auf den hochsten Bergen steigt, der lacht uber alle Trauer-Spiele und
Trauer-Ernste.''
Der Wanderer
Um Mitternacht war es, da nahm Zarathustra seinen Weg uber den Rucken der Insel,
dass er mit
dem fruhen Morgen an das andre Gestade kame: denn dort wollte er zu Schiff
steigen. Es gab
namlich allda eine gute Rhede, an der auch fremde Schiffe gern vor Anker
giengen; die nahmen
Manchen mit sich, der von den gluckseligen Inseln uber das Meer wollte. Als nun
Zarathustra so
den Berg hinanstieg, gedachte er unterwegs des vielen einsamen Wanderns von
Jugend an, und
wie viele Berge und Rucken und Gipfel er schon gestiegen sei.
Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger, sagte er zu seinem Herzen, ich liebe
die Ebenen nicht
und es scheint, ich kann nicht lange still sitzen.
Und was mir nun auch noch als Schicksal und Erlebniss komme, - ein Wandern wird
darin sein
und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur noch sich selber.
Die Zeit ist abgeflossen, wo mir noch Zufalle begegnen durften; und was konnte
jetzt noch zu mir
fallen, was nicht schon mein Eigen ware!
Es kehrt nur zuruck, es kommt mir endlich heim - mein eigen Selbst, und was von
ihm lange in
der Fremde war und zerstreut unter alle Dinge und Zufalle.
Und noch Eins weiss ich: ich stehe jetzt vor meinem letzten Gipfel und vor dem,
was mir am
langsten aufgespart war. Ach, meinen hartesten Weg muss ich hinan! Ach, ich
begann meine
einsamste Wanderung!
Wer aber meiner Art ist, der entgeht einer solchen Stunde nicht: der Stunde, die
zu ihm redet:
``Jetzo erst gehst du deinen Weg der Grosse! Gipfel und Abgrund - das ist jetzt
in Eins
beschlossen!
Du gehst deinen Weg der Grosse: nun ist deine letzte Zuflucht worden, was bisher
deine letzte
Gefahr hiess!
Du gehst deinen Weg der Grosse: das muss nun dein bester Muth sein, dass es
hinter dir keinen
Weg mehr giebt!
Du gehst deinen Weg der Grosse; hier soll dir Keiner nachschleichen! Dein Fuss
selber loschte
hinter dir den Weg aus, und uber ihm steht geschrieben: Unmoglichkeit.
Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch auf deinen
eigenen Kopf
zu steigen: wie wolltest du anders aufwarts steigen?
Auf deinen eigenen Kopf und hinweg uber dein eigenes Herz! Jetzt muss das
Mildeste an dir noch
zum Hartesten werden.
Wer sich stets viel geschont hat, der krankelt zuletzt an seiner vielen
Schonung. Gelobt sei, was
hart macht! Ich lobe das Land nicht, wo Butter und Honig - fliesst!
Von sich absehn lernen ist nothig, um Viel zu sehn: - diese Harte thut jedem
Berge-Steigenden
Noth.
Wer aber mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der von allen
Dingen mehr als
ihre vorderen Grunde sehn!
Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schaun und Hintergrund: so
musst du schon
uber dich selber steigen, - hinan, hinauf, bis du auch deine Sterne noch unter
dir hast!
Ja! Hinab auf mich selber sehn und noch auf meine Sterne: das erst hiesse mir
mein Gipfel, das
blieb mir noch zuruck als mein letzter Gipfel! Also
sprach Zarathustra im Steigen zu sich, mit harten Spruchlein sein Herz trostend:
denn er war
wund am Herzen wie noch niemals zuvor. Und als er auf die Hohe des Bergruckens
kam, siehe,
da lag das andere Meer vor ihm ausgebreitet: und er stand still und schwieg
lange. Die Nacht aber
war kalt in dieser Hohe und klar und hellgestirnt.
Ich erkenne mein Loos, sagte er endlich mit Trauer. Wohlan! Ich bin bereit. Eben
begann meine
letzte Einsamkeit.
Ach, diese schwarze traurige See unter mir! Ach, diese schwangere nachtliche
Verdrossenheit!
Ach, Schicksal und See! Zu euch muss ich nun hinab steigen!
Vor meinem hochsten Berge stehe ich und vor meiner langsten Wanderung: darum
muss ich erst
tiefer hinab als ich jemals stieg:
-tiefer hinab in den Schmerz als ich jemals stieg, bis hinein in seine
schwarzeste Fluth! So will es
mein Schicksal: Wohlan! Ich bin bereit.
Woher kommen die hochsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, dass sie
aus dem Meere
kommen.
Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wande ihrer Gipfel. Aus
dem Tiefsten
muss das Hochste zu seiner Hohe kommen. Also
sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; als er aber in die
Nahe des
Meeres kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da war er unterwegs mude
geworden und
sehnsuchtiger als noch zuvor.
Es schlaft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schlaft. Schlaftrunken und
fremd blickt sein
Auge nach mir.
Aber es athmet warm, das fuhle ich. Und ich fuhle auch, dass es traumt. Es
windet sieh traumend
auf harten Kissen.
Horch! Horch! Wie es stohnt von bosen Erinnerungen! Oder bosen Erwartungen?
Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Ungeheuer, und mir selber noch gram um
deinetwillen.
Ach, dass meine Hand nicht Starke genug hat! Gerne, wahrlich, mochte ich dich
von bosen
Traumen erlosen!
Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und Bitterkeit uber
sich selber.
``Wie! Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost singen?
Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Vertrauens-Uberseliger! Aber so warst
du immer: immer
kamst du vertraulich zu allem Furchtbaren.
Jedes Ungethum wolltest du noch streicheln. Ein Hauch warmen Athems, ein Wenig
weiches
Gezottel an der Tatze -: und gleich warst du bereit, es zu lieben und zu locken.
Die Liebe ist die Gefahr des Einsamsten, die Liebe zu Allem, wenn es nur lebt!
Zum Lachen ist
wahrlich meine Narrheit und meine Bescheidenheit in der Liebe!'' Also
sprach Zarathustra und lachte dabei zum andern Male: da aber gedachte er seiner
verlassenen Freunde -, und wie als ob er sich mit seinen Gedanken an ihnen
vergangen habe,
zurnte er sich ob seiner Gedanken. Und alsbald geschah es, dass der Lachende
weinte: - vor Zorn
und Sehnsucht weinte Zarathustra bitterlich.
Vom Gesicht und Rathsel
1
Als es unter den Schiffsleuten ruchbar wurde, dass Zarathustra auf dem Schiffe
sei, - denn es war
ein Mann zugleich mit ihm an Bord gegangen, der von den gluckseligen Inseln kam
- da entstand
eine grosse Neugierde und Erwartung. Aber Zarathustra schwieg zwei Tage und war
kalt und
taub vor Traurigkeit, also, dass er weder auf Blicke noch auf Fragen antwortete.
Am Abende aber
des zweiten Tages that er seine Ohren wieder auf, ob er gleich noch schwieg:
denn es gab viel
Seltsames und Gefahrliches auf diesem Schiffe anzuhoren, welches weither kam und
noch
weiterhin wollte. Zarathustra aber war ein Freund aller Solchen, die weite
Reisen thun und nicht
ohne Gefahr leben mogen. Und siehe! zuletzt wurde ihm im Zuhoren die eigne Zunge
gelost, und
das Eis seines Herzens brach: - da begann er also zu reden:
Euch, den kuhnen Suchern, Versuchern, und wer je sich mit listigen Segeln auf
furchtbare Meere
einschiffte, euch,
den Rathsel-Trunkenen, den Zwielicht-Frohen, deren Seele mit Floten zu jedem
Irr-
Schlunde gelockt wird:
-denn nicht wollt ihr mit feiger Hand einem Faden nachtasten; und, wo ihr
errathen konnt, da
hasst ihr es, zu erschliessen euch
allein erzahle ich das Rathsel, das ich sah, - das Gesicht des Einsamsten. -
Duster gierig ich jungst durch leichenfarbne Dammerung, - duster und hart, mit
gepressten
Lippen. Nicht nur Eine Sonne war mir untergegangen.
Ein Pfad, der trotzig durch Geroll stieg, ein boshafter, einsamer, dem nicht
Kraut, nicht Strauch
mehr zusprach: ein Bergpfad knirschte unter dem Trotz meines Fusses.
Stumm uber hohnischem Geklirr von Kieseln schreitend, den Stein zertretend, der
ihn gleiten
liess: also zwang mein Fuss sich aufwarts.
Aufwarts: - dem Geiste zum Trotz, der ihn abwarts zog, abgrundwarts zog, dem
Geiste der
Schwere, meinem Teufel und Erzfeinde.
Aufwarts: - obwohl er auf mir sass, halb Zwerg, halb Maulwurf; lahm; lahmend;
Blei durch mein
Ohr, Bleitropfen-Gedanken in mein Hirn traufelnd.
``Oh Zarathustra, raunte er hohnisch Silb' um Silbe, du Stein der Weisheit! Du
warfst dich hoch,
aber jeder geworfene Stein muss - fallen!
Oh Zarathustra, du Stein der Weisheit, du Schleuderstein, du Stern-Zertrummerer!
Dich selber
warfst du so hoch, - aber jeder geworfene Stein - muss fallen!
Verurtheilt zu dir selber und zur eignen Steinigung: oh Zarathustra, weit warfst
du ja den Stein, aber
auf dich wird er zuruckfallen!''
Drauf schwieg der Zwerg; und das wahrte lange. Sein Schweigen aber druckte mich;
und
solchermaassen zu Zwein ist man wahrlich einsamer als zu Einem!
Ich stieg, ich stieg, ich traumte, ich dachte, - aber Alles druckte mich. Einem
Kranken glich ich,
den seine schlimme Marter mude macht, und den wieder ein schlimmerer Traum aus
dem
Einschlafen weckt. -
Aber es giebt Etwas in mir, das ich Muth heisse: das schlug bisher mir jeden
Unmuth todt. Dieser
Muth hiess mich endlich stille stehn und sprechen: ``Zwerg! Du! Oder ich!'' -
Muth namlich ist der beste Todtschlager, - Muth, welcher angreift : denn in
jedem Angriffe ist
klingendes Spiel.
Der Mensch aber ist das muthigste Thier: damit uberwand er jedes Thier. Mit
klingendem Spiele
uberwand er noch jeden Schmerz; Menschen-Schmerz aber ist der tiefste Schmerz.
Der Muth schlagt auch den Schwindel todt an Abgrunden: und wo stunde der Mensch
nicht an
Abgrunden! Ist Sehen nicht selber - Abgrunde sehen?
Muth ist der beste Todtschlager: der Muth schlagt auch das Mitleiden todt.
Mitleiden aber ist der
tiefste Abgrund: so tief der Mensch in das Leben sieht, so tief sieht er auch in
das Leiden.
Muth aber ist der beste Todtschlager, Muth, der angreift: der schlagt noch den
Tod todt, denn er
spricht: ``War das das Leben? Wohlan! Noch Ein Mal!''
In solchem Spruche aber ist viel klingendes Spiel. Wer Ohren hat, der hore. 2
``Halt! Zwerg! sprach ich. Ich! Oder du! Ich aber bin der Starkere von uns
Beiden -: du kennst
meinen abgrundlichen Gedanken nicht! Den - konntest du nicht tragen!'' Da
geschah, was mich leichter machte: denn der Zwerg sprang mir von der Schulter,
der
Neugierige! Und er hockte sich auf einen Stein vor mich hin. Es war aber gerade
da ein Thorweg,
wo wir hielten.
``Siehe diesen Thorweg! Zwerg! sprach ich weiter: der hat zwei Gesichter. Zwei
Wege kommen
hier zusammen: die gieng noch Niemand zu Ende.
Diese lange Gasse zuruck: die wahrt eine Ewigkeit. Und jene lange Gasse hinaus -
das ist eine
andre Ewigkeit.
Sie widersprechen sich, diese Wege; sie stossen sich gerade vor den Kopf: - und
hier, an diesem
Thorwege, ist es, wo sie zusammen kommen. Der Name des Thorwegs steht oben
geschrieben:
``Augenblick''.
Aber wer Einen von ihnen weiter gienge - und immer weiter und immer ferner:
glaubst du,
Zwerg, dass diese Wege sich ewig widersprechen?'' ``
Alles Gerade lugt, murmelte verachtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist krumm, die
Zeit selber ist
ein Kreis.''
``Du Geist der Schwere! sprach ich zurnend, mache dir es nicht zu leicht! Oder
ich lasse dich
hocken, wo du hockst, Lahmfuss, - und ich trug dich hoch!
Siehe, sprach ich weiter, diesen Augenblick! Von diesem Thorwege Augenblick
lauft eine lange
ewige Gasse ruckwarts hinter uns liegt eine Ewigkeit.
Muss nicht, was laufen kann von allen Dingen, schon einmal diese Gasse gelaufen
sein? Muss
nicht, was geschehn kann von allen Dingen, schon einmal geschehn, gethan,
vorubergelaufen
sein?
Und wenn Alles schon dagewesen ist: was haltst du Zwerg von diesem Augenblick?
Muss auch
dieser Thorweg nicht schon - dagewesen sein?
Und sind nicht solchermaassen fest alle Dinge verknotet, dass dieser Augenblick
alle kommenden
Dinge nach sich zieht? Also - - sich selber noch?
Denn, was laufen kann von allen Dingen: auch in dieser langen Gasse hinaus -
muss es einmal
noch laufen! -
Und diese langsame Spinne, die im Mondscheine kriecht, und dieser Mondschein
selber, und ich
und du im Thorwege, zusammen flusternd, von ewigen Dingen flusternd - mussen wir
nicht Alle
schon dagewesen sein?
-und wiederkommen und in jener anderen Gasse laufen, hinaus, vor uns, in dieser
langen
schaurigen Gasse - mussen wir nicht ewig wiederkommen? -''
Also redete ich, und immer leiser: denn ich furchtete mich vor meinen eignen
Gedanken und
Hintergedanken. Da, plotzlich, horte ich einen Hund nahe heulen.
Horte ich jemals einen Hund so heulen? Mein Gedanke lief zuruck. Ja! Als ich
Kind war, in
fernster Kindheit:
-da horte ich einen Hund so heulen. Und sah ihn auch, gestraubt, den Kopf nach
Oben, zitternd,
in stillster Mitternacht, wo auch Hunde an Gespenster glauben:
-also dass es mich erbarmte. Eben namlich gieng der volle Mond, todtschweigsam,
uber das
Haus, eben stand er still, eine runde Gluth, - still auf flachem Dache, gleich
als auf fremdem
Eigenthume: darob
entsetzte sich damals der Hund: denn Hunde glauben an Diebe und Gespenster. Und
als ich
wieder so heulen horte, da erbarmte es mich abermals.
Wohin war jetzt Zwerg? und Thorweg? Und Spinne? Und alles Flustern? Traumte ich
denn?
Wachte ich auf? Zwischen wilden Klippen stand ich mit Einem Male, allein, ode,
im odesten
Mondscheine.
Aber da lag ein Mensch! Und da! Der Hund, springend, gestraubt, winselnd, -
jetzt sah er mich
kommen - da heulte er wieder, da schrie er: - horte ich je einen Hund so Hulfe
schrein?
Und, wahrlich, was ich sah, desgleichen sah ich nie. Einen jungen Hirten sah
ich, sich windend,
wurgend, zuckend, verzerrten Antlitzes, dem eine schwarze schwere Schlange aus
dem Munde
hieng.
Sah ich je so viel Ekel und bleiches Grauen auf Einem Antlitze? Er hatte wohl
geschlafen? Da
kroch ihm die Schlange in den Schlund - da biss sie sich fest.
Meine Hand riss die Schlange und riss: - umsonst! sie riss die Schlange nicht
aus dem Schlunde.
Da schrie es aus mir: ``Beiss zu! Beiss zu!
Den Kopf ab! Beiss zu!'' - so schrie es aus mir, mein Grauen, mein Hass, mein
Ekel, mein
Erbarmen, all mein Gutes und Schlimmes schrie mit Einem Schrei aus mir. -
Ihr Kuhnen um mich! Ihr Sucher, Versucher, und wer von euch mit listigen Segeln
sich in
unerforschte Meere einschiffte! Ihr Rathsel-Frohen!
So rathet mir doch das Rathsel, das ich damals schaute, so deutet mir doch das
Gesicht des
Einsamsten!
Denn ein Gesicht war's und ein Vorhersehn: - was sah ich damals im Gleichnisse?
Und wer ist,
der einst noch kommen muss?
Wer ist der Hirt, dem also die Schlange in den Schlund kroch? Wer ist der
Mensch, dem also alles
Schwerste, Schwarzeste in den Schlund kriechen wird?
-Der Hirt aber biss, wie mein Schrei ihm rieth; er biss mit gutem Bisse! Weit
weg spie er den
Kopf der Schlange -: und sprang empor. -
Nicht mehr Hirt, nicht mehr Mensch, - ein Verwandelter, ein Umleuchteter,
welcher lachte !
Niemals noch auf Erden lachte je ein Mensch, wie er lachte!
Oh meine Bruder, ich horte ein Lachen, das keines Menschen Lachen war, - - und
nun frisst ein
Durst an mir, eine Sehnsucht, die nimmer stille wird.
Meine Sehnsucht nach diesem Lachen frisst an mir: oh wie ertrage ich noch zu
leben! Und wie
ertruge ich's, jetzt zu sterben! Also
sprach Zarathustra.
Von der Seligkeit wider Willen
Mit solchen Rathseln und Bitternissen im Herzen fuhr Zarathustra uber das Meer.
Als er aber vier
Tagereisen fern war von den gluckseligen Inseln und von seinen Freunden, da
hatte er allen seinen
Schmerz uberwunden -: siegreich und mit festen Fussen stand er wieder auf seinem
Schicksal.
Und damals redete Zarathustra also zu seinem frohlockenden Gewissen:
Allein bin ich wieder und will es sein, allein mit reinem Himmel und freiem
Meere; und wieder ist
Nachmittag um mich.
Des Nachmittags fand ich zum ersten Male einst meine Freunde, des Nachmittags
auch zum
anderen Male: - zur Stunde, da alles Licht stiller wird.
Denn was von Gluck noch unterwegs ist zwischen Himmel und Erde, das sucht sich
nun zur
Herberge noch eine lichte Seele: vor Gluck ist alles Licht jetzt stiller worden.
Oh Nachmittag meines Lebens! Einst stieg auch mein Gluck zu Thale, dass es sich
eine Herberge
suche: da fand es diese offnen gastfreundlichen Seelen.
Oh Nachmittag meines Lebens! Was gab ich nicht hin, dass ich Eins hatte: diese
lebendige
Pflanzung meiner Gedanken und diess Morgenlicht meiner hochsten Hoffnung!
Gefahrten suchte einst der Schaffende und Kinder seiner Hoffnung: und siehe, es
fand sich, dass
er sie nicht finden konne, es sei denn, er schaffe sie selber erst.
Also bin ich mitten in meinem Werke, zu meinen Kindern gehend und von ihnen
kehrend: um
seiner Kinder willen muss Zarathustra sich selbst vollenden.
Denn von Grund aus liebt man nur sein Kind und Werk; und wo grosse Liebe zu sich
selber ist,
da ist sie der Schwangerschaft Wahrzeichen: so fand ich's.
Noch grunen mir meine Kinder in ihrem ersten Fruhlinge, nahe bei einander
stehend und
gemeinsam von Winden geschuttelt, die Baume meines Gartens und besten Erdreichs.
``Und wahrlich! Wo solche Baume bei einander stehn, da sind gluckselige Inseln!
Aber einstmals will ich sie ausheben und einen jeden fur sich allein stellen:
dass er Einsamkeit
lerne und Trotz und Vorsicht.
Knorrig und gekrummt und mit biegsamer Harte soll er mir dann am Meere dastehn,
ein
lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens.
Dort, wo die Sturme hinab in's Meer sturzen, und des Gebirgs Russel Wasser
trinkt, da soll ein
jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen haben, zu seiner Prufung und
Erkenntniss.
Erkannt und gepruft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und Abkunft ist, -
ob er eines langen
Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet, und nachgebend also, dass er
im Geben nimmt:
-
-dass er einst mein Gefahrte werde und ein Mitschaffender und Mitfeiernder
Zarathustra's -: ein
Solcher, der mir meinen Willen auf meine Tafeln schreibt: zu aller Dinge
vollerer Vollendung.
Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber mich vollenden: darum
weiche ich jetzt
meinem Glucke aus und biete mich allem Unglucke an - zu meiner letzten Prufung
und
Erkenntniss.
Und wahrlich, Zeit war's, dass ich gierig; und des Wanderers Schatten und die
langste Weile und
die stillste Stunde - alle redeten mir zu: ``es ist hochste Zeit!''
Der Wind blies mir durch's Schlusselloch und sagte ``Komm!'' Die Thur sprang mir
listig auf und
sagte ``Geh!''
Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren legte mir
diese Schlinge,
das Begehren nach Liebe, dass ich meiner Kinder Beute wurde und mich an sie
verlore.
Begehren - das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch, meine
Kinder! In diesem
Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren sein.
Aber brutend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte
Zarathustra, - da flogen
Schatten und Zweifel uber mich weg.
Nach Frost und Winter gelustete mich schon: ``oh dass Frost und Winter mich
wieder knacken
und knirschen machten!'' seufzte ich: - da stiegen eisige Nebel aus mir auf.
Meine Vergangenheit brach ihm Graber, manch lebendig begrabner Schmerz wachte
auf -:
ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in Leichen-Gewander.
Also rief mir Alles in Zeichen zu: ``es ist Zeit!'' - Aber ich - horte nicht:
bis endlich mein Abgrund
sich ruhrte und mein Gedanke mich biss.
Ach, abgrundlicher Gedanke, der du mein Gedanke bist! Wann finde ich die Starke,
dich graben
zu horen und nicht mehr zu zittern?
Bis zur Kehle hinauf klopft mir das Herz, wenn ich dich graben hore! Dein
Schweigen noch will
mich wurgen, du abgrundlich Schweigender!
Noch wagte ich niemals, dich herauf zu rufen: genug schon, dass ich dich mit mir
- trug! Noch
war ich nicht stark genug zum letzten Lowen-Ubermuthe und -Muthwillen.
Genug des Furchtbaren war mir immer schon deine Schwere: aber einst soll ich
noch die Starke
finden und die Lowen-Stimme, die dich herauf ruft!
Wenn ich mich dessen erst uberwunden habe, dann will ich mich auch des Grosseren
noch
uberwinden; und ein Sieg soll meiner Vollendung Siegel sein! -
Inzwischen treibe ich noch auf ungewissen Meeren; der Zufall schmeichelt mir,
der glattzungige;
vorwarts und ruckwarts schaue ich -, noch schaue ich kein Ende.
Noch kam mir die Stunde meines letzten Kampfes nicht, - oder kommt sie wohl mir
eben?
Wahrlich, mit tuckischer Schonheit schaut mich rings Meer und Leben an!
Oh Nachmittag meines Lebens! Oh Gluck vor Abend! Oh Hafen auf hoher See! Oh
Friede im
Ungewissen! Wie misstraue ich euch Allen!
Wahrlich, misstrauisch bin ich gegen eure tuckische Schonheit! Dem Liebenden
gleiche ich, der
allzusammtenem Lacheln misstraut.
Wie er die Geliebteste vor sich her stosst, zartlich noch in seiner Harte, der
Eifersuchtige -, also
stosse ich diese selige Stunde vor mir her.
Hinweg mit dir, du selige Stunde! Mit dir kam mir eine Seligkeit wider Willen!
Willig zu meinem
tiefsten Schmerze stehe ich hier: - zur Unzeit kamst du!
Hinweg mit dir, du selige Stunde! Lieber nimm Herberge dort - bei meinen
Kindern! Eile! und
segne sie vor Abend noch mit meinem Glucke!
Da naht schon der Abend: die Sonne sinkt. Dahin - mein Gluck!
Also sprach Zarathustra. Und er wartete auf sein Ungluck die ganze Nacht: aber
er wartete
umsonst. Die Nacht blieb hell und still, und das Gluck selber kam ihm immer
naher und naher.
Gegen Morgen aber lachte Zarathustra zu seinem Herzen und sagte spottisch: ``das
Gluck lauft
mir nach. Das kommt davon, dass ich nicht den Weibern nachlaufe. Das Gluck aber
ist ein Weib.''
Vor Sonnen-Aufgang
Oh Himmel uber mir, du Reiner! Tiefer! Du Licht-Abgrund! Dich schauend schaudere
ich vor
gottlichen Begierden.
In deine Hohe mich zu werfen - das ist meine Tiefe! In deine Reinheit mich zu
bergen - das ist
meine Unschuld!
Den Gott verhullt seine Schonheit: so verbirgst du deine Sterne. Du redest
nicht: so kundest du
mir deine Weisheit.
Stumm uber brausendem Meere bist du heut mir aufgegangen, deine Liebe und deine
Scham redet
Offenbarung zu meiner brausenden Seele.
Dass du schon zu mir kamst, verhullt in deine Schonheit, dass du stumm zu mir
sprichst, offenbar
in deiner Weisheit:
Oh wie erriethe ich nicht alles Schamhafte deiner Seele! Vor der Sonne kamst du
zu mir, dem
Einsamsten.
Wir sind Freunde von Anbeginn: uns ist Gram und Grauen und Grund gemeinsam; noch
die
Sonne ist uns gemeinsam.
Wir reden nicht zu einander, weil wir zu Vieles wissen -: wir schweigen uns an,
wir lacheln uns
unser Wissen zu.
Bist du nicht das Licht zu meinem Feuer? Hast du nicht die Schwester-Seele zu
meiner Einsicht?
Zusammen lernten wir Alles; zusammen lernten wir uber uns zu uns selber
aufsteigen und
wolkenlos lacheln:
-wolkenlos hinab lacheln aus lichten Augen und aus meilenweiter Ferne, wenn
unter uns Zwang
und Zweck und Schuld wie Regen dampfen.
Und wanderte ich allein: wes hungerte meine Seele in Nachten und Irr-Pfaden? Und
stieg ich
Berge, wen suchte ich je, wenn nicht dich, auf Bergen?
Und all mein Wandern und Bergsteigen: eine Noth war's nur und ein Behelf des
Unbeholfenen: fliegen
allein will mein ganzer Wille, in dich hinein fliegen!
Und wen hasste ich mehr, als ziehende Wolken und Alles, was dich befleckt? Und
meinen eignen
Hass hasste ich noch, weil er dich befleckte!
Den ziehenden Wolken bin ich gram, diesen schleichenden Raub-Katzen: sie nehmen
dir und mir,
was uns gemein ist, - das ungeheure unbegrenzte Ja- und Amen-sagen.
Diesen Mittlern und Mischern sind wir gram, den ziehenden Wolken: diesen Halb-
und Halben,
welche weder segnen lernten, noch von Grund aus fluchen.
Lieber will ich noch unter verschlossnem Himmel in der Tonne sitzen, lieber ohne
Himmel im
Abgrund sitzen, als dich, Licht-Himmel, mit Zieh-Wolken befleckt sehn!
Und oft gelustete mich, sie mit zackichten Blitz-Golddrahten festzuheften, dass
ich, gleich dem
Donner, auf ihrem Kessel-Bauche die Pauke schluge: -
ein zorniger Paukenschlager, weil sie mir dein Ja! und Amen! rauben, du Himmel
uber mir, du
Reiner! Lichter! Du Licht-Abgrund! - weil sie dir mein Ja! und Amen! rauben.
Denn lieber noch will ich Larm und Donner und Wetter-Fluche, als diese
bedachtige zweifelnde
Katzen-Ruhe; und auch unter Menschen hasse ich am besten alle Leisetreter und
Halb- und
Halben und zweifelnde, zogernde Zieh-Wolken.
Und ``wer nicht segnen kann, der soll fluchen lernen!'' - diese helle Lehre fiel
mir aus hellem
Himmel, dieser Stern steht auch noch in schwarzen Nachten an meinem Himmel.
Ich aber bin ein Segnender und ein Ja-sager, wenn du nur um mich bist, du
Reiner! Lichter! Du
Licht-Abgrund! - in alle Abgrunde trage ich da noch mein segnendes Ja-sagen.
Zum Segnenden bin ich worden und zum Ja-sagenden: und dazu rang ich lange und
war ein
Ringer, dass ich einst die Hande frei bekame zum Segnen.
Das aber ist mein Segnen: uber jedwedem Ding als sein eigener Himmel stehn, als
sein rundes
Dach, seine azurne Glocke und ewige Sicherheit: und selig ist, wer also segnet!
Denn alle Dinge sind getauft am Borne der Ewigkeit und jenseits von Gut und
Bose; Gut und
Bose selber aber sind nur Zwischenschatten und feuchte Trubsale und Zieh-Wolken.
Wahrlich, ein Segnen ist es und kein Lastern, wenn ich lehre: ``uber allen
Dingen steht der
Himmel Zufall, der Himmel Unschuld, der Himmel Ohngefahr, der Himmel Ubermuth.''
``Von Ohngefahr'' - das ist der alteste Adel der Welt, den gab ich allen Dingen
zuruck, ich erloste
sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke.
Diese Freiheit und Himmels-Heiterkeit stellte ich gleich azurner Glocke uber
alle Dinge, als ich
lehrte, dass uber ihnen und durch sie kein ``ewiger Wille'' - will.
Diesen Ubermuth und diese Narrheit stellte ich an die Stelle jenes Willens, als
ich lehrte: ``bei
Allem ist Eins unmoglich - Vernunftigkeit!''
Ein Wenig Vernunft zwar, ein Same der Weisheit zerstreut von Stern zu Stern, -
dieser Sauerteig
ist allen Dingen eingemischt: um der Narrheit willen ist Weisheit allen Dingen
eingemischt!
Ein Wenig Weisheit ist schon moglich; aber diese selige Sicherheit fand ich an
allen Dingen: dass
sie lieber noch auf den Fussen des Zufalls - tanzen.
Oh Himmel uber mir, du Reiner! Hoher! Das ist mir nun deine Reinheit, dass es
keine ewige
Vernunft-Spinne und -Spinnennetze giebt:
-dass du mir ein Tanzboden bist fur gottliche Zufalle, dass du mir ein
Gottertisch bist fur
gottliche Wurfel und Wurfelspieler! -
Doch du errothest? Sprach ich Unaussprechbares? Lasterte ich, indem ich dich
segnen wollte?
Oder ist es die Scham zu Zweien, welche dich errothen machte? - Heissest du mich
gehn und
schweigen, weil nun - der Tag kommt?
Die Welt ist tief -: und tiefer als je der Tag gedacht hat. Nicht Alles darf vor
dem Tage Worte
haben. Aber der Tag kommt: so scheiden wir nun!
Oh Himmel uber mir, du Schamhafter! Gluhender! Oh du mein Gluck vor
Sonnen-Aufgang! Der
Tag kommt: so scheiden wir nun! Also
sprach Zarathustra.
Von der verkleinernden Tugend
Als Zarathustra wieder auf dem festen Lande war, gieng er nicht stracks auf sein
Gebirge und
seine Hohle los, sondern that viele Wege und Fragen und erkundete diess und das,
also, dass er
von sich selber im Scherze sagte: ``siehe einen Fluss, der in vielen Windungen
zuruck zur Quelle
fliesst!'' Denn er wollte in Erfahrung bringen, was sich inzwischen mit dem
Menschen zugetragen
habe: ob er grosser oder kleiner geworden sei. Und ein Mal sah er eine Reihe
neuer Hauser; da
wunderte er sich und sagte:
Was bedeuten diese Hauser? Wahrlich, keine grosse Seele stellte sie hin, sich
zum Gleichnisse!
Nahm wohl ein blodes Kind sie aus seiner Spielschachtel? Dass doch ein anderes
Kind sie wieder
in seine Schachtel thate!
Und diese Stuben und Kammern: konnen Manner da aus- und eingehen? Gemacht dunken
sie
mich fur Seiden-Puppen; oder fur Naschkatzen, die auch wohl an sich naschen
lassen.
Und Zarathustra blieb stehn und dachte nach. Endlich sagte er betrubt: ``Es ist
Alles kleiner
geworden!''
Uberall sehe ich niedrigere Thore: wer meiner Art ist, geht da wohl noch
hindurch, aber - er muss
sich bucken!
Oh wann komme ich wieder in meine Heimat, wo ich mich nicht mehr bucken muss -
nicht mehr
bucken muss vor den Kleinen!'' - Und Zarathustra seufzte und blickte in die
Ferne. -
Desselbigen Tages aber redete er seine Rede uber die verkleinernde Tugend.
2
Ich gehe durch diess Volk und halte meine Augen offen: sie vergeben mir es
nicht, dass ich auf
ihre Tugenden nicht neidisch bin.
Sie beissen nach mir, weil ich zu ihnen sage: fur kleine Leute sind kleine
Tugenden nothig - und
weil es mir hart eingeht, dass kleine Leute nothig sind!
Noch gleiche ich dem Hahn hier auf fremdem Gehofte, nach dem auch die Hennen
beissen; doch
darob bin ich diesen Hennen nicht ungut.
Ich bin hoflich gegen sie wie gegen alles kleine Aergerniss; gegen das Kleine
stachlicht zu sein
dunkt mich eine Weisheit fur Igel.
Sie reden Alle von mir, wenn sie Abends um's Feuer sitzen, - sie reden von mir,
aber Niemand
denkt - an mich!
Diess ist die neue Stille, die ich lernte: ihr Larm um mich breitet einen Mantel
uber meine
Gedanken.
Sie larmen unter einander: ``was will uns diese dustere Wolke? sehen wir zu,
dass sie uns nicht
eine Seuche bringe!''
Und jungst riss ein Weib sein Kind an sich, das zu mir wollte: ``nehmt die
Kinder weg! schrie es;
solche Augen versengen Kinder-Seelen.''
Sie husten, wenn ich rede: sie meinen, Husten sei ein Einwand gegen starke
Winde, - sie errathen
Nichts vom Brausen meines Gluckes!
``Wir haben noch keine Zeit fur Zarathustra'' - so wenden sie ein; aber was
liegt an einer Zeit, die
fur Zarathustra ``keine Zeit hat''?
Und wenn sie gar mich ruhmen: wie konnte ich wohl auf ihrem Ruhme einschlafen?
Ein Stachel-
Gurtel ist mir ihr Lob: es kratzt mich noch, wenn ich es von mir thue.
Und auch das lernte ich unter ihnen: der Lobende stellt sich, als gabe er
zuruck, in Wahrheit aber
will er mehr beschenkt sein!
Fragt meinen Fuss, ob ihm ihre Lob- und Lock-Weise gefallt! Wahrlich, nach
solchem Takt und
Tiktak mag er weder tanzen, noch stille stehn.
Zur kleinen Tugend mochten sie mich locken und loben; zum Tiktak des kleinen
Glucks mochten
sie meinen Fuss uberreden.
Ich gehe durch diess Volk und halte die Augen offen: sie sind kleiner geworden
und werden
immer kleiner: - das aber macht ihre Lehre von Gluck und Tugend.
Sie sind namlich auch in der Tugend bescheiden - denn sie wollen Behagen. Mit
Behagen aber
vertragt sich nur die bescheidene Tugend.
Wohl lernen auch sie auf ihre Art Schreiten und Vorwarts-Schreiten: das heisse
ich ihr Humpeln .
Damit werden sie jedem zum Anstosse, der Eile hat.
Und Mancher von ihnen geht vorwarts und blickt dabei zuruck, mit versteiftem
Nacken: dem
renne ich gern wider den Leib.
Fuss und Augen sollen nicht lugen, noch sich einander Lugen strafen. Aber es ist
viel Lugnerei bei
den kleinen Leuten.
Einige von ihnen wollen, aber die Meisten werden nur gewollt. Einige von ihnen
sind acht, aber
die Meisten sind schlechte Schauspieler.
Es giebt Schauspieler wider Wissen unter ihnen und Schauspieler wider Willen -,
die Achten sind
immer selten, sonderlich die achten Schauspieler.
Des Mannes ist hier wenig: darum vermannlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer
Mannes genug
ist, wird im Weibe das Weib - erlosen.
Und diese Heuchelei fand ich unter ihnen am schlimmsten: dass auch Die, welche
befehlen, die
Tugenden Derer heucheln, welche dienen.
``Ich diene, du dienst, wir dienen'' - so betet hier auch die Heuchelei der
Herrschenden, - und
wehe, wenn der erste Herr nur der erste Diener ist!
Ach, auch in ihre Heucheleien verflog sich wohl meines Auges Neugier; und gut
errieth ich all ihr
Fliegen-Gluck und ihr Summen um besonnte Fensterscheiben.
Soviel Gute, soviel Schwache sehe ich. Soviel Gerechtigkeit und Mitleiden,
soviel Schwache.
Rund, rechtlich und gutig sind sie mit einander, wie Sandkornchen rund,
rechtlich und gutig mit
Sandkornchen sind.
Bescheiden ein kleines Gluck umarmen - das heissen sie ``Ergebung''! und dabei
schielen sie
bescheiden schon nach einem neuen kleinen Glucke aus.
Sie wollen im Grunde einfaltiglich Eins am meisten: dass ihnen Niemand wehe
thue. So kommen
sie jedermann zuvor und thun ihm wohl.
Diess aber ist Feigheit : ob es schon ``Tugend'' heisst. -
Und wenn sie einmal rauh reden, diese kleinen Leute: ich hore darin nur ihre
Heiserkeit, - jeder
Windzug namlich macht sie heiser.
Klug sind sie, ihre Tugenden haben kluge Finger. Aber ihnen fehlen die Fauste,
ihre Finger wissen
nicht, sich hinter Fauste zu verkriechen.
Tugend ist ihnen das, was bescheiden und zahm macht: damit machten sie den Wolf
zum Hunde
und den Menschen selber zu des Menschen bestem Hausthiere.
``Wir setzten unsern Stuhl in die Mitte - das sagt mir ihr Schmunzeln - und
ebenso weit weg von
sterbenden Fechtern wie von vergnugten Sauen.''
Diess aber ist - Mittelmassigkeit: ob es schon Massigkeit heisst. -
Ich gehe durch diess Volk und lasse manches Wort fallen: aber sie wissen weder
zu nehmen noch
zu behalten.
Sie wundern sich, dass ich nicht kam, auf Luste und Laster zu lastern; und
wahrlich, ich kam auch
nicht, dass ich vor Taschendieben warnte!
Sie wundern sich, dass ich nicht bereit bin, ihre Klugheit noch zu witzigen und
zu spitzigen: als ob
sie noch nicht genug der Kluglinge hatten, deren Stimme mir gleich
Schieferstiften kritzelt!
Und wenn ich rufe: ``Flucht allen feigen Teufeln in euch, die gerne winseln und
Hande falten und
anbeten mochten'': so rufen sie: ``Zarathustra ist gottlos''.
Und sonderlich rufen es ihre Lehrer der Ergebung -; aber gerade ihnen liebe
ich's, in das Ohr zu
schrein: Ja! Ich bin Zarathustra, der Gottlose!
Diese Lehrer der Ergebung! Uberall hin, wo es klein und krank und grindig ist,
kriechen sie,
gleich Lausen; und nur mein Ekel hindert mich, sie zu knacken.
Wohlan! Diess ist meine Predigt fur ihre Ohren: ich bin Zarathustra, der
Gottlose, der da spricht
``wer ist gottloser denn ich, dass ich mich seiner Unterweisung freue?''
Ich bin Zarathustra, der Gottlose: wo finde ich Meines-Gleichen? Und alle Die
sind Meines-
Gleichen, die sich selber ihren Willen geben und alle Ergebung von sich abthun.
Ich bin Zarathustra, der Gottlose: ich koche mir noch jeden Zufall in meinem
Topfe. Und erst,
wenn er da gar gekocht ist, heisse ich ihn willkommen, als meine Speise.
Und wahrlich, mancher Zufall kam herrisch zu mir: aber herrischer noch sprach zu
ihm mein
Wille, - da lag er schon bittend auf den Knieen
-bittend, dass er Herberge finde und Herz bei mir, und schmeichlerisch zuredend:
``sieh doch; oh
Zarathustra, wie nur Freund zu Freunde kommt!'' -
Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Und so will ich es hinaus in alle
Winde rufen:
Ihr werdet immer kleiner, ihr kleinen Leute! Ihr brockelt ab, ihr Behaglichen!
Ihr geht mir noch zu
Grunde -
an euren vielen kleinen Tugenden, an eurem vielen kleinen Unterlassen, an eurer
vielen kleinen
Ergebung!
Zu viel schonend, zu viel nachgebend: so ist euer Erdreich! Aber dass ein Baum
gross werde,
dazu will er um harte Felsen harte Wurzeln schlagen!
Auch was ihr unterlasse, webt am Gewebe aller Menschen-Zukunft; auch euer Nichts
ist ein
Spinnennetz und eine Spinne, die von der Zukunft Blute lebt.
Und wenn ihr nehmt, so ist es wie stehlen, ihr kleinen Tugendhaften; aber noch
unter Schelmen
spricht die Ehre : ``man soll nur stehlen, wo man nicht rauben kann.''
``Es giebt sich'' - das ist auch eine Lehre der Ergebung. Aber ich sage euch,
ihr Behaglichen: es
nimmt sich und wird immer mehr noch von euch nehmen!
Ach, dass ihr alles halbe Wollen von euch abthatet und entschlossen wurdet zur
Tragheit wie zur
That!
Ach, dass ihr mein Wort verstundet: ``thut immerhin, was ihr wollt, - aber seid
erst Solche, die
wollen konnen!''
``Liebt immerhin euren Nachsten gleich euch, - aber seid mir erst solche, die
sich selber lieben -
mit der grossen Liebe lieben, mit der grossen Verachtung lieben!'' Also spricht
Zarathustra, der
Gottlose. -
Doch was rede ich, wo Niemand meine Ohren hat! Es ist hier noch eine Stunde zu
fruh fur mich.
Mein eigner Vorlaufer bin ich unter diesem Volke, mein eigner Hahnen-Ruf durch
dunkle Gassen.
Aber ihre Stunde kommt! Und es kommt auch die meine! Stundlich werden sie
kleiner, armer,
unfruchtbarer, - armes Kraut! armes Erdreich!
Und bald sollen sie mir dastehn wie durres Gras und Steppe, und wahrlich! ihrer
selber mude und
mehr, als nach Wasser, nach Feuer lechzend!
Oh gesegnete Stunde des Blitzes! Oh Geheimniss vor Mittag! - Laufende Feuer will
ich einst noch
aus ihnen machen und Verkunder mit Flammen-Zungen: -
verkunden sollen sie einst noch mit Flammen-Zungen: Er kommt, er ist nahe, der
grosse Mittag!
Also sprach Zarathustra.
Auf dem Oelberge
Der Winter, ein schlimmer Gast, sitzt bei mir zu Hause; blau sind meine Hande
von seiner
Freundschaft Handedruck.
Ich ehre ihn, diesen schlimmen Gast, aber lasse gerne ihn allein sitzen. Gerne
laufe ich ihm davon;
und, lauft man gut, so entlauft man ihm!
Mit warmen Fussen und warmen Gedanken laufe ich dorthin, wo der Wind stille
steht, - zum
Sonnen-Winkel meines Oelbergs.
Da lache ich meines gestrengen Gastes und bin ihm noch gut, dass er zu Hause mir
die Fliegen
wegfangt und vielen kleinen Larm stille macht.
Er leidet es namlich nicht, wenn eine Mucke singen will, oder gar zwei; noch die
Gasse macht er
einsam, dass der Mondschein drin Nachts sich furchtet.
Ein harter Gast ist er, - aber ich ehre ihn, und nicht bete ich, gleich den
Zartlingen, zum
dickbauchichten Feuer-Gotzen.
Lieber noch ein Wenig zahneklappern als Gotzen anbeten! - so will's meine Art.
Und sonderlich
bin ich allen brunstigen dampfenden dumpfigen Feuer-Gotzen gram.
Wen ich liebe, den liebe ich Winters besser als Sommers; besser spotte ich jetzt
meiner Feinde und
herzhafter, seit der Winter mir im Hause sitzt.
Herzhaft wahrlich, selbst dann noch, wenn ich zu Bett krieche -: da lacht und
muthwillt noch
mein verkrochenes Gluck; es lacht noch mein Lugen-Traum.
Ich - ein Kriecher? Niemals kroch ich im Leben vor Machtigen; und log ich je, so
log ich aus
Liebe. Desshalb bin ich froh auch im Winter-Bette.
Ein geringes Bett warmt mich mehr als ein reiches, denn ich bin eifersuchtig auf
meine Armuth.
Und im Winter ist sie mir am treuesten.
Mit einer Bosheit beginne ich jeden Tag, ich spotte des Winters mit einem kalten
Bade: darob
brummt mein gestrenger Hausfreund.
Auch kitzle ich ihn gerne mit einem Wachskerzlein: dass er mir endlich den
Himmel herauslasse
aus aschgrauer Dammerung.
Sonderlich boshaft bin ich namlich des Morgens: zur fruhen Stunde, da der Eimer
am Brunnen
klirrt und die Rosse warm durch graue Gassen wiehern: -
Ungeduldig warte ich da, dass mir endlich der lichte Himmel aufgehe, der
schneebartige Winter-
Himmel, der Greis und Weisskopf,
-der Winter-Himmel, der schweigsame, der oft noch seine Sonne verschweigt!
Lernte ich wohl von ihm das lange lichte Schweigen? Oder lernte er's von mir?
Oder hat ein jeder
von uns es selbst erfunden?
Aller guten Dinge Ursprung ist tausendfaltig, - alle guten muthwilligen Dinge
springen vor Lust
in's Dasein: wie sollten sie das immer nur - Ein Mal thun!
Ein gutes muthwilliges Ding ist auch das lange Schweigen und gleich dem
Winter-Himmel blicken
aus lichtem rundaugichten Antlitze: -
gleich ihm seine Sonne verschweigen und seinen unbeugsamen Sonnen-Willen:
wahrlich, diese
Kunst und diesen Winter-Muthwillen lernte ich gut!
Meine liebste Bosheit und Kunst ist es, dass mein Schweigen lernte, sich nicht
durch Schweigen
zu verrathen.
Mit Worten und Wurfeln klappernd uberliste ich mir die feierlichen Warter: allen
diesen
gestrengen Aufpassern soll mein Wille und Zweck entschlupfen.
Dass mir Niemand in meinen Grund und letzten Willen hinab sehe, - dazu erfand
ich mir das lange
lichte Schweigen.
So manchen Klugen fand ich: der verschleierte sein Antlitz und trubte sein
Wasser, dass Niemand
ihm hindurch und hinunter sehe.
Aber zu ihm gerade kamen die klugeren Misstrauer und Nussknacker: ihm gerade
fischte man
seinen verborgensten Fisch heraus!
Sondern die Hellen, die Wackern, die Durchsichtigen - das sind mir die klugsten
Schweiger:
denen so tief ihr Grund ist, dass auch das hellste Wasser ihn nicht - verrath.
Du
schneebartiger schweigender Winter-Himmel, du rundaugichter Weisskopf uber mir!
Oh du
himmlisches Gleichniss meiner Seele und ihres Muthwillens!
Und muss ich mich nicht verbergen, gleich Einem, der Gold verschluckt hat, -
dass man mir nicht
die Seele aufschlitze?
Muss ich nicht Stelzen tragen, dass sie meine langen Beine ubersehen, - alle
diese Neidbolde und
Leidholde, die um mich sind?
Diese raucherigen, stubenwarmen, verbrauchten, vergrunten, vergramelten Seelen -
wie konnte
ihr Neid mein Gluck ertragen!
So zeige ich ihnen nur das Eis und den Winter auf meinen Gipfeln - und nicht,
dass mein Berg
noch alle Sonnengurtel um sich schlingt!
Sie horen nur meine Winter-Sturme pfeifen: und nicht, dass ich auch uber warme
Meere fahre,
gleich sehnsuchtigen, schweren, heissen Sudwinden.
Sie erbarmen sich noch meiner Unfalle und Zufalle: - aber mein Wort heisst:
``lasst den Zufall zu
mir kommen: unschuldig ist er, wie ein Kindlein!''
Wie konnten sie mein Gluck ertragen, wenn ich nicht Unfalle und Winter-Nothe und
Eisbaren-
Mutzen und Schneehimmel-Hullen um mein Gluck legte!
-wenn ich mich nicht selbst ihres Mitleids erbarmte - des Mitleids dieser
Neidbolde und
Leidholde!
-wenn ich nicht selber vor ihnen seufzte und frostklapperte und mich geduldsam
in ihr Mitleid
wickeln liesse!
Diess ist der weise Muthwille und Wohlwille meiner Seele, dass sie ihren Winter
und ihre
Froststurme nicht verbirgt; sie verbirgt auch ihre Frostbeulen nicht.
Des Einen Einsamkeit ist die Flucht des Kranken; des Andern Einsamkeit die
Flucht vor den
Kranken.
Mogen sie mich klappern und seufzen horen vor Winterkalte, alle diese armen
scheelen Schelme
um mich! Mit solchem Geseufz und Geklapper fluchte ich noch vor ihren geheizten
Stuben.
Mogen sie mich bemitleiden und bemitseufzen ob meiner Frostbeulen: ``am Eis der
Erkenntniss
erfriert er uns noch!'' - so klagen sie.
Inzwischen laufe ich mit warmen Fussen kreuz und quer auf meinem Oelberge: im
Sonnen-Winkel
meines Oelberges singe und spotte ich alles Mitleids. Also
sang Zarathustra.
Vom Vorubergehen
Also, durch viel Volk und vielerlei Stadte langsam hindurchschreitend, gierig
Zarathustra auf
Umwegen zuruck zu seinem Gebirge und seiner Hohle. Und siehe, dabei kam er
unversehens
auch an das Stadtthor der grossen Stadt : hier aber sprang ein schaumender Narr
mit
ausgebreiteten Handen auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Diess aber war der
selbige Narr,
welchen das Volk ``den Affen Zarathustra's'' hiess: denn er hatte ihm Etwas vom
Satz und Fall der
Rede abgemerkt und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit. Der Narr
aber redete
also zu Zarathustra:
``Oh Zarathustra, hier ist die grosse Stadt: hier hast du Nichts zu suchen und
Alles zu verlieren.
Warum wolltest du durch diesen Schlamm waten? Habe doch Mitleiden mit deinem
Fusse! Speie
lieber auf das Stadtthor und - kehre um!
Hier ist die Holle fur Einsiedler-Gedanken: hier werden grosse Gedanken lebendig
gesotten und
klein gekocht.
Hier verwesen alle grossen Gefuhle: hier durfen nur klapperdurre Gefuhlchen
klappern!
Riechst du nicht schon die Schlachthauser und Garkuchen des Geistes? Dampft
nicht diese Stadt
vom Dunst geschlachteten Geistes?
Siehst du nicht die Seelen hangen wie schlaffe schmutzige Lumpen? - Und sie
machen noch
Zeitungen aus diesen Lumpen!
Horst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spulicht
bricht er
heraus! - Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-Spulicht.
Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen
nicht, warum? Sie
klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.
Sie sind kalt und suchen sich Warme bei gebrannten Wassern; sie sind erhitzt und
suchen Kuhle
bei gefrorenen Geistern; sie sind Alle siech und suchtig an offentlichen
Meinungen.
Alle Luste und Laster sind hier zu Hause; aber es giebt hier auch Tugendhafte,
es giebt viel
anstellige angestellte Tugend: -
Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Warte-Fleische,
gesegnet mit
kleinen Bruststernen und ausgestopften steisslosen Tochtern.
Es giebt hier auch viel Frommigkeit und viel glaubige Speichel-Leckerei,
Schmeichel-Backerei
vor dem Gott der Heerschaaren.
``Von Oben'' her traufelt ja der Stern und der gnadige Speichel; nach Oben hin
sehnt sich jeder
sternenlose Busen.
Der Mond hat seinen Hof, und der Hof hat seine Mondkalber: zu Allem aber, was
vom Hofe
kommt, betet das Bettel-Volk und alle anstellige Bettel-Tugend.
``Ich diene, du dienst, wir dienen'' - so betet alle anstellige Tugend hinauf
zum Fursten: dass der
verdiente Stern sich endlich an den schmalen Busen hefte!
Aber der Mond dreht sich noch um alles Irdische: so dreht sich auch der Furst
noch um das Aller-
Irdischste -: das aber ist das Gold der Kramer.
Der Gott der Heerschaaren ist kein Gott der Goldbarren; der Furst denkt, aber
der Kramer lenkt!
Bei Allem, was licht und stark und gut in dir ist, oh Zarathustra! Speie auf
diese Stadt der Kramer
und kehre um!
Hier fliesst alles Blut faulicht und lauicht und schaumicht durch alle Adern:
speie auf die grosse
Stadt, welche der grosse Abraum ist, wo aller Abschaum zusammenschaumt!
Speie auf die Stadt der eingedruckten Seelen und schmalen Bruste, der spitzen
Augen, der
klebrigen Finger
-auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschamten, der Schreib- und
Schreihalse, der
uberheizten Ehrgeizigen: -
wo alles Anbruchige, Anruchige, Lusterne, Dusterne, Ubermurbe, Geschwurige,
Verschworerische zusammenschwart: -
speie auf die grosse Stadt und kehre um!'' -
Hier aber unterbrach Zarathustra den schaumenden Narren und hielt ihm den Mund
zu.
``Hore endlich auf! rief Zarathustra, mich ekelt lange schon deiner Rede und
deiner Art!
Warum wohntest du so lange am Sumpfe, dass du selber zum Frosch und zur Krote
werden
musstest?
Fliesst dir nicht selber nun ein faulichtes schaumichtes Sumpf-Blut durch die
Adern, dass du also
quaken und lastern lerntest?
Warum giengst du nicht in den Wald? Oder pflugtest die Erde? Ist das Meer nicht
voll von grunen
Eilanden?
Ich verachte dein Verachten; und wenn du mich warntest, - warum warntest du dich
nicht selber?
Aus der Liebe allein soll mir mein Verachten und mein warnender Vogel
auffliegen: aber nicht aus
dem Sumpfe! Man
heisst dich meinen Affen, du schaumender Narr: aber ich heisse dich mein
Grunze-Schwein,
-durch Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit.
Was war es denn, was dich zuerst grunzen machte? Dass Niemand dir genug
geschmeichelt hat: darum
setztest du dich hin zu diesem Unrathe, dass du Grund hattest viel zu grunzen, -
dass du Grund hattest zu vieler Rache! Rache namlich, du eitler Narr, ist all
dein Schaumen, ich
errieth dich wohl!
Aber dein Narren-Wort thut mir Schaden, selbst, wo du Recht hast! Und wenn
Zarathustra's
Wort sogar hundert Mal Recht hatte : du wurdest mit meinem Wort immer - Unrecht
thun!''
Also sprach Zarathustra; und er blickte die grosse Stadt an, seufzte und schwieg
lange. Endlich
redete er also:
Mich ekelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses Narren. Hier und dort
ist Nichts zu
bessern, Nichts zu bosern.
Wehe dieser grossen Stadt! - Und ich wollte, ich sahe schon die Feuersaule, in
der sie verbrannt
wird!
Denn solche Feuersaulen mussen dem grossen Mittage vorangehn. Doch diess hat
seine Zeit und
sein eigenes Schicksal. -
Diese Lehre aber gebe ich dir, du Narr, zum Abschiede: wo man nicht mehr lieben
kann, da soll
man - vorubergehn! Also
sprach Zarathustra und gieng an dem Narren und der grossen Stadt voruber.
Von den Abtrunnigen
1
Ach, liegt Alles schon welk und grau, was noch jungst auf dieser Wiese grun und
bunt stand?
Und wie vielen Honig der Hoffnung trug ich von hier in meine Bienenkorbe!
Diese jungen Herzen sind alle schon alt geworden, - und nicht alt einmal! nur
mude, gemein,
bequem: - sie heissen es ``Wir sind wieder fromm geworden.''
Noch jungst sah ich sie in der Fruhe auf tapferen Fussen hinauslaufen: aber ihre
Fusse der
Erkenntniss wurden mude, und nun verleumden sie auch noch ihre
Morgen-Tapferkeit!
Wahrlich, Mancher von ihnen hob einst die Beine wie ein Tanzer, ihm winkte das
Lachen in
meiner Weisheit: - da besann er sich. Eben sah ich ihn krumm - zum Kreuze
kriechen.
Um Licht und Freiheit flatterten sie einst gleich Mucken und jungen Dichtern.
Ein Wenig alter,
ein Wenig kalter: und schon sind sie Dunkler und Munkler und Ofenhocker.
Verzagte ihnen wohl das Herz darob, dass mich die Einsamkeit verschlang gleich
einem
Wallfische? Lauschte ihr Ohr wohl sehnsuchtig-lange umsonst nach mir und meinen
Trompetenund
Herolds-Rufen?
-Ach! Immer sind ihrer nur Wenige, deren Herz einen langen Muth und Ubermuth
hat; und
solchen bleibt auch der Geist geduldsam. Der Rest aber ist feige.
Der Rest: das sind immer die Allermeisten, der Alltag, der Uberfluss, die
Viel-zu-Vielen - diese
alle sind feige! -
Wer meiner Art ist, dem werden auch die Erlebnisse meiner Art uber den Weg
laufen: also, dass
seine ersten Gesellen Leichname und Possenreisser sein mussen.
Seine zweiten Gesellen aber - die werden sich seine Glaubigen heissen: ein
lebendiger Schwarm,
viel Liebe, viel Thorheit, viel unbartige Verehrung.
An diese Glaubigen soll Der nicht sein Herz binden, wer meiner Art unter
Menschen ist; an diese
Lenze und bunte Wiesen soll Der nicht glauben, wer die fluchtig-feige
Menschenart kennt!
Konnten sie anders, so wurden sie auch anders wollen. Halb- und Halbe verderben
alles Ganze.
Dass Blatter welk werden, - was ist da zu klagen!
Lass sie fahren und fallen, oh Zarathustra, und klage nicht! Lieber noch blase
mit raschelnden
Winden unter sie, -
blase unter diese Blatter, oh Zarathustra: dass alles Welke schneller noch von
dir davonlaufen! 2
``Wir sind wieder fromm geworden'' - so bekennen diese Abtrunnigen; und Manche
von ihnen
sind noch zu feige, also zu bekennen.
Denen sehe ich in's Auge, - denen sage ich es in's Gesicht und in die Rothe
ihrer Wangen: ihr seid
Solche, welche wieder beten!
Es ist aber eine Schmach, zu beten! Nicht fur Alle, aber fur dich und mich und
wer auch im Kopfe
sein Gewissen hat. Fur dich ist es eine Schmach, zu beten!
Du weisst es wohl: dein feiger Teufel in dir, der gerne Hande-falten und
Hande-in-den-Schoosslegen
und es bequemer haben mochte: - dieser feige Teufel redet dir zu ``es giebt
einen Gott!''
Damit aber gehorst du zur lichtscheuen Art, denen Licht nimmer Ruhe lasst; nun
musst du taglich
deinen Kopf tiefer in Nacht und Dunst stecken!
Und wahrlich, du wahltest die Stunde gut: denn eben wieder fliegen die
Nachtvogel aus. Die
Stunde kam allem lichtscheuen Volke, die Abend- und Feierstunde, wo es nicht -
``feiert.''
Ich hore und rieche es: es kam ihre Stunde fur Jagd und Umzug, nicht zwar fur
eine wilde Jagd,
sondern fur eine zahme lahme schnuffelnde Leisetreter- und Leisebeter-Jagd, -
fur eine Jagd auf seelenvolle Duckmauser: alle Herzens-Mausefallen sind jetzt
wieder
aufgestellt! Und wo ich einen Vorhang aufhebe, da kommt ein Nachtfalterchen
herausgesturzt.
Hockte es da wohl zusammen mit einem andern Nachtfalterchen? Denn uberall rieche
ich kleine
verkrochne Gemeinden; und wo es Kammerlein giebt, da giebt es neue Bet-Bruder
drin und den
Dunst von Bet-Brudern.
Sie sitzen lange Abende bei einander und sprechen: lasset uns wieder werden wie
die Kindlein und
``lieber Gott'' sagen!'' - an Mund und Magen verdorben durch die frommen
Zuckerbacker.
Oder sie sehen lange Abende einer listigen lauernden Kreuzspinne zu, welche den
Spinnen selber
Klugheit predigt und also lehrt: ``unter Kreuzen ist gut spinnen!''
Oder sie sitzen Tags uber mit Angelruthen an Sumpfen und glauben sich tief
damit; aber wer dort
fischt, wo es keine Fische giebt, den heisse ich noch nicht einmal
oberflachlich!
Oder sie lernen fromm-froh die Harfe schlagen bei einem Lieder-Dichter, der sich
gern jungen
Weibchen in's Herz harfnen mochte: - denn er wurde der alten Weibchen mude und
ihres
Lobpreisens.
Oder sie lernen gruseln bei einem gelehrten Halb-Tollen, der in dunklen Zimmern
wartet, dass ihm
die Geister kommen - und der Geist ganz davonlauft!
Oder sie horchen einem alten umgetriebnen Schnurr- und Knurrpfeifer zu, der
truben Winden die
Trubsal der Tone ablernte; nun pfeift er nach dem Winde und predigt in truben
Tonen Trubsal.
Und Einige von ihnen sind sogar Nachtwachter geworden: die verstehen jetzt in
Horner zu blasen
und Nachts umherzugehn und alte Sachen aufzuwecken, die lange schon
eingeschlafen sind.
Funf Worte von alten Sachen horte ich gestern Nachts an der Garten-Mauer: die
kamen von
solchen alten betrubten trocknen Nachtwachtern.
``Fur einen Vater sorgt er nicht genug um seine Kinder: Menschen-Vater thun
diess besser!'' ``
Er ist zu alt! Er sorgt schon gar nicht mehr um seine Kinder'' - also antwortete
der andere
Nachtwachter.
``Hat er denn Kinder? Niemand kann's beweisen, wenn er's selber nicht beweist!
Ich wollte langst,
er bewiese es einmal grundlich.''
``Beweisen? Als ob Der je Etwas bewiesen hatte! Beweisen fallt ihm schwer; er
halt grosse
Stucke darauf, dass man ihm glaubt.''
``Ja! Ja! Der Glaube macht ihn selig, der Glaube an ihn. Das ist so die Art
alter Leute! So geht's
uns auch!''
-Also sprachen zu einander die zwei alten Nachtwachter und Lichtscheuchen, und
tuteten darauf
betrubt in ihre Horner: so geschah's gestern Nachts an der Garten-Mauer.
Mir aber wand sich das Herz vor Lachen und wollte brechen und wusste nicht,
wohin? und sank
in's Zwerchfell.
Wahrlich, das wird noch mein Tod sein, dass ich vor Lachen ersticke, wenn ich
Esel betrunken
sehe und Nachtwachter also an Gott zweifeln hore.
Ist es denn nicht lange vorbei auch fur alle solche Zweifel? Wer darf noch
solche alte
eingeschlafne lichtscheue Sachen aufwecken!
Mit den alten Gottern gieng es ja lange schon zu Ende: - und wahrlich, ein gutes
frohliches
Gotter-Ende hatten sie!
Sie ``dammerten'' sich nicht zu Tode, - das lugt man wohl! Vielmehr: sie haben
sich selber einmal
zu Tode - gelacht !
Das geschah, als das gottloseste Wort von einem Gotte selber ausgieng, - das
Wort: ``Es ist Ein
Gott! Du sollst keinen andern Gott haben neben mir!'' -
ein alter Grimm-Bart von Gott, ein eifersuchtiger vergass sich also:
Und alle Gotter lachten damals und wackelten auf ihren Stuhlen und riefen: ``Ist
das nicht eben
Gottlichkeit, dass es Gotter, aber keinen Gott giebt?''
Wer Ohren hat, der hore. Also
redete Zarathustra in der Stadt, die er liebte und welche zubenannt ist die
bunte Kuh.' Von
hier namlich hatte er nur noch zwei Tage zu gehen, dass er wieder in seine Hohle
kame und zu
seinen Thieren; seine Seele aber frohlockte bestandig ob der Nahe seiner
Heimkehr. Die
Heimkehr
Oh Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Zu lange lebte ich wild in wilder
Fremde, als dass
ich nicht mit Thranen zu dir heimkehrte!
Nun drohe mir nur mit dem Finger, wie Mutter drohn, nein lachle mir zu, wie
Mutter lacheln, nun
sprich nur: ``Und wer war das, der wie ein Sturmwind einst von mir davonsturmte?
``-
der scheidend rief: zu lange sass ich bei der Einsamkeit, da verlernte ich das
Schweigen! D a s
-lerntest du nun wohl?
``Oh Zarathustra, Alles weiss ich: und dass du unter den Vielen verlassener
warst, du Einer, als je
bei mir!
``Ein Anderes ist Verlassenheit, ein Anderes Einsamkeit: Das - lerntest du nun!
Und dass du unter
Menschen immer wild und fremd sein wirst:
``-Wild und fremd auch noch, wenn sie dich lieben: denn zuerst von Allem wollen
sie geschont
sein!
``Hier aber bist du bei dir zu Heim und Hause; hier kannst du Alles hinausreden
und alle Grunde
ausschutten, Nichts schamt sich hier versteckter, verstockter Gefuhle.
``Hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir: denn sie
wollen auf
deinem Rucken reiten. Auf jedem Gleichniss reitest du hier zu jeder Wahrheit.
``Aufrecht und aufrichtig darfst du hier zu allen Dingen reden: und wahrlich,
wie Lob klingt es
ihren Ohren, dass Einer mit allen Dingen - gerade redet!
``Ein Anderes aber ist Verlassensein. Denn, weisst du noch, oh Zarathustra? Als
damals dein
Vogel uber dir schrie, als du im Walde standest, unschlussig, wohin? unkundig,
einem Leichnam
nahe: ``-
als du sprachst: mogen mich meine Thiere fuhren! Gefahrlicher fand ich's unter
Menschen, als
unter Thieren: - Das war Verlassenheit!
``Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als du auf deiner Insel sassest, unter
leeren Eimern ein
Brunnen Weins, gebend und ausgebend, unter Durstigen schenkend und ausschenkend:
``- bis du endlich durstig allein unter Trunkenen sassest und nachtlich klagtest
``ist Nehmen nicht
seliger als Geben? Und Stehlen noch seliger als Nehmen?'' - Das war
Verlassenheit!
``Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und dich von
dir selber
forttrieb, als sie mit bosem Flustern sprach: Sprich und zerbrich!'' ``-
als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen demuthigen Muth
entmuthigte: Das war Verlassenheit!'' Oh
Einsamkeit! Du meine Heimat Einsamkeit! Wie selig und zartlich redet deine
Stimme zu mir!
Wir fragen einander nicht, wir klagen einander nicht, wir gehen offen mit
einander durch offne
Thuren.
Denn offen ist es bei dir und hell; und auch die Stunden laufen hier auf
leichteren Fussen. Im
Dunklen namlich tragt man schwerer an der Zeit, als im Lichte.
Hier springen mir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf: alles Sein will hier
Wort werden,
alles Werden will hier von mir reden lernen.
Da unten aber - da ist alles Reden umsonst! Da ist Vergessen und Vorubergehn die
beste
Weisheit: Das - lernte ich nun!
Wer Alles bei den Menschen begreifen wollte, der musste Alles angreifen. Aber
dazu habe ich zu
reinliche Hande.
Ich mag schon ihren Athem nicht einathmen; ach, dass ich so lange unter ihrem
Larm und ublem
Athem lebte!
Oh selige Stille um mich! Oh reine Geruche um mich! Oh wie aus tiefer Brust
diese Stille reinen
Athem holt! Oh wie sie horcht, diese selige Stille!
Aber da unten - da redet Alles, da wird Alles uberhort. Man mag seine Weisheit
mit Glocken
einlauten: die Kramer auf dem Markte werden sie mit Pfennigen uberklingeln!
Alles bei ihnen redet, Niemand weiss mehr zu verstehn. Alles fallt in's Wasser,
Nichts fallt mehr in
tiefe Brunnen.
Alles bei ihnen redet, Nichts gerath mehr und kommt zu Ende. Alles gackert, aber
wer will noch
still auf dem Neste sitzen und Eier bruten?
Alles bei ihnen redet, Alles wird zerredet. Und was gestern noch zu hart war fur
die Zeit selber
und ihren Zahn: heute hangt es zerschabt und zernagt aus den Maulern der
Heutigen.
Alles bei ihnen redet, Alles wird verrathen. Und was einst Geheimniss hiess und
Heimlichkeit
tiefer Seelen, heute gehort es den Gassen-Trompetern und andern Schmetterlingen.
Oh Menschenwesen, du wunderliches! Du Larm auf dunklen Gassen! Nun liegst du
wieder hinter
mir: - meine grosste Gefahr liegt hinter mir!
Im Schonen und Mitleiden lag immer meine grosste Gefahr; und alles Menschenwesen
will
geschont und gelitten sein.
Mit verhaltenen Wahrheiten, mit Narrenhand und vernarrtem Herzen und reich an
kleinen Lugen
des Mitleidens: - also lebte ich immer unter Menschen.
Verkleidet sass ich unter ihnen, bereit, mich zu verkennen, dass ich sie
ertruge, und gern mir
zuredend ``du Narr, du kennst die Menschen nicht!''
Man verlernt die Menschen, wenn man unter Menschen lebt: zu viel Vordergrund ist
an allen
Menschen, - was sollen da weitsichtige, weit-suchtige Augen!
Und wenn sie mich verkannten: ich Narr schonte sie darob mehr, als mich: gewohnt
zur Harte
gegen mich und oft noch an mir selber mich rachend fur diese Schonung.
Zerstochen von giftigen Fliegen und ausgehohlt, dem Steine gleich, von vielen
Tropfen Bosheit,
so sass ich unter ihnen und redete mir noch zu: ``unschuldig ist alles Kleine an
seiner Kleinheit!''
Sonderlich Die, welche sich ``die Guten'' heissen, fand ich als die giftigsten
Fliegen: sie stechen in
aller Unschuld, sie lugen in aller Unschuld; wie vermochten sie, gegen mich -
gerecht zu sein!
Wer unter den Guten lebt, den lehrt Mitleid lugen. Mitleid macht dumpfe Luft
allen freien Seelen.
Die Dummheit der Guten namlich ist unergrundlich.
Mich selber verbergen und meinen Reichthum - das lernte ich da unten: denn jeden
fand ich noch
arm am Geiste. Das war der Lug meines Mitleidens, dass ich bei jedem wusste,
-dass ich jedem es ansah und anroch, was ihm Geistes genug und was ihm schon
Geistes zuviel
war!
Ihre steifen Weisen: ich hiess sie weise, nicht steif, - so lernte ich Worte
verschlucken. Ihre
Todtengraber: ich hiess sie Forscher und Prufer, - so lernte ich Worte
vertauschen.
Die Todtengraber graben sich Krankheiten an. Unter altem Schutte ruhn schlimme
Dunste. Man
soll den Morast nicht aufruhren. Man soll auf Bergen leben.
Mit seligen Nustern athme ich wieder Berges-Freiheit! Erlost ist endlich meine
Nase vom Geruch
alles Menschenwesens!
Von scharfen Luften gekitzelt, wie von schaumenden Weinen, niest meine Seele, -
niest und jubelt
sich zu: Gesundheit!
Also sprach Zarathustra.
Von den drei Bosen
Im Traum, im letzten Morgentraume stand ich heut auf einem Vorgebirge, -
jenseits der Welt,
hielt eine Wage und wog die Welt.
Oh dass zu fruh mir die Morgenrothe kam: die gluhte mich wach, die
Eifersuchtige! Eifersuchtig
ist sie immer auf meine Morgentraum-Gluthen.
Messbar fur Den, der Zeit hat, wagbar fur einen guten Wager, erfliegbar fur
starke Fittige,
errathbar fur gottliche Nusseknacker: also fand mein Traum die Welt: Mein
Traum, ein kuhner Segler, halb Schiff, halb Windsbraut, gleich Schmetterlingen
schweigsam, ungeduldig gleich Edelfalken: wie hatte er doch zum Welt-Wagen heute
Geduld und
Weile!
Sprach ihm heimlich wohl meine Weisheit zu, meine lachende wache Tags-Weisheit,
welche uber
alle ``unendliche Welten'' spottet? Denn sie spricht: ``wo Kraft ist, wird auch
die Zahl Meisterin:
die hat mehr Kraft.''
Wie sicher schaute mein Traum auf diese endliche Welt, nicht neugierig, nicht
altgierig, nicht
furchtend, nicht bittend:
-als ob ein voller Apfel sich meiner Hand bote, ein reifer Goldapfel, mit
kuhl-sanfter sammtener
Haut: - so bot sich mir die Welt: -
als ob ein Baum mir winke, ein breitastiger, starkwilliger, gekrummt zur Lehne
und noch zum
Fussbrett fur den Wegmuden: so stand die Welt auf meinem Vorgebirge: -
als ob zierliche Hande mir einen Schrein entgegentrugen, - einen Schrein offen
fur das
Entzucken schamhafter verehrender Augen: also bot sich mir heute die Welt
entgegen: -
nicht Rathsel genug, um Menschen-Liebe davon zu scheuchen, nicht Losung genug,
um
Menschen-Weisheit einzuschlafern: - ein menschlich gutes Ding war mir heut die
Welt, der man
so Boses nachredet!
Wie danke ich es meinem Morgentraum, dass ich also in der Fruhe heut die Welt
wog! Als ein
menschlich gutes Ding kam er zu mir, dieser Traum und Herzenstroster!
Und dass ich's ihm gleich thue am Tage und sein Bestes ihm nach- und ablerne:
will ich jetzt die
drei bosesten Dinge auf die Wage thun und menschlich gut abwagen. -
Wer da segnen lehrte, der lehrte auch fluchen: welches sind in der Welt die drei
bestverfluchten
Dinge? Diese will ich auf die Wage thun.
Wollust, Herrschsucht, Selbstsucht: diese Drei wurden bisher am besten verflucht
und am
schlimmsten beleu- und belugenmundet, - diese Drei will ich menschlich gut
abwagen.
Wohlauf! Hier ist mein Vorgebirg und da das Meer: das walzt sich zu mir heran,
zottelig,
schmeichlerisch, das getreue alte hundertkopfige Hunds-Ungethum, das ich liebe.
Wohlauf! Hier will ich die Wage halten uber gewalztem Meere: und auch einen
Zeugen wahle ich,
dass er zusehe, - dich, du Einsiedler-Baum, dich starkduftigen, breitgewolbten,
den ich liebe! Auf
welcher Brucke geht zum Dereinst das Jetzt? Nach welchem Zwange zwingt das Hohe
sich
zum Niederen? Und was heisst auch das Hochste noch - hinaufwachsen? Nun
steht die Wage gleich und still: drei schwere Fragen warf ich hinein, drei
schwere Antworten
tragt die andre Wagschale.
Wollust: allen busshemdigen Leib-Verachtern ihr Stachel und Pfahl, und als
``Welt'' verflucht bei
allen Hinterweltlern: denn sie hohnt und narrt alle Wirr- und Irr-Lehrer.
Wollust: dem Gesindel das langsame Feuer, auf dem es verbrannt wird; allem
wurmichten Holze,
allen stinkenden Lumpen der bereite Brunst- und Brodel-Ofen.
Wollust: fur die freien Herzen unschuldig und frei, das Garten-Gluck der Erde,
aller Zukunft
Dankes-Uberschwang an das Jetzt.
Wollust: nur dem Welken ein susslich Gift, fur die Lowen-Willigen aber die
grosse Herzstarkung,
und der ehrfurchtig geschonte Wein der Weine.
Wollust: das grosse Gleichniss-Gluck fur hoheres Gluck und hochste Hoffnung.
Vielem namlich
ist Ehe verheissen und mehr als Ehe,
-Vielem, das fremder sich ist, als Mann und Weib: - und wer begriff es ganz, wie
fremd sich
Mann und Weib sind!
Wollust: - doch ich will Zaune um meine Gedanken haben und auch noch um meine
Worte: dass
mir nicht in meine Garten die Schweine und Schwarmer brechen! -
Herrschsucht: die Gluh-Geissel der hartesten Herzensharten; die grause Marter,
die sich dem
Grausamsten selber aufspart; die dustre Flamme lebendiger Scheiterhaufen.
Herrschsucht: die boshafte Bremse, die den eitelsten Volkern aufgesetzt wird;
die Verhohnerin
aller ungewissen Tugend; die auf jedem Rosse und jedem Stolze reitet.
Herrschsucht: das Erdbeben, das alles Morsche und Hohlichte bricht und
aufbricht; die rollende
grollende strafende Zerbrecherin ubertunchter Graber; das blitzende Fragezeichen
neben
vorzeitigen Antworten.
Herrschsucht: vor deren Blick der Mensch kriecht und duckt und frohnt und
niedriger wird als
Schlange und Schwein: - bis endlich die grosse Verachtung aus ihm aufschreie -,
Herrschsucht: die furchtbare Lehrerin der grossen Verachtung, welche Stadten und
Reichen in's
Antlitz predigt ``hinweg mit dir!'' - bis es aus ihnen selber aufschreie
``hinweg mit mir!''
Herrschsucht: die aber lockend auch zu Reinen und Einsamen und hinauf zu
selbstgenugsamen
Hohen steigt, gluhend gleich einer Liebe, welche purpurne Seligkeiten lockend an
Erdenhimmel
malt.
Herrschsucht: doch wer hiesse es Sucht, wenn das Hohe hinab nach Macht gelustet!
Wahrlich,
nichts Sieches und Suchtiges ist an solchem Gelusten und Niedersteigen!
Dass die einsame Hohe sich nicht ewig vereinsame und selbst begnuge; dass der
Berg zu Thale
komme und die Winde der Hohe zu den Niederungen: Oh
wer fande den rechten Tauf- und Tugendnamen fur solche Sehnsucht! ``Schenkende
Tugend''
-so nannte das Unnennbare einst Zarathustra.
Und damals geschah es auch, - und wahrlich, es geschah zum ersten Male! - dass
sein Wort die
Selbstsucht selig pries, die heile, gesunde Selbstsucht, die aus machtiger Seele
quillt: -
aus machtiger Seele, zu welcher der hohe Leib gehort, der schone, sieghafte,
erquickliche, um
den herum jedwedes Ding Spiegel wird:
-der geschmeidige uberredende Leib, der Tanzer, dessen Gleichniss und Auszug die
selbst-lustige
Seele ist. Solcher Leiber und Seelen Selbst-Lust heisst sich selber: ``Tugend.''
Mit ihren Worten von Gut und Schlecht schirmt sich solche Selbst-Lust wie mit
heiligen Hainen;
mit den Namen ihres Glucks bannt sie von sich alles Verachtliche.
Von sich weg bannt sie alles Feige; sie spricht: Schlecht - das ist feige!
Verachtlich dunkt ihr der
immer Sorgende, Seufzende, Klagliche und wer auch die kleinsten Vortheile
aufliest.
Sie verachtet auch alle wehselige Weisheit: denn, wahrlich, es giebt auch
Weisheit, die im
Dunklen bluht, eine Nachtschatten-Weisheit: als welche immer seufzt: ``Alles ist
eitel!''
Das scheue Misstrauen gilt ihr gering, und Jeder, wer Schwure statt Blicke und
Hande will: auch
alle allzu misstrauische Weisheit, - denn solche ist feiger Seelen Art.
Geringer noch gilt ihr der Schnell-Gefallige, der Hundische, der gleich auf dem
Rucken liegt, der
Demuthige; und auch Weisheit giebt es, die demuthig und hundisch und fromm und
schnellgefallig ist.
Verhasst ist ihr gar und ein Ekel, wer nie sich wehren will, wer giftigen
Speichel und bose Blicke
hinunterschluckt, der All-zu-Geduldige, Alles-Dulder, Allgenugsame: das namlich
ist die
knechtische Art.
Ob Einer vor Gottern und gottlichen Fusstritten knechtisch ist, ob vor Menschen
und bloden
Menschen-Meinungen: alle Knechts-Art speit sie an, diese selige Selbstsucht!
Schlecht: so beisst sie Alles, was geknickt und knickerisch-knechtisch ist,
unfreie Zwinker-Augen,
gedruckte Herzen, und jene falsche nachgebende Art, welche mit breiten feigen
Lippen kusst.
Und After-Weisheit: so heisst sie Alles, was Knechte und Greise und Mude
witzeln; und
sonderlich die ganze schlimme aberwitzige, uberwitzige Priester-Narrheit!
Die After-Weisen aber, alle die Priester, Weltmuden und wessen Seele von Weibs-
und
Knechtsart ist, - oh wie hat ihr Spiel von jeher der Selbstsucht ubel
mitgespielt!
Und Das gerade sollte Tugend sein und Tugend heissen, dass man der Selbstsucht
ubel mitspiele!
Und ``selbstlos'' - so wunschten sich selber mit gutem Grunde alle diese
weltmuden Feiglinge und
Kreuzspinnen!
Aber denen Allen kommt nun der Tag, die Wandlung, das Richtschwert, der grosse
Mittag : da
soll Vieles offenbar werden!
Und wer das Ich heil und heilig spricht und die Selbstsucht selig, wahrlich, der
spricht auch, was
er weiss, ein Weissager: ``Siehe, er kommt, er ist nahe, der grosse Mittag!''
Also sprach Zarathustra.
Vom Geist der Schwere
1
Mein Mundwerk - ist des Volks: zu grob und herzlich rede ich fur die
Seidenhasen. Und noch
fremder klingt mein Wort allen Tinten-Fischen und Feder-Fuchsen.
Meine Hand - ist eine Narrenhand: wehe allen Tischen und Wanden, und was noch
Platz hat fur
Narren-Zierath, Narren-Schmierath!
Mein Fuss - ist ein Pferdefuss; damit trapple und trabe ich uber Stock und
Stein, kreuz- und
querfeld-ein und bin des Teufels vor Lust bei allem schnellen Laufen.
Mein Magen - ist wohl eines Adlers Magen? Denn er liebt am liebsten Lammfleisch.
Gewisslich
aber ist er eines Vogels Magen.
Von unschuldigen Dingen genahrt und von Wenigem, bereit und ungeduldig zu
fliegen,
davonzufliegen - das ist nun meine Art: wie sollte nicht Etwas daran von
Vogel-Art sein!
Und zumal, dass ich dem Geist der Schwere feind bin, das ist Vogel-Art: und
wahrlich, todfeind,
erzfeind, urfeind! Oh wohin flog und verflog sich nicht schon meine Feindschaft!
Davon konnte ich schon ein Lied singen - - und will es singen: ob ich gleich
allein in leerem Hause
bin und es meinen eignen Ohren singen muss.
Andre Sanger giebt es freilich, denen macht das volle Haus erst ihre Kehle
weide, ihre Hand
gesprachig, ihr Auge ausdrucklich, ihr Herz wach: - Denen gleiche ich nicht. 2
Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verruckt; alle
Grenzsteine selber
werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen - als ``die
Leichte.''
Der Vogel Strauss lauft schneller als das schnellste Pferd, aber auch er steckt
noch den Kopf
schwer in schwere Erde: also der Mensch, der noch nicht fliegen kann.
Schwer heisst ihm Erde und Leben; und so will es der Geist der Schwere! Wer aber
leicht werden
will und ein Vogel, der muss sich selber lieben: - also lehre ich.
Nicht freilich mit der Liebe der Siechen und Suchtigen: denn bei denen stinkt
auch die Eigenliebe!
Man muss sich selber lieben lernen - also lehre ich - mit einer heilen und
gesunden Liebe: dass
man es bei sich selber aushalte und nicht umherschweife.
Solches Umherschweifen tauft sich ``Nachstenliebe'': mit diesem Worte ist bisher
am besten
gelogen und geheuchelt worden, und sonderlich von Solchen, die aller Welt schwer
fielen.
Und wahrlich, das ist kein Gebot fur Heute und Morgen, sich lieben lernen.
Vielmehr ist von allen
Kunsten diese die feinste, listigste, letzte und geduldsamste.
Fur seinen Eigener ist namlich alles Eigene gut versteckt; und von allen
Schatzgruben wird die
eigne am spatesten ausgegraben, - also schafft es der Geist der Schwere.
Fast in der Wiege giebt man uns schon schwere Worte und Werthe mit: ``gut'' und
``bose'' - so
heisst sich diese Mitgift. Um derentwillen vergiebt man uns, dass wir leben.
Und dazu lasst man die Kindlein zu sich kommen, dass man ihnen bei Zeiten wehre,
sich selber zu
lieben: also schafft es der Geist der Schwere.
Und wir - wir schleppen treulich, was man uns mitgiebt, auf harten Schultern und
uber rauhe
Berge! Und schwitzen wir, so sagt man uns: ``Ja, das Leben ist schwer zu
tragen!''
Aber der Mensch nur ist sich schwer zu tragen! Das macht, er schleppt zu vieles
Fremde auf
seinen Schultern. Dem Kameele gleich kniet er nieder und lasst sich gut
aufladen.
Sonderlich der starke, tragsame Mensch, dem Ehrfurcht innewohnt: zu viele fremde
schwere
Worte und Werthe ladt er auf sich, - nun dunkt das Leben ihm eine Wuste!
Und wahrlich! Auch manches Eigene ist schwer zu tragen! Und viel Inwendiges am
Menschen ist
der Auster gleich, namlich ekel und schlupfrig und schwer erfasslich -,
-also dass eine edle Schale mit edler Zierath furbitten muss. Aber auch diese
Kunst muss man
lernen: Schale haben und schonen Schein und kluge Blindheit!
Abermals trugt uber Manches am Menschen, dass manche Schale gering und traurig
und zu sehr
Schale ist. Viel verborgene Gute und Kraft wird nie errathen; die kostlichsten
Leckerbissen finden
keine Schmecker!
Die Frauen wissen das, die kostlichsten: ein Wenig fetter, ein Wenig magerer -
oh wie viel
Schicksal liegt in so Wenigem!
Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am schwersten; oft lugt
der Geist uber
die Seele. Also schafft es der Geist der Schwere.
Der aber hat sich selber entdeckt, welcher spricht: Das ist mein Gutes und
Boses: damit hat er
den Maulwurf und Zwerg stumm gemacht, welcher spricht ``Allen gut, Allen bos.''
Wahrlich, ich mag auch Solche nicht, denen jegliches Ding gut und diese Welt gar
die beste
heisst. Solche nenne ich die Allgenugsamen.
Allgenugsamkeit, die Alles zu schmecken weiss: das ist nicht der beste
Geschmack! Ich ehre die
widerspanstigen wahlerischen Zungen und Magen, welche ``Ich'' und ``Ja'' und
``Nein'' sagen
lernten.
Alles aber kauen und verdauen - das ist eine rechte Schweine-Art! Immer I-a
sagen - das lernte
allein der Esel, und wer seines Geistes ist! -
Das tiefe Gelb und das heisse Roth: so will es mein Geschmack, - der mischt Blut
zu allen Farben.
Wer aber sein Haus weiss tuncht, der verrath mir eine weissgetunchte Seele.
In Mumien verliebt die Einen, die Andern in Gespenster; und Beide gleich feind
allem Fleisch und
Blute - oh wie gehen Beide mir wider den Geschmack! Denn ich liebe Blut.
Und dort will ich nicht wohnen und weilen, wo Jedermann spuckt und speit: das
ist nun mein
Geschmack, - lieber noch lebte ich unter Dieben und Meineidigen. Niemand tragt
Gold im
Munde.
Widriger aber sind mir noch alle Speichellecker; und das widrigste Thier von
Mensch, das ich
fand, das taufte ich Schmarotzer: das wollte nicht lieben und doch von Liebe
leben.
Unselig heisse ich Alle, die nur Eine Wahl haben: bose Thiere zu werden oder
bose
Thierbandiger: bei Solchen wurde ich mir keine Hutten bauen.
Unselig heisse ich auch Die, welche immer warten mussen, - die gehen mir wider
den Geschmack:
alle die Zollner und Kramer und Konige und andren Lander- und Ladenhuter.
Wahrlich, ich lernte das Warten auch und von Grund aus,
-aber nur das Warten auf mich. Und uber Allem lernte ich stehn und gehn und
laufen und
springen und klettern und tanzen.
Das ist aber meine Lehre: wer einst fliegen lernen will, der muss erst stehn und
gehn und laufen
und klettern und tanzen lernen: - man erfliegt das Fliegen nicht!
Mit Strickleitern lernte ich manches Fenster erklettern, mit hurtigen Beinen
klomm ich auf hohe
Masten: auf hohen Masten der Erkenntniss sitzen dunkte mich keine geringe
Seligkeit, -
gleich kleinen Flammen flackern auf hohen Masten: ein kleines Licht zwar, aber
doch ein
grosser Trost fur verschlagene Schiffer und Schiffbruchige! Auf
vielerlei Weg und Weise kam ich zu meiner Wahrheit; nicht auf Einer Leiter stieg
ich zur
Hohe, wo mein Auge in meine Ferne schweift.
Und ungern nur fragte ich stets nach Wegen, - das gieng mir immer wider den
Geschmack! Lieber
fragte und versuchte ich die Wege selber.
Ein Versuchen und Fragen war all mein Gehen: - und wahrlich, auch antworten muss
man lernen
auf solches Fragen! Das aber - ist mein Geschmack:
-kein guter, kein schlechter, aber mein Geschmack, dessen ich weder Scham noch
Hehl mehr
habe.
``Das - ist nun mein Weg, - wo ist der eure?'' so antwortete ich Denen, welche
mich ``nach dem
Wege'' fragten. Den Weg namlich - den giebt es nicht!
Also sprach Zarathustra.
Von alten und neuen Tafeln
1
Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich und auch neue halb
beschriebene
Tafeln. Wann kommt meine Stunde?
-die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn noch Ein Mal will ich zu den
Menschen
gehn.
Dess warte ich nun: denn erst mussen mir die Zeichen kommen, dass es meine
Stunde sei, namlich
der lachende Lowe mit dem Taubenschwarme.
Inzwischen rede ich als Einer, der Zeit hat, zu mir selber. Niemand erzahlt mir
Neues: so erzahle
ich mir mich selber. 2
Als ich zu den Menschen kam, da fand ich sie sitzen auf einem alten Dunkel: Alle
dunkten sich
lange schon zu wissen, was dem Menschen gut und bose sei.
Eine alte mude Sache dunkte ihnen alles Reden von Tugend; und wer gut schlafen
wollte, der
sprach vor Schlafengehen noch von ``Gut'' und ``Bose''.
Diese Schlaferei storte ich auf, als ich lehrte: was gut und bose ist, das weiss
noch Niemand: - es
sei denn der Schaffende!
-Das aber ist Der, welcher des Menschen Ziel schafft und der Erde ihren Sinn
giebt und ihre
Zukunft: Dieser erst schafft es, dass Etwas gut und bose ist.
Und ich hiess sie ihre alten Lehr-Stuhle umwerfen, und wo nur jener alte Dunkel
gesessen hatte;
ich hiess sie lachen uber ihre grossen Tugend-Meister und Heiligen und Dichter
und Welt-Erloser.
Uber ihre dusteren Weisen hiess ich sie lachen, und wer je als schwarze
Vogelscheuche warnend
auf dem Baume des Lebens gesessen hatte.
An ihre grosse Graberstrasse setzte ich mich und selber zu Aas und Geiern - und
ich lachte uber
all ihr Einst und seine murbe verfallende Herrlichkeit.
Wahrlich, gleich Busspredigern und Narrn schrie ich Zorn und Zeter uber all ihr
Grosses und
Kleines -, dass ihr Bestes so gar klein ist! Dass ihr Bosestes so gar klein ist!
- also lachte ich.
Meine weise Sehnsucht schrie und lachte also aus mir, die auf Bergen geboren
ist, eine wilde
Weisheit wahrlich! - meine grosse flugelbrausende Sehnsucht.
Und oft riss sie mich fort und hinauf und hinweg und mitten im Lachen: da flog
ich wohl
schaudernd, ein Pfeil, durch sonnentrunkenes Entzucken:
-hinaus in ferne Zukunfte, die kein Traum noch sah, in heissere Suden, als je
sich Bildner
traumten: dorthin, wo Gotter tanzend sich aller Kleider schamen: -
dass ich namlich in Gleichnissen rede und gleich Dichtern hinke und stammle: und
wahrlich, ich
schame mich, dass ich noch Dichter sein muss! -
Wo alles Werden mich Gotter-Tanz und Gotter-Muthwillen dunkte, und die Welt los-
und
ausgelassen und zu sich selber zuruckfliehend: -
als ein ewiges Sich-fliehn und -Wiedersuchen vieler Gotter, als das selige
Sich-Widersprechen,
Sich-Wieder-horen, Sich-Wieder-Zugehoren vieler Gotter: -
Wo alle Zeit mich ein seliger Hohn auf Augenblicke dunkte, wo die Nothwendigkeit
die Freiheit
selber war, die selig mit dem Stachel der Freiheit spielte: -
Wo ich auch meinen alten Teufel und Erzfeind wiederfand, den Geist der Schwere
und Alles, was
er schuf: Zwang, Satzung, Noth und Folge und Zweck und Wille und Gut und Bose: -
Denn muss nicht dasein, uber das getanzt, hinweggetanzt werde? Mussen nicht um
der Leichten,
Leichtesten willen - Maulwurfe und schwere Zwerge dasein? - 3
Dort war's auch, wo ich das Wort ``Ubermensch'' vom Wege auflas, und dass der
Mensch Etwas
sei, das uberwunden werden musse,
-dass der Mensch eine Brucke sei und kein Zweck: sich selig preisend ob seines
Mittags und
Abends, als Weg zu neuen Morgenrothen:
-das Zarathustra-Wort vom grossen Mittage, und was sonst ich uber den Menschen
aufhangte,
gleich purpurnen zweiten Abendrothen.
Wahrlich, auch neue Sterne liess ich sie sehn sammt neuen Nachten; und uber
Wolken und Tag
und Nacht spannte ich noch das Lachen aus wie ein buntes Gezelt.
Ich lehrte sie all mein Dichten und Trachten: in Eins zu dichten und zusammen zu
tragen, was
Bruchstuck ist am Menschen und Rathsel und grauser Zufall, -
als Dichter, Rathselrather und Erloser des Zufalls lehrte ich sie an der Zukunft
schaffen, und
Alles, das war -, schaffend zu erlosen.
Das Vergangne am Menschen zu erlosen und alles ``Es war'' umzuschauen, bis der
Wille spricht:
``Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen -''
-Diess hiess ich ihnen Erlosung, Diess allein lehrte ich sie Erlosung heissen. -
Nun
warte ich meiner Erlosung -, dass ich zum letzten Male zu ihnen gehe.
Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: unter ihnen will ich untergehen,
sterbend will ich
ihnen meine reichste Gabe geben!
Der Sonne lernte ich Das ab, wenn sie hinabgeht, die Uberreiche: Gold schuttet
sie da in's Meer
aus unerschopflichem Reichthume,
-also, dass der armste Fischer noch mit goldenem Ruder rudert! Diess namlich sah
ich einst und
wurde der Thranen nicht satt im Zuschauen. - Der
Sonne gleich will auch Zarathustra untergehn: nun sitzt er hier und wartet, alte
zerbrochne
Tafeln um sich und auch neue Tafeln, - halbbeschriebene.
4
Siehe, hier ist eine neue Tafel: aber wo sind meine Bruder, die sie mit mir zu
Thale und in
fleischerne Herzen tragen? Also
heischt es meine grosse Liebe zu den Fernsten: schone deinen Nachsten nicht! Der
Mensch
ist Etwas, das uberwunden werden muss.
Es giebt vielerlei Weg und Weise der Uberwindung.- da siehe du zu! Aber nur ein
Possenreisser
denkt: ``der Mensch kann auch ubersprungen werden.''
Uberwinde dich selber noch in deinem Nachsten: und ein Recht, das du dir rauben
kannst, sollst
du dir nicht geben lassen!
Was du thust, das kann dir Keiner wieder thun. Siehe, es giebt keine Vergeltung.
Wer sich nicht befehlen kann, der soll gehorchen. Und Mancher kann sich
befehlen, aber da fehlt
noch Viel, dass er sich auch gehorche!
5
Also will es die Art edler Seelen: sie wollen Nichts umsonst haben, am wenigsten
das Leben.
Wer vom Pobel ist, der will umsonst leben; wir Anderen aber, denen das Leben
sich gab, - wir
sinnen immer daruber, was wir am besten dagegen geben!
Und wahrlich, diess ist eine vornehme Rede, welche spricht: ``was uns das Leben
verspricht, das
wollen wir - dem Leben halten!''
Man soll nicht geniessen wollen, wo man nicht zu geniessen giebt. Und - man soll
nicht geniessen
wollen!
Genuss und Unschuld namlich sind die schamhaftesten Dinge: Beide wollen nicht
gesucht sein.
Man soll sie haben -, aber man soll eher noch nach Schuld und Schmerzen suchen!
6
Oh meine Bruder, wer ein Erstling ist, der wird immer geopfert. Nun aber sind
wir Erstlinge.
Wir bluten Alle an geheimen Opfertischen, wir brennen und braten Alle zu Ehren
alter
Gotzenbilder.
Unser Bestes ist noch jung: das reizt alte Gaumen. Unser Fleisch ist zart, unser
Fell ist nur ein
Lamm-Fell: - wie sollten wir nicht alte Gotzenpriester reizen!
In uns selber wohnt er noch, der alte Gotzenpriester, der unser Bestes sich zum
Schmause brat.
Ach, meine Bruder, wie sollten Erstlinge nicht Opfer sein!
Aber so will es unsre Art; und ich liebe Die, welche sich nicht bewahren wollen.
Die
Untergehenden liebe ich mit meiner ganzen Liebe: denn sie gehn hinuber. 7
Wahr sein - das konnen Wenige! Und wer es kann, der will es noch nicht! Am
wenigsten aber
konnen es die Guten.
Oh diese Guten! - Gute Menschen reden nie die Wahrheit; fur den Geist ist
solchermaassen gut
sein eine Krankheit.
Sie geben nach, diese Guten, sie ergeben sich, ihr Herz spricht nach, ihr Grund
gehorcht; wer aber
gehorcht, der hort sich selber nicht!
Alles, was den Guten bose heisst, muss zusammen kommen, dass Eine Wahrheit
geboren werde:
oh meine Bruder, seid ihr auch bose genug zu dieser Wahrheit?
Das verwegene Wagen, das lange Misstrauen, das grausame Nein, der Uberdruss, das
Schneiden
in's Lebendige - wie selten kommt das zusammen! Aus solchem Samen aber wird
Wahrheit
gezeugt!
Neben dem bosen Gewissen wuchs bisher alles Wissen! Zerbrecht, zerbrecht mir,
ihr
Erkennenden, die alten Tafeln!
8
Wenn das Wasser Balken hat, wenn Stege und Gelander uber den Fluss springen:
wahrlich, da
findet Keiner Glauben, der da spricht: ``Alles ist im Fluss.''
Sondern selber die Tolpel widersprechen ihm. ``Wie? sagen die Tolpel, Alles ware
im Flusse?
Balken und Gelander sind doch uber dem Flusse!''
``Uber dem Flusse ist Alles fest, alle die Werthe der Dinge, die Brucken,
Begriffe, alles ``Gut''
und ``Bose'': das ist Alles fest!'' -
Kommt gar der harte Winter, der Fluss-Thierbandiger: dann lernen auch die
Witzigsten
Misstrauen; und, wahrlich, nicht nur die Tolpel sprechen dann: ``Sollte nicht
Alles - stille stehn?''
``Im Grunde steht Alles stille'' -, das ist eine rechte Winter-Lehre, ein gut
Ding fur unfruchtbare
Zeit, ein guter Trost fur Winterschlafer und Ofenhocker.
``Im Grund steht Alles still'' -: dagegen aber predigt der Thauwind!
Der Thauwind, ein Stier, der kein pflugender Stier ist, - ein wuthender Stier,
ein Zerstorer, der
mit zornigen Hornern Eis bricht! Eis aber - - bricht Stege!
Oh meine Bruder, ist jetzt nicht Alles im Flusse? Sind nicht alle Gelander und
Stege in's Wasser
gefallen? Wer hielte sich noch an ``Gut'' und ``Bose''?
``Wehe uns! Heil uns! Der Thauwind weht!'' - Also predigt mir, oh meine Bruder,
durch alle
Gassen!
9
Es giebt einen alten Wahn, der heisst Gut und Bose. Um Wahrsager und Sterndeuter
drehte sich
bisher das Rad dieses Wahns.
Einst glaubte man an Wahrsager und Sterndeuter: und darum glaubte man ``Alles
ist Schicksal:
du sollst, denn du musst!''
Dann wieder misstraute man allen Wahrsagern und Sterndeutern: und darum glaubte
man ``Alles
ist Freiheit: du kannst, denn du willst!''
Oh meine Bruder, uber Sterne und Zukunft ist bisher nur gewahnt, nicht gewusst
worden: und
darum ist uber Gut und Bose bisher nur gewahnt, nicht gewusst worden!
10
``Du sollst nicht rauben! Du sollst nicht todtschlagen!'' - solche Worte hiess
man einst heilig; vor
ihnen beugte man Knie und Kopfe und zog die Schuhe aus.
Aber ich frage euch: wo gab es je bessere Rauber und Todtschlager in der Welt,
als es solche
heilige Worte waren?
Ist in allem Leben selber nicht - Rauben und Todtschlagen? Und dass solche Worte
heilig hiessen,
wurde damit die Wahrheit selber nicht - todtgeschlagen?
Oder war es eine Predigt des Todes, dass heilig hiess, was allem Leben
widersprach und
widerrieth? - Oh meine Bruder, zerbrecht, zerbrecht mir die alten tafeln!
11
Diess ist mein Mitleid mit allem Vergangenen, dass ich sehe: es ist
preisgegeben,
-der Gnade, dem Geiste, dem Wahnsinne jedes Geschlechtes preisgegeben, das kommt
und Alles,
was war, zu seiner Brucke umdeutet!
Ein grosser Gewalt-Herr konnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner
Gnade und
Ungnade alles Vergangene zwange und zwangte: bis es ihm Brucke wurde und
Vorzeichen und
Herold und Hahnenschrei.
Diess aber ist die andre Gefahr und mein andres Mitleiden: - wer vom Pobel ist,
dessen Gedenken
geht zuruck bis zum Grossvater, - mit dem Grossvater aber hort die Zeit auf.
Also ist alles Vergangene preisgegeben: denn es konnte einmal kommen, dass der
Pobel Herr
wurde und in seichten Gewassern alle Zeit ertranke.
Darum, oh meine Bruder, bedarf es eines neuen Adels, der allem Pobel und allem
Gewalt-
Herrischen Widersacher ist und auf neue Tafeln neu das Wort schreibt ``edel''.
Vieler Edlen namlich bedarf es und vielerlei Edlen, dass es Adel gebe! Oder, wie
ich einst im
Gleichniss sprach: ``Das eben ist Gottlichkeit, dass es Gotter, aber keinen Gott
giebt!''
12
Oh meine Bruder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr sollt mir
Zeuger und
Zuchter werden und Saemanner der Zukunft, -
wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen konntet gleich den Kramern und mit
Kramer-
Golde: denn wenig Werth hat Alles, was seinen Preis hat.
Nicht, woher ihr kommt, mache euch furderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht!
Euer Wille
und euer Fuss, der uber euch selber hinaus will, - das mache eure neue Ehre!
Wahrlich nicht, dass ihr einem Fursten gedient habt - was liegt noch an Fursten!
- oder dem, was
steht, zum Bollwerk wurdet, dass es fester stunde!
Nicht, dass euer Geschlecht an Hofen hofisch wurde, und ihr lerntet, bunt, einem
Flamingo
ahnlich, lange Stunden in flachen Teichen stehn.
-Denn Stehen-konnen ist ein Verdienst bei Hoflingen; und alle Hoflinge glauben,
zur Seligkeit
nach dem Tode gehore - Sitzen-durfen! -
Nicht auch, dass ein Geist, den sie heilig nennen, eure Vorfahren in gelobte
Lander fuhrte, die ich
nicht lobe: denn wo der schlimmste aller Baume wuchs, das Kreuz, - an dem Lande
ist Nichts zu
loben! -
und wahrlich, wohin dieser ``heilige Geist'' auch seine Ritter fuhrte, immer
liefen bei solchen
Zugen - Ziegen und Ganse und Kreuz- und Querkopfe voran! Oh
meine Bruder, nicht zuruck soll euer Adel schauen, sondern hinaus! Vertriebene
sollt ihr sein
aus allen Vater- und Urvaterlandern!
Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, - das
unentdeckte, im feinsten
Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen!
An euren Kindern sollt ihr gutmachen, dass ihr eurer Vater Kinder seid: alles
Vergangene sollt ihr
so erlosen! Diese neue Tafel stelle ich uber euch!
13
``Wozu leben? Alles ist eitel! Leben - das ist Stroh dreschen; Leben - das ist
sich verbrennen und
doch nicht warm werden.'' -
Solch alterthumliches Geschwatz gilt immer noch als ``Weisheit''; dass es aber
alt ist und dumpfig
riecht, darum wird es besser geehrt. Auch der Moder adelt. Kinder
durften so reden: die scheuen das Feuer, weil es sie brannte! Es ist viel
Kinderei in den
alten Buchern der Weisheit.
Und wer immer ``Stroh drischt'', wie sollte der auf das Dreschen lastern durfen!
Solchem Narren
musste man doch das Maul verbinden!
Solche setzen sich zu Tisch und bringen Nichts mit, selbst den guten Hunger
nicht: - und nun
lastern sie ``Alles ist eitel!''
Aber gut essen und trinken, oh meine Bruder, ist wahrlich keine eitle Kunst!
Zerbrecht, zerbrecht
mir die Tafeln der Nimmer-Frohen!
14
``Dem Reinen ist Alles rein'' - so spricht das Volk. Ich aber sage euch: den
Schweinen wird Alles
Schwein!
Darum predigen die Schwarmer und Kopfhanger, denen auch das Herz niederhangt:
``die Welt
selber ist ein kothiges Ungeheuer.''
Denn diese Alle sind unsauberlichen Geistes; sonderlich aber Jene, welche nicht
Ruhe, noch Rast
haben, es sei denn, sie sehen die Welt von hinten, - die Hinterweltler!
Denen sage ich in's Gesicht, ob es gleich nicht lieblich klingt: die Welt
gleicht darin dem
Menschen, dass sie einen Hintern hat, - so Viel ist wahr!
Es giebt in der Welt viel Koth: so Viel ist wahr! Aber darum ist die Welt selber
noch kein
kothiges Ungeheuer!
Es ist Weisheit darin, dass Vieles in der Welt ubel riecht: der Ekel selber
schafft Flugel und
quellenahnende Krafte!
An dem Besten ist noch Etwas zum Ekeln; und der Beste ist noch Etwas, das
uberwunden
werden muss! Oh
meine Bruder, es ist viel Weisheit darin, dass viel Koth in der Welt ist! 15
Solche Spruche horte ich fromme Hinterweltler zu ihrem Gewissen reden; und
wahrlich, ohne
Arg und Falsch, - ob es Schon nichts Falscheres in der Welt giebt, noch Argeres.
``Lass doch die Welt der Welt sein! Hebe dawider auch nicht Einen Finger auf!''
``Lass, wer da wolle, die Leute wurgen und stechen und schneiden und schaben:
hebe dawider
auch nicht Einen Finger auf! Darob lernen sie noch der Welt absagen.''
``Und deine eigne Vernunft - die sollst du selber gorgeln und wurgen; denn es
ist eine Vernunft
von dieser Welt, - darob lernst du selber der Welt absagen.''
-Zerbrecht, zerbrecht mir, oh meine Bruder, diese alten Tafeln der Frommen!
Zersprecht mir die
Spruche der Welt-Verleumder!
16
``Wer viel lernt, der verlernt alles heftige Begehren'' - das flustert man heute
sich zu auf allen
dunklen Gassen.
``Weisheit macht mude, es lohnt sich - Nichts; du sollst nicht begehren!'' -
diese neue Tafel fand
ich hangen selbst auf offnen Markten.
Zerbrecht mir, oh meine Bruder, zerbrecht mir auch diese neue Tafel! Die
Welt-Muden hangten
sie hin und die Prediger des Todes, und auch die Stockmeister: denn seht, es ist
auch eine Predigt
zur Knechtschaft! -
Dass sie schlecht lernten und das Beste nicht, und Alles zu fruh und Alles zu
geschwind: dass sie
schlecht assen, daher kam ihnen jener verdorbene Magen, -
ein verdorbener Magen ist namlich ihr Geist: der rath zum Tode! Denn wahrlich,
meine Bruder,
der Geist ist ein Magen!
Das Leben ist ein Born der Lust: aber aus wem der verdorbene Magen redet, der
Vater der
Trubsal, dem sind alle Quellen vergiftet.
Erkennen: das ist Lust dem Lowen-willigen! Aber wer mude wurde, der wird selber
nur
``gewollt'', mit dem spielen alle Wellen.
Und so ist es immer schwacher Menschen Art: sie verlieren sich auf ihren Wegen.
Und zuletzt
fragt noch ihre Mudigkeit: ``wozu giengen wir jemals Wege! Es ist Alles
gleich!''
Denen klingt es lieblich zu Ohren, dass gepredigt wird: ``Es verlohnt sich
Nichts! Ihr sollt nicht
wollen!'' Diess aber ist eine Predigt zur Knechtschaft.
Oh meine Bruder, ein frischer Brause-Wind kommt Zarathustra allen Weg-Muden;
viele Nasen
wird er noch niesen machen!
Auch durch Mauern blast mein freier Athem, und hinein in Gefangnisse und
eingefangne Geister!
Wollen befreit: denn Wollen ist Schaffen: so lehre ich. Und nur zum Schaffen
sollt ihr lernen!
Und auch das Lernen sollt ihr erst von mir lernen, das Gut-Lernen! - Wer Ohren
hat, der hore!
17
Da steht der Nachen, - dort hinuber geht es vielleicht in's grosse Nichts. -
Aber wer will in diess
``Vielleicht'' einsteigen?
Niemand von euch will in den Todes-Nachen einsteigen! Wieso wollt ihr dann
Welt-Mude sein!
Weltmude! Und noch nicht einmal Erd-Entruckte wurdet ihr! Lustern fand ich euch
immer noch
nach Erde, verliebt noch in die eigne Erd-Mudigkeit!
Nicht umsonst hangt euch die Lippe herab: - ein kleiner Erden-Wunsch sitzt noch
darauf! Und im
Auge - schwimmt da nicht ein Wolkchen unvergessner Erden-Lust?
Es giebt auf Erden viel gute Erfindungen, die einen nutzlich, die andern
angenehm: derentwegen
ist die Erde zu lieben.
Und mancherlei so gut Erfundenes giebt es da, dass es ist wie des Weibes Busen:
nutzlich
zugleich und angenehm.
Ihr Welt-Muden aber! Ihr Erden-Faulen! Euch soll man mit Ruthen streichen! Mit
Ruthenstreichen soll man euch wieder muntre Beine machen.
Denn: seid ihr nicht Kranke und verlebte Wichte, deren die Erde mude ist, so
seid ihr schlaue
Faulthiere oder naschhafte verkrochene Lust-Katzen. Und wollt ihr nicht wieder
lustig laufen, so
sollt ihr - dahinfahren!
An Unheilbaren soll man nicht Arzt sein wollen: also lehrt es Zarathustra: - so
sollt ihr
dahinfahren!
Aber es gehort mehr Muth dazu, ein Ende zu machen, als einen neuen Vers: das
wissen alle Arzte
und Dichter. 18
Oh meine Bruder, es giebt Tafeln, welche die Ermudung, und Tafeln, welche die
Faulheit schuf,
die faulige: ob sie schon gleich reden, so wollen sie doch ungleich gehort sein.
-
Seht hier diesen Verschmachtenden! Nur eine Spanne weit ist er noch von seinem
Ziele, aber vor
Mudigkeit hat er sich trotzig hier in den Staub gelegt: dieser Tapfere!
Vor Mudigkeit gahnt er Weg und Erde und Ziel und sich selber an: keinen Schritt
will er noch
weiter thun, - dieser Tapfere!
Nun gluht die Sonne auf ihn, und die Hunde lecken nach seinem Schweisse: aber er
liegt da in
seinem Trotze und will lieber verschmachten:
-eine Spanne weit von seinem Ziele verschmachten! Wahrlich, ihr werdet ihn noch
an den Haaren
in seinen Himmel ziehen mussen, - diesen Helden!
Besser noch, ihr lasst ihn liegen, wohin er sich gelegt hat, dass der Schlaf ihm
komme, der
Troster, mit kuhlendem Rausche-Regen:
Lasst ihn liegen, bis er von selber wach wird, bis er von selber alle Mudigkeit
widerruft und was
Mudigkeit aus ihm lehrte!
Nur, meine Bruder, dass ihr die Hunde von ihm scheucht, die faulen Schleicher,
und all das
schwarmende Geschmeiss: -
all das schwarmende Geschmeiss der ``Gebildeten'', das sich am Schweisse jedes
Helden gutlich
thut! 19
Ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir
auf immer
hohere Berge, - ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen. -
Wohin ihr aber auch mit mir steigen mogt, oh meine Bruder: seht zu, dass nicht
ein Schmarotzer
mit euch steige!
Schmarotzer: das ist ein Gewurm, ein kriechendes, geschmiegtes, das fett werden
will an euren
kranken wunden Winkeln.
Und das ist seine Kunst, dass er steigende Seelen errath, wo sie mude sind: in
euren Gram und
Unmuth, in eure zarte Scham baut er sein ekles Nest.
Wo der Starke schwach, der Edle allzumild ist, - dahinein baut er sein ekles
Nest: der
Schmarotzer wohnt, wo der Grosse kleine wunde Winkel hat.
Was ist die hochste Art alles Seienden und was die geringste? Der Schmarotzer
ist die geringste
Art; wer aber hochster Art ist, der ernahrt die meisten Schmarotzer.
Die Seele namlich, welche die langste Leiter hat und am tiefsten hinunter kann:
wie sollten nicht
an der die meisten Schmarotzer sitzen?
-die umfanglichste Seele, welche am weitesten in sich laufen und irren und
schweifen kann; die
nothwendigste, welche sich aus Lust in den Zufall sturzt: -
die seiende Seele, welche in's Werden taucht; die habende, welche in's Wollen
und Verlangen
will: -
die sich selber fliehende, die sich selber im weitesten Kreise einholt; die
weiseste Seele, welcher
die Narrheit am sussesten zuredet: -
die sich selber liebendste, in der alle Dinge ihr Stromen und Wiederstromen und
Ebbe und Fluth
haben: - oh wie sollte die hochste Seele nicht die schlimmsten Schmarotzer
haben?
20
Oh meine Bruder, bin ich denn grausam? Aber ich sage: was fallt, das soll man
auch noch stossen!
Das Alles von Heute - das fallt, das verfallt: wer wollte es halten! Aber ich -
ich will es noch
stossen!
Kennt ihr die Wollust, die Steine in steile Tiefen rollt? - Diese Menschen von
heute: seht sie doch,
wie sie in meine Tiefen rollen!
Ein Vorspiel bin ich besserer Spieler, oh meine Bruder! Ein Beispiel! Thut nach
meinem
Beispiele!
Und wen ihr nicht fliegen lehrt, den lehrt mir - schneller fallen! 21
Ich liebe die Tapferen: aber es ist nicht genug, Hau-Degen sein, - man muss auch
wissen Hauschau-
Wen !
Und oft ist mehr Tapferkeit darin, dass Einer an sich halt und vorubergeht:
damit er sich dem
wurdigeren Feinde aufspare!
Ich sollt nur Feinde haben, die zu hassen sind, aber nicht Feinde zum Verachten:
ihr musst stolz
auf euren Feind sein: also lehrte ich schon Ein Mal.
Dem wurdigeren Feinde, oh meine Freunde, sollt ihr euch aufsparen: darum musst
ihr an Vielem
vorubergehn, -
sonderlich an vielem Gesindel, das euch in die Ohren larmt von Volk und Volkern.
Haltet euer Auge rein von ihrem Fur und Wider! Da giebt es viel Recht, viel
Unrecht: wer da
zusieht, wird zornig.
Dreinschaun, dreinhaun - das ist da Eins: darum geht weg in die Walder und legt
euer Schwert
schlafen!
Geht eure Wege! Und lasst Volk und Volker die ihren gehn! - dunkle Wege
wahrlich, auf denen
auch nicht Eine Hoffnung mehr wetterleuchtet!
Mag da der Kramer herrschen, wo Alles, was noch glanzt - Kramer-Gold ist! Es ist
die Zeit der
Konige nicht mehr: was sich heute Volk heisst, verdient keine Konige.
Seht doch, wie diese Volker jetzt selber den Kramern gleich thun: sie lesen sich
die kleinsten
Vortheile noch aus jedem Kehricht!
Sie lauern einander auf, sie lauern einander Etwas ab, - das heissen sie ``gute
Nachbarschaft.'' Oh
selige ferne Zeit, wo ein Volk sich sagte: ``ich will uber Volker - Herr sein!''
Denn, meine Bruder: das Beste soll herrschen, das Beste will auch herrschen! Und
wo die Lehre
anders lautet, da - fehlt es am Besten.
22
Wenn Die - Brod umsonst hatten, wehe! Wonach wurden Die schrein! Ihr Unterhalt -
das ist ihre
rechte Unterhaltung; und sie sollen es schwer haben!
Raubthiere sind es.- in ihrem ``Arbeiten'' - da ist auch noch Rauben, in ihrem
``Verdienen'' - da ist
auch noch Uberlisten! Darum sollen sie es schwer haben!
Bessere Raubthiere sollen sie also werden, feinere, klugere,
menschen-ahnlichere: der Mensch
namlich ist das beste Raubthier.
Allen Thieren hat der Mensch schon ihre Tugenden abgeraubt: das macht, von allen
Thieren hat
es der Mensch am schwersten gehabt.
Nur noch die Vogel sind uber ihm. Und wenn der Mensch noch fliegen lernte, wehe!
wohinauf wurde
seine Raublust fliegen!
23
So will ich Mann und Weib: kriegstuchtig den Einen, gebartuchtig das Andre,
beide aber
tanztuchtig mit Kopf und Beinen.
Und verloren sei uns der Tag, wo nicht Ein Mal getanzt wurde! Und falsch heisse
uns jede
Wahrheit, bei der es nicht Ein Gelachter gab!
24
Euer Eheschliessen: seht zu, dass es nicht ein schlechtes Schliessen sei! Ihr
schlosset zu schnell:
so folgt daraus - Ehebrechen!
Und besser noch Ehebrechen als Ehe-biegen, Ehelugen! - So sprach mir ein Weib:
``wohl brach
ich die Ehe, aber zuerst brach die Ehe - mich!''
Schlimm-Gepaarte fand ich immer als die schlimmsten Rachsuchtigen: sie lassen es
aller Welt
entgelten, dass sie nicht mehr einzeln laufen.
Desswillen will ich, dass Redliche zu einander reden: ``wir lieben uns: lasst
uns zusehn, dass wir
uns lieb behalten! Oder soll unser Versprechen ein Versehen sein?''
-``Gebt uns eine Frist und kleine Ehe, dass wir zusehn, ob wir zur grossen Ehe
taugen! Es ist ein
grosses Ding, immer zu Zwein sein!''
Also rathe ich allen Redlichen; und was ware denn meine Liebe zum Ubermenschen
und zu
Allem, was kommen soll, wenn ich anders riethe und redete!
Nicht nur fort euch zu pflanzen, sondern hinauf - dazu, oh meine Bruder, helfe
euch der Garten
der Ehe!
25
Wer uber alte Ursprunge weise wurde, siehe, der wird zuletzt nach Quellen der
Zukunft suchen
und nach neuen Ursprungen. Oh
meine Bruder, es ist nicht uber lange, da werden neue Volker entspringen und
neue Quellen
hinab in neue Tiefen rauschen.
Das Erdbeben namlich - das verschuttet viel Brunnen, das schafft viel
Verschmachten: das hebt
auch innre Krafte und Heimlichkeiten an's Licht.
Das Erdbeben macht neue Quellen offenbar. Im Erdbeben alter Volker brechen neue
Quellen aus.
Und wer da ruft: ``Siehe hier ein Brunnen fur viele Durstige, Ein Herz fur viele
Sehnsuchtige, Ein
Wille fur viele Werkzeuge'': - um den sammelt sich ein Volk, das ist: viel
Versuchende.
Wer befehlen kann, wer gehorchen muss - Das wird da versucht! Ach, mit welch
langem Suchen
und Rathen und Missrathen und Lernen und Neu-Versuchen!
Die Menschen-Gesellschaft: die ist ein Versuch, so lehre ich's, - ein langes
Suchen: sie sucht aber
den Befehlenden!
-ein Versuch, oh meine Bruder! Und kein ``Vertrag''! Zerbrecht, zerbrecht mir
solch Wort der
Weich-Herzen und Halb- und Halben!
26
Oh meine Bruder! Bei Welchen liegt doch die grosste Gefahr aller
Menschen-Zukunft? Ist es
nicht bei den Guten und Gerechten? -
als bei Denen, die sprechen und im Herzen fuhlen: ``wir wissen schon, was gut
ist und gerecht,
wir haben es auch; wehe Denen, die hier noch suchen!'' -
Und was fur Schaden auch die Bosen thun mogen: der Schaden der Guten ist der
schadlichste
Schaden!
Und was fur Schaden auch die Welt-Verleumder thun mogen: der Schaden der Guten
ist der
schadlichste Schaden.
Oh meine Bruder, den Guten und Gerechten sah Einer einmal in's Herz, der da
sprach: ``es sind
die Pharisaer.'' Aber man verstand ihn nicht.
Die Guten und Gerechten selber durften ihn nicht verstehen: ihr Geist ist
eingefangen in ihr gutes
Gewissen. Die Dummheit der Guten ist unergrundlich klug.
Das aber ist die Wahrheit: die Guten mussen Pharisaer sein, - sie haben keine
Wahl!
Die Guten mussen Den kreuzigen, der sich seine eigne Tugend erfindet! Das ist
die Wahrheit!
Der Zweite aber, der ihr Land entdeckte, Land, Herz und Erdreich der Guten und
Gerechten: das
war, der da fragte: ``wen hassen sie am meisten?''
Den Schaffenden hassen sie am meisten: den, der Tafeln bricht und alte Werthe,
den Brecher den
heissen sie Verbrecher.
Die Guten namlich - die konnen nicht schaffen: die sind immer der Anfang vom
Ende:-
sie kreuzigen Den, der neue Werthe auf neue Tafeln schreibt, sie opfern sich die
Zukunft, - sie
kreuzigen alle Menschen-Zukunft!
Die Guten - die waren immer der Anfang vom Ende. 27
Oh meine Bruder, verstandet ihr auch diess Wort? Und was ich einst sagte vom
``letzten
Menschen''? - -
Bei Welchen liegt die grosste Gefahr aller Menschen-Zukunft? Ist es nicht bei
den Guten und
Gerechten?
Zerbrecht, zerbrecht mir die Guten und Gerechten! - Oh meine Bruder, verstandet
ihr auch diess
Wort?
28
Ihr flieht von mir? Ihr seid erschreckt? Ihr zittert vor diesem Worte?
Oh meine Bruder, als ich euch die Guten zerbrechen hiess und die Tafeln der
Guten: da erst
schiffte ich den Menschen ein auf seine hohe See.
Und nun erst kommt ihm der grosse Schrecken, das grosse Um-sich-sehn, die grosse
Krankheit,
der grosse Ekel, die grosse See-Krankheit.
Falsche Kusten und falsche Sicherheiten lehrten euch die Guten; in Lugen der
Guten wart ihr
geboren und geborgen. Alles ist in den Grund hinein verlogen und verbogen durch
die Guten.
Aber wer das Land ``Mensch'' entdeckte, entdeckte auch das Land
``Menschen-Zukunft''. Nun
sollt ihr mir Seefahrer sein, wackere, geduldsame!
Aufrecht geht mir bei Zeiten, oh meine Bruder, lernt aufrecht gehn! Das Meer
sturmt: Viele
wollen an euch sich wieder aufrichten.
Das Meer sturmt: Alles ist im Meere. Wohlan! Wohlauf! Ihr alten Seemanns-Herzen!
Was Vaterland! Dorthin will unser Steuer, wo unser Kinder-Land ist! Dorthinaus,
sturmischer als
das Meer, sturmt unsre grosse Sehnsucht! 29
``Warum so hart! - sprach zum Diamanten einst die Kuchen-Kohle; sind wir denn
nicht Nah-
Verwandte?'' -
Warum so weich? Oh meine Bruder, also frage ich euch: seid ihr denn nicht -
meine Bruder?
Warum so weich, so weichend und nachgebend? Warum ist so viel Leugnung,
Verleugnung in
eurem Herzen? So wenig Schicksal in eurem Blicke?
Und wollt ihr nicht Schicksale sein und Unerbittliche: wie konntet ihr mit mir -
siegen?
Und wenn eure Harte nicht blitzen und scheiden und zerschneiden will: wie
konntet ihr einst mit
mir - schaffen?
Die Schaffenden namlich sind hart. Und Seligkeit muss es euch dunken, eure Hand
auf
Jahrtausende zu drucken wie auf Wachs,
-Seligkeit, auf dem Willen von Jahrtausenden zu schreiben wie auf Erz, - harter
als Erz, edler als
Erz. Ganz hart ist allein das Edelste.
Diese neue Tafel, oh meine Bruder, stelle ich uber euch: werdet hart! 30
Oh du mein Wille! Du Wende aller Noth du meine Nothwendigkeit! Bewahre mich vor
allen
kleinen Siegen!
Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal heisse! Du-In-mir! Uber-mir!
Bewahre und spare
mich auf zu Einem grossen Schicksale!
Und deine letzte Grosse, mein Wille, spare dir fur dein Letztes auf, - dass du
unerbittlich bist in
deinem Siege! Ach, wer unterlag nicht seinem Siege!
Ach, wessen Auge dunkelte nicht in dieser trunkenen Dammerung! Ach, wessen Fuss
taumelte
nicht und verlernte im Siege - stehen! -
Dass ich einst bereit und reif sei im grossen Mittage: bereit und reif gleich
gluhendem Erze,
blitzschwangrer Wolke und schwellendem Milch-Euter: -
bereit zu mir selber und zu meinem verborgensten Willen: ein Bogen brunstig nach
seinem
Pfeile, ein Pfeil brunstig nach seinem Sterne: -
ein Stern bereit und reif in seinem Mittage, gluhend, durchbohrt, selig vor
vernichtenden
Sonnen-Pfeilen: -
eine Sonne selber und ein unerbittlicher Sonnen-Wille, zum Vernichten bereit im
Siegen!
Oh Wille, Wende aller Noth, du meine Nothwendigkeit! Spare mich auf zu Einem
grossen Siege!
Also sprach Zarathustra.
Der Genesende
1
Eines Morgens, nicht lange nach seiner Ruckkehr zur Hohle, sprang Zarathustra
von seinem
Lager auf wie ein Toller, schrie mit furchtbarer Stimme und gebardete sich, als
ob noch Einer auf
dem Lager lage, der nicht davon aufstehn wolle; und also tonte Zarathustra's
Stimme, dass seine
Thiere erschreckt hinzukamen, und dass aus allen Hohlen und Schlupfwinkeln, die
Zarathustra's
Hohle benachbart waren, alles Gethier davon huschte, - fliegend, flatternd,
kriechend, springend,
wie ihm nur die Art von Fuss und Flugel gegeben war. Zarathustra aber redete
diese Worte:
Herauf, abgrundlicher Gedanke, aus meiner Tiefe! Ich bin dein Hahn und
Morgen-Grauen,
verschlafener Wurm: auf! auf! Meine Stimme soll dich schon wach krahen!
Knupfe die Fessel deiner Ohren los: horche! Denn ich will dich horen! Auf! Auf!
Hier ist Donners
genug, dass auch Graber horchen lernen!
Und wische den Schlaf und alles Blode, Blinde aus deinen Augen! Hore mich auch
mit deinen
Augen: meine Stimme ist ein Heilmittel noch fur Blindgeborne.
Und bist du erst wach, sollst du mir ewig wach bleiben. Nicht ist das meine Art,
Urgrossmutter
aus dem Schlafe wecken, dass ich sie heisse - weiterschlafen!
Du regst dich, dehnst dich, rochelst? Auf! Auf! Nicht rocheln - reden sollst du
mir! Zarathustra
ruft dich, der Gottlose!
Ich, Zarathustra, der Fursprecher des Lebens, der Fursprecher des Leidens, der
Fursprecher des
Kreises - dich rufe ich, meinen abgrundlichsten Gedanken!
Heil mir! Du kommst - ich hore dich! Mein Abgrund redet, meine letzte Tiefe habe
ich an's Licht
gestulpt!
Heil mir! Heran! Gieb die Hand - - ha! lass! Haha! - - Ekel, Ekel, Ekel - - -
wehe mir!
2
Kaum aber hatte Zarathustra diese Worte gesprochen, da sturzte er nieder gleich
einem Todten
und blieb lange wie ein Todter. Als er aber wieder zu sich kam, da war er bleich
und zitterte und
blieb liegen und wollte lange nicht essen noch trinken. Solches Wesen dauerte an
ihm sieben
Tage; seine Thiere verliessen ihn aber nicht bei Tag und Nacht, es sei denn,
dass der Adler
ausflog, Speise zu holen. Und was er holte und zusammenraubte, das legte er auf
Zarathustra's
Lager: also dass Zarathustra endlich unter gelben und rothen Beeren, Trauben,
Rosenapfeln,
wohlriechendem Krautwerke und Pinien-Zapfen lag. Zu seinen Fussen aber waren
zwei Lammer
gebreitet, welche der Adler mit Muhe ihren Hirten abgeraubt hatte.
Endlich, nach sieben Tagen, richtete sich Zarathustra auf seinem Lager auf, nahm
einen
Rosenapfel in die Hand, roch daran und fand seinen Geruch lieblich. Da glaubten
seine Thiere, die
Zeit sei gekommen, mit ihm zu reden.
``Oh Zarathustra, sagten sie, nun liegst du schon sieben Tage so, mit schweren
Augen: willst du
dich nicht endlich wieder auf deine Fusse stellen?
Tritt hinaus aus deiner Hohle: die Welt wartet dein wie ein Garten. Der Wind
spielt mit schweren
Wohlgeruchen, die zu dir wollen; und alle Bache mochten dir nachlaufen.
Alle Dinge sehnen sich nach dir, dieweil du sieben Tage allein bliebst, - tritt
hinaus aus deiner
Hohle! Alle Dinge wollen deine Arzte sein!
Kam wohl eine neue Erkenntniss zu dir, eine saure, schwere? Gleich angesauertem
Teige lagst du,
deine Seele gieng auf und schwoll uber alle ihre Rander. -''
-Oh meine Thiere, antwortete Zarathustra, schwatzt also weiter und lasst mich
zuhoren! Es
erquickt mich so, dass ihr schwatzt: wo geschwatzt wird, da liegt mir schon die
Welt wie ein
Garten.
Wie lieblich ist es, dass Worte und Tone da sind: sind nicht Worte und Tone
Regenbogen und
Schein-Brucken zwischen Ewig-Geschiedenem?
Zu jeder Seele gehort eine andre Welt; fur jede Seele ist jede andre Seele eine
Hinterwelt.
Zwischen dem Ahnlichsten gerade lugt der Schein am schonsten; denn die kleinste
Kluft ist am
schwersten zu uberbrucken.
Fur mich - wie gabe es ein Ausser-mir? Es giebt kein Aussen! Aber das vergessen
wir bei allen
Tonen; wie lieblich ist es, dass wir vergessen!
Sind nicht den Dingen Namen und Tone geschenkt, dass der Mensch sich an den
Dingen
erquicke? Es ist eine schone Narrethei, das Sprechen: damit tanzt der Mensch
uber alle Dinge.
Wie lieblich ist alles Reden und alle Luge der Tone! Mit Tonen tanzt unsre Liebe
auf bunten
Regenbogen. -``
Oh Zarathustra, sagten darauf die Thiere, Solchen, die denken wie wir, tanzen
alle Dinge
selber: das kommt und reicht sich die Hand und lacht und flieht - und kommt
zuruck.
Alles geht, Alles kommt zuruck; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt,
Alles bluht wieder auf,
ewig lauft das Jahr des Seins.
Alles bricht, Alles wird neu gefugt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins.
Alles scheidet,
Alles grusst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins.
In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte
ist uberall.
Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.'' -
Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln! antwortete Zarathustra und lachelte
wieder, wie gut
wisst ihr, was sich in sieben Tagen erfullen musste: -
und wie jenes Unthier mir in den Schlund kroch und mich wurgte! Aber ich biss
ihm den Kopf
ab und spie ihn weg von mir.
Und ihr, - ihr machtet schon ein Leier-Lied daraus? Nun aber liege ich da, mude
noch von diesem
Beissen und Wegspein, krank noch von der eigenen Erlosung.
Und ihr schautet dem Allen zu? Oh meine Thiere, seid auch ihr grausam? Habt ihr
meinem
grossen Schmerze zuschaun wollen, wie Menschen thun? Der Mensch namlich ist das
grausamste
Thier.
Bei Trauerspielen, Stierkampfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten
geworden auf
Erden; und als er sich die Holle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf
Erden.
Wenn der grosse Mensch schreit -: flugs lauft der kleine hinzu; und die Zunge
hangt ihm aus dem
Halse vor Lusternheit. Er aber heisst es sein ``Mitleiden.''
Der kleine Mensch, sonderlich der Dichter - wie eifrig klagt er das Leben in
Worten an! Hort hin,
aber uberhort mir die Lust nicht, die in allem Anklagen ist!
Solche Anklager des Lebens: die uberwindet das Leben mit einem Augenblinzeln.
``Du liebst
mich? sagt die Freche; warte noch ein Wenig, noch habe ich fur dich nicht
Zeit.''
Der Mensch ist gegen sich selber das grausamste Thier; und bei Allem, was sich
``Sunder'' und
``Kreuztrager'' und ``Busser'' heisst, uberhort mir die Wollust nicht, die in
diesem Klagen und
Anklagen ist!
Und ich selber - will ich damit des Menschen Anklager sein? Ach, meine Thiere,
Das allein lernte
ich bisher, dass dem Menschen sein Bosestes nothig ist zu seinem Besten, -
dass alles Boseste seine beste Kraft ist und der harteste Stein dem hochsten
Schaffenden; und
dass der Mensch besser und boser werden muss:
Nicht an diess Marterholz war ich geheftet, dass ich weiss: der Mensch ist bose,
- sondern ich
schrie, wie noch Niemand geschrien hat:
``Ach dass sein Bosestes so gar klein ist! Ach dass sein Bestes so gar klein
ist!''
Der grosse Uberdruss am Menschen - der wurgte mich und war mir in den Schlund
gekrochen:
und was der Wahrsager wahrsagte: ``Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts,
Wissen wurgt.''
Eine lange Dammerung hinkte vor mir her, eine todesmude, todestrunkene
Traurigkeit, welche
mit gahnendem Munde redete.
``Ewig kehrt er wieder, der Mensch, dess du mude bist, der kleine Mensch'' - so
gahnte meine
Traurigkeit und schleppte den Fuss und konnte nicht einschlafen.
Zur Hohle wandelte sich mir die Menschen-Erde, ihre Brust sank hinein, alles
Lebendige ward
mir Menschen-Moder und Knochen und morsche Vergangenheit.
Mein Seufzen sass auf allen Menschen-Grabern und konnte nicht mehr aufstehn;
mein Seufzen
und Fragen unkte und wurgte und nagte und klagte bei Tag und Nacht:
- ``ach, der Mensch kehrt ewig wieder! Der kleine Mensch kehrt ewig wieder!'' -
Nackt hatte ich einst Beide gesehn, den grossten Menschen und den kleinsten
Menschen:
allzuahnlich einander, - allzumenschlich auch den Grossten noch!
Allzuklein der Grosste! - Das war mein Uberdruss am Menschen! Und ewige
Wiederkunft auch
des Kleinsten! - Das war mein Uberdruss an allem Dasein!
Ach, Ekel! Ekel! Ekel! - - Also sprach Zarathustra und seufzte und schauderte;
denn er erinnerte
sich seiner Krankheit. Da liessen ihn aber seine Thiere nicht weiter reden.
``Sprich nicht weiter, du Genesender! - so antworteten ihm seine Thiere, sondern
geh hinaus, wo
die Welt auf dich wartet gleich einem Garten.
Geh hinaus zu den Rosen und Bienen und Taubenschwarmen! Sonderlich aber zu den
Singe-
Vogeln: dass du ihnen das Singen ablernst!
Singen namlich ist fur Genesende; der Gesunde mag reden. Und wenn auch der
Gesunde Lieder
will, will er andre Lieder doch als der Genesende.''
-``Oh ihr Schalks-Narren und Drehorgeln, so schweigt doch! - antwortete
Zarathustra und
lachelte uber seine Thiere. Wie gut ihr wisst, welchen Trost ich mir selber in
sieben Tagen erfand!
Dass ich wieder singen musse, - den Trost erfand ich mir und diese Genesung:
wollt ihr auch
daraus gleich wieder ein Leier-Lied machen?''
-``Sprich nicht weiter, antworteten ihm abermals seine Thiere; lieber noch, du
Genesender,
mache dir erst eine Leier zurecht, eine neue Leier!
Denn siehe doch, oh Zarathustra! Zu deinen neuen Liedern bedarf es neuer Leiern.
Singe und brause uber, oh Zarathustra, heile mit neuen Liedern deine Seele: dass
du dein grosses
Schicksal tragest, das noch keines Menschen Schicksal war!
Denn deine Thiere wissen es wohl, oh Zarathustra, wer du bist und werden musst:
siehe, du bist
der Lehrer der ewigen Wiederkunft -, das ist nun dein Schicksal!
Dass du als der Erste diese Lehre lehren musst, - wie sollte diess grosse
Schicksal nicht auch
deine grosste Gefahr und Krankheit sein!
Siehe, wir wissen, was du lehrst: dass alle Dinge ewig wiederkehren und wir
selber mit, und dass
wir schon ewige Male dagewesen sind, und alle Dinge mit uns.
Du lehrst, dass es ein grosses Jahr des Werdens giebt, ein Ungeheuer von grossem
Jahre: das
muss sich, einer Sanduhr gleich, immer wieder von Neuem umdrehn, damit es von
Neuem ablaufe
und auslaufe: -
so dass alle diese Jahre sich selber gleich sind, im Grossten und auch im
Kleinsten, - so dass wir
selber in jedem grossen Jahre uns selber gleich sind, im Grossten und auch im
Kleinsten.
Und wenn du jetzt sterben wolltest, oh Zarathustra: siehe, wir wissen auch, wie
du da zu dir
sprechen wurdest: - aber deine Thiere bitten dich, dass du noch nicht sterbest!
Du wurdest sprechen und ohne Zittern, vielmehr aufathmend vor Seligkeit: denn
eine grosse
Schwere und Schwule ware von dir genommen, du Geduldigster! ``
Nun sterbe und schwinde ich, wurdest du sprechen, und im Nu bin ich ein Nichts.
Die Seelen
sind so sterblich wie die Leiber.
Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen bin, - der
wird mich wieder
schaffen! Ich selber gehore zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft.
Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit
dieser Schlange nicht
zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ahnlichen Leben:
-ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grossten und
auch im
Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, -
dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und Menschen-Mittage, dass
-ich wieder
den Menschen den Ubermenschen kunde.
Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos
-, als
Verkundiger gehe ich zu Grunde!
Die Stunde kam nun, dass der Untergehende sich selber segnet. Also- endet
Zarathustra's
Untergang.'' - -
Als die Thiere diese Worte gesprochen hatten, schwiegen sie und warteten, dass
Zarathustra
Etwas zu ihnen sagen werde: aber Zarathustra horte nicht, dass sie schwiegen.
Vielmehr lag er
still, mit geschlossenen Augen, einem Schlafenden ahnlich, ob er schon nicht
schlief: denn er
unterredete sich eben mit seiner Seele. Die Schlange aber und der Adler, als sie
ihn
solchermaassen schweigsam fanden, ehrten die grosse Stille um ihn und machten
sich behutsam
davon.
Von der grossen Sehnsucht
Oh meine Seele, ich lehrte dich ``Heute'' sagen wie ``Einst'' und ``Ehemals''
und uber alles Hier
und Da und Dort deinen Reigen hinweg tanzen.
Oh meine Seele, ich erloste dich von allen Winkeln, ich kehrte Staub, Spinnen
und Zwielicht von
dir ab.
Oh meine Seele, ich wusch die kleine Scham und die Winkel-Tugend von dir ab und
uberredete
dich, nackt vor den Augen der Sonne zu stehn.
Mit dem Sturme, welcher ``Geist'' heisst, blies ich uber deine wogende See; alle
Wolken blies ich
davon, ich erwurgte selbst die Wurgerin, die ``Sunde'' heisst.
Oh meine Seele, ich gab dir das Recht, Nein zu sagen wie der Sturm und Ja zu
sagen wie offner
Himmel Ja sagt: still wie Licht stehst du und gehst du nun durch verneinende
Sturme.
Oh meine Seele, ich gab dir die Freiheit zuruck uber Erschaffnes und
Unerschaffnes: und wer
kennt, wie du sie kennst, die Wollust des Zukunftigen?
Oh meine Seele, ich lehrte dich das Verachten, das nicht wie ein Wurmfrass
kommt, das grosse,
das liebende Verachten, welches am meisten liebt, wo es am meisten verachtet.
Oh meine Seele, ich lehrte dich so uberreden, dass du zu dir die Grunde selber
uberredest: der
Sonne gleich, die das Meer noch zu seiner Hohe uberredet.
Oh meine Seele, ich nahm von dir alles Gehorchen Kniebeugen und Herr-Sagen; ich
gab dir selber
den Namen ``Wende der Noth'' und ``Schicksal''.
Oh meine Seele, ich gab dir neue Namen und bunte Spielwerke, ich hiess dich
``Schicksal'' und
``Umfang der Umfange'' und ``Nabelschnur der Zeit'' und ``azurne Glocke''.
Oh meine Seele, deinem Erdreich gab ich alle Weisheit zu trinken, alle neuen
Weine und auch alle
unvordenklich alten starken Weine der Weisheit.
Oh meine Seele, jede Sonne goss ich auf dich und jede Nacht und jedes Schweigen
und jede
Sehnsucht: - da wuchsest du mir auf wie ein Weinstock.
Oh meine Seele, uberreich und schwer stehst du nun da, ein Weinstock mit
schwellenden Eutern
und gedrangten braunen Gold-Weintrauben:
-gedrangt und gedruckt von deinem Glucke, wartend vor Uberflusse und schamhaft
noch ob
deines Wartens.
Oh meine Seele, es giebt nun nirgends eine Seele, die liebender ware und
umfangender und
umfanglicher! Wo ware Zukunft und Vergangnes naher beisammen als bei dir?
Oh meine Seele, ich gab dir Alles, und alle meine Hande sind an dich leer
geworden: - und nun!
Nun sagst du mir lachelnd und voll Schwermuth: ``Wer von uns hat zu danken? -
hat der Geber nicht zu danken, dass der Nehmende nahm? Ist Schenken nicht eine
Nothdurft?
Ist Nehmen nicht - Erbarmen?'' Oh
meine Seele, ich verstehe das Lacheln deiner Schwermuth: dein Uber-Reichthum
selber
streckt nun sehnende Hande aus!
Deine Fulle blickt uber brausende Meere hin und sucht und wartet; die Sehnsucht
der Uber-Fulle
blickt aus deinem lachelnden Augen-Himmel!
Und wahrlich, oh meine Seele! Wer sahe dein Lacheln und schmelze nicht vor
Thranen? Die
Engel selber schmelzen vor Thranen ob der Uber-Gute deines Lachelns.
Deine Gute und Uber-Gute ist es, die nicht klagen und weinen will: und doch
sehnt sich, oh meine
Seele, dein Lacheln nach Thranen und dein zitternder Mund nach Schluchzen.
``Ist alles Weinen nicht ein Klagen? Und alles Klagen nicht ein Anklagen?'' Also
redest du zu dir
selber, und darum willst du, oh meine Seele, lieber lacheln, als dein Leid
ausschutten.
-in sturzende Thranen ausschutten all dein Leid uber deine Fulle und uber all
die Drangniss des
Weinstocks nach Winzer und Winzermesser!
Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermuth, so wirst
du singen
mussen, oh meine Seele! - Siehe, ich lachle selber, der ich dir solches
vorhersage:
-singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, dass sie deiner
Sehnsucht
zuhorchen, -
bis uber stille sehnsuchtige Meere der Nachen schwebt, das guldene Wunder, um
dessen Gold
alle guten schlimmen wunderlichen Dinge hupfen: -
auch vieles grosse und kleine Gethier und Alles, was leichte wunderliche Fusse
hat, dass es auf
veilchenblauen Pfaden laufen kann, -
hin zu dem guldenen Wunder, dem freiwilligen Nachen und zu seinem Herrn: das
aber ist der
Winzer, der mit diamantenem Winzermesser wartet, -
dein grosser Loser, oh meine Seele, der Namenlose - - dem zukunftige Gesange
erst Namen
finden! Und wahrlich, schon duftet dein Athem nach zukunftigen Gesangen, -
schon gluhst du und traumst, schon trinkst du durstig an allen tiefen klingenden
Trost-Brunnen,
schon ruht deine Schwermuth in der Seligkeit zukunftiger Gesange! - Oh
meine Seele, nun gab ich dir Alles und auch mein Letztes, und alle meine Hande
sind an dich
leer geworden: - dass ich dich singen hiess, siehe, das war mein Letztes!
Dass ich dich singen hiess, sprich nun, sprich: wer von uns hat jetzt - zu
danken? - Besser aber
noch: singe mir, singe, oh meine Seele! Und mich lass danken!
Also sprach Zarathustra.
Das andere Tanzlied
``In dein Auge schaute ich jungst, oh Leben: Gold sah ich in deinem Nacht-Auge
blinken, - mein
Herz stand still vor dieser Wollust:
-einen goldenen Kahn sah ich blinken auf machtigen Gewassern, einen sinkenden,
trinkenden,
wieder winkenden goldenen Schaukel-Kahn!
Nach meinem Fusse, dem tanzwuthigen, warfst du einen Blick, einen lachenden
fragenden
schmelzenden Schaukel-Blick:
Zwei Mal nur regtest du deine Klapper mit kleinen Handen - da schaukelte schon
mein Fuss vor
Tanz-Wuth. -
Meine Fersen baumten sich, meine Zehen horchten, dich zu verstehen: tragt doch
der Tanzer sein
Ohr - in seinen Zehen!
Zu dir hin sprang ich: da flohst du zuruck vor meinem Sprunge; und gegen mich
zungelte deines
fliehenden fliegenden Haars Zunge!
Von dir weg sprang ich und von deinen Schlangen: da standst du schon,
halbgewandt, das Auge
voll Verlangen.
Mit krummen Blicken - lehrst du mich krumme Bahnen; auf krummen Bahnen lernt
mein Fuss -
Tucken!
Ich furchte dich Nahe, ich liebe dich Ferne; deine Flucht lockt mich, dein
Suchen stockt mich: ich
leide, aber was litt ich um dich nicht gerne!
Deren Kalte zundet, deren Hass verfuhrt, deren Flucht bindet, deren Spott -
ruhrt:
-wer hasste dich nicht, dich grosse Binderin, Umwinderin, Versucherin, Sucherin,
Finderin! Wer
liebte dich nicht, dich unschuldige, ungeduldige, windseilige, kindsaugige
Sunderin!
Wohin ziehst du mich jetzt, du Ausbund und Unband? Und jetzt fliehst du mich
wieder, du susser
Wildfang und Undank!
Ich tanze dir nach, ich folge dir auch auf geringer Spur. Wo bist du? Gieb mir
die Hand! Oder
einen Finger nur!
Hier sind Hohlen und Dickichte: wir werden uns verirren! - Halt! Steh still!
Siehst du nicht Eulen
und Fledermause schwirren?
Du Eule! Du Fledermaus! Du willst mich affen? Wo sind wir? Von den Hunden
lerntest du diess
Heulen und Klaffen.
Du fletschest mich lieblich an mit weissen Zahnlein, deine bosen Augen springen
gegen mich aus
lockichtem Mahnlein!
Das ist ein Tanz uber Stock und Stein: ich bin der Jager, - willst du mein Hund
oder meine Gemse
sein?
Jetzt neben mir! Und geschwind, du boshafte Springerin! Jetzt hinauf! Und
hinuber! - Wehe! Da
fiel ich selber im Springen hin!
Oh sieh mich liegen, du Ubermuth, und um Gnade flehn! Gerne mochte ich mit dir -
lieblichere
Pfade gehn!
-der Liebe Pfade durch stille bunte Busche! Oder dort den See entlang: da
schwimmen und
tanzen Goldfische!
Du bist jetzt mude? Da druben sind Schafe und Abendrothen: ist es nicht schon,
zu schlafen,
wenn Schafer floten?
Du bist so arg mude? Ich trage dich hin, lass nur die Arme sinken! Und hast du
Durst, - ich hatte
wohl Etwas, aber dein Mund will es nicht trinken!
-Oh diese verfluchte flinke gelenke Schlange und Schlupf-Hexe! Wo bist du hin?
Aber im Gesicht
fuhle ich von deiner Hand zwei Tupfen und rothe Klexe!
Ich bin es wahrlich mude, immer dein schafichter Schafer zu sein! Du Hexe, habe
ich dir bisher
gesungen, nun sollst du mir - schrein!
Nach dem Takt meiner Peitsche sollst du mir tanzen und schrein! Ich vergass doch
die Peitsche
nicht? - Nein!'' 2
Da antwortete mir das Leben also und hielt sich dabei die zierlichen Ohren zu:
``Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so furchterlich mit deiner Peitsche! Du
weisst es ja: Larm
mordet Gedanken, - und eben kommen mir so zartliche Gedanken.
Wir sind Beide zwei rechte Thunichtgute und Thunichtbose. Jenseits von Gut und
Bose fanden
wir unser Eiland und unsre grune Wiese - wir Zwei allein! Darum mussen wir schon
einander gut
sein!
Und lieben wir uns auch nicht von Grund aus -, muss man sich denn gram sein,
wenn man sich
nicht von Grund aus liebt?
Und dass ich dir gut bin und oft zu gut, Das weisst du: und der Grund ist, dass
ich auf deine
Weisheit eifersuchtig bin. Ah, diese tolle alte Narrin von Weisheit!
Wenn dir deine Weisheit einmal davonliefe, ach! da liefe dir schnell auch meine
Liebe noch
davon.'' -
Darauf blickte das Leben nachdenklich hinter sich und um sich und sagte leise:
``Oh Zarathustra,
du bist mir nicht treu genug!
Du liebst mich lange nicht so sehr wie du redest; ich weiss, du denkst daran,
dass du mich bald
verlassen willst.
Es giebt eine alte schwere schwere Brumm-Glocke: die brummt Nachts bis zu deiner
Hohle
hinauf: -
horst du diese Glocke Mitternachts die Stunde schlagen, so denkst du zwischen
Eins und Zwolf
daran -
du denkst daran, oh Zarathustra, ich weiss es, dass du mich bald verlassen
willst!'' ``
Ja, antwortete ich zogernd, aber du weisst es auch -'' Und ich sagte ihr Etwas
in's Ohr, mitten
hinein zwischen ihre verwirrten gelben thorichten Haar-Zotteln.
Du weisst Das, oh Zarathustra? Das weiss Niemand. - -
Und wir sahen uns an und blickten auf die grune Wiese, uber welche eben der
kuhle Abend lief,
und weinten mit einander. - Damals aber war mir das Leben lieber, als je alle
meine Weisheit. Also
sprach Zarathustra.
3
Eins!
Oh Mensch! Gieb Acht!
Zwei!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
Drei!
``Ich schlief, ich schlief -,
Vier!
``Auf tiefen Traum bin ich erwacht:-
Funf!
``Die Welt ist tief,
Sechs!
``Und tiefer als der Tag gedacht.
Sieben!
``Tief ist ihr Weh -,
Acht!
``Lust - tiefer noch als Herzeleid:
Neun!
``Weh spricht: Vergeh!
Zehn!
``Doch alle Lust will Ewigkeit -,
Elf!
``- will tiefe, tiefe Ewigkeit!
Zwolf!
Die sieben Siegel
(Oder: das Ja- und Amen-Lied)
1
Wenn ich ein Wahrsager bin und voll jenes wahrsagerischen Geistes, der auf hohem
Joche
zwischen zwei Meeren wandelt, zwischen
Vergangenem und Zukunftigem als schwere Wolke wandelt, - schwulen Niederungen
feind und Allem, was mude ist und nicht sterben, noch leben kann.zum
Blitze bereit im dunklen Busen und zum erlosenden Lichtstrahle, schwanger von
Blitzen, die
Ja! sagen, Ja! lachen, zu wahrsagerischen Blitzstrahlen:
-selig aber ist der also Schwangere! Und wahrlich, lange muss als schweres
Wetter am Berge
hangen, wer einst das Licht der Zukunft zunden soll! Oh
wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen
Ring der
Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das
ich lieb: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
2
Wenn mein Zorn je Graber brach, Grenzsteine ruckte und alte Tafeln zerbrochen in
steile Tiefen
rollte:
Wenn mein Hohn je vermoderte Worte zerblies, und ich wie ein Besen kam den
Kreuzspinnen
und als Fegewind alten verdumpften Grabkammern:
Wenn ich je frohlockend sass, wo alte Gotter begraben liegen, weltsegnend,
weltliebend neben
den Denkmalen alter Welt-Verleumder: -
denn selbst Kirchen und Gottes-Graber liebe ich, wenn der Himmel erst reinen
Auges durch ihre
zerbrochenen Decken blickt; gern sitze ich gleich Gras und rothem Mohne auf
zerbrochnen
Kirchen Oh
wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen
Ring der
Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das
ich lieb: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
3
Wenn je ein Hauch zu mir kam vom schopferischen Hauche und von jener himmlischen
Noth, die
noch Zufalle zwingt, Sternen-Reigen zu tanzen:
Wenn ich je mit dem Lachen des schopferischen Blitzes lachte, dem der lange
Donner der That
grollend, aber gehorsam nachfolgt:
Wenn ich je am Gottertisch der Erde mit Gottern Wurfel spielte, dass die Erde
bebte und brach
und Feuerflusse heraufschnob:
-denn ein Gottertisch ist die Erde, und zitternd von schopferischen neuen Worten
und Gotter-
Wurfen: Oh
wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen
Ring der
Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das
ich lieb: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
4
Wenn ich je vollen Zuges trank aus jenem schaumenden Wurz- und Mischkruge, in
dem alle
Dinge gut gemischt sind:
Wenn meine Hand je Fernstes zum Nachsten goss und Feuer zu Geist und Lust zu
Leid und
Schlimmstes zum Gutigsten:
Wenn ich selber ein Korn bin von jenem erlosenden Salze, welches macht, dass
alle Dinge im
Mischkruge gut sich mischen: -
denn es giebt ein Salz, das Gutes mit Bosem bindet; und auch das Boseste ist zum
Wurzen
wurdig und zum letzten Uberschaumen: Oh
wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen
Ring der
Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das
ich lieb: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
5
Wenn ich dem Meere hold bin und Allem, was Meeres-Art ist, und am holdesten
noch, wenn es
mir zornig widerspricht:
Wenn jene suchende Lust in mir ist, die nach Unentdecktem die Segel treibt, wenn
eine Seefahrer-
Lust in meiner Lust ist:
Wenn je mein Frohlocken rief: ``die Kuste schwand, - nun fiel mir die letzte
Kette ab -
das Grenzenlose braust um mich, weit hinaus glanzt mir Raum und Zeit, wohlan!
wohlauf! altes
Herz!'' Oh
wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen
Ring der
Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das
ich lieb: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
6
Wenn meine Tugend eines Tanzers Tugend ist, und ich oft mit beiden Fussen in
goldsmaragdenes
Entzucken sprang:
Wenn meine Bosheit eine lachende Bosheit ist, heimisch unter Rosenhangen und
Lilien-Hecken:
-im Lachen namlich ist alles Bose bei einander, aber heilig- und losgesprochen
durch seine eigne
Seligkeit: -
Und wenn Das mein A und O ist, dass alles Schwere leicht, aller Leib Tanzer,
aller Geist Vogel
werde: und wahrlich, Das ist mein A und O! Oh
wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen
Ring der
Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das
ich lieb: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
7
Wenn ich je stille Himmel uber mir ausspannte und mit eignen Flugeln in eigne
Himmel flog:
Wenn ich spielend in tiefen Licht-Fernen schwamm, und meiner Freiheit
Vogel-Weisheit kam: -
so aber spricht Vogel-Weisheit: ``Siehe, es giebt kein Oben, kein Unten! Wirf
dich umher,
hinaus, zuruck, du Leichter! Singe! sprich nicht mehr!
-``sind alle Worte nicht fur die Schweren gemacht? Lugen dem Leichten nicht alle
Worte! Singe!
sprich nicht mehr!'' Oh
wie sollte ich nicht nach der Ewigkeit brunstig sein und nach dem hochzeitlichen
Ring der
Ringe, - dem Ring de Wiederkunft!
Nie noch fand ich das Weib, von dem ich Kinder mochte, sei denn dieses Weib, das
ich lieb: denn
ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Denn ich liebe dich, oh Ewigkeit!
Vierter und letzter Theil
Ach, wo in der Welt geschahen grossere Thorheiten, als bei den Mitleidigen? Und
was in der
Weit stiftete mehr Leid, als die Thorheiten der Mitleidigen?
Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Hohe haben, welche uber ihrem
Mitleiden ist!
Also sprach der Teufel einst zu mir: ``auch Gott hat seine Holle: das ist seine
Liebe zu den
Menschen.''
Und jungst horte ich ihn diess Wort sagen: ``Gott ist todt; an seinem Mitleiden
mit den Menschen
ist Gott gestorben.''
Das Honig-Opfer
-Und wieder liefen Monde und Jahre uber Zarathustra's Seele, und er achtete
dessen nicht; sein
Haar aber wurde weiss. Eines Tages, als er auf einem Steine vor seiner Hohle
sass und still
hinausschaute, - man schaut aber dort auf das Meer hinaus, und hinweg uber
gewundene
Abgrunde - da giengen seine Thiere nachdenklich um ihn herum und stellten sich
endlich vor ihn
hin.
``Oh Zarathustra, sagten sie, schaust du wohl aus nach deinem Glucke?'' - ``Was
liegt am Glucke!
antwortete er, ich trachte lange nicht mehr nach Glucke, ich trachte nach meinem
Werke.'' - ``Oh
Zarathustra, redeten die Thiere abermals, Das sagst du als Einer, der des Guten
ubergenug hat.
Liegst du nicht in einem himmelblauen See von Gluck?'' - Ihr Schalks-Narren,
antwortete
Zarathustra und lachelte, wie gut wahltet ihr das Gleichniss! Aber ihr wisst
auch, dass mein Gluck
schwer ist und nicht wie eine flussige Wasserwelle: es drangt mich und will
nicht von mir und thut
gleich geschmolzenem Peche.''
Da giengen die Thiere wieder nachdenklich um ihn herum und stellten sich dann
abermals vor ihn
hin. ``Oh Zarathustra, sagten sie, daher also kommt es, dass du selber immer
gelber und dunkler
wirst, obschon dein Haar weiss und flachsern aussehen will? Siehe doch, du
sitzest in deinem
Peche!'' - Was sagt ihr da, meine Thiere, sagte Zarathustra und lachte dazu,
wahrlich, ich lasterte
als ich von Peche sprach. Wie mir geschieht, so geht es allen Fruchten, die reif
werden. Es ist der
Honig in meinen Adern, der mein Blut dicker und auch meine Seele stiller
macht.'' - ``So wird es
sein, oh Zarathustra, antworteten die Thiere und drangten sich an ihn; willst du
aber nicht heute
auf einen hohen Berg steigen? Die Luft ist rein, und man sieht heute mehr von
der Welt als
jemals.'' - ``Ja, meine Thiere, antwortete er, ihr rathet trefflich und mir nach
dem Herzen: ich will
heute auf einen hohen Berg steigen! Aber sorgt, dass dort Honig mir zur Hand
sei, gelber,
weisser, guter, eisfrischer Waben-Goldhonig. Denn wisset, ich will droben das
Honig-Opfer
bringen.'' -
Als Zarathustra aber oben auf der Hohe war, sandte er die Thiere heim, die ihn
geleitet hatten,
und fand, dass er nunmehr allein sei: - da lachte er aus ganzem Herzen, sah sich
um und sprach
also:
Dass ich von Opfern sprach und Honig-Opfern, eine List war's nur meiner Rede
und, wahrlich,
eine nutzliche Thorheit! Hier oben darf ich schon freier reden, als vor
Einsiedler-Hohlen und
Einsiedler-Hausthieren.
Was opfern! Ich verschwende, was mir geschenkt wird, ich Verschwender mit
tausend Handen:
wie durfte ich Das noch - Opfern heissen!
Und als ich nach Honig begehrte, begehrte ich nur nach Koder und sussem Seime
und Schleime,
nach dem auch Brummbaren und wunderliche murrische bose Vogel die Zunge lecken:
-nach dem besten Koder, wie er Jagern und Fischfangern noththut. Denn wenn die
Welt wie ein
dunkler Thierwald ist und aller wilden Jager Lustgarten, so dunkt sie mich noch
mehr und lieber
ein abgrundliches reiches Meer,
-ein Meer voll bunter Fische und Krebse, nach dem es auch (Anmerkung der
Redaktion: Dieses
Kapitel ist nicht komplett auf der Webseite vorhanden und bricht an dieser
Stelle ab.)
Der Nothschrei
Des nachsten Tages sass Zarathustra wieder auf seinem Steine vor der Hohle,
wahrend die Thiere
draussen in der Welt herumschweiften, dass sie neue Nahrung heimbrachten, - auch
neuen Honig:
denn Zarathustra hatte den alten Honig bis auf das letzte Korn verthan und
verschwendet. Als er
aber dermaassen dasass, mit einem Stecken in der Hand, und den Schatten seiner
Gestalt auf der
Erde abzeichnete, nachdenkend und, wahrlich! nicht uber sich und seinen Schatten
- da erschrak
er mit Einem Male und fuhr zusammen: denn er sahe neben seinem Schatten noch
einen andern
Schatten. Und wie er schnell um sich blickte und aufstand, siehe, da stand der
Wahrsager neben
ihm, der selbe, den er einstmals an seinem Tische gespeist und getrankt hatte,
der Verkundiger
der grossen Mudigkeit, welcher lehrte: ``Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts,
Welt ist ohne Sinn,
Wissen wurgt.'' Aber sein Antlitz hatte sich inzwischen verwandelt; und als ihm
Zarathustra in die
Augen blickte, wurde sein Herz abermals erschreckt: so viel schlimme
Verkundigungen und
aschgraue Blitze liefen uber diess Gesicht.
Der Wahrsager, der es wahrgenommen, was sich in Zarathustra's Seele zutrug,
wischte mit der
Hand uber sein Antlitz hin, wie als ob er dasselbe wegwischen wollte;
desgleichen that auch
Zarathustra. Und als Beide dergestalt sich schweigend gefasst und gekraftigt
hatten, gaben sie
sich die Hande, zum Zeichen, dass sie sich wiedererkennen wollten.
``Sei mir willkommen, sagte Zarathustra, du Wahrsager der grossen Mudigkeit, du
sollst nicht
umsonst einstmals mein Tisch- und Gastfreund gewesen sein. Iss und trink auch
heute bei mir und
vergieb es, dass ein vergnugter alter Mann mit dir zu Tische sitzt!'' - ``Ein
vergnugter alter Mann?
antwortete der Wahrsager, den Kopf schuttelnd: wer du aber auch bist oder sein
willst, oh
Zarathustra, du bist es zum Langsten hier Oben gewesen, - dein Nachen soll uber
Kurzem nicht
mehr im Trocknen sitzen!'' - ``Sitze ich denn im Trocknen?'' fragte Zarathustra
lachend. - ``Die
Wellen um deinen Berg, antwortete der Wahrsager, steigen und steigen, die Wellen
grosser Noth
und Trubsal: die werden bald auch deinen Nachen heben und dich davontragen.'' -
Zarathustra
schwieg hierauf und wunderte sich. - ``Horst du noch Nichts? fuhr der Wahrsager
fort: rauscht
und braust es nicht herauf aus der Tiefe?'' - Zarathustra schwieg abermals und
horchte: da horte
er einen langen, langen Schrei, welchen die Abgrunde sich zuwarfen und
weitergaben, denn
keiner wollte ihn behalten: so bose klang er.
``Du schlimmer Verkundiger, sprach endlich Zarathustra, das ist ein Nothschrei
und der Schrei
eines Menschen, der mag wohl aus einem schwarzen Meere kommen. Aber was geht
mich
Menschen-Noth an! Meine letzte Sunde, die mir aufgespart blieb, - weisst du
wohl, wie sie
heisst?''
-``Mitleiden! antwortete der Wahrsager aus einem uberstromenden Herzen und hob
beide Hande
empor - oh Zarathustra, ich komme, dass ich dich zu deiner letzten Sunde
verfuhre!'' -
Und kaum waren diese Worte gesprochen, da erscholl der Schrei abermals, und
langer und
angstlicher als vorher, auch schon viel naher. ``Horst du? Horst du, oh
Zarathustra? rief der
Wahrsager, dir gilt der Schrei, dich ruft er: komm, komm, komm, es ist Zeit, es
ist hochste Zeit!''
-
Zarathustra schwieg hierauf, verwirrt und erschuttert; endlich fragte er, wie
Einer, der bei sich
selber zogert: ``Und wer ist das, der dort mich ruft?''
``Aber du weisst es ja, antwortete der Wahrsager heftig, was verbirgst du dich?
Der hohere
Mensch ist es, der nach dir schreit!''
``Der hohere Mensch? schrie Zarathustra von Grausen erfasst: was will der? Was
will der? Der
hohere Mensch! Was will der hier?'' - und seine Haut bedeckte sich mit Schweiss.
Der Wahrsager aber antwortete nicht auf die Angst Zarathustra's, sondern horchte
und horchte
nach der Tiefe zu. Als es jedoch lange Zeit dort stille blieb, wandte er seinen
Blick zuruck und
sahe Zarathustra stehn und zittern.
``Oh Zarathustra, hob er mit trauriger Stimme an, du stehst nicht da wie Einer,
den sein Gluck
drehend macht: du wirst tanzen mussen, dass du mir nicht umfallst!
Aber wenn du auch vor mir tanzen wolltest und alle deine Seitensprunge springen:
Niemand soll
mir doch sagen durfen: ``Siehe, hier tanzt der letzte frohe Mensch!''
Umsonst kame Einer auf diese Hohe, der den hier suchte: Hohlen fande er wohl und
Hinter-
Hohlen, Verstecke fur Versteckte, aber nicht Glucks-Schachte und Schatzkammern
und neue
Glucks-Goldadern.
Gluck - wie fande man wohl das Gluck bei solchen Vergrabenen und Einsiedlern!
Muss ich das
letzte Gluck noch auf gluckseligen Inseln suchen und ferne zwischen vergessenen
Meeren?
Aber Alles ist gleich, es lohnt sich Nichts, es hilft kein Suchen, es giebt auch
keine gluckseligen
Inseln mehr!'' - Also
seufzte der Wahrsager; bei seinem letzten Seufzer aber wurde Zarathustra wieder
hell und
sicher, gleich Einem, der aus einem tiefen Schlunde an's Licht kommt. ``Nein!
Nein! Drei Mal
Nein! rief er mit starker Stimme und strich sich den Bart - Das weiss ich
besser! Es giebt noch
gluckselige Inseln! Stille davon, du seufzender Trauersack!
Hore davon auf zu platschern, du Regenwolke am Vormittag! Stehe ich denn nicht
schon da, nass
von deiner Trubsal und begossen wie ein Hund?
Nun schuttle ich mich und laufe dir davon, dass ich wieder trocken werde: dess
darfst du nicht
Wunder haben! Dunke ich dir unhoflich? Aber hier ist mein Hof.
Was aber deinen hoheren Menschen angeht: wohlan! ich suche ihn flugs in jenen
Waldern: daher
kam sein Schrei. Vielleicht bedrangt ihn da ein boses Thier.
Er ist in meinem Bereiche: darin soll er mir nicht zu Schaden kommen! Und
wahrlich, es giebt
viele bose Thiere bei mir.'' -
Mit diesen Worten wandte sich Zarathustra zum Gehen. Da sprach der Wahrsager:
``Oh
Zarathustra, du bist ein Schelm!
Ich weiss es schon: du willst mich los sein! Lieber noch laufst du in die Walder
und stellst bosen
Thieren nach!
Aber was hilft es dir? Des Abends wirst du doch mich wiederhaben, in deiner
eignen Hohle werde
ich dasitzen, geduldig und schwer wie ein Klotz - und auf dich warten!''
``So sei's! rief Zarathustra zuruck im Fortgehn: und was mein ist in meiner
Hohle, gehort auch
dir, meinem Gastfreunde!
Solltest du aber drin noch Honig finden, wohlan! so lecke ihn nur auf, du
Brummbar, und
versusse deine Seele! Am Abende namlich wollen wir Beide guter Dinge sein,
-guter Dinge und froh darob, dass dieser Tag zu Ende gieng! Und du selber sollst
zu meinen
Liedern als mein Tanzbar tanzen.
Du glaubst nicht daran? Du schuttelst den Kopf? Wohlan! Wohlauf! Alter Bar! Aber
auch ich bin
ein Wahrsager.''
Also sprach Zarathustra.
Gesprach mit den Konigen
1
Zarathustra war noch keine Stunde in seinen Bergen und Waldern unterwegs, da
sahe er mit
Einem Male einen seltsamen Aufzug. Gerade auf dem Wege, den er hinabwollte,
kamen zwei
Konige gegangen, mit Kronen und Purpurgurteln geschmuckt und bunt wie
Flamingo-Vogel: die
trieben einen beladenen Esel vor sich her. ``Was wollen diese Konige in meinem
Reiche?'' sprach
Zarathustra erstaunt zu seinem Herzen und versteckte Sich geschwind hinter einem
Busche. Als
aber die Konige bis zu ihm herankamen, sagte er, halblaut, wie Einer, der zu
sich allein redet:
``Seltsam! Seltsam! Wie reimt sich Das zusammen? Zwei Konige sehe ich - und nur
Einen Esel!''
Da machten die beiden Konige Halt, lachelten, sahen nach der Stelle hin, woher
die Stimme kam,
und sahen sich nachher selber in's Gesicht. ``Solcherlei denkt man wohl auch
unter uns, sagte der
Konig zur Rechten, aber man spricht es nicht aus.''
Der Konig zur Linken aber zuckte mit den Achseln und antwortete: ``Das mag wohl
ein
Ziegenhirt sein. Oder ein Einsiedler, der zu lange unter Felsen und Baumen
lebte. Gar keine
Gesellschaft namlich verdirbt auch die guten Sitten.''
``Die guten Sitten? entgegnete unwillig und bitter der andre Konig: wem laufen
wir denn aus dem
Wege? Ist es nicht den ``guten Sitten''? Unsrer ``guten Gesellschaft''?
Lieber, wahrlich, unter Einsiedlern und Ziegenhirten als mit unserm vergoldeten
falschen
uberschminkten Pobel leben, - ob er sich schon ``gute Gesellschaft'' heisst,
- ob er sich schon ``Adel'' heisst. Aber da ist Alles falsch und faul, voran das
Blut, Dank alten
schlechten Krankheiten und schlechteren Heil-Kunstlern.
Der Beste und Liebste ist mir heute noch ein gesunder Bauer, grob, listig,
hartnackig, langhaltig:
das ist heute die vornehmste Art.
Der Bauer ist heute der Beste; und Bauern-Art sollte Herr sein! Aber es ist das
Reich des Pobels,
-ich lasse mir Nichts mehr vormachen. Pobel aber, das heisst: Mischmasch.
Pobel-Mischmasch: darin ist Alles in Allem durcheinander, Heiliger und Hallunke
und Junker und
Jude und jeglich Vieh aus der Arche Noah.
Gute Sitten! Alles ist bei uns falsch und faul. Niemand weiss mehr zu verehren:
dem gerade laufen
wir davon. Es sind sussliche zudringliche Hunde, sie vergolden Palmenblatter.
Dieser Ekel wurgt mich, dass wir Konige selber falsch wurden, uberhangt und
verkleidet durch
alten vergilbten Grossvater-Prunk, Schaumunzen fur die Dummsten und die
Schlauesten, und wer
heute Alles mit der Macht Schacher treibt!
Wir sind nicht die Ersten - und mussen es doch bedeuten: dieser Betrugerei sind
wir endlich satt
und ekel geworden.
Dem Gesindel giengen wir aus dem Wege, allen diesen Schreihalsen und
Schreib-Schmeissfliegen,
dem Kramer-Gestank, dem Ehrgeiz-Gezappel, dem ublen Athem -: pfui, unter dem
Gesindel
leben,
-pfui, unter dem Gesindel die Ersten zu bedeuten! Ach, Ekel! Ekel! Ekel! Was
liegt noch an uns
Konigen!'' ``
Deine alte Krankheit fallt dich an, sagte hier der Konig zur Linken, der Ekel
fallt dich an, mein
armer Bruder. Aber du weisst es doch, es hort uns Einer zu.''
Sofort erhob sich Zarathustra, der zu diesen Reden Ohren und Augen aufgesperrt
hatte, aus
seinem Schlupfwinkel, trat auf die Konige zu und begann:
``Der Euch zuhort, der Euch gerne zuhort, ihr Konige, der heisst Zarathustra.
Ich bin Zarathustra, der einst sprach: ``Was liegt noch an Konigen!'' Vergebt
mir, ich freute mich,
als Ihr zu einander sagtet: ``Was liegt an uns Konigen!''
Hier aber ist mein Reich und meine Herrschaft: was mogt Ihr wohl in meinem
Reiche suchen?
Vielleicht aber fandet Ihr unterwegs, was ich suche: namlich den hoheren
Menschen.''
Als Diess die Konige horten, schlugen sie sich an die Brust und sprachen mit
Einem Munde: ``Wir
sind erkannt!
Mit dem Schwerte dieses Wortes zerhaust du unsres Herzens dickste Finsterniss.
Du entdecktest
unsre Noth, denn siehe! Wir sind unterwegs, dass wir den hoheren Menschen fanden
-
den Menschen, der hoher ist als wir: ob wir gleich Konige sind. Ihm fuhren wir
diesen Esel zu.
Der hochste Mensch namlich soll auf Erden auch der hochste Herr sein.
Es giebt kein harteres Ungluck in allem Menschen-Schicksale, als wenn die
Machtigen der Erde
nicht auch die ersten Menschen sind. Da wird Alles falsch und schief und
ungeheuer.
Und wenn sie gar die letzten sind und mehr Vieh als Mensch: da steigt und steigt
der Pobel im
Preise, und endlich spricht gar die Pobel-Tugend: ``siehe, ich allein bin
Tugend!'' Was
horte ich eben? antwortete Zarathustra; welche Weisheit bei Konigen! Ich bin
entzuckt, und,
wahrlich, schon gelustet's mich, einen Reim darauf zu machen: -
mag es auch ein Reim werden, der nicht fur Jedermanns Ohren taugt. Ich verlernte
seit langem
schon die Rucksicht auf lange Ohren. Wohlan! Wohlauf!
(Hier aber geschah es, dass auch der Esel zu Worte kam: er sagte aber deutlich
und mit bosem
Willen I-A.)
Einstmals - ich glaub', im Jahr des Heiles Eins -
Sprach die Sibylle, trunken sonder Weins:
``Weh, nun geht's schief!
``Verfall! Verfall! Nie sank die Welt so tief!
``Rom sank zur Hure und zur Huren-Bude,
``Rom's Caesar sank zum Vieh, Gott selbst - ward Jude!''
An diesen Reimen Zarathustra's weideten sich die Konige; der Konig zur Rechten
aber sprach:
``oh Zarathustra, wie gut thaten wir, dass wir auszogen, dich zu sehn!
Deine Feinde namlich zeigten uns dein Bild in ihrem Spiegel: da blicktest du mit
der Fratze eines
Teufels und hohnlachend: also dass wir uns vor dir furchteten.
Aber was half's! Immer wieder stachst du uns in Ohr und Herz mit deinen
Spruchen. Da sprachen
wir endlich: was liegt daran, wie er aussieht!
Wir mussen ihn horen, ihn, der lehrt ``ihr sollt den Frieden lieben als Mittel
zu neuen Kriegen, und
den kurzen Frieden mehr als den langen!''
Niemand sprach je so kriegerische Worte: ``Was ist gut? Tapfer sein ist gut. Der
gute Krieg ist's,
der jede Sache heiligt.''
Oh Zarathustra, unsrer Vater Blut ruhrte sich bei solchen Worten in unserm
Leibe: das war wie
die Rede des Fruhlings zu alten Weinfassern.
Wenn die Schwerter durcheinander liefen gleich rothgefleckten Schlangen, da
wurden unsre Vater
dem Leben gut; alles Friedens Sonne dunkte sie flau und lau, der lange Frieden
aber machte
Scham.
Wie sie seufzten, unsre Vater, wenn sie an der Wand blitzblanke ausgedorrte
Schwerter sahen!
Denen gleich dursteten sie nach Krieg. Ein Schwert namlich will Blut trinken und
funkelt vor
Begierde.'' -
-Als die Konige dergestalt mit Eifer von dem Gluck ihrer Vater redeten und
schwatzten,
uberkam Zarathustra keine kleine Lust, ihres Eifers zu spotten: denn ersichtlich
waren es sehr
friedfertige Konige, welche er vor sich sah, solche mit alten und feinen
Gesichtern. Aber er
bezwang sich. ``Wohlan! sprach er, dorthin fuhrt der Weg, da liegt die Hohle
Zarathustra's; und
dieser Tag soll einen langen Abend haben! Jetzt aber ruft mich eilig ein
Nothschrei fort von Euch.
Es ehrt meine Hohle, wenn Konige in ihr sitzen und warten wollen: aber,
freilich, Ihr werdet lange
warten mussen!
Je nun! Was thut's! Wo lernt man heute besser warten als an Hofen? Und der
Konige ganze
Tugend, die ihnen ubrig blieb, - heisst sie heute nicht: Warten-konnen ?''
Also sprach Zarathustra.
Der Blutegel
Und Zarathustra gieng nachdenklich weiter und tiefer, durch Walder und vorbei an
moorigen
Grunden; wie es aber Jedem ergeht, der uber schwere Dinge nachdenkt, so trat er
unversehens
dabei auf einen Menschen. Und siehe, da sprutzten ihm mit Einem Male ein
Weheschrei und zwei
Fluche und zwanzig schlimme Schimpfworte in's Gesicht: also dass er in seinem
Schrecken den
Stock erhob und auch auf den Getretenen noch zuschlug. Gleich darauf aber kam
ihm die
Besinnung; und sein Herz lachte uber die Thorheit, die er eben gethan hatte.
``Vergieb, sagte er zu dem Getretenen, der sich grimmig erhoben und gesetzt
hatte, vergieb und
vernimm vor Allem erst ein Gleichniss.
Wie ein Wanderer, der von fernen Dingen traumt, unversehens auf einsamer Strasse
einen
schlafenden Hund anstosst, einen Hund, der in der Sonne liegt:
-wie da Beide auffahren, sich anfahren, Todfeinden gleich, diese zwei zu Tod
Erschrockenen:
also ergieng es uns.
Und doch! Und doch - wie wenig hat gefehlt, dass sie einander liebkosten, dieser
Hund und dieser
Einsame! Sind sie doch Beide - Einsame!''
-``Wer du auch sein magst, sagte immer noch grimmig der Getretene, du trittst
mir auch mit
deinem Gleichniss zu nahe, und nicht nur mit deinem Fusse!
Siehe doch, bin ich denn ein Hund?'' - und dabei erhob sich der Sitzende und zog
seinen nackten
Arm aus dem Sumpfe. Zuerst namlich hatte er ausgestreckt am Boden gelegen,
verborgen und
unkenntlich gleich Solchen, die einem Sumpf-Wilde auflauern.
``Aber was treibst du doch!'' rief Zarathustra erschreckt, denn er sahe, dass
uber den nackten Arm
weg viel Blut floss, - was ist dir zugestossen? Biss dich, du Unseliger, ein
schlimmes Thier?
Der Blutende lachte, immer noch erzurnt. ``Was geht's dich an! sagte er und
wollte weitergehn.
Hier bin ich heim und in meinem Bereiche. Mag mich fragen, wer da will: einem
Tolpel aber
werde ich schwerlich antworten.''
``Du irrst, sagte Zarathustra mitleidig und hielt ihn fest, du irrst: hier bist
du nicht bei dir, sondern
in meinem Reiche, und darin soll mir Keiner zu Schaden kommen.
Nenne mich aber immerhin, wie du willst, - ich bin, der ich sein muss. Ich
selber heisse mich
Zarathustra.
Wohlan! Dort hinauf geht der Weg zu Zarathustra's Hohle: die ist nicht fern, -
willst du nicht bei
mir deiner Wunden warten?
Es gieng dir schlimm, du Unseliger, in diesem Leben: erst biss dich das Thier,
und dann - trat dich
der Mensch!'' - -
Als aber der Getretene den Namen Zarathustra's horte, verwandelte er sich. ``Was
geschieht mir
doch! rief er aus, wer kummert mich denn noch in diesem Leben, als dieser Eine
Mensch, namlich
Zarathustra, und jenes Eine Thier, das vom Blute lebt, der Blutegel?
Des Blutegels halber lag ich hier an diesem Sumpfe wie ein Fischer, und schon
war mein
ausgehangter Arm zehn Mal angebissen, da beisst noch ein schonerer Igel nach
meinem Blute,
Zarathustra selber!
Oh Gluck! Oh Wunder! Gelobt sei dieser Tag, der mich in diesen Sumpf lockte!
Gelobt sei der
beste lebendigste Schropfkopf, der heut lebt, gelobt sei der grosse
Gewissens-Blutegel
Zarathustra!'' Also
sprach der Getretene; und Zarathustra freute sich uber seine Worte und ihre
feine
ehrfurchtige Art. ``Wer bist du? fragte er und reichte ihm die Hand, zwischen
uns bleibt Viel
aufzuklaren und aufzuheitern: aber schon, dunkt mich, wird es reiner heller
Tag.''
``Ich bin der Gewissenhafte des Geistes, antwortete der Gefragte, und in Dingen
des Geistes
nimmt es nicht leicht Einer strenger, enger und harter als ich, ausgenommen der,
von dem ich's
lernte, Zarathustra selber.
Lieber Nichts wissen, als Vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigne
Faust, als ein Weiser
nach fremdem Gutdunken! Ich - gehe auf den Grund:
-was liegt daran, ob er gross oder klein ist? Ob er Sumpf oder Himmel heisst?
Eine Hand breit
Grund ist mir genung: wenn er nur wirklich Grund und Boden ist!
-eine Hand breit Grund: darauf kann man stehn. In der rechten
Wissen-Gewissenschaft giebt es
nichts Grosses und nichts Kleines.''
``So bist du vielleicht der Erkenner des Blutegels? fragte Zarathustra; und du
gehst dem Blutegel
nach bis auf die letzten Grunde, du Gewissenhafter?''
``Oh Zarathustra, antwortete der Getretene, das ware ein Ungeheures, wie durfte
ich mich dessen
unterfangen!
Wess ich aber Meister und Kenner bin, das ist des Blutegels Hirn: - das ist
meine Welt!
Und es ist auch eine Welt! Vergieb aber, dass hier mein Stolz zu Worte kommt,
denn ich habe
hier nicht meines Gleichen. Darum sprach ich ``hier bin ich heim.''
Wie lange gehe ich schon diesem Einen nach, dem Hirn des Blutegels, dass die
schlupfrige
Wahrheit mir hier nicht mehr entschlupfe! Hier ist mein Reich!
-darob warf ich alles Andere fort, darob wurde mir alles. Andre gleich; und
dicht neben meinem
Wissen lagert mein schwarzes Unwissen.
Mein Gewissen des Geistes will es so von mir, dass ich Eins weiss und sonst
Alles nicht weiss: es
ekelt mich aller Halben des Geistes, aller Dunstigen, Schwebenden,
Schwarmerischen.
Wo meine Redlichkeit aufhort, bin ich blind und will auch blind sein. Wo ich
aber wissen will, will
ich auch redlich sein, namlich hart, streng, eng, grausam, unerbittlich.
Dass du einst sprachst, oh Zarathustra: ``Geist ist das Leben, das selber in's
Leben schneidet,'' das
fuhrte und verfuhrte mich zu deiner Lehre. Und, wahrlich, mit eignem Blute
mehrte ich mir das
eigne Wissen!''
-Wie der Augenschein lehrt,'' fiel Zarathustra ein; denn immer noch floss das
Blut an dem
nackten Arme des Gewissenhaften herab. Es hatten namlich zehn Blutegel sich in
denselben
eingebissen.
``Oh du wunderlicher Gesell, wie Viel lehrt mich dieser Augenschein da, namlich
du selber! Und
nicht Alles durfte ich vielleicht in deine strengen Ohren giessen!
Wohlan! So scheiden wir hier! Doch mochte ich gerne dich wiederfinden. Dort
hinauf fuhrt der
Weg zu meiner Hohle: heute Nacht sollst du dort mein lieber Gast sein!
Gerne mochte ich's auch an deinem Leibe wieder gut machen, dass Zarathustra dich
mit Fussen
trat: daruber denke ich nach. Jetzt aber ruft mich ein Nothschrei eilig fort von
dir.''
Also sprach Zarathustra.
Der Zauberer
1
Als aber Zarathustra um einen Felsen herumbog, da sahe er, nicht weit unter
sich, auf dem
gleichen Wege, einen Menschen, der die Glieder warf wie ein Tobsuchtiger und
endlich
bauchlings zur Erde niedersturzte. ``Halt! sprach da Zarathustra zu seinem
Herzen, Der dort muss
wohl der hohere Mensch sein, von ihm kam jener schlimme Nothschrei, - ich will
sehn, ob da zu
helfen ist.'' Als er aber hinzulief, an die Stelle, wo der Mensch auf dem Boden
lag, fand er einen
zitternden alten Mann mit stieren Augen; und wie sehr sich Zarathustra muhte,
dass er ihn
aufrichte und wieder auf seine Beine stelle, es war umsonst. Auch schien der
Ungluckliche nicht
zu merken, dass jemand um ihn sei; vielmehr sah er sich immer mit ruhrenden
Gebarden um, wie
ein von aller Welt Verlassener und Vereinsamter. Zuletzt aber, nach vielem
Zittern, Zucken und
Sich-zusammen-Krummen, begann er also zu jammern:
Wer warmt mich, wer liebt mich noch?
Gebt heisse Hande!
Gebt Herzens-Kohlenbecken!
Hingestreckt, schaudernd,
Halbtodtem gleich, dem man die Fusse warmt -
Geschuttelt, ach! von unbekannten Fiebern,
Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,
Von dir gejagt, Gedanke!
Unnennbarer! Verhullter! Entsetzlicher!
Du Jager hinter Wolken!
Darniedergeblitzt von dir,
Du hohnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt:
-so liege ich,
Biege mich, winde mich, gequalt
Von allen ewigen Martern,
Getroffen
Von Dir, grausamster Jager,
Du unbekannter - Gott!
Triff tiefer,
Triff Ein Mal noch!
Zerstich, zerbrich diess Herz!
Was soll diess Martern
Mit zahnestumpfen Pfeilen?
Was blickst du wieder,
Der Menschen-Qual nicht mude,
Mit schadenfrohen Gotter-Blitz-Augen?
Nicht todten willst du,
Nur martern, martern?
Wozu - mich martern,
Du schadenfroher unbekannter Gott? -
Haha! Du schleichst heran?
Bei solcher Mitternacht
Was willst du? Sprich!
Du drangst mich, druckst mich Ha!
schon viel zu nahe!
Weg! Weg!
Du horst mich athmen,
Du behorchst mein Herz,
Du Eifersuchtiger -
Worauf doch eifersuchtig?
Weg! Weg! Wozu die Leiter?
Willst du hinein,
In's Herz,
Einsteigen, in meine heimlichsten
Gedanken einsteigen?
Schamloser! Unbekannter - Dieb!
Was willst du dir erstehlen,
Was willst du dir erhorchen,
Was willst du dir erfoltern,
Du Folterer!
Du - Henker-Gott!
Oder soll ich, dem Hunde gleich,
Vor dir mich walzen?
Hingebend, begeistert-ausser-mir,
Dir - Liebe zuwedeln?
Umsonst! Stich weiter,
Grausamster Stachel! Nein,
Kein Hund - dein Wild nur bin ich,
Grausamster Jager!
Dein stolzester Gefangner,
Du Rauber hinter Wolken!
Sprich endlich,
Was willst du, Wegelagerer, von mir?
Du Blitz-Verhullter! Unbekannter! Sprich,
Was willst du, unbekannter Gott? - -
Wie? Losegeld?
Was willst du Losegelds?
Verlange Viel - das rath mein Stolz!
Und rede kurz - das rath mein andrer Stolz!
Haha!
Mich - willst du? Mich?
Mich - ganz?
Haha!
Und marterst mich, Narr, der du bist,
Zermarterst meinen Stolz?
Gieb Liebe mir - wer warmt mich noch?
Wer liebt mich noch? - gieb heisse Hande,
Gieb Herzens-Kohlenbecken,
Gieb mir, dem Einsamsten,
Den Eis, ach! siebenfaches Eis
Nach Feinden selber,
Nach Feinden schmachten lehrt,
Gieb, ja ergieb,
Grausamster Feind,
Mir - dich! - -
Davon!
Da floh er selber,
Mein letzter einziger Genoss,
Mein grosser Feind,
Mein Unbekannter,
Mein Henker-Gott!
-Nein! Komm zuruck,
Mit allen deinen Martern!
Zum Letzten aller Einsamen
Oh komm zuruck!
All meine Thranen-Bache laufen
Zu dir den Lauf!
Und meine letzte Herzens-Flamme
Dir gluht sie auf!
Oh komm zuruck,
Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes -
Gluck!
-Hier aber konnte sich Zarathustra nicht langer halten, nahm seinen Stock und
schlug mit allen
Kraften auf den jammernden los. ``Halt ein! schrie er ihm zu, mit ingrimmigem
Lachen, halt ein,
du Schauspieler! Du Falschmunzer! Du Lugner aus dem Grunde! Ich erkenne dich
wohl!
Ich will dir schon warme Beine machen, du schlimmer Zauberer, ich verstehe mich
gut darauf,
Solchen wie du bist - einzuheizen!''
-``Lass ab, sagte der alte Mann und sprang vom Boden auf, schlage nicht mehr, oh
Zarathustra!
Ich trieb's also nur zum Spiele!
Solcherlei gehort zu meiner Kunst; dich selber wollte ich auf die Probe stellen,
als ich dir diese
Probe gab! Und, wahrlich, du hast mich gut durchschaut!
Aber auch du - gabst mir von dir keine kleine Probe: du bist hart, du weiser
Zarathustra! Hart
schlagst du zu mit deinen ``Wahrheiten,'' dein Knuttel erzwingt von mir - diese
Wahrheit!''
-``Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und
finsterblickend, du
Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du - von Wahrheit!
Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, was spieltest du vor mir, du
schlimmer Zauberer, an
wen sollte ich glauben, als du in solcher Gestalt jammertest?''
``Den Busser des Geistes, sagte der alte Mann, den - spielte ich: du selber
erfandest einst diess
Wort -
den Dichter und Zauberer, der gegen sich selber endlich seinen Geist wendet, den
Verwandelten, der an seinem bosen Wissen und Gewissen erfriert.
Und gesteh es nur ein: es wahrte lange, oh Zarathustra, bis du hinter meine
Kunst und Luge
kamst! Du glaubtest an meine Noth, als du mir den Kopf mit beiden Handen
hieltest, -
ich horte dich jammern ``man hat ihn zu wenig geliebt, zu wenig geliebt!'' Dass
ich dich soweit
betrog, daruber frohlockte inwendig meine Bosheit.''
``Du magst Feinere betrogen haben als mich, sagte Zarathustra hart. Ich bin
nicht auf der Hut vor
Betrugern, ich muss ohne Vorsicht sein: so will es mein Loos.
Du aber - musst betrugen: so weit kenne ich dich! Du musst immer zwei- drei-
vier- und
funfdeutig sein! Auch was du jetzt bekanntest, war mir lange nicht wahr und
nicht falsch genung!
Du schlimmer Falschmunzer, wie konntest du anders! Deine Krankheit wurdest du
noch
schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest.
So schminktest du eben vor mir deine Luge, als du sprachst: ``ich trieb's also
nur zum Spiele!'' Es
war auch Ernst darin, du bist Etwas von einem Busser des Geistes!
Ich errathe dich wohl: du wurdest der Bezauberer Aller, aber gegen dich hast du
keine Luge und
List mehr ubrig, - du selber bist dir entzaubert!
Du erntetest den Ekel ein, als deine Eine Wahrheit. Kein Wort ist mehr an dir
acht, aber dein
Mund: namlich der Ekel, der an deinem Munde klebt.'' - -``
Wer bist du doch! schrie hier der alte Zauberer mit einer trotzigen Stimme, wer
darf also zu m
i r reden, dem Grossten, der heute lebt?'' - und ein gruner Blitz schoss aus
seinem Auge nach
Zarathustra. Aber gleich darauf verwandelte er sich und sagte traurig:
``Oh Zarathustra, ich bin's mude, es ekelt mich meiner Kunste, ich bin nicht
gross, was verstelle
ich mich! Aber, du weisst es wohl - ich suchte nach Grosse!
Einen grossen Menschen wollte ich vorstellen und uberredete Viele: aber diese
Luge gieng uber
meine Kraft. An ihr zerbreche ich.
Oh Zarathustra, Alles ist Luge an mir; aber dass ich zerbreche - diess mein
Zerbrechen ist acht!'' ``
Es ehrt dich, sprach Zarathustra duster und zur Seite niederblickend, es ehrt
dich, dass du nach
Grosse suchtest, aber es verrath dich auch. Du bist nicht gross.
Du schlimmer alter Zauberer, das ist dein Bestes und Redlichstes, was ich an dir
ehre, dass du
deiner mude wurdest und es aussprachst: ``ich bin nicht gross.''
Darin ehre ich dich als einen Busser des Geistes: und wenn auch nur fur einen
Hauch und Husch,
diesen Einen Augenblick warst du - acht.
Aber sprich, was suchst du hier in meinen Waldern und Felsen? Und wenn du mir
dich in den
Weg legtest, welche Probe wolltest du von mir? -
wess versuchtest du mich?'' Also
sprach Zarathustra, und seine Augen funkelten. Der alte Zauberer schwieg eine
Weile, dann
sagte er: ``Versuchte ich dich? Ich - suche nur.
Oh Zarathustra, ich suche einen Achten, Rechten, Einfachen, Eindeutigen, einen
Menschen aller
Redlichkeit, ein Gefass der Weisheit, einen Heiligen der Erkenntniss, einen
grossen Menschen!
Weisst du es denn nicht, oh Zarathustra? Ich suche Zarathustra.''
-Und hier entstand ein langes Stillschweigen zwischen Beiden; Zarathustra aber
versank tief
hinein in sich selber, also dass er die Augen schloss. Dann aber, zu seinem
Unterredner
zuruckkehrend, ergriff er die Hand des Zauberers und sprach, voller Artigkeit
und Arglist:
``Wohlan! Dort hinauf fuhrt der Weg, da liegt die Hohle Zarathustra's. In ihr
darfst du suchen,
wen du finden mochtest.
Und frage meine Thiere um Rath, meinen Adler und meine Schlange: die sollen dir
suchen helfen.
Meine Hohle aber ist gross.
Ich selber freilich - ich sah noch keinen grossen Menschen. Was gross ist, dafur
ist das Auge der
Feinsten heute grob. Es ist das Reich des Pobels.
So Manchen fand ich schon, der streckte und blahte sich, und das Volk schrie:
``Seht da, einen
grossen Menschen!'' Aber was helfen alle Blasebalge! Zuletzt fahrt der Wind
heraus.
Zuletzt platzt ein Frosch, der sich zu lange aufblies: da fahrt der Wind heraus.
Einem
Geschwollnen in den Bauch stechen, das heisse ich eine brave Kurzweil. Hort das,
ihr Knaben!
Diess Heute ist des Pobels: wer weiss da noch, was gross, was klein ist! Wer
suchte da mit Gluck
nach Grosse! Ein Narr allein: den Narren gluckt's.
Du suchst nach grossen Menschen, du wunderlicher Narr? Wer lehrte's dich? Ist
heute dazu die
Zeit? Oh du schlimmer Sucher, was - versuchst du mich?'' - Also
sprach Zarathustra, getrosteten Herzens, und gierig lachend seines Wegs furbass.
Ausser Dienst
Nicht lange aber, nachdem Zarathustra sich von dem Zauberer losgemacht hatte,
sahe er
wiederum Jemanden am Wege sitzen, den er gierig, namlich einen schwarzen langen
Mann mit
einem hageren Bleichgesicht: der verdross ihn gewaltig. ``Wehe, sprach er zu
seinem Herzen, da,
sitzt vermummte Trubsal, das dunkt mich von der Art der Priester: was wollen die
in meinem
Reiche?
Wie! Kaum bin ich jenem Zauberer entronnen: muss mir da wieder ein anderer
Schwarzkunstler
uber den Weg laufen,
-irgend ein Hexenmeister mit Handauflegen, ein dunkler Wunderthater von Gottes
Gnaden, ein
gesalbter Welt-Verleumder, den der Teufel holen moge!
Aber der Teufel ist nie am Platze, wo er am Platze ware: immer kommt er zu spat,
dieser
vermaledeite Zwerg und Klumpfuss!'' Also
fluchte Zarathustra ungeduldig in seinem Herzen und gedachte, wie er abgewandten
Blicks
an dem schwarzen Manne voruberschlupfe: aber siehe, es kam anders. Im gleichen
Augenblicke
namlich hatte ihn schon der Sitzende erblickt; und nicht unahnlich einem
Solchen, dem ein
unvermuthetes Gluck zustosst, sprang er auf und gieng auf Zarathustra los.
``Wer du auch bist, du Wandersmann, sprach er, hilf einem Verirrten, einem
Suchenden, einem
alten Manne, der hier leicht zu Schaden kommt!
Diese Welt hier ist mir fremd und fern, auch horte ich wilde Thiere heulen; und
Der, welcher mir
hatte Schutz bieten konnen, der ist selber nicht mehr.
Ich suchte den letzten frommen Menschen, einen Heiligen und Einsiedler, der
allein in seinem
Walde noch Nichts davon gehort hatte, was alle Welt heute weiss.''
``Was weiss heute alle Welt? fragte Zarathustra. Etwa diess, dass der alte Gott
nicht mehr lebt, an
den alle Welt einst geglaubt hat?''
``Du sagst es, antwortete der alte Mann betrubt. Und ich diente diesem alten
Gotte bis zu seiner
letzten Stunde.
Nun aber bin ich ausser Dienst, ohne Herrn, und doch nicht frei, auch keine
Stunde mehr lustig,
es sei denn in Erinnerungen.
Dazu stieg ich in diese Berge, dass ich endlich wieder ein Fest mir machte, wie
es einem alten
Papste und Kirchen-Vater zukommt: denn wisse, ich bin der letzte Papst! - ein
Fest frommer
Erinnerungen und Gottesdienste.
Nun aber ist er selber todt, der frommste Mensch, jener Heilige im Walde, der
seinen Gott
bestandig mit Singen und Brummen lobte.
Ihn selber fand ich nicht mehr, als ich seine Hutte fand, - wohl aber zwei Wolfe
darin, welche um
seinen Tod heulten - denn alle Thiere liebten ihn. Da lief ich davon.
Kam ich also umsonst in diese Walder und Berge? Da entschloss sich mein Herz,
dass ich einen
Anderen suchte, den Frommsten aller Derer, die nicht an Gott glauben -, dass ich
Zarathustra
suchte!''
Also sprach der Greis und blickte scharfen Auges Den an, welcher vor ihm stand;
Zarathustra
aber ergriff die Hand des alten Papstes und betrachtete sie lange mit
Bewunderung.
``Siehe da, du Ehrwurdiger, sagte er dann, welche schone und lange Hand! Das ist
die Hand eines
Solchen, der immer Segen ausgetheilt hat. Nun aber halt sie Den fest, welchen du
suchst, mich,
Zarathustra.
Ich bin's, der gottlose Zarathustra, der da spricht: wer ist gottloser als ich,
dass ich mich seiner
Unterweisung freue?'' Also
sprach Zarathustra und durchbohrte mit seinen Blicken die Gedanken und
Hintergedanken
des alten Papstes. Endlich begann dieser:
``Wer ihn am meisten liebte und besass, der hat ihn nun am meisten auch verloren
-:
-siehe, ich selber bin wohl von uns Beiden jetzt der Gottlosere? Aber wer konnte
daran sich
freuen!'' ``
Du dientest ihm bis zuletzt, fragte Zarathustra nachdenklich, nach einem tiefen
Schweigen, du
weisst, wie er starb? Ist es wahr, was man spricht, dass ihn das Mitleiden
erwurgte,
-dass er es sah, wie der Mensch am Kreuze hieng, und es nicht ertrug, dass die
Liebe zum
Menschen seine Holle und zuletzt sein Tod wurde?'' -
Der alte Papst aber antwortete nicht, sondern blickte scheu und mit einem
schmerzlichen und
dusteren Ausdrucke zur Seite.
``Lass ihn fahren, sagte Zarathustra nach einem langen Nachdenken, indem er
immer noch dem
alten Manne gerade in's Auge blickte.
Lass ihn fahren, er ist dahin. Und ob es dich auch ehrt, dass du diesem Todten
nur Gutes
nachredest, so weisst du so gut als ich, wer er war; und dass er wunderliche
Wege gieng.''
``Unter drei Augen gesprochen, sagte erheitert der alte Papst (denn er war auf
Einem Auge
blind), in Dingen Gottes bin ich aufgeklarter als Zarathustra selber - und darf
es sein.
Meine Liebe diente ihm lange Jahre, mein Wille gierig allem seinen Willen nach.
Ein guter Diener
aber weiss Alles, und Mancherlei auch, was sein Herr sich selbst verbirgt.
Es war ein verborgener Gott, voller Heimlichkeit. Wahrlich zu einem Sohne sogar
kam er nicht
anders als auf Schleichwegen. An der Thur seines Glaubens steht der Ehebruch.
Wer ihn als einen Gott der Liebe preist, denkt nicht hoch genug von der Liebe
selber. Wollte
dieser Gott nicht auch Richter sein? Aber der Liebende liebt jenseits von Lohn
und Vergeltung.
Als er jung war, dieser Gott aus dem Morgenlande, da war er hart und rachsuchtig
und erbaute
sich eine Holle zum Ergotzen seiner Lieblinge.
Endlich aber wurde er alt und weich und murbe und mitleidig, einem Grossvater
ahnlicher als
einem Vater, am ahnlichsten aber einer wackeligen alten Grossmutter.
Da sass er, welk, in seinem Ofenwinkel, harmte sich ob seiner schwachen Beine,
weltmude,
willensmude, und erstickte eines Tags an seinem allzugrossen Mitleiden.'' - ``
Du alter Papst, sagte hier Zarathustra dazwischen, hast du Das mit Augen
angesehn? Es konnte
wohl so abgegangen sein: so, und auch anders. Wenn Gotter sterben, sterben sie
immer viele
Arten Todes.
Aber wohlan! So oder so, so und so - er ist dahin! Er gieng meinen Ohren und
Augen wider den
Geschmack, Schlimmeres mochte ich ihm nicht nachsagen.
Ich liebe Alles, was hell blickt und redlich redet. Aber er - du weisst es ja,
du alter Priester, es war
Etwas von deiner Art an ihm, von Priester-Art - er war vieldeutig.
Er war auch undeutlich. Was hat er uns darob gezurnt, dieser Zornschnauber, dass
wir ihn
schlecht verstanden Aber warum sprach er nicht reinlicher?
Und lag es an unsern Ohren, warum gab er uns Ohren, die ihn schlecht horten? War
Schlamm in
unsern Ohren, wohlan! wer legte ihn hinein?
Zu Vieles missrieth ihm, diesem Topfer, der nicht ausgelernt hatte! Dass er aber
Rache an seinen
Topfen und Geschopfen nahm, dafur dass sie ihm schlecht geriethen, - das war
eine Sunde wider
den guten Geschmack.
Es giebt auch in der Frommigkeit guten Geschmack: der sprach endlich ``Fort mit
einem solchen
Gotte! Lieber keinen Gott, lieber auf eigne Faust Schicksal machen, lieber Narr
sein, lieber selber
Gott sein!''
-``Was hore ich! sprach hier der alte Papst mit gespitzten Ohren; oh
Zarathustra, du bist frommer
als du glaubst, mit einem solchen Unglauben! Irgend ein Gott in dir bekehrte
dich zu deiner
Gottlosigkeit.
Ist es nicht deine Frommigkeit selber, die dich nicht mehr an einen Gott glauben
lasst? Und deine
ubergrosse Redlichkeit wird dich auch noch jenseits von Gut und Bose wegfuhren!
Siehe, doch, was blieb dir aufgespart? Du hast Augen und Hand und Mund, die sind
zum Segnen
vorher bestimmt seit Ewigkeit. Man segnet nicht mit der Hand allein.
In deiner Nahe, ob du schon der Gottloseste sein willst, wittere ich einen
heimlichen Weih- und
Wohlgeruch von langen Segnungen: mir wird wohl und wehe dabei.
Lass mich deinen Gast sein, oh Zarathustra, fur eine einzige Nacht! Nirgends auf
Erden wird es
mir jetzt wohler als bei dir!'' ``
Amen! So soll es sein! sprach Zarathustra mit grosser Verwunderung, dort hinauf
fuhrt der
Weg, da liegt die Hohle Zarathustra's.
Gerne, furwahr, wurde ich dich selber dahin geleiten, du Ehrwurdiger, denn ich
liebe alle
frommen Menschen. Aber jetzt ruft mich eilig ein Nothschrei weg von dir.
In meinem Bereiche soll mir Niemand zu Schaden kommen; meine Hohle ist ein guter
Hafen. Und
am liebsten mochte ich jedweden Traurigen wieder auf festes Land und feste Beine
stellen.
Wer aber nahme dir deine Schwermuth von der Schulter? Dazu bin ich zu schwach.
Lange,
wahrlich, mochten wir warten, bis dir Einer deinen Gott wieder aufweckt.
Dieser alte Gott namlich lebt nicht mehr: der ist grundlich todt.'' Also
sprach Zarathustra.
Der hasslichste Mensch
-Und wieder liefen Zarathustra's Fusse durch Berge und Walder, und seine Augen
suchten und
suchten, aber nirgends war Der zu sehen, welchen sie sehn wollten, der grosse
Nothleidende und
Nothschreiende. Auf dem ganzen Wege aber frohlockte er in seinem Herzen und war
dankbar.
``Welche guten Dinge, sprach er, schenkte mir doch dieser Tag, zum Entgelt, dass
er schlimm
begann! Welche seltsamen Unterredner fand ich!
An deren Worten will ich lange nun kauen gleich als an guten Kornern; klein soll
mein Zahn sie
mahlen und malmen, bis sie mir wie Milch in die Seele fliessen!'' - -
Als aber der Weg wieder um einen Felsen bog, veranderte sich mit Einem Male die
Landschaft,
und Zarathustra trat in ein Reich des Todes. Hier starrten schwarze und rothe
Klippen empor:
kein Gras, kein Baum, keine Vogelstimme. Es war namlich ein Thal, welches alle
Thiere mieden,
auch die Raubthiere-, nur dass eine Art hasslicher, dicker, gruner Schlangen,
wenn sie alt wurden,
hierher kamen, um zu sterben. Darum nannten diess Thal die Hirten:
Schlangen-Tod.
Zarathustra aber versank in eine schwarze Erinnerung, denn ihm war, als habe er
schon ein Mal in
diesem Thal gestanden. Und vieles Schwere legte sich ihm uber den Sinn: also,
dass er langsam
gieng und immer langsamer und endlich still stand. Da aber sahe er, als er die
Augen aufthat,
Etwas, das am Wege sass, gestaltet wie ein Mensch und kaum wie ein Mensch, etwas
Unaussprechliches. Und mit Einem Schlage uberfiel Zarathustra die grosse Scham
darob, dass er
so Etwas mit den Augen angesehn habe: errothend bis hinauf an sein weisses Haar,
wandte er den
Blick ab und hob den Fuss, dass er diese schlimme Stelle verlasse. Da aber wurde
die todte Ode
laut: vom Boden auf namlich quoll es gurgelnd und rochelnd, wie Wasser Nachts
durch verstopfte
Wasser-Rohren gurgelt und rochelt; und zuletzt wurde daraus eine Menschen-Stimme
und
Menschen-Rede: - die lautete also.
``Zarathustra! Zarathustra! Rathe mein Rathsel! Sprich, sprich! Was ist die
Rache am Zeugen?
Ich locke dich zuruck, hier ist glattes Eis! Sieh zu, sieh zu, ob dein Stolz
sich hier nicht die Beine
bricht!
Du dunkst dich weise, du stolzer Zarathustra! So rathe doch das Rathsel, du
harter
Nusseknacker, - das Rathsel, das ich bin! So sprich doch - wer bin ich! ''
-Als aber Zarathustra diese Worte gehort hatte, - was glaubt ihr wohl, dass sich
da mit seiner
Seele zutrug? Das Mitleiden fiel ihn an; und er sank mit Einem Male nieder, wie
ein Eichbaum,
der lange vielen Holzschlagern widerstanden hat, - schwer, plotzlich, zum
Schrecken selber fur
Die, welche ihn fallen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und
sein Antlitz
wurde hart.
``Ich erkenne dich wohl, sprach er mit einer erzenen Stimme: du bist der Morder
Gottes! Lass
mich gehn.
Du ertrugst Den nicht, der dich sah, - der dich immer und durch und durch sah,
du hasslichster
Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!''
Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche fasste nach
einem Zipfel
seines Gewandes und begann von Neuem zu gurgeln und nach Worten zu suchen.
``Bleib!'' sagte
er endlich
-bleib! Geh nicht voruber! Ich errieth, welche Axt dich zu Boden schlug: Heil
dir, oh Zarathustra,
dass du wieder stehst!
Du erriethest, ich weiss es gut, wie Dem zu Muthe ist, der ihn todtete, - dem
Morder Gottes.
Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.
Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber nicht
an! Ehre also meine
Hasslichkeit!
Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zuflucht. Nicht mit ihrem Hasse,
nicht mit ihren
Haschern: - oh solcher Verfolgung wurde ich spotten und stolz und froh sein!
War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolgten? Und wer gut verfolgt,
lernt leicht folgen: ist
er doch einmal - hinterher! Aber ihr Mitleid ist's -
ihr Mitleid ist's, vor dem ich fluchte und dir zufluchte. Oh Zarathustra,
schutze mich, du meine
letzte Zuflucht, du Einziger, der mich errieth:
-du erriethest, wie Dem zu Muthe ist, welcher ihn todtete. Bleib! Und willst du
gehn, du
Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der Weg ist schlecht.
Zurnst du mir, dass ich zu lange schon rede-rade-breche? Dass ich schon dir
rathe? Aber wisse,
ich bin's, der hasslichste Mensch,
-der auch die grossten schwersten Fusse hat. Wo ich gieng, ist der Weg schlecht.
Ich trete alle
Wege todt und zu Schanden.
Dass du aber an mir vorubergiengst, schweigend; dass du errothetest, ich sah es
wohl: daran
erkannte ich dich als Zarathustra.
Jedweder Andere hatte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit Blick und
Rede. Aber
dazu - bin ich nicht Bettler genug, das erriethest du -
dazu bin ich zu reich , reich an Grossem, an Furchtbarem, am Hasslichsten, am
Unaussprechlichsten! Deine Scham, oh Zarathustra, ehrte mich!
Mit Noth kam ich heraus aus dem Gedrang der Mitleidigen, - dass ich den Einzigen
fande, der
heute lehrt ``Mitleiden ist zudringlich'' - dich, oh Zarathustra!
-sei es eines Gottes, sei es der Menschen Mitleiden: Mitleiden geht gegen die
Scham. Und nichthelfen-
wollen kann vornehmer sein als jene Tugend, die zuspringt.
Das aber heisst heute Tugend selber bei allen kleinen Leuten, das Mitleiden: -
die haben keine
Ehrfurcht vor grossem Ungluck, vor grosser Hasslichkeit, vor grossem Missrathen.
Uber diese Alle blicke ich hinweg, wie ein Hund uber die Rucken wimmelnder
Schafheerden
wegblickt. Es sind kleine wohlwollige wohlwillige graue Leute.
Wie ein Reiher verachtend uber flache Teiche wegblickt, mit zuruckgelegtem
Kopfe: so blicke ich
uber das Gewimmel grauer kleiner Wellen und Willen und Seelen weg.
Zu lange hat man ihnen Recht gegeben, diesen kleinen Leuten: so gab man ihnen
endlich auch die
Macht - nun lehren sie: ``gut ist nur, was kleine Leute gut heissen.''
Und ``Wahrheit'' heisst heute, was der Prediger sprach, der selber aus ihnen
herkam, jener
wunderliche Heilige und Fursprecher der kleinen Leute, welcher von sich zeugte
``ich - bin die
Wahrheit.''
Dieser Unbescheidne macht nun lange schon den kleinen Leuten den Kamm hoch
schwellen - er,
der keinen kleinen Irrthum lehrte, als er lehrte ``ich - bin die Wahrheit.''
Ward einem Unbescheidnen jemals hoflicher geantwortet? - Du aber, oh
Zarathustra, giengst an
ihm voruber und sprachst: ``Nein! Nein! Drei Mal Nein!''
Du warntest vor seinem Irrthum, du warntest als der Erste vor dem Mitleiden -
nicht Alle, nicht
Keinen, sondern dich und deine Art.
Du schamst dich an der Scham des grossen Leidenden; und wahrlich, wenn du
sprichst ``von dem
Mitleiden her kommt eine grosse Wolke, habt Acht, ihr Menschen!''
-wenn du lehrst ``alle Schaffenden sind hart, alle grosse Liebe ist uber ihrem
Mitleiden'': oh
Zarathustra, wie gut dunkst du mich eingelernt auf Wetter-Zeichen!
Du selber aber - warne dich selber auch vor deinem Mitleiden! Denn Viele sind zu
dir unterwegs,
viele Leidende, Zweifelnde, Verzweifelnde, Ertrinkende, Frierende -
Ich warne dich auch vor mir. Du erriethest mein bestes, schlimmstes Rathsel,
mich selber und was
ich that. Ich kenne die Axt, die dich fallt.
Aber er - musste sterben: er sah mit Augen, welche Alles sahn, - er sah des
Menschen Tiefen und
Grunde, alle seine verhehlte Schmach und Hasslichkeit.
Sein Mitleiden kannte keine Scham: er kroch in meine schmutzigsten Winkel.
Dieser
Neugierigste, Uber-Zudringliche, Uber-Mitleidige musste sterben.
Er sah immer mich: an einem solchen Zeugen wollte ich Rache haben - oder selber
nicht leben.
Der Gott, der Alles sah, auch den Menschen dieser Gott musste sterben! Der
Mensch ertragt es
nicht, dass solch ein Zeuge lebt.''
Also, sprach der hasslichste Mensch. Zarathustra aber erhob sich und schickte
sich an fortzugehn:
denn ihn frostelte bis in seine Eingeweide.
``Du Unaussprechlicher, sagte er, du warntest mich vor deinem Wege. Zum Danke
dafur lobe ich
dir den meinen. Siehe, dort hinauf liegt die Hohle Zarathustra's.
Meine Hohle ist gross und tief und hat viele Winkel; da findet der Versteckteste
sein Versteck.
Und dicht bei ihr sind hundert Schlupfe und Schliche fur kriechendes,
flatterndes und springendes
Gethier.
Du Ausgestossener, der du dich selber ausstiessest, du willst nicht unter
Menschen und
Menschen-Mitleid wohnen? Wohlan, so thu's mir gleich! So lernst du auch von mir;
nur der
Thater lernt.
Und rede zuerst und -nachst mit meinen Thieren! Das stolzeste Thier und das
klugste Thier - die
mochten uns Beiden wohl die rechten Rathgeber sein!'' - Also
sprach Zarathustra und gieng seiner Wege, nachdenklicher und langsamer noch als
zuvor:
denn er fragte sich Vieles und wusste sich nicht leicht zu antworten.
``Wie arm ist doch der Mensch! dachte er in seinem Herzen, wie hasslich, wie
rochelnd, wie voll
verborgener Scham!
Man sagt mir, dass der Mensch sich selber liebe: ach, wie gross muss diese
Selber-Liebe sein! Wie
viel Verachtung hat sie wider sich!
Auch dieser da liebte sich, wie er sich verachtete, - ein grosser Liebender ist
er mir und ein
grosser Verachter.
Keinen fand ich noch, der sich tiefer verachtet hatte: auch Das ist Hohe. Wehe,
war Der vielleicht
der hohere Mensch, dessen Schrei ich horte?
Ich liebe die grossen Verachtenden. Der Mensch aber ist Etwas, das uberwunden
werden muss.''
Der freiwillige Bettler
Als Zarathustra den hasslichsten Menschen verlassen hatte, fror ihn, und er
fuhlte sich einsam: es
gieng ihm namlich vieles Kalte und Einsame durch die Sinne, also, dass darob
auch seine Glieder
kalter wurden. Indem er aber weiter und weiter stieg, hinauf, hinab, bald an
grunen Weiden
vorbei, aber auch uber wilde steinichte Lager, wo ehedem wohl ein ungeduldiger
Bach sich zu
Bett gelegt hatte.- da wurde ihm mit Einem Male wieder warmer und herzlicher zu
Sinne.
``Was geschah mir doch? fragte er sich, etwas Warmes und Lebendiges erquickt
mich, das muss
in meiner Nahe sein.
Schon bin ich weniger allein; unbewusste Gefahrten und Bruder schweifen um mich,
ihr warmer
Athem ruhrt an meine Seele.''
Als er aber um sich spahete und nach den Trostern seiner Einsamkeit suchte:
siehe, da waren es
Kuhe, welche auf einer Anhohe bei einander standen; deren Nahe und Geruch hatten
sein Herz
erwarmt. Diese Kuhe aber schienen mit Eifer einem Redenden zuzuhoren und gaben
nicht auf
Den Acht, der herankam. Wie aber Zarathustra ganz in ihrer Nahe war, horte er
deutlich, dass
eine Menschen-Stimme aus der Mitte der Kuhe heraus redete; und ersichtlich
hatten sie allesammt
ihre Kopfe dem Redenden zugedreht.
Da sprang Zarathustra mit Eifer hinauf und drangte die Thiere auseinander, denn
er furchtete,
dass hier jemandem ein Leids geschehn sei, welchem schwerlich das Mitleid von
Kuhen abhelfen
mochte. Aber darin hatte er sich getauscht; denn siehe, da sass ein Mensch auf
der Erde und
schien den Thieren zuzureden, dass sie keine Scheu vor ihm haben sollten, ein
friedfertiger
Mensch und Berg-Prediger, aus dessen Augen die Gute selber predigte. ``Was
suchst du hier?''
rief Zarathustra mit Befremden.
``Was ich hier suche? antwortete er: das Selbe, was du suchst, du Storenfried!
namlich das Gluck
auf Erden.
Dazu aber mochte ich von diesen Kuhen lernen. Denn, weisst du wohl, einen halben
Morgen
schon rede ich ihnen zu, und eben wollten sie mir Bescheid geben. Warum doch
storst du sie?
So wir nicht umkehren und werden wie die Kuhe, so kommen wir nicht in das
Himmelreich. Wir
sollten ihnen namlich Eins ablernen: das Wiederkauen.
Und wahrlich, wenn der Mensch auch die ganze Welt gewonne und lernte das Eine
nicht, das
Wiederkauen: was hulfe es! Er wurde nicht seine Trubsal los
-seine grosse Trubsal: die aber heisst heute Ekel. Wer hat heute von Ekel nicht
Herz, Mund und
Augen voll? Auch du! Auch du! Aber siehe doch diese Kuhe an!'' Also
sprach der Berg-Prediger und wandte dann seinen eignen Blick Zarathustra zu, -
denn bisher
hieng er mit Liebe an den Kuhen -: da aber verwandelte er sich. ``Wer ist das,
mit dem ich rede?
rief er erschreckt und sprang vom Boden empor.
Diess ist der Mensch ohne Ekel, diess ist Zarathustra selber, der Uberwinder des
grossen Ekels,
diess ist das Auge, diess ist der Mund, diess ist das Herz Zarathustra's
selber.''
Und indem er also sprach, kusste er Dem, zu welchem er redete, die Hande, mit
uberstromenden
Augen, und gebardete sich ganz als Einer, dem ein kostbares Geschenk und Kleinod
unversehens
vom Himmel fallt. Die Kuhe aber schauten dem Allen zu und wunderten sich.
``Sprich nicht von mir, du Wunderlicher! Lieblicher! sagte Zarathustra und
wehrte seiner
Zartlichkeit, sprich mir erst von dir! Bist du nicht der freiwillige Bettler,
der einst einen grossen
Reichthum von sich warf,
-der sich seines Reichthums schamte und der Reichen, und zu den Armsten floh,
dass er ihnen
seine Fulle und sein Herz schenke? Aber sie nahmen ihn nicht an.''
``Aber sie nahmen mich nicht an, sagte der freiwillige Bettler, du weisst es ja.
So gieng ich endlich
zu den Thieren und zu diesen Kuhen.''
``Da lerntest du, unterbrach Zarathustra den Redenden, wie es schwerer ist,
recht geben als recht
nehmen, und dass gut schenken eine Kunst ist und die letzte listigste
Meister-Kunst der Gute.''
``Sonderlich heutzutage, antwortete der freiwillige Bettler: heute namlich, wo
alles Niedrige
aufstandisch ward und scheu und auf seine Art hoffahrtig: namlich auf Pobel-Art.
Denn es kam die Stunde, du weisst es ja, fur den grossen schlimmen langen
langsamen Pobel- und
Sklaven-Aufstand: der wachst und wachst!
Nun emport die Niedrigen alles Wohlthun und kleine Weggeben; und die Uberreichen
mogen auf
der Hut sein!
Wer heute gleich bauchichten Flaschen tropfelt aus allzuschmalen Halsen: -
solchen Flaschen
bricht man heute gern den Hals.
Lusterne Gier, gallichter Neid, vergramte Rachsucht, Pobel-Stolz: das sprang mir
Alles in's
Gesicht. Es ist nicht mehr wahr, dass die Armen selig sind. Das Himmelreich aber
ist bei den
Kuhen.''
Und warum ist es nicht bei den Reichen? fragte Zarathustra versuchend, wahrend
er den Kuhen
wehrte, die den Friedfertigen zutraulich anschnauften.
``Was versuchst du mich? antwortete dieser. Du weisst es selber besser noch als
ich. Was trieb
mich doch zu den Armsten, oh Zarathustra? War es nicht der Ekel vor unsern
Reichsten?
-vor den Straflingen des Reichthums, welche sich ihren Vortheil aus jedem
Kehricht auflesen, mit
kalten Augen, geilen Gedanken, vor diesem Gesindel, das gen Himmel stinkt,
-vor diesem verguldeten verfalschten Pobel, dessen Vater Langfinger oder
Aasvogel oder
Lumpensammler waren, mit Weibern willfahrig, lustern, vergesslich: - sie haben's
namlich alle
nicht weit zur Hure -
Pobel oben, Pobel unten! Was ist heute noch ``Arm'' und ``Reich''! Diesen
Unterschied verlernte
ich, - da floh ich davon, weiter, immer weiter, bis ich zu diesen Kuhen kam.''
Also sprach der Friedfertige und schnaufte selber und schwitzte bei seinen
Worten: also dass die
Kuhe sich von Neuem wunderten. Zarathustra aber sah ihm immer mit Lacheln in's
Gesicht, als er
so hart redete, und schuttelte dazu schweigend den Kopf.
``Du thust dir Gewalt an, du Berg-Prediger, wenn du solche harte Worte brauchst.
Fur solche
Harte wuchs dir nicht der Mund, nicht das Auge.
Auch, wie mich dunkt, dein Magen selber nicht: dem widersteht all solches Zurnen
und Hassen
und Uberschaumen. Dein Magen will sanftere Dinge: du bist kein Fleischer.
Vielmehr dunkst du mich ein Pflanzler und Wurzelmann. Vielleicht malmst du
Korner. Sicherlich
aber bist du fleischlichen Freuden abhold und liebst den Honig.''
``Du erriethst mich gut, antwortete der freiwillige Bettler, mit erleichtertem
Herzen. Ich liebe den
Honig, ich malme auch Korner, denn ich suchte, was lieblich mundet und reinen
Athem macht:
-auch was lange Zeit braucht, ein Tag- und Maul-Werk fur sanfte Mussigganger und
Tagediebe.
Am weitesten freilich brachten es diese Kuhe: die erfanden sich das Wiederkauen
und In-derSonne-
Liegen. Auch enthalten sie sich aller schweren Gedanken, welche das Herz
blahn.''
-Wohlan! sagte Zarathustra: du solltest auch meine Thiere sehn, meinen Adler und
meine
Schlange, - ihres Gleichen giebt es heute nicht auf Erden.
Siehe, dorthin fuhrt der Weg zu meiner Hohle: sei diese Nacht ihr Gast. Und rede
mit meinen
Thieren vom Gluck der Thiere,
-bis ich selber heimkomme. Denn jetzt ruft ein Nothschrei Mich eilig weg von
dir. Auch findest
du neuen Honig bei mir, eisfrischen Waben-Goldhonig: den iss!
Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kuhen, du Wunderlicher! Lieblicher! ob
es dir schon
schwer werden mag. Denn es sind deine warmsten Freunde und Lehrmeister!'' ``-
Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der freiwillige Bettler.
Du selber
bist gut und besser noch als eine Kuh, oh Zarathustra!''
``Fort, fort mit dir! du arger Schmeichler! schrie Zarathustra mit Bosheit, was
verdirbst du mich
mit solchem Lob und Schmeichel-Honig?''
``Fort, fort von mir!'' schrie er noch Ein Mal und schwang seinen Stock nach dem
zartlichen
Bettler: der aber lief hurtig davon.
Der Schatten
Kaum aber war der freiwillige Bettler davongelaufen und Zarathustra wieder mit
sich allein, da
horte er hinter sich eine neue Stimme: die rief ``Halt! Zarathustra! So warte
doch! Ich bin's ja, oh
Zarathustra, ich, dein Schatten!'' Aber Zarathustra wartete nicht, denn ein
plotzlicher Verdruss
uberkam ihn ob des vielen Zudrangs und Gedrangs in seinen Bergen. ``Wo ist meine
Einsamkeit
hin? sprach er.
Es wird mir wahrlich zu viel; diess Gebirge wimmelt, mein Reich ist nicht mehr
von dieser Welt,
ich brauche neue Berge.
Mein Schatten ruft mich? Was liegt an meinem Schatten! Mag er mir nachlaufen!
ich - laufe ihm
davon. Also
sprach Zarathustra zu seinem Herzen und lief davon. Aber Der, welcher hinter ihm
war,
folgte ihm nach: so dass alsbald drei Laufende hinter einander her waren,
namlich voran der
freiwillige Bettler, dann Zarathustra und zudritt und -hinterst sein Schatten.
Nicht lange liefen sie
so, da kam Zarathustra zur Besinnung uber seine Thorheit und schuttelte mit
Einem Rucke allen
Verdruss und Uberdruss von sich.
``Wie! sprach er, geschahen nicht von je die lacherlichsten Dinge bei uns alten
Einsiedlern und
Heiligen?
Wahrlich, meine Thorheit wuchs hoch in den Bergen! Nun hore ich sechs alte
Narren-Beine hinter
einander her klappern!
Darf aber Zarathustra sich wohl vor einem Schatten furchten? Auch dunkt mich zu
guterletzt,
dass er langere Beine hat als ich.''
Also sprach Zarathustra, lachend mit Augen und Eingeweiden, blieb stehen und
drehte sich
schnell herum - und siehe, fast warf er dabei seinen Nachfolger und Schatten zu
Boden: so dicht
schon folgte ihm derselbe auf den Fersen, und so schwach war er auch. Als er ihn
namlich mit
Augen prufte, erschrak er wie vor einem plotzlichen Gespenste: so dunn,
schwarzlich, hohl und
uberlebt sah dieser Nachfolger aus.
``Wer bist du? fragte Zarathustra heftig, was treibst du hier? Und wesshalb
heissest du dich
meinen Schatten? Du gefallst mir nicht.''
``Vergieb mir, antwortete der Schatten, dass ich's bin; und wenn ich dir nicht
gefalle, wohlan, oh
Zarathustra! darin lobe ich dich und deinen guten Geschmack.
Ein Wanderer bin ich, der viel schon hinter deinen Fersen her gieng: immer
unterwegs, aber ohne
Ziel, auch ohne Heim: also dass mir wahrlich wenig zum ewigen Juden fehlt, es
sei denn, dass ich
nicht ewig, und auch nicht Jude bin.
Wie? Muss ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt, unstat,
fortgetrieben? Oh
Erde, du wardst mir zu rund!
Auf jeder Oberflache sass ich schon, gleich mudem Staube schlief ich ein auf
Spiegeln und
Fensterscheiben: Alles nimmt von mir, Nichts giebt, ich werde dunn, - fast
gleiche ich einem
Schatten.
Dir aber, oh Zarathustra, flog und zog ich am langsten nach, und, verbarg ich
mich schon vor dir,
so war ich doch dein bester Schatten: wo du nur gesessen hast, sass ich auch.
Mit dir bin ich in fernsten, kaltesten Welten umgegangen, einem Gespenste
gleich, das freiwillig
uber Winterdacher und Schnee lauft.
Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn irgend
Etwas an mir
Tugend ist, so ist es, dass ich vor keinem Verbote Furcht hatte.
Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und Bilder
warf ich um, den
gefahrlichsten Wunschen lief ich nach, - wahrlich, uber jedwedes Verbrechen lief
ich einmal
hinweg.
Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werthe und grosse Namen. Wenn der
Teufel sich
hautet, fallt da nicht auch sein Name ab? der ist namlich auch Haut. Der Teufel
selber ist vielleicht
-Haut.
``Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt'': so sprach ich mir zu. In die kaltesten
Wasser sturzte ich mich,
mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft stand ich darob nackt als rother Krebs da!
Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die Guten! Ach,
wohin ist
jene verlogne Unschuld, die ich einst besass, die Unschuld der Guten und ihrer
edlen Lugen!
Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem Fusse: da trat sie mir
vor den Kopf.
Manchmal meinte ich zu lugen, und siehe! da erst traf ich - die Wahrheit.
Zu Viel klarte sich mir auf: nun geht es mich Nichts mehr an. Nichts lebt mehr,
das ich liebe, - wie
sollte ich noch mich selber lieben?
``Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben'': so will ich's, so will's
auch der Heiligste. Aber,
wehe! wie habe ich noch - Lust?
Habe ich - noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem mein Segel lauft?
Einen guten Wind? Ach, nur wer weiss, wohin er fahrt, weiss auch, welcher Wind
gut und sein
Fahrwind ist.
Was blieb mir noch zuruck? Ein Herz mude und frech; ein unstater Wille;
Flatter-Flugel; ein
zerbrochnes Ruckgrat.
Diess Suchen nach meinem Heim: oh Zarathustra, weisst du wohl, diess Suchen war
meine
Heimsuchung, es frisst mich auf.
``Wo ist - mein Heim?'' Darnach frage und suche und suchte ich, das fand ich
nicht. Oh ewiges
Uberall, oh ewiges Nirgendwo, oh ewiges - Umsonst!''
Also sprach der Schatten, und Zarathustra's Gesicht verlangerte sich bei seinen
Worten. ``Du bist
mein Schatten! sagte er endlich, mit Traurigkeit.
Deine Gefahr ist keine kleine, du freier Geist und Wanderer! Du hast einen
schlimmen Tag
gehabt: sieh zu, dass dir nicht noch ein schlimmerer Abend kommt!
Solchen Unstaten, wie du, dunkt zuletzt auch ein Gefangniss selig. Sahst du je,
wie eingefangne
Verbrecher schlafen? Sie schlafen ruhig, sie gemessen ihre neue Sicherheit.
Hute dich, dass dich nicht am Ende noch ein enger Glaube einfangt, ein harter,
strenger Wahn!
Dich namlich verfuhrt und versucht nunmehr Jegliches, das eng und fest ist.
Du hast das Ziel verloren: wehe, wie wirst du diesen Verlust verscherzen und
verschmerzen?
Damit - hast du auch den Weg verloren!
Du armer Schweifender, Schwarmender, du muder Schmetterling! willst du diesen
Abend eine
Rast und Heimstatte haben? So gehe hinauf zu meiner Hohle!
Dorthin fuhrt der Weg zu meiner Hohle. Und jetzo will ich Schnell wieder von dir
davonlaufen.
Schon liegt es wie ein Schatten auf mir.
Ich will allein laufen, dass es wieder hell um mich werde. Dazu muss ich noch
lange lustig auf den
Beinen sein. Des Abends aber wird bei mir - getanzt!'' - Also
sprach Zarathustra.
Mittags
-Und Zarathustra lief und lief und fand Niemanden mehr und war allein und fand
immer wieder
sich und genoss und schlurfte seine Einsamkeit und dachte an gute Dinge, -
stundenlang. Um die
Stunde des Mittags aber, als die Sonne gerade uber Zarathustra's Haupte stand,
kam er an einem
alten krummen und knorrichten Baume vorbei, der von der reichen Liebe eines
Weinstocks rings
umarmt und vor sich selber verborgen war: von dem hiengen gelbe Trauben in Fulle
dem
Wandernden entgegen. Da gelustete ihn, einen kleinen Durst zu loschen und sich
eine Traube
abzubrechen; als er aber schon den Arm dazu ausstreckte, da gelustete ihn etwas
Anderes noch
mehr: namlich sich neben den Baum niederzulegen, um die Stunde des vollkommnen
Mittags, und
zu schlafen.
Diess that Zarathustra; und sobald er auf dem Boden lag, in der Stille und
Heimlichkeit des
bunten Grases, hatte er auch schon seinen kleinen Durst vergessen und schlief
ein. Denn, wie das
Sprichwort Zarathustra's sagt: Eins ist nothwendiger als das Andre. Nur dass
seine Augen offen
blieben: - sie wurden namlich nicht satt, den Baum und die Liebe des Weinstocks
zu sehn und zu
preisen. Im Einschlafen aber sprach Zarathustra also zu seinem Herzen:
Still! Still! Ward die Welt nicht eben vollkommen? Was geschieht mir doch?
Wie ein zierlicher Wind, ungesehn, auf getafeltem Meere tanzt, leicht,
federleicht: so - tanzt der
Schlaf auf mir,
Kein Auge druckt er mir zu, die Seele lasst er mir wach. Leicht ist er,
wahrlich! federleicht.
Er uberredet mich, ich weiss nicht wie?, er betupft mich innewendig mit
schmeichelnder Hand, er
zwingt mich. Ja, er zwingt mich, dass meine Seele sich ausstreckt: -
wie sie mir lang und mude wird, meine wunderliche Seele! Kam ihr eines siebenten
Tages Abend
gerade am Mittage? Wandelte sie zu lange schon selig zwischen guten und reifen
Dingen?
Sie streckt sich lang aus, lang, - langer! sie liegt stille, meine wunderliche
Seele. Zu viel Gutes hat
sie schon geschmeckt, diese. goldene Traurigkeit druckt sie, sie verzieht den
Mund.
-Wie ein Schiff, das in seine stillste Bucht einlief: - nun lehnt es sich an die
Erde, der langen
Reisen mude und der ungewissen Meere. Ist die Erde nicht treuer?
Wie solch ein Schiff sich dem Lande anlegt, anschmiegt: - da genugt's, dass eine
Spinne vom
Lande her zu ihm ihren Faden spinnt. Keiner starkeren Taue bedarf es da.
Wie solch ein mudes Schiff in der stillsten Bucht: so ruhe auch ich nun der Erde
nahe, treu,
zutrauend, wartend, mit den leisesten Faden ihr angebunden.
Oh Gluck! Oh Gluck! Willst du wohl singen, oh meine Seele? Du liegst im Grase.
Aber das ist die
heimliche feierliche Stunde, wo kein Hirt seine Flote blast.
Scheue dich! Heisser Mittag schlaft auf den Fluren. Singe. nicht! Still! Die
Welt ist vollkommen.
Singe nicht, du Gras-Geflugel, oh meine Seele! Flustere nicht einmal! Sieh doch
- still! der alte
Mittag schlaft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen Tropfen Glucks
-einen alten braunen Tropfen goldenen Glucks, goldenen Weins? Es huscht uber ihn
hin, sein
Gluck lacht. So - lacht ein Gott. Still! -``
Zum Gluck, wie wenig genugt schon zum Glucke!'' So sprach ich einst, und dunkte
mich klug.
Aber es war eine Lasterung: das lernte ich nun. Kluge Narrn reden besser.
Das Wenigste gerade, das Leiseste, Leichteste, einer Eidechse Rascheln, ein
Hauch, ein Husch,
ein Augen-Blidk - Wenig macht die Art des besten Glucks. Still!
-Was geschah mir: Horch! Flog die Zeit wohl davon? Falle ich nicht? Fiel ich
nicht - horch! in
den Brunnen der Ewigkeit?
-Was geschieht mir? Still! Es sticht mich - wehe - in's Herz? In's Herz! Oh
zerbrich, zerbrich,
Herz, nach solchem Glucke, nach solchem Stiche!
- Wie? Ward die Welt nicht eben vollkommen? Rund und reif? Oh des goldenen
runden Reifs wohin
fliegt er wohl? Laufe ich ihm nach! Husch!
Still - - (und hier dehnte sich Zarathustra und fuhlte, dass er schlafe.) Auf!
sprach er zu sich selber, du Schlafer! Du Mittagsschlafer! Wohlan, wohlauf, ihr
alten Beine!
Zeit ist's und Uberzeit, manch gut Stuck Wegs blieb euch noch zuruck Nun
schlieft ihr euch aus, wie lange doch? Eine halbe Ewigkeit! Wohlan, wohlauf nun,
mein altes
Herz! Wie lange erst darfst du nach solchem Schlaf - dich auswachen?
(Aber da schlief er schon von Neuem ein, und seine Seele sprach gegen ihn und
wehrte sich und
legte sich wieder hin) - ``Lass mich doch! Still! Ward nicht die Welt eben
vollkommen? Oh des
goldnen runden Balls!'' ``
Steh auf, sprach Zarathustra, du kleine Diebin, du Tagediebin! Wie? Immer noch
sich strecken,
gahnen, seufzen, hinunterfallen in tiefe Brunnen?
Wer bist du doch! Oh meine Seele!'' (und hier erschrak er, denn ein Sonnenstrahl
fiel vom Himmel
herunter auf sein Gesicht)
``Oh Himmel uber mir, sprach er seufzend und setzte sich aufrecht, du schaust
mir zu? Du
horchst meiner wunderlichen Seele zu?
Wann trinkst du diesen Tropfen Thau's, der auf alle Erden-Dinge niederfiel, -
wann trinkst du
diese wunderliche Seele -
wann, Brunnen der Ewigkeit! du heiterer schauerlicher Mittags-Abgrund! wann
trinkst du meine
Seele in dich zuruck?''
Also sprach Zarathustra und erhob sich von seinem Lager am Baume wie aus einer
fremden
Trunkenheit: und siehe, da stand die Sonne immer noch gerade uber seinem Haupte.
Es mochte
aber Einer daraus mit Recht abnehmen, dass Zarathustra damals nicht lange
geschlafen habe.
Die Begrussung
Am spaten Nachmittage war es erst, dass Zarathustra, nach langem umsonstigen
Suchen und
Umherstreifen, wieder zu seiner Hohle heimkam. Als er aber derselben
gegenuberstand, nicht
zwanzig Schritt mehr von ihr ferne, da geschah das, was er jetzt am wenigsten
erwartete: von
Neuem horte er den grossen Nothschrei. Und, erstaunlich! diess Mal kam
derselbige aus seiner
eignen Hohle. Es war aber ein langer vielfaltiger seltsamer Schrei, und
Zarathustra unterschied
deutlich, dass er sich aus vielen Stimmen zusammensetze: mochte er schon, aus
der Ferne gehort,
gleich dem Schrei aus einem einzigen Munde klingen.
Da sprang Zarathustra auf seine Hohle zu, und siehe! welches Schauspiel
erwartete ihn erst nach
diesem Horspiele! Denn da sassen sie allesammt bei einander, an denen er des
Tags
vorubergegangen war: der Konig zur Rechten und der Konig zur Linken, der alte
Zauberer, der
Papst, der freiwillige Bettler, der Schatten, der Gewissenhafte des Geistes, der
traurige
Wahrsager und der Esel; der hasslichste Mensch aber hatte sich eine Krone
aufgesetzt und zwei
Purpurgurtel umgeschlungen, - denn er liebte es, gleich allen Hasslichen, sich
zu verkleiden und
schon zu thun. Inmitten aber dieser betrubten Gesellschaft stand der Adler
Zarathustra's,
gestraubt und unruhig, denn er sollte auf zu Vieles antworten, wofur sein Stolz
keine Antwort
hatte; die kluge Schlange aber hieng um seinen Hals.
Diess Alles schaute Zarathustra mit grosser Verwunderung; dann prufte er jeden
Einzelnen seiner
Gaste mit leutseliger Neugierde, las ihre Seelen ab und wunderte sich von Neuem.
Inzwischen
hatten sich die Versammelten von ihren Sitzen erhoben und warteten mit
Ehrfurcht, dass
Zarathustra reden werde. Zarathustra aber sprach also:
``Ihr Verzweifelnden! Ihr Wunderlichen! Ich horte also euren Nothschrei? Und nun
weiss ich
auch, wo Der zu suchen ist, den ich umsonst heute suchte: der hohere Mensch - :
-in meiner eignen Hohle sitzt er, der hohere Mensch! Aber was wundere ich mich!
Habe ich ihn
nicht selber zu mir gelockt durch Honig-Opfer und listige Lockrufe meines
Glucks?
Doch dunkt mir, ihr taugt euch schlecht zur Gesellschaft, ihr macht einander das
Herz unwirsch,
ihr Nothschreienden, wenn ihr hier beisammen sitzt? Es muss erst Einer kommen,
-Einer, der euch wieder lachen macht, ein guter frohlicher Hanswurst, ein Tanzer
und Wind und
Wildfang, irgend ein alter Narr: - was dunket euch?
Vergebt mir doch, ihr Verzweifelnden, dass ich vor euch mit solch kleinen Worten
rede,
unwurdig, wahrlich!, solcher Gaste! Aber ihr errathet nicht, was mein Herz
muthwillig macht: -
ihr selber thut es und euer Anblick, vergebt es mir! Jeder namlich wird muthig,
der einem
Verzweifelnden zuschaut. Einem Verzweifelnden zuzusprechen - dazu dunkt sich
jeder stark
genug.
Mir selber gabt ihr diese Kraft, - eine gute Gabe, meine hohen Gaste! Ein
rechtschaffnes
Gastgeschenk! Wohlan, so zurnt nun nicht, dass ich euch auch vom Meinigen
anbiete.
Diess hier ist mein Reich und meine Herrschaft: was aber mein ist, fur diesen
Abend und diese
Nacht soll es euer sein. Meine Thiere sollen euch dienen: meine Hohle sei eure
Ruhestatt!
Bei mir zu Heim-und-Hause soll Keiner verzweifeln, in meinem Reviere schutze ich
jeden vor
seinen wilden Thieren. Und das ist das Erste, was ich euch anbiete: Sicherheit!
Das Zweite aber ist: mein kleiner Finger. Und habt ihr den erst, so nehmt nur
noch die ganze
Hand, wohlan! und das Herz dazu! Willkommen hier, willkommen, meine
Gastfreunde!''
Also sprach Zarathustra und lachte vor Liebe und Bosheit. Nach dieser Begrussung
verneigten
sich seine Gaste abermals und schwiegen ehrfurchtig; der Konig zur Rechten aber
antwortete ihm
in ihrem Namen.
``Daran, oh Zarathustra, wie du uns Hand und Gruss botest, erkennen wir dich als
Zarathustra.
Du erniedrigtest dich vor uns; fast thatest du unserer Ehrfurcht wehe -:
-wer aber vermochte gleich dir sich mit solchem Stolze zu erniedrigen? Das
richtet uns selber
auf, ein Labsal ist es unsern Augen und Herzen.
Diess allein nur zu schaun, stiegen gern wir auf hohere Berge, als dieser Berg
ist. Als
Schaulustige namlich kamen wir, wir wollten sehn, was trube Augen hell macht.
Und siehe, schon ist es vorbei mit allem unsern Nothschrein. Schon steht Sinn
und Herz uns offen
und ist entzuckt. Wenig fehlt: und unser Muth wird muthwillig.
Nichts, oh Zarathustra, wachst Erfreulicheres auf Erden, als ein hoher starker
Wille: der ist ihr
schonstes Gewachs. Eine ganze Landschaft erquickt sich an Einem solchen Baume.
Der Pinie vergleiche ich, wer gleich dir, oh Zarathustra, aufwachst: lang,
schweigend, hart, allein,
besten biegsamsten Holzes, herrlich,
-zuletzt aber hinausgreifend mit starken grunen Asten nach seiner Herrschaft,
starke Fragen
fragend vor Winden und Wettern und was immer auf Hohen heimisch ist,
-starker antwortend, ein Befehlender, ein Siegreicher: oh wer sollte nicht,
solche Gewachse zu
schaun, auf hohe Berge steigen?
Deines Baumes hier, oh Zarathustra, erlabt sich auch der Dustere, der
Missrathene, an deinem
Anblicke wird auch der Unstate sicher und heilt sein Herz.
Und wahrlich, zu deinem Berge und Baume richten sich heute viele Augen; eine
grosse Sehnsucht
hat sich aufgemacht, und Manche lernten fragen: wer ist Zarathustra?
Und wem du jemals dein Lied und deinen Honig in's Ohr getraufelt: alle die
Versteckten, die
Einsiedler, die Zweisiedler sprachen mit Einem Male zu ihrem Herzen:
``Lebt Zarathustra noch? Es lohnt sich nicht mehr zu leben, Alles ist gleich,
Alles ist umsonst:
oder - wir mussen mit Zarathustra leben!''
``Warum kommt er nicht, der sich so lange ankundigte? also fragen Viele;
verschlang ihn die
Einsamkeit? Oder sollen wir wohl zu ihm kommen?''
Nun geschieht's, dass die Einsamkeit selber murbe wird und zerbricht, einem
Grabe gleich, das
zerbricht und seine Todten nicht mehr halten kann. Uberall sieht man
Auferstandene.
Nun steigen und steigen die Wellen um deinen Berg, oh Zarathustra. Und wie hoch
auch deine
Hohe ist, Viele mussen zu dir hinauf; dein Nachen soll nicht lange mehr im
Trocknen sitzen.
Und dass wir Verzweifelnde jetzt in deine Hohle kamen und schon nicht mehr
verzweifeln: ein
Wahr- und Vorzeichen ist es nur, davon, dass Bessere zu dir unterwegs sind, -
denn er selber ist zu dir unterwegs, der letzte Rest Gottes unter Menschen, das
ist: alle die
Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen Uberdrusses,
-Alle, die nicht leben wollen, oder sie lernen wieder hoffen - oder sie lernen
von dir, oh
Zarathustra, die grosse Hoffnung!''
Also sprach der Konig zur Rechten und ergriff die Hand Zarathustra's, um sie zu
kussen; aber
Zarathustra wehrte seiner Verehrung und trat erschreckt zuruck, schweigend und
plotzlich wie in
weite Fernen entfliehend. Nach einer kleinen Weile aber war er schon wieder bei
seinen Gasten,
blickte sie mit hellen, prufenden Augen an und sprach:
Meine Gaste, ihr hoheren Menschen, ich will deutsch und deutlich mit euch reden.
Nicht auf euch
wartete ich hier in diesen Bergen.
(``Deutsch und deutlich? Dass Gott erbarm! sagte hier der Konig zur Linken, bei
Seite; man
merkt, er kennt die lieben Deutschen nicht, dieser Weise aus dem Morgenlande!
Aber er meint ``deutsch und derb'' - wohlan! Das ist heutzutage noch nicht der
schlimmste
Geschmack!'')
``Ihr mogt wahrlich insgesammt hohere Menschen sein, fuhr Zarathustra fort: aber
fur mich - seid
ihr nicht hoch und stark genug.
Fur mich, das heisst: fur das Unerbittliche, das in mir schweigt, aber nicht
immer schweigen wird.
Und gehort ihr zu mir, so doch nicht als mein rechter Arm.
Wer namlich selber auf kranken und zarten Beinen steht, gleich euch, der will
vor Allem, ob er's
weiss oder sich verbirgt: dass er geschont werde.
Meine Arme und meine Beine aber schone ich nicht, ich schone meine Krieger
nicht: wieso
konntet ihr zu meinem Kriege taugen?
Mit euch verdurbe ich mir jeden Sieg noch. Und Mancher von euch fiele schon um,
wenn er nur
den lauten Schall meiner Trommeln horte.
Auch seid ihr mir nicht schon genug und wohlgeboren. Ich brauche reine glatte
Spiegel fur meine
Lehren; auf eurer Oberflache verzerrt sich noch mein eignes Bildniss.
Eure Schultern druckt manche Last, manche Erinnerung; manch schlimmer Zwerg
hockt in euren
Winkeln. Es giebt verborgenen Pobel auch in euch.
Und seid ihr auch hoch und hoherer Art: Vieles an euch ist krumm und
missgestalt. Da ist kein
Schmied in der Welt, der euch mir zurecht und gerade schluge.
Ihr seid nur Brucken: mogen Hohere auf euch hinuber schreiten! Ihr bedeutet
Stufen: so zurnt
Dem nicht, der uber euch hinweg in seine Hohe steigt!
Aus eurem Samen mag auch mir einst ein achter Sohn und vollkommener Erbe
wachsen: aber das
ist ferne. Ihr selber seid Die nicht, welchen mein Erbgut und Name zugehort.
Nicht auf euch warte ich hier in diesen Bergen, nicht mit euch darf ich zum
letzten Male
niedersteigen. Als Vorzeichen kamt ihr mir nur, dass schon Hohere zu mir
unterwegs sind,
-nicht die Menschen der grossen Sehnsucht, des grossen Ekels, des grossen
Uberdrusses und
Das, was ihr den Uberrest Gottes nanntet.
-Nein! Nein! Drei Mal Nein! Auf Andere warte ich hier in diesen Bergen und will
meinen Fuss
nicht ohne sie von dannen heben,
-auf Hohere, Starkere, Sieghaftere, Wohlgemuthere, Solche, die rechtwinklig
gebaut sind an Leib
und Seele: lachende Lowen mussen kommen!
Oh, meine Gastfreunde, ihr Wunderlichen, - hortet ihr noch Nichts von meinen
Kindern? Und
dass sie zu mir unterwegs sind?
Sprecht mir doch von meinen Garten, von meinen gluckseligen Inseln, von meiner
neuen schonen
Art, - warum sprecht ihr mir nicht davon?
Diess Gastgeschenk erbitte ich mir von eurer Liebe, dass ihr mir von meinen
Kindern sprecht.
Hierzu bin ich reich, hierzu ward ich arm: was gab ich nicht hin,
-was gabe ich nicht hin, dass ich Eins hatte: diese Kinder, diese lebendige
Pflanzung, diese
Lebensbaume meines Willens und meiner hochsten Hoffnung!''
Also sprach Zarathustra und hielt plotzlich inne in seiner Rede: denn ihn
uberfiel seine Sehnsucht,
und er schloss Augen und Mund vor der Bewegung seines Herzens. Und auch alle
seine Gaste
schwiegen und standen still und besturzt: nur dass der alte Wahrsager mit Handen
und Gebarden
Zeichen gab.
Das Abendmahl
An dieser Stelle namlich unterbrach der Wahrsager die Begrussung Zarathustra's
und seiner
Gaste: er drangte sich vor, wie Einer, der keine Zeit zu verlieren hat, fasste
die Hand
Zarathustra's und rief: ``Aber Zarathustra!
Eins ist nothwendiger als das Andre, so redest du selber: wohlan, Eins ist mir
jetzt nothwendiger
als alles Andere.
Ein Wort zur rechten Zeit: hast du mich nicht zum Mahle eingeladen? Und hier
sind viele, die
lange Wege machten. Du willst uns doch nicht mit Reden abspeisen?
Auch gedachtet ihr Alle mir schon zu viel des Erfrierens, Ertrinkens, Erstickens
und andrer
Leibes-Nothstande: Keiner aber gedachte meines Nothstandes, namlich des
Verhungerns -''
(Also sprach der Wahrsager; wie die Thiere Zarathustra's aber diese Worte
horten, liefen sie vor
Schrecken davon. Denn sie sahen, dass was sie auch am Tage heimgebracht hatten,
nicht genug
sein werde, den Einen Wahrsager zu stopfen.)
``Eingerechnet das Verdursten, fuhr der Wahrsager fort. Und ob ich schon Wasser
hier platschern
hore, gleich Reden der Weisheit, namlich reichlich und unermudlich: ich - will
Wein!
Nicht jeder ist gleich Zarathustra ein geborner Wassertrinker. Wasser taugt auch
nicht fur Mude
und Verwelkte: uns gebuhrt Wein, - der erst giebt plotzliches Genesen und
stegreife Gesundheit!''
Bei dieser Gelegenheit, da der Wahrsager nach Wein begehrte, geschah es, dass
auch der Konig
zur Linken, der Schweigsame, einmal zu Worte kam. ``Fur Wein, sprach er, trugen
wir Sorge, ich
sammt meinem Bruder, dem Konige zur Rechten: wir haben Weins genug, - einen
ganzen Esel
voll. So fehlt Nichts als Brod.''
``Brod? entgegnete Zarathustra und lachte dazu. Nur gerade Brod haben Einsiedler
nicht. Aber
der Mensch lebt nicht vom Brod allein, sondern auch vom Fleische guter Lammer,
deren ich zwei
habe:
-Die soll man geschwinde schlachten und wurzig, mit Salbei, zubereiten: so liebe
ich's. Und auch
an Wurzeln und Fruchten fehlt es nicht, gut genug selbst fur Lecker- und
Schmeckerlinge; noch
an Nussen und andern Rathseln zum Knacken.
Also wollen wir in Kurze eine gute Mahlzeit machen. Wer aber mit essen will,
muss auch mit
Hand anlegen, auch die Konige. Bei Zarathustra namlich darf auch ein Konig Koch
sein.''
Mit diesem Vorschlage war Allen nach dem Herzen geredet: nur dass der
freiwillige Bettler sich
gegen Fleisch und Wein und Wurzen straubte.
``Nun hort mir doch diesen Schlemmer Zarathustra! sagte er scherzhaft: geht man
dazu in Hohlen
und Hoch-Gebirge, dass man solche Mahlzeiten macht?
Nun freilich verstehe ich, was er einst uns lehrte: ``Gelobt sei die kleine
Armuth!'' Und warum er
die Bettler abschaffen will.''
``Sei guter Dinge, antwortete ihm Zarathustra, wie ich es bin. Bleibe bei deiner
Sitte, du
Trefflicher, malme deine Korner, trink dein Wasser, lobe deine Kuche: wenn sie
dich nur frohlich
macht!
Ich bin ein Gesetz nur fur die Meinen, ich bin kein Gesetz fur Alle. Wer aber zu
mir gehort, der
muss von starken Knochen sein, auch von leichten Fussen, -
lustig zu Kriegen und Festen, kein Dusterling, kein Traum-Hans, bereit zum
Schwersten wie zu
seinem Feste, gesund und heil.
Das Beste gehort den Meinen und mir; und giebt man's uns nicht, so nehmen wir's:
- die beste
Nahrung, den reinsten Himmel, die starksten Gedanken, die schonsten Fraun!''
Also
sprach Zarathustra; der Konig zur Rechten aber entgegnete: ``Seltsam! Vernahm
man je
solche kluge Dinge aus dem Munde eines Weisen?
Und wahrlich, das ist das Seltsamste an einem Weisen, wenn er zu alledem auch
noch klug und
kein Esel ist.''
Also sprach der Konig zur Rechten und wunderte sich; der Esel aber sagte zu
seiner Rede mit
bosem Willen I-A. Diess aber war der Anfang von jener langen Mahlzeit, welche
``das
Abendmahl'' in den Historien-Buchern genannt wird. Bei derselben aber wurde von
nichts
Anderem geredet als vom hoheren Menschen.
Vom hoheren Menschen
Als ich zum ersten Male zu den Menschen kam, da that ich die
Einsiedler-Thorheit, die grosse
Thorheit: ich stellte mich auf den Markt.
Und als ich zu Allen redete, redete ich zu Keinem. Des Abends aber waren
Seiltanzer meine
Genossen, und Leichname; und ich selber fast ein Leichnam.
Mit dem neuen Morgen aber kam mir eine neue Wahrheit: da lernte ich sprechen
``Was geht mich
Markt und Pobel und Pobel-Larm und lange Pobel-Ohren an!''
Ihr hoheren Menschen, Diess lernt von mir: auf dem Markt glaubt Niemand an
hohere Menschen.
Und wollt ihr dort reden, wohlan! Der Pobel aber blinzelt ``wir sind Alle
gleich.''
``Ihr hoheren Menschen, - so blinzelt der Pobel - es giebt keine hoheren
Menschen, wir sind Alle
gleich, Mensch ist Mensch, vor Gott - sind wir Alle gleich!''
Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott. Vor dem Pobel aber wollen wir nicht
gleich sein. Ihr
hoheren Menschen, geht weg vom Markt!
2
Vor Gott! - Nun aber starb dieser Gott! Ihr hoheren Menschen, dieser Gott war
eure grosste
Gefahr.
Seit er im Grabe liegt, seid ihr erst wieder auferstanden. Nun erst kommt der
grosse Mittag, nun
erst wird der hohere Mensch - Herr!
Verstandet ihr diess Wort, oh meine Bruder? Ihr seid erschreckt: wird euren
Herzen schwindlig?
Klafft euch hier der Abgrund? Klafft euch hier der Hollenhund?
Wohlan! Wohlauf! Ihr hoheren Menschen! Nun erst kreisst der Berg der
Menschen-Zukunft. Gott
starb: nun wollen wir, - dass der Ubermensch lebe.
3
Die Sorglichsten fragen heute: ``wie bleibt der Mensch erhalten?'' Zarathustra
aber fragt als der
Einzige und Erste: ``wie wird der Mensch uberwunden?''
Der Ubermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges, - und
nicht der Mensch:
nicht der Nachste, nicht der Armste, nicht der Leidendste, nicht der Beste Oh
meine Bruder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Ubergang ist
und ein
Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich lieben und hoffen macht.
Dass ihr verachtetet, ihr hoheren Menschen, das macht mich hoffen. Die grossen
Verachtenden
namlich sind die grossen Verehrenden.
Dass ihr verzweifeltet, daran ist Viel zu ehren. Denn ihr lerntet nicht, wie ihr
euch ergabet, ihr
lerntet die kleinen Klugheiten nicht.
Heute namlich wurden die kleinen Leute Herr: die predigen Alle Ergebung und
Bescheidung und
Klugheit und Fleiss und Rucksicht und das lange Und-so-weiter der kleinen
Tugenden.
Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt und sonderlich der
Pobel-Mischmasch: Das
will nun Herr werden alles Menschen-Schicksals - oh Ekel! Ekel! Ekel!
Das fragt und fragt und wird nicht mude: ``Wie erhalt sich der Mensch, am
besten, am langsten,
am angenehmsten?'' Damit - sind sie die Herrn von Heute.
Diese Herrn von Heute uberwindet mir, oh meine Bruder, - diese kleinen Leute:
die sind des
Ubermenschen grosste Gefahr!
``Uberwindet mir, ihr hoheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen
Klugheiten, die
Sandkorn-Rucksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbarmliche Behagen, das
``Gluck der
Meisten'' -!
Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich liebe euch
dafur, dass ihr heute
nicht zu leben wisst, ihr hoheren Menschen! So namlich lebt ihr - am Besten!
4
Habt ihr Muth, oh meine Bruder? Seid ihr herzhaft? Nicht Muth vor Zeugen,
sondern Einsiedlerund
Adler-Muth, dem auch kein Gott mehr zusieht?
Kalte Seelen, Maulthiere, Blinde, Trunkene heissen mir nicht herzhaft. Herz hat,
wer Furcht
kennt, aber Furcht zwingt, er den Abgrund sieht, aber mit Stolz.
Wer den Abgrund sieht, aber mit Adlers-Augen, wer mit Adlers-Krallen den Abgrund
fasst: Der
hat Muth. - 5
``Der Mensch ist bose'' - so sprachen mir zum Troste alle Weisesten. Ach, wenn
es heute nur
noch wahr ist! Denn das Bose ist des Menschen beste Kraft.
``Der Mensch muss besser und boser werden'' - so lehre ich. Das Boseste ist
nothig zu des
Ubermenschen Bestem.
Das mochte gut sein fur jenen Prediger der kleinen Leute, dass er litt und trug
an des Menschen
Sunde. Ich aber erfreue mich der grossen Sunde als meines grossen Trostes. -
Solches ist aber nicht fur lange Ohren gesagt. Jedwedes Wort gehort auch nicht
in jedes Maul.
Das sind feine ferne Dinge: nach denen sollen nicht Schafs-Klauen greifen!
6
Ihr hoheren Menschen, meint ihr, ich sei da, gut zu machen, was ihr schlecht
machtet?
Oder ich wollte furderhin euch Leidende bequemer betten? Oder euch Unstaten,
Verirrten,
Verkletterten neue leichtere Fusssteige zeigen?
Nein! Nein! Drei Mal Nein! Immer Mehr, immer Bessere eurer Art sollen zu Grunde
gehn, - denn
ihr sollt es immer schlimmer und harter haben. So allein
-so allein wachst der Mensch in die Hohe, wo der Blitz ihn trifft und zerbricht:
hoch genug fur
den Blitz!
Auf Weniges, auf Langes, auf Fernes geht mein Sinn und meine Sehnsucht: was
gienge mich euer
kleines, vieles, kurzes Elend an!
Ihr leidet mir noch nicht genug! Denn ihr leidet an euch, ihr littet noch nicht
am Menschen. Ihr
wurdet lugen, wenn ihr's anders sagtet! Ihr leidet Alle nicht, woran ich litt. -
7
Es ist mir nicht genug, dass der Blitz nicht mehr schadet. Nicht ableiten will
ich ihn: er soll lernen
fur mich - arbeiten. -
Meine Weisheit sammlet sich lange schon gleich einer Wolke, sie wird stiller und
dunkler. So thut
jede Weisheit, welche einst Blitze gebaren soll. -
Diesen Menschen von Heute will ich nicht Licht sein, nicht Licht heissen. Die -
will ich blenden:
Blitz meiner Weisheit! Stich ihnen die Augen aus!
8
Wollt Nichts uber euer Vermogen: es giebt eine schlimme Falschheit bei Solchen,
die uber ihr
Vermogen wollen.
Sonderlich, wenn sie grosse Dinge wollen! Denn sie wecken Misstrauen gegen
grosse Dinge,
diese feinen Falschmunzer und Schauspieler: -
bis sie endlich falsch vor sich selber sind, schielaugig, ubertunchter
Wurmfrass, bemantelt durch
starke Worte, durch Aushange-Tugenden, durch glanzende falsche Werke.
Habt da eine gute Vorsicht, ihr hoheren Menschen! Nichts namlich gilt mir heute
kostbarer und
seltner als Redlichkeit.
Ist diess Heute nicht des Pobels? Pobel aber weiss nicht, was gross, was klein,
was gerade und
redlich ist: der ist unschuldig krumm, der lugt immer.
9
Habt heute ein gutes Misstrauen, ihr hoheren Menschen, ihr Beherzten! Ihr
Offenherzigen! Und
haltet eure Grunde geheim! Diess Heute namlich ist des Pobels.
Was der Pobel ohne Grunde einst glauben lernte, wer konnte ihm durch Grunde Das
- umwerfen?
Und auf dem Markte uberzeugt man mit Gebarden. Aber Grunde machen den Pobel
misstrauisch.
Und wenn da einmal Wahrheit zum Siege kam, so fragt euch Mit gutem Misstrauen:
``welch
starker Irrthum hat fur sie gekampft?''
Hutet euch auch vor den Gelehrten! Die hassen euch: denn sie sind unfruchtbar!
Sie haben kalte
vertrocknete Augen, vor ihnen liegt jeder Vogel entfedert.
Solche brusten sich damit, dass sie nicht lugen: aber Ohnmacht zur Luge ist
lange noch nicht
Liebe zur Wahrheit. Hutet euch!
Freiheit von Fieber ist lange noch nicht Erkenntniss! Ausgekalteten Geistern
glaube ich nicht. Wer
nicht lugen kann, weiss nicht, was Wahrheit ist.
10
Wollt ihr hoch hinaus, so braucht die eignen Beine! Lasst euch nicht empor
tragen, setzt euch
nicht auf fremde Rukken und Kopfe!
Du aber stiegst zu Pferde? Du reitest nun hurtig hinauf zu deinem Ziele? Wohlan,
mein Freund!
Aber dein lahmer Fuss sitzt auch mit zu Pferde!
Wenn du an deinem Ziele bist, wenn du von deinem Pferde springst: auf deiner
Hohe gerade, du
hoherer Mensch - wirst du stolpern!
11
Ihr Schaffenden, ihr hoheren Menschen! Man ist nur fur das eigne Kind schwanger.
Lasst euch Nichts vorreden, einreden! Wer ist denn euer Nachster? Und handelt
ihr auch ``fur den
Nachsten'', - ihr schafft doch nicht fur ihn!
Verlernt mir doch diess ``Fur'', ihr Schaffenden: eure Tugend gerade will es,
dass ihr kein Ding
mit ``fur'' und ``um'' und ``weil'' thut. Gegen diese falschen kleinen Worte
sollt ihr euer Ohr
zukleben.
Das ``fur den Nachsten'' ist die Tugend nur der kleinen Leute: da heisst es
``gleich und gleich'' und
``Hand wascht Hand'': - sie haben nicht Recht noch Kraft zu eurem Eigennutz!
In eurem Eigennutz, ihr Schaffenden, ist der Schwangeren Vorsicht und Vorsehung!
Was
Niemand noch mit Augen sah, die Frucht: die schirmt und schont und nahrt eure
ganze Liebe.
Wo eure ganze Liebe ist, bei eurem Kinde, da ist auch eure ganze Tugend! Euer
Werk, euer Wille
ist euer ``Nachster'': lasst euch keine falschen Werthe einreden!
12
Ihr Schaffenden, ihr hoheren Menschen! Wer gebaren muss, der ist krank; wer aber
geboren hat,
ist unrein.
Fragt die Weiber: man gebiert nicht, weil es Vergnugen macht. Der Schmerz macht
Huhner und
Dichter gackern.
Ihr Schaffenden, an euch ist viel Unreines. Das macht, ihr musstet Mutter sein.
Ein neues Kind: oh wie viel neuer Schmutz kam auch zur Welt! Geht bei Seite! Und
wer geboren
hat, soll seine Seele rein waschen!
13
Seid nicht tugendhaft uber eure Krafte! Und wollt Nichts von euch wider die
Wahrscheinlichkeit!
Geht in den Fusstapfen, wo schon eurer Vater Tugend gierig! Wie wolltet ihr hoch
steigen, wenn
nicht eurer Vater Wille mit euch steigt?
Wer aber Erstling sein will, sehe zu, dass er nicht auch Letztling werde! Und wo
die Laster eurer
Vater sind, darin sollt ihr nicht Heilige bedeuten wollen!
Wessen Vater es mit Weibern hielten und mit starken Weinen und Wildschweinen:
was ware es,
wenn Der von sich Keuschheit wollte?
Eine Narrheit ware es! Viel, wahrlich, dunkt es mich fur einen Solchen, wenn er
Eines oder
zweier oder dreier Weiber Mann ist.
Und stiftete er Kloster und schriebe uber die Thur: ``der Weg zum Heiligen,'' -
ich sprache doch:
wozu! es ist eine neue Narrheit!
Er stiftete sich selber ein Zucht- und Fluchthaus: wohl bekomm's! Aber ich
glaube nicht daran.
In der Einsamkeit wachst, was Einer in sie bringt, auch das innere Vieh.
Solchergestalt widerrath
sich Vielen die Einsamkeit.
Gab es Schmutzigeres bisher auf Erden als Wusten-Heilige? Um die herum war nicht
nur der
Teufel los, - sondern auch das Schwein.
14
Scheu, beschamt, ungeschickt, einem Tiger gleich, dem der Sprung missrieth:
also, ihr hoheren
Menschen, sah ich oft euch bei Seite schleichen. Ein Wurf missrieth euch.
Aber, ihr Wurfelspieler, was liegt daran! Ihr lerntet nicht spielen und spotten,
wie man spielen und
spotten muss! Sitzen wir nicht immer an einem grossen Spott- und Spieltische?
Und wenn euch Grosses missrieth, seid ihr selber darum - missrathen? Und
missriethet ihr selber,
missrieth darum - der Mensch? Missrieth aber der Mensch: wohlan! wohlauf!
15
Je hoher von Art, je seltener gerath ein Ding. Ihr hoheren Menschen hier, seid
ihr nicht alle missgerathen?
Seid guten Muths, was liegt daran! Wie Vieles ist noch moglich! Lernt uber euch
selber lachen,
wie man lachen muss!
Was Wunders auch, dass ihr missriethet und halb geriethet, ihr
Halb-Zerbrochenen! Drangt und
stosst sich nicht in euch - des Menschen Zukunft?
Des Menschen Fernstes, Tiefstes, Sternen-Hochstes, seine ungeheure Kraft:
schaumt Das nicht
alles gegen einander in eurem Topfe?
Was Wunders, dass mancher Topf zerbricht! Lernt uber euch lachen, wie man lachen
muss! Ihr
hoheren Menschen, oh wie Vieles ist noch moglich!
Und wahrlich, wie Viel gerieth schon! Wie reich ist diese Erde an kleinen guten
vollkommenen
Dingen, an Wohlgerathenem!
Stellt kleine gute vollkommne Dinge um euch, ihr hoheren Menschen! Deren goldene
Reife heilt
das Herz. Vollkommnes lehrt hoffen.
16
Welches war hier auf Erden bisher die grosste Sunde? War es nicht das Wort
Dessen, der sprach:
``Wehe Denen, die hier lachen!''
Fand er zum Lachen auf der Erde selber keine Grunde? So suchte er nur schlecht.
Ein Kind findet
hier noch Grunde.
Der - liebte nicht genug: sonst hatte er auch uns geliebt, die Lachenden! Aber
er hasste und
hohnte uns, Heulen und Zahneklappern verhiess er uns.
Muss man denn gleich fluchen, wo man nicht liebt? Das - dunkt mich ein
schlechter Geschmack.
Aber so that er, dieser Unbedingte. Er kam vom Pobel.
Und er selber liebte nur nicht genug: sonst hatte er weniger gezurnt, dass man
ihn nicht liebe. Alle
grosse Liebe will nicht Liebe: - die will mehr.
Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Das ist eine arme kranke Art, eine
Pobel-Art: sie
sehn schlimm diesem Leben zu, sie haben den bosen Blick fur diese Erde.
Geht aus dem Wege allen solchen Unbedingten! Sie haben Schwere Fusse und schwule
Herzen: sie
wissen nicht zu tanzen. Wie mochte Solchen wohl die Erde leicht sein!
17
Krumm kommen alle guten Dinge ihrem Ziele nahe. Gleich Katzen machen sie Buckel,
sie
schnurren innewendig vor ihrem nahen Glucke, - alle guten Dinge lachen.
Der Schritt verrath, ob Einer schon auf seiner Bahn schreitet: so seht mich
gehn! Wer aber seinem
Ziel nahe kommt, der tanzt.
Und, wahrlich, zum Standbild ward ich nicht, noch stehe ich nicht da, starr,
stumpf, steinern, eine
Saule; ich liebe geschwindes Laufen.
Und wenn es auf Erden auch Moor und dicke Trubsal giebt: wer leichte Fusse hat,
lauft uber
Schlamm noch hinweg und tanzt wie auf gefegtem Eise.
Erhebt eure Herzen, meine Bruder, hoch! hoher! Und vergesst mir auch die Beine
nicht! Erhebt
auch eure Beine, ihr guten Tanzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!
18
Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: ich selber setzte mir diese
Krone auf, ich
selber sprach heilig mein Gelachter. Keinen Anderen fand ich heute stark genug
dazu.
Zarathustra der Tanzer, Zarathustra der Leichte, der mit den Flugeln winkt, ein
Flugbereiter, allen
Vogeln zuwinkend, bereit und fertig, ein Selig-Leichtfertiger: -
Zarathustra der Wahrsager, Zarathustra der Wahrlacher, kein Ungeduldiger, kein
Unbedingter,
Einer, der Sprunge und Seitensprunge liebt; ich selber setzte mir diese Krone
auf!
19
Erhebt eure Herzen, meine Bruder, hoch! hoher! Und vergesst mir auch die Beine
nicht! Erhebt
auch eure Beine, ihr guten Tanzer, und besser noch: ihr steht auch auf dem Kopf!
Es giebt auch im Gluck schweres Gethier, es giebt Plumpfussler von Anbeginn.
Wunderlich muht
sie sich ab, einem Elephanten gleich, der sich muht auf dem Kopf zu stehn.
Besser aber noch narrisch sein vor Glucke als narrisch vor Unglucke, besser
plump tanzen als
lahm gehn. So lernt mir doch meine Weisheit ab: auch das schlimmste Ding hat
zwei gute
Kehrseiten,
-auch das schlimmste Ding hat gute Tanzbeine: so lernt mir doch euch selbst, ihr
hoheren
Menschen, auf eure rechten Beine stellen!
So verlernt mir doch Trubsal-Blasen und alle Pobel-Traurigkeit! Oh wie traurig
dunken mich
heute des Pobels Hanswurste noch! Diess Heute aber ist des Pobels.
20
Dem Winde thut mir gleich, wenn er aus seinen Berghohlen sturzt: nach seiner
eignen Pfeife will
er tanzen, die Meere zittern und hupfen unter seinen Fusstapfen.
Der den Eseln Flugel giebt, der Lowinnen melkt, gelobt sei dieser gute unbandige
Geist, der allem
Heute und allem Pobel wie ein Sturmwind kommt, -
der Distel- und Tiftelkopfen feind ist und allen welken Blattern und Unkrautern:
gelobt sei
dieser wilde gute freie Sturmgeist, welcher auf Mooren und Trubsalen wie auf
Wiesen tanzt!
Der die Pobel-Schwindhunde hasst und alles missrathene dustere Gezucht: gelobt
sei dieser Geist
aller freien Geister, der lachende Sturm, welcher allen Schwarzsichtigen,
Schwarsuchtigen Staub
in die Augen blast!
Ihr hoheren Menschen, euer Schlimmstes ist: ihr lerntet alle nicht tanzen, wie
man tanzen muss uber
euch hinweg tanzen! Was liegt daran, dass ihr missriethet!
Wie Vieles ist noch moglich! So lernt doch uber euch hinweg lachen! Erhebt eure
Herzen, ihr
guten Tanzer, hoch! hoher! Und vergesst mir auch das gute Lachen nicht!
Diese Krone des Lachenden, diese Rosenkranz-Krone: euch, meinen Brudern, werfe
ich diese
Krone zu! Das Lachen sprach ich heilig; ihr hoheren Menschen, lernt mir -
lachen!
Das Lied der Schwermuth
1
Als Zarathustra diese Reden sprach, stand er nahe dem Eingange seiner Hohle; mit
den letzten
Worten aber entschlupfte er seinen Gasten und floh fur eine kurze Weile in's
Freie.
``Oh reine Geruche um mich, rief er aus, oh selige Stille um mich! Aber wo sind
meine Thiere?
Heran, heran, mein Adler und meine Schlange!
Sagt mir doch, meine Thiere: diese hoheren Menschen insgesammt - riechen sie
vielleicht nicht
gut? Oh reine Geruche um mich! Jetzo weiss und fuhle ich erst, wie ich euch,
meine Thiere,
liebe.''
-Und Zarathustra sprach nochmals: ``ich liebe euch, meine Thiere!'' Der Adler
aber und die
Schlange drangten sich an ihn, als er diese Worte sprach, und sahen zu ihm
hinauf. Solchergestalt
waren sie zu drei still beisammen und schnuffelten und schlurften mit einander
die gute Luft.
Denn die Luft war hier draussen besser als bei den hoheren Menschen.
2
Kaum aber hatte Zarathustra seine Hohle verlassen, da erhob sich der alte
Zauberer, sah listig
umher und sprach: ``Er ist hinaus!
Und schon, ihr hoheren Menschen - dass ich euch mit diesem Lob- und
Schmeichel-Namen kitzle,
gleich ihm selber - schon fallt mich mein schlimmer Trug- und Zaubergeist an,
mein
schwermuthiger Teufel,
-welcher diesem Zarathustra ein Widersacher ist aus dem Grunde: vergebt es ihm!
Nun will er
vor euch zaubern, er hat gerade seine Stunde; umsonst ringe ich mit diesem bosen
Geiste.
Euch Allen, welche Ehren ihr euch mit Worten geben mogt, ob ihr euch ``die
freien Geister''
nennt oder ``die Wahrhaftigen'' oder ``die Busser des Geistes'' oder ``die
Entfesselten'' oder ``die
grossen Sehnsuchtigen'' -
euch Allen, die ihr am grossen Ekel leidet gleich mir, denen der alte Gott starb
und noch kein
neuer Gott in Wiegen und Windeln liegt, - euch Allen ist mein boser Geist und
Zauber-Teufel
hold.
Ich kenne euch, ihr hoheren Menschen, ich kenne ihn, - ich kenne auch diesen
Unhold, den ich
wider Willen liebe, diesen Zarathustra: er selber dunkt mich ofter gleich einer
schonen Heiligen-
Larve,
-gleich einem neuen wunderlichen Mummenschanze, in dem sich mein boser Geist,
der
schwermuthige Teufel, gefallt: - ich liebe Zarathustra, so dunkt mich oft, um
meines bosen
Geistes Willen. -
Aber schon fallt der mich an und zwingt mich, dieser Geist der Schwermuth,
dieser AbendDammerungs-
Teufel: und, wahrlich, ihr hoheren Menschen, es gelustet ihn -
macht nur die Augen auf! - es gelustet ihn, nackt zu kommen, ob mannlich, ob
weiblich, noch
weiss ich's nicht: aber er kommt, er zwingt mich, wehe! macht eure Sinne auf!
Der Tag klingt ab, allen Dingen kommt nun der Abend, auch den besten Dingen;
hort nun und
seht, ihr hoheren Menschen, welcher Teufel, ob Mann, ob Weib, dieser Geist der
Abend-
Schwermuth ist!''
Also sprach der alte Zauberer, sah listig umher und griff dann zu seiner Harfe.
3
Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Thau's Trostung Zur Erde niederquillt,
Unsichtbar, auch
ungehort: - Denn zartes Schuhwerk tragt Der Troster Thau gleich allen
Trost-Milden -: Gedenkst
du da, gedenkst du, heisses Herz, Wie einst du durstetest, Nach himmlischen
Thranen und Thau
Getraufel Versengt und mude durstetest, Dieweil auf gelben Gras-Pfaden Boshaft
abendliche
Sonnenblicke Durch schwarze Baume um dich liefen, Blendende Sonnen-Gluthblicke,
schadenfrohe.
``Der Wahrheit Freier? Du? - so hohnten sie - Nein! Nur ein Dichter! Ein Thier,
ein listiges,
raubendes, schleichendes, Das lugen muss, Das wissentlich, willentlich lugen
muss: Nach Beute
lustern, Bunt verlarvt, Sich selber Larve, Sich selbst zur Beute - Das - der
Wahrheit Freier? Nein!
Nur Narr! Nur Dichter! Nur Buntes redend, Aus Narren-Larven bunt
herausschreiend,
Herumsteigend auf lugnerischen Wort-Brucken, Auf bunten Regenbogen, Zwischen
falschen
Himmeln Und falschen Erden, Herumschweifend, herumschwebend, - Nur Narr! Nur
Dichter!
Das - der Wahrheit Freier? Nicht still, starr, glatt, kalt, Zum Bilde worden,
Zur Gottes-Saule,
Nicht aufgestellt vor Tempeln, Eines Gottes Thurwart: Nein! Feindselig solchen
Wahrheits-
Standbildern, In jeder Wildniss heimischer als vor Tempeln, Voll
Katzen-Muthwillens, Durch
jedes Fenster springend Husch! in jeden Zufall, Jedem Urwalde zuschnuffelnd,
Suchtigsehnsuchtig
zuschnuffelnd, Dass du in Urwaldern Unter buntgefleckten Raubthieren
Sundlichgesund
und bunt und schon liefest, Mit lusternen Lefzen, Selig-hohnisch,
selig-hollisch, seligblutgierig,
Raubend, schleichend, lugend liefest: Oder,
dem Adler gleich, der lange, Lange starr in Abgrunde blickt, In seine Abgrunde:
- - Oh wie
sie sich hier hinab, Hinunter, hinein, In immer tiefere Tiefen ringeln! - Dann,
Plotzlich, geraden
Zugs, Gezuckten Flugs, Auf Lammer stossen, Jach hinab, heisshungrig, Nach
Lammern lustern,
Gram allen Lamms-Seelen, Grimmig-gram Allem, was blickt Schafmassig, lammaugig,
krauswollig, Grau, mit Lamms-Schafs-Wohlwollen!
Also Adlerhaft, pantherhaft Sind des Dichters Sehnsuchte, Sind deine Sehnsuchte
unter tausend
Larven, Du Narr! Du Dichter!
Der du den Menschen schautest So Gott als Schaf -: Den Gott zerreissen im
Menschen Wie das
Schaf im Menschen, Und zerreisend lachen -
Das, Das ist deine Seligkeit! Eines Panthers und Adlers Seligkeit! Eines
Dichters und Narren
Seligkeit!'' - -
Bei abgehellter Luft, Wenn schon des Monds Sichel Grun zwischen Purpurrothen Und
neidisch
hinschleicht: - dem Tage feind, Mit jedem Schritte heimlich An Rosen-Hangematten
Hinsichelnd,
bis sie sinken, Nacht-abwarts blass hinabsinken:
So sank ich selber einstmals Aus meinem Wahrheits-Wahnsinne, Aus meinen
Tages-Sehnsuchten,
Des Tages mude, krank vom Lichte, - sank abwarts, abendwarts, schattenwarts: Von
Einer
Wahrheit Verbrannt und durstig: - gedenkst du noch, gedenkst du, heisses Herz,
Wie da du
durstetest? - Dass ich verbannt sei Von aller Wahrheit, Nur Narr! Nur Dichter!
Von der Wissenschaft
Also sang der Zauberer; und Alle, die beisammen waren, giengen gleich Vogeln
unvermerkt in
das Netz seiner listigen und schwermuthigen Wollust. Nur der Gewissenhafte des
Geistes war
nicht eingefangen: er nahm flugs dem Zauberer die Harfe weg und rief ``Luft!
Lasst gute Luft
herein! Lass Zarathustra herein! Du machst diese Hohle schwul und giftig, du
schlimmer alter
Zauberer!
Du verfahrst, du Falscher, Feiner, zu unbekannten Begierden und Wildnissen. Und
wehe, wenn
Solche, wie du, von der Wahrheit Redens und Wesens machen!
Wehe allen freien Geistern, welche nicht vor solchen Zauberern auf der Hut sind!
Dahin ist es mit
ihrer Freiheit: du lehrst und lockst zuruck in Gefangnisse,
-du alter schwermuthiger Teufel, aus deiner Klage klingt eine Lockpfeife, du
gleichst Solchen,
welche mit ihrem Lobe der Keuschheit heimlich zu Wollusten laden!''
Also sprach der Gewissenhafte; der alte Zauberer aber blickte um sich, genoss
seines Sieges und
verschluckte daruber den Verdruss, welchen ihm der Gewissenhafte machte. ``Sei
still! sagte er
mit bescheidener Stimme, gute Lieder wollen gut wiederhallen; nach guten Liedern
soll man lange
schweigen.
So thun es diese Alle, die hoheren Menschen. Du aber hast wohl Wenig von meinem
Lied
verstanden? In dir ist Wenig von einem Zaubergeiste.''
``Du lobst mich, entgegnete der Gewissenhafte, indem du mich von dir abtrennst,
wohlan! Aber
ihr Anderen, was sehe ich? Ihr sitzt alle noch mit lusternen Augen da -:
Ihr freien Seelen, wohin ist eure Freiheit! Fast, dunkt mich's, gleicht ihr
Solchen, die lange
schlimmen tanzenden nackten Madchen zusahn: eure Seelen tanzen selber!
In euch, ihr hoheren Menschen, muss Mehr von Dem sein, was der Zauberer seinen
bosen
Zauber- und Truggeist nennt: - wir mussen wohl verschieden sein.
Und wahrlich, wir sprachen und dachten genug mitsammen, ehe Zarathustra heimkam
zu seiner
Hohle, als dass ich nicht wusste: wir sind verschieden.
Wir suchen Verschiednes auch hier oben, ihr und ich. Ich namlich suche mehr
Sicherheit, desshalb
kam ich zu Zarathustra. Der namlich ist noch der festeste Thurm und Wille -
heute, wo Alles wackelt, wo alle Erde bebt. Ihr aber, wenn ich eure Augen sehe,
die ihr macht,
fast dunkt mich's, ihr sucht mehr Unsicherheit,
-mehr Schauder, mehr Gefahr, mehr Erdbeben. Euch gelustet, fast dunkt mich's so,
vergebt
meinem Dunkel, ihr hoheren Menschen -
euch gelustet nach dem schlimmsten gefahrlichsten Leben, das mir am meisten
Furcht macht,
nach dem Leben wilder Thiere, nach Waldern, Hohlen, steilen Bergen und
Irr-Schlunden.
Und nicht die Fuhrer aus der Gefahr gefallen euch am besten, sondern die euch
von allen Wegen
abfuhren, die Verfuhrer. Aber, wenn solch Gelusten an euch wirklich ist, so
dunkt es mich
trotzdem unmoglich.
Furcht namlich - das ist des Menschen Erb- und Grundgefuhl; aus der Furcht
erklart sich
jegliches, Erbsunde und Erbtugend. Aus der Furcht wuchs auch meine Tugend, die
heisst:
Wissenschaft.
Die Furcht namlich vor wildem Gethier - die wurde dem Menschen am langsten
angezuchtet,
einschliesslich das Thier, das er in sich selber birgt und furchtet: -
Zarathustra heisst es ``das
innere Vieh.''
Solche lange alte Furcht, endlich fein geworden, geistlich, geistig - heute,
dunkt mich, heisst sie:
Wissenschaft.'' Also
sprach der Gewissenhafte; aber Zarathustra, der eben in seine Hohle zuruckkam
und die
letzte Rede gehort und errathen hatte, warf dem Gewissenhaften eine Hand voll
Rosen zu und
lachte ob seiner ``Wahrheiten''. ``Wie! rief er, was horte ich da eben?
Wahrlich, mich dunkt, du
bist ein Narr oder ich selber bin's: und deine ``Wahrheit'' stelle ich rucks und
flugs auf den Kopf.
Furcht namlich - ist unsre Ausnahme. Muth aber und Abenteuer und Lust am
Ungewissen, am
Ungewagten, - Muth dunkt mich des Menschen ganze Vorgeschichte.
Den wildesten muthigsten Thieren hat er alle ihre Tugenden abgeneidet und
abgeraubt: so erst
wurde er - zum Menschen.
Dieser Muth, endlich fein geworden, geistlich, geistig, dieser Menschen-Muth mit
Adler-Flugeln
und Schlangen-Klugheit: der, dunkt mich, heisst heute -''
``Zarathustra''! schrien Alle, die beisammen sassen, wie aus Einem Munde und
machten dazu ein
grosses Gelachter; es hob sich aber von ihnen wie eine schwere Wolke. Auch der
Zauberer lachte
und sprach mit Klugheit: ``Wohlan! Er ist davon, mein boser Geist!
Und habe ich euch nicht selber vor ihm gewarnt, als ich sagte, dass er ein
Betruger sei, ein Lugund
Truggeist?
Sonderlich namlich, wenn er sich nackend zeigt. Aber was kann ich fur seine
Tucken! Habe ich
ihn und die Welt geschaffen?
Wohlan! Seien wir wieder gut und guter Dinge! Und ob schon Zarathustra bose
blickt - seht ihn
doch! er ist mir gram -:
-bevor die Nacht kommt, lernt er wieder, mich lieben und loben, er kann nicht
lange leben, ohne
solche Thorheiten zu thun.
Der - liebt seine Feinde: diese Kunst versteht er am besten von Allen, die ich
sah. Aber er nimmt
Rache dafur - an seinen Freunden!''
Also sprach der alte Zauberer, und die hoheren Menschen zollten ihm Beifall: so
dass Zarathustra
herumgieng und mit Bosheit und Liebe seinen Freunden die Hande schuttelte, -
gleichsam als
Einer, der an Allen Etwas gutzumachen und abzubitten hat. Als er aber dabei an
die Thur seiner
Hohle kam, siehe, da gelustete ihn schon wieder nach der guten Luft da draussen
und nach seinen
Thieren, - und er wollte hinaus schlupfen.
Unter Tochtern der Wuste
1
``Gehe nicht davon! sagte da der Wanderer, welcher sich den Schatten
Zarathustra's nannte,
bleibe bei uns, es mochte uns sonst die alte dumpfe Trubsal wieder anfallen.
Schon gab uns jener alte Zauberer von seinem Schlimmsten zum Besten, und siehe
doch, der gute
fromme Papst da hat Thranen in den Augen und hat sich ganz wieder auf's Meer der
Schwermuth
eingeschifft.
Diese Konige mogen wohl vor uns noch gute Miene machen: das lernten Die namlich
von uns
Allen heute am Besten! Hatten sie aber keine Zeugen, ich wette, auch bei ihnen
fienge das bose
Spiel wieder an
-das bose Spiel der ziehenden Wolken, der feuchten Schwermuth, der verhangten
Himmel, der
gestohlenen Sonnen, der heulenden Herbst-Winde,
-das bose Spiel unsres Heulens und Nothschreiens: bleibe bei uns, oh
Zarathustra! Hier ist viel
verborgenes Elend, das reden will, viel Abend, viel Wolke, viel dumpfe Luft!
Du nahrtest uns mit starker Manns-Kost und kraftigen Spruchen: lass es nicht zu,
dass uns zum
Nachtisch die weichlichen weiblichen Geister wieder anfallen!
Du allein machst die Luft um dich herum stark und klar! Fand ich je auf Erden so
gute Luft als bei
dir in deiner Hohle?
Viele Lander sah ich doch, meine Nase lernte vielerlei Luft prufen und
abschatzen: aber bei dir
schmecken meine Nustern ihre grosste Lust!
Es sei denn, - es sei denn - , oh vergieb eine alte Erinnerung! Vergieb mir ein
altes Nachtisch-
Lied, das ich einst unter Tochtern der Wuste dichtete: -
bei denen namlich gab es gleich gute helle morgenlandische Luft; dort war ich am
fernsten vom
wolkigen feuchten schwermuthigen Alt-Europa!
Damals liebte ich solcherlei Morgenland-Madchen und andres blaues Himmelreich,
uber dem
keine Wolken und keine Gedanken hangen.
Ihr glaubt es nicht, wie artig sie dasassen, wenn sie nicht tanzten, tief, aber
ohne Gedanken, wie
kleine Geheimnisse, wie bebanderte Rathsel, wie Nachtisch-Nusse bunt
und fremd furwahr! aber ohne Wolken: Rathsel, die sich rathen lassen: solchen
Madchen zu
Liebe erdachte ich damals einen Nachtisch-Psalm.''
Also sprach der Wanderer und Schatten; und ehe Jemand ihm antwortete, hatte er
schon die
Harfe des alten Zauberers ergriffen, die Beine gekreuzt und blickte gelassen und
weise um sich: mit
den Nustern aber zog er langsam und fragend die Luft ein, wie Einer, der in
neuen Landern
neue fremde Luft kostet. Darauf hob er mit einer Art Gebrull zu singen an.
Die Wuste wachst: weh Dem, der Wusten birgt!
-Ha! Feierlich!
In der That feierlich!
Ein wurdiger Anfang!
Afrikanisch feierlich!
Eines Lowen wurdig,
Oder eines moralischen Brullaffen -
aber Nichts fur euch,
Ihr allerliebsten Freundinnen,
Zu deren Fussen mir
Zum ersten Male,
Einem Europaer, unter Palmen
Zu sitzen vergonnt ist. Sela.
Wunderbar wahrlich!
Da sitze ich nun,
Der Wuste nahe und bereits
So fern wieder der Wuste,
Auch in Nichts noch verwustet:
Namlich hinabgeschluckt
Von dieser kleinsten Oasis - :
-sie sperrte gerade gahnend
Ihr liebliches Maul auf.
Das wohlriechendste aller Maulchen:
Da fiel ich hinein,
Hinab, hindurch - unter euch,
Ihr allerliebsten Freundinnen! Sela.
Heil, Heil jenem Wallfische,
Wenn er also es seinem Gaste
Wohl sein liess! - ihr versteht
Meine gelehrte Anspielung?
Heil seinem Bauche,
Wenn er also
Ein so lieblicher Oasis-Bauch war
Gleich diesem: was ich aber in Zweifel ziehe,
-dafur komme ich aus Europa,
Das zweifelsuchtiger ist als alle
Altlichen Eheweibchen.
Moge Gott es bessern!
Amen!
Da sitze ich nun,
In dieser kleinsten Oasis,
Einer Dattel gleich,
Braun, durchsusst, goldschwurig, lustern
Nach einem runden Madchenmunde,
Mehr noch aber nach madchenhaften
Eiskalten schneeweissen schneidigen
Beisszahnen: nach denen namlich
Lechzt das Herz allen heissen Datteln. Sela.
Den genannten Sudfruchten
Ahnlich, allzuahnlich
Liege ich hier, von kleinen
Flugelkafern
Umtanzelt und umspielt,
Insgleichen von noch kleineren
Thorichteren boshafteren
Wunschen und Einfallen,
Umlagert von euch,
Ihr stummen, ihr ahnungsvollen
Madchen-Katzen,
Dudu und Suleika,
-umsphinxt, dass ich in Ein Wort
Viel Gefuhle stopfe:
(Vergebe mir Gott
Diese Sprach-Sunde!)
-sitze hier, die beste Luft schnuffelnd,
Paradieses-Luft wahrlich,
Lichte leichte Luft, goldgestreifte,
So gute Luft nur je
Vom Monde herabfiel Sei
es aus Zufall,
Oder geschah es aus Ubermuthe?
Wie die alten Dichter erzahlen.
Ich Zweifler aber ziehe es
In Zweifel, dafur aber komme ich
Aus Europa,
Das zweifelsuchtiger ist als alle
Altlichen Eheweibchen.
Moge Gott es bessern!
Amen!
Diese schonste Luft trinkend,
Mit Nustern geschwellt gleich Bechern,
Ohne Zukunft, ohne Erinnerungen,
So sitze ich hier, ihr
Allerliebsten Freundinnen,
Und sehe der Palme zu,
Wie sie, einer Tanzerin gleich,
Sich biegt und schmiegt und in der Hufte wiegt,
-man thut es mit, sieht man lange zu!
Einer Tanzerin gleich, die, wie mir scheinen will,
Zu lange schon, gefahrlich lange
Immer, immer nur auf Einem Beine stand?
-da vergass sie darob, wie mir scheinen will,
Das andre Bein?
Vergebens wenigstens
Suchte ich das vermisste
Zwillings-Kleinod
- namlich das andre Bein In
der heiligen Nahe
Ihres allerliebsten, allerzierlichsten
Facher- und Flatter- und Flitterrockchens.
ja, wenn ihr mir, ihr schonen Freundinnen,
Ganz glauben wollt:
Sie hat es verloren!
Es ist dahin!
Auf ewig dahin!
Das andre Bein!
Oh schade um dieses liebliche andre Bein!
Wo - mag es wohl weilen und verlassen trauern?
Das einsame Bein?
In Furcht vielleicht vor einem
Grimmen gelben blondgelockten
Lowen-Unthiere? Oder gar schon
Abgenagt, abgeknabbert -
Erbarmlich, wehe! wehe! abgeknabbert! Sela.
Oh weint mir nicht,
Weiche Herzen!
Weint mir nicht, ihr
Dattel-Herzen! Milch-Busen!
Ihr Sussholz-Herz-
Beutelchen!
Weine nicht mehr,
Bleiche Dudu!
Sei ein Mann, Suleika! Muth! Muth!
-Oder sollte vielleicht
Etwas Starkendes, Herz-Starkendes,
Hier am Platze sein?
Ein gesalbter Spruch?
Ein feierlicher Zuspruch? Ha!
Herauf, Wurde!
Tugend-Wurde! Europaer-Wurde!
Blase, blase wieder,
Blasebalg der Tugend!
Ha!
Noch Ein Mal brullen,
Moralisch brullen!
Als moralischer Lowe
Vor den Tochtern der Wuste brullen!
-Denn Tugend-Geheul,
Ihr allerliebsten Madchen,
Ist mehr als Alles
Europaer-Inbrunst, Europaer-Heisshunger!
Und da stehe ich schon,
Als Europaer,
Ich kann nicht anders, Gott helfe mir!
Amen!
Die Wuste wachst: weh Dem, der Wusten birgt!
Die Erweckung
1
Nach dem Liede des Wanderers und Schattens wurde die Hohle mit Einem Male voll
Larmens
und Lachens; und da die versammelten Gaste alle zugleich redeten, und auch der
Esel, bei einer
solchen Ermuthigung, nicht mehr still blieb, uberkam Zarathustra ein kleiner
Widerwille und Spott
gegen seinen Besuch: ob er sich gleich ihrer Frohlichkeit erfreute. Denn sie
dunkte ihm ein
Zeichen der Genesung. So schlupfte er hinaus in's Freie und sprach zu seinen
Thieren.
``Wo ist nun ihre Noth hin? sprach er, und schon athmete er selber von seinem
kleinen
Uberdrusse auf, - bei mir verlernten sie, wie mich dunkt, das Nothschrein!
-wenn auch, leider, noch nicht das Schrein.'' Und Zarathustra hielt sich die
Ohren zu, denn eben
mischte sich das I-A des Esels wunderlich mit dem Jubel-Larm dieser hoheren
Menschen.
``Sie sind lustig, begann er wieder, und wer weiss? vielleicht auf ihres Wirthes
Unkosten; und
lernten sie von mir lachen, so ist es doch nicht mein Lachen, das sie lernten.
Aber was liegt daran! Es sind alte Leute: sie genesen auf ihre Art, sie lachen
auf ihre Art; meine
Ohren haben schon Schlimmeres erduldet und wurden nicht unwirsch.
Dieser Tag ist ein Sieg: er weicht schon, er flieht, der Geist der Schwere, mein
alter Erzfeind!
Wie gut will dieser Tag enden, der so schlimm und schwer begann!
Und enden will er. Schon kommt der Abend: uber das Meer her reitet er, der gute
Reiter! Wie er
sich wiegt, der Selige, Heimkehrende, in seinen purpurnen Satteln!
Der Himmel blickt klar dazu, die Welt liegt tief: oh all ihr Wunderlichen, die
ihr zu mir kamt, es
lohnt sich schon, bei mir zu leben!''
Also sprach Zarathustra. Und wieder kam da das Geschrei und Gelachter der
hoheren Menschen
aus der Hohle: da begann er von Neuem.
``Sie beissen an, mein Koder wirkt, es weicht auch ihnen ihr Feind, der Geist
der Schwere. Schon
lernen sie uber sich selber lachen: hore ich recht?
Meine Manns-Kost wirkt, mein Saft- und Kraft-Spruch: und wahrlich, ich nahrte
sie nicht mit
Blah-Gemusen! Sondern mit Krieger-Kost, mit Eroberer-Kost: neue Begierden weckte
ich.
Neue Hoffnungen sind in ihren Armen und Beinen, ihr Herz streckt sich aus. Sie
finden neue
Worte, bald wird ihr Geist Muthwillen athmen.
Solche Kost mag freilich nicht fur Kinder sein, noch auch fur sehnsuchtige alte
und junge
Weibchen. Denen uberredet man anders die Eingeweide; deren Arzt und Lehrer bin
ich nicht.
Der Ekel weicht diesen hoheren Menschen: wohlan! das ist mein Sieg. In meinem
Reiche werden
sie sicher, alle dumme Scham lauft davon, sie schutten sich aus.
Sie schutten ihr Herz aus, gute Stunden kehren ihnen zuruck, sie feiern und
kauen wieder, - sie
werden dankbar.
Das nehme ich als das beste Zeichen: sie werden dankbar. Nicht lange noch, und
sie denken sich
Feste aus und stellen Denksteine ihren alten Freuden auf.
Es sind Genesende!'' Also sprach Zarathustra frohlich zu seinem Herzen und
schaute hinaus; seine
Thiere aber drangten sich an ihn und ehrten sein Gluck und sein Stillschweigen.
2
Plotzlich aber erschrak das Ohr Zarathustra's: die Hohle namlich, welche bisher
voller Larmens
und Gelachters war, wurde mit Einem Male todtenstill; - seine Nase aber roch
einen
wohlriechenden Qualm und Weihrauch, wie von brennenden Pinien-Zapfen.
``Was geschieht? Was treiben sie?'' fragte er sich und schlich zum Eingange
heran, dass er seinen
Gasten, unvermerkt, zusehn konne. Aber, Wunder uber Wunder! was musste er da mit
seinen
eignen Augen sehn!
``Sie sind Alle wieder fromm geworden, sie beten, sie sind toll!'' - sprach er
und verwundene sich
uber die Maassen. Und, furwahr!, alle diese hoheren Menschen, die zwei Konige,
der Papst ausser
Dienst, der schlimme Zauberer, der freiwillige Bettler, der Wanderer und
Schatten, der alte
Wahrsager, der Gewissenhafte des Geistes und der hasslichste Mensch: sie lagen
Alle gleich
Kindern und glaubigen alten Weibchen auf den Knien und beteten den Esel an. Und
eben begann
der hasslichste Mensch zu gurgeln und zu schnauben, wie als ob etwas
Unaussprechliches aus ihm
heraus wolle; als er es aber wirklich bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da
war es eine fromme
seltsame Litanei zur Lobpreisung des angebeteten und angeraucherten Esels. Diese
Litanei aber
klang also:
Amen! Und Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Starke sei unserm
Gott, von
Ewigkeit zu Ewigkeit!
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Er tragt unsre Last, er nahm Knechtsgestalt an, er ist geduldsam von Herzen und
redet niemals
Nein; und wer seinen Gott liebt, der zuchtigt ihn.
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Er redet nicht: es sei denn, dass er zur Welt, die er Schuf, immer Ja sagt: also
preist er seine Welt.
Seine Schlauheit ist es, die nicht redet: so bekommt er selten Unrecht.
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Unscheinbar geht er durch die Welt. Grau ist die Leib-Farbe, in welche er seine
Tugend hullt. Hat
er Geist, so verbirgt er ihn; Jedermann aber glaubt an seine langen Ohren.
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Welche verborgene Weisheit ist das, dass er lange Ohren tragt und allein ja und
nimmer Nein
sagt! Hat er nicht die Welt erschaffen nach seinem Bilde, namlich so dumm als
moglich?
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Du gehst gerade und krumme Wege; es kummert dich wenig, was uns Menschen gerade
oder
krumm dunkt. Jenseits von Gut und Bose ist dein Reich. Es ist deine Unschuld,
nicht zu wissen,
was Unschuld ist.
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Siehe doch, wie du Niemanden von dir stossest, die Bettler nicht, noch die
Konige. Die Kindlein
lassest du zu dir kommen, und wenn dich die bosen Buben locken, so sprichst du
einfaltiglich I-A.
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Du liebst Eselinnen und frische Feigen, du bist kein Kostverachter. Eine Distel
kitzelt dir das
Herz, wenn du gerade Hunger hast. Darin liegt eines Gottes Weisheit.
-Der Esel aber schrie dazu I-A.
Das Eselsfest
1
An dieser Stelle der Litanei aber konnte Zarathustra sich nicht langer
bemeistern, schrie selber IA,
lauter noch als der Esel, und sprang mitten unter seine tollgewordenen Gaste.
``Aber was treibt ihr da, ihr Menschenkinder? rief er, indem er die Betenden vom
Boden empor
riss. Wehe, wenn euch Jemand Anderes zusahe als Zarathustra:
Jeder wurde urtheilen, ihr waret mit eurem neuen Glauben die argsten
Gotteslasterer oder die
thorichtsten aller alten Weiblein!
Und du selber, du alter Papst, wie stimmt Das mit dir selber zusammen, dass du
solchergestalt
einen Esel hier als Gott anbetest?'' ``
Oh Zarathustra, antwortete der Papst, vergieb mir, aber in Dingen Gottes bin ich
aufgeklarter
noch als du. Und so ist's billig.
Lieber Gott also anbeten, in dieser Gestalt, als in gar keiner Gestalt! Denke
uber diesen Spruch
nach, mein hoher Freund: du errathst geschwind, in solchem Spruch steckt
Weisheit.
Der, welcher sprach ``Gott ist ein Geist'' - der machte bisher auf Erden den
grossten Schritt und
Sprung zum Unglauben: solch Wort ist auf Erden nicht leicht wieder gut zu
machen!
Mein altes Herz springt und hupft darob, dass es auf Erden noch Etwas anzubeten
giebt. Vergieb
das, oh Zarathustra, einem alten frommen Papst-Herzen! -''
-``Und du, sagte Zarathustra zu dem Wanderer und Schatten, du nennst und wahnst
dich einen
freien Geist? Und treibst hier solchen Gotzen- und Pfaffendienst?
Schlimmer, wahrlich, treibst du's hier noch als bei deinen schlimmen braunen
Madchen, du
schlimmer neuer Glaubiger!''
``Schlimm genug, antwortete der Wanderer und Schatten, du hast Recht: aber was
kann ich
dafur! Der alte Gott lebt wieder, Oh Zarathustra, du magst reden, was du willst.
Der hasslichste Mensch ist an Allem schuld: der hat ihn wieder auferweckt. Und
wenn er sagt,
dass er ihn einst getodtet habe: Tod ist bei Gottern immer nur ein Vorurtheil.''
-Und du, sprach Zarathustra, du schlimmer alter Zauberer, was thatest du! Wer
soll, in dieser
freien Zeit, furderhin an dich glauben, wenn du an solche Gotter-Eseleien
glaubst?
Es war eine Dummheit, was du thatest; wie konntest du, du Kluger, eine solche
Dummheit thun!
``Oh Zarathustra, antwortete der kluge Zauberer, du hast Recht, es war eine
Dummheit, - es ist
mir auch schwer genug geworden.''
-``Und du gar, sagte Zarathustra, zu dem Gewissenhaften des Geistes, erwage doch
und lege den
Finger an deine Nase! Geht hier denn Nichts wider dein Gewissen? Ist dein Geist
nicht zu reinlich
fur diess Beten und den Dunst dieser Betbruder?''
``Es ist Etwas daran, antwortete der Gewissenhafte und legte den Finger an die
Nase, es ist Etwas
an diesem Schauspiele, das meinem Gewissen sogar wohlthut.
Vielleicht, dass ich an Gott nicht glauben darf: gewiss aber ist, dass Gott mir
in dieser Gestalt
noch am glaubwurdigsten dunkt.
Gott soll ewig sein, nach dem Zeugnisse der Frommsten: wer so viel Zeit hat,
lasst sich Zeit. So
langsam und so dumm als moglich: damit kann ein Solcher es doch sehr weit
bringen.
Und wer des Geistes zu viel hat, der mochte sich wohl in die Dumm- und Narrheit
selber
vernarren. Denke uber dich selber nach, oh Zarathustra!
Du selber - wahrlich! auch du konntest wohl aus Uberfluss und Weisheit zu einem
Esel werden.
Geht nicht ein vollkommner Weiser gern auf den krummsten Wegen? Der Augenschein
lehrt es,
oh Zarathustra, - dein Augenschein!''
-``Und du selber zuletzt, sprach Zarathustra und wandte sich gegen den
hasslichsten Menschen,
der immer noch auf dem Boden lag, den Arm zu dem Esel emporhebend (er gab ihm
namlich
Wein zu trinken). Sprich, du Unaussprechlicher, was hast du da gemacht!
Du dunkst mich verwandelt, dein Auge gluht, der Mantel des Erhabenen liegt um
deine
Hasslichkeit: was thatest du?
Ist es denn wahr, was jene sagen, dass du ihn wieder auferwecktest? Und wozu?
War er nicht mit
Grund abgetodtet und abgethan?
Du selber dunkst mich aufgeweckt: was thatest du? was kehrtest du um? Was
bekehrtest du dich?
Sprich, du Unaussprechlicher?''
``Oh Zarathustra, antwortete der hasslichste Mensch, du bist ein Schelm!
Ob Der noch lebt oder wieder lebt oder grundlich todt ist, - wer von uns Beiden
weiss Das am
Besten? Ich frage dich.
Eins aber weiss ich, - von dir selber lernte ich's einst, oh Zarathustra: wer am
grundlichsten todten
will, der lacht.
``Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen todtet man'' - so sprachst du einst. Oh
Zarathustra, du
Verborgener, du Vernichter ohne Zorn, du gefahrlicher Heiliger, - du bist ein
Schelm!''
2
Da aber geschah es, dass Zarathustra, verwundert uber lauter solche
Schelmen-Antworten, zur
Thur seiner Hohle zuruck sprang und, gegen alle seine Gaste gewendet, mit
starker Stimme
schrie:
``Oh ihr Schalks-Narren allesammt, ihr Possenreisser! Was verstellt und
versteckt ihr euch vor
mir!
Wie doch einem jeden von euch das Herz zappelte vor Lust und Bosheit, darob,
dass ihr endlich
einmal wieder wurdet wie die Kindlein, namlich fromm, -
dass ihr endlich wieder thatet wie Kinder thun, namlich betetet, hande-faltetet
und ``lieber Gott''
sagtet!
Aber nun lasst mir diese Kinderstube, meine eigne Hohle, wo heute alle Kinderei
zu Hause ist.
Kuhlt hier draussen euren heissen Kinder-Ubermuth und Herzenslarm ab!
Freilich: so ihr nicht werdet wie die Kindlein, so kommt ihr nicht in das
Himmelreich. (Und
Zarathustra zeigte mit den Handen nach Oben.)
Aber wir wollen auch gar nicht in's Himmelreich: Manner sind wir worden, - so
wollen wir das
Erdenreich.''
3
Und noch einmal hob Zarathustra an zu reden. ``Oh meine neuen Freunde, sprach
er, - ihr
Wunderlichen, ihr hoheren Menschen, wie gut gefallt ihr mir nun, -
seit ihr wieder frohlich wurdet! Ihr seid wahrlich Alle aufgebluht: mich dunkt,
solchen Blumen,
wie ihr seid, thun neue Feste noth,
-ein kleiner tapferer Unsinn, irgend ein Gottesdienst und Eselsfest, irgend ein
alter frohlicher
Zarathustra-Narr, ein Brausewind, der euch die Seelen hell blast.
Vergesst die Nacht und diess Eselsfest nicht, ihr hoheren Menschen! Das erfandet
ihr bei mir, Das
nehme ich als gutes Wahrzeichen, - Solcherlei erfinden nur Genesende!
Und feiert ihr es abermals, dieses Eselsfest, thut's euch zu Liebe, thut's auch
mir zu Liebe! Und zu
meinem Gedachtniss!''
Also sprach Zarathustra.
Das Nachtwandler-Lied
1
Inzwischen aber war Einer nach dem Andern hinaus getreten, in's Freie und in die
kuhle
nachdenkliche Nacht; Zarathustra selber aber fuhrte den hasslichsten Menschen an
der Hand, dass
er ihm seine Nacht-Welt und den grossen runden Mond und die silbernen
Wassersturze bei seiner
Hohle zeige. Da standen sie endlich still bei einander, lauter alte Leute, aber
mit einem getrosteten
tapferen Herzen und verwundert bei sich, dass es ihnen auf Erden so wohl war;
die Heimlichkeit
der Nacht aber kam ihnen naher und naher an's Herz. Und von Neuem dachte
Zarathustra bei
sich: ``oh wie gut sie mir nun gefallen, diese hoheren Menschen!'' - aber er
sprach es nicht aus,
denn er ehrte ihr Gluck und ihr Stillschweigen. Da
aber geschah Das, was an jenem erstaunlichen langen Tage das Erstaunlichste war:
der
hasslichste Mensch begann noch ein Mal und zum letzten Mal zu gurgeln und zu
schnauben, und
als er es bis zu Worten gebracht hatte, siehe, da sprang eine Frage rund und
reinlich aus seinem
Munde, eine gute tiefe klare Frage, welche Allen, die ihm zuhorten, das Herz im
Leibe bewegte.
``Meine Freunde insgesammt, sprach der hasslichste Mensch, was dunket euch? Um
dieses Tags
Willen - ich bin's zum ersten Male zufrieden, dass ich das ganze Leben lebte.
Und dass ich so viel bezeuge, ist mir noch nicht genug. Es lohnt sich auf der
Erde zu leben: Ein
Tag, Ein Fest mit Zarathustra lehrte mich die Erde lieben.
``War Das - das Leben?'' will ich zum Tode sprechen. ``Wohlan! Noch Ein Mal!''
Meine Freunde, was dunket euch? Wollt ihr nicht gleich mir zum Tode sprechen:
War Das - das
Leben? Um Zarathustra's Willen, wohlan! Noch Ein Mal!'' - Also
sprach der hasslichste Mensch; es war aber nicht lange vor Mitternacht. Und was
glaubt ihr
wohl, dass damals sich zutrug? Sobald die hoheren Menschen seine Frage horten,
wurden sie sich
mit Einem Male ihrer Verwandlung und Genesung bewusst, und wer ihnen dieselbe
gegeben
habe: da sprangen sie auf Zarathustra zu, dankend, verehrend, liebkosend, ihm
die Hande
kussend, so wie es der Art eines Jeden eigen war: also dass Einige lachten,
Einige weinten. Der
alte Wahrsager aber tanzte vor Vergnugen; und wenn er auch, wie manche Erzahler
meinen,
damals voll sussen Weines war, so war er gewisslich noch voller des sussen
Lebens und hatte aller
Mudigkeit abgesagt. Es giebt sogar Solche, die erzahlen, dass damals der Esel
getanzt habe: nicht
umsonst namlich habe ihm der hasslichste Mensch vorher Wein zu trinken gegeben.
Diess mag
sich nun so verhalten oder auch anders; und wenn in Wahrheit an jenem Abende der
Esel nicht
getanzt hat, so geschahen doch damals grossere und seltsamere Wunderdinge als es
das Tanzen
eines Esels ware. Kurz, wie das Sprichwort Zarathustra's lautet: ``was liegt
daran!''
2
Zarathustra aber, als sich diess mit dem hasslichsten Menschen zutrug, stand da,
wie ein
Trunkener: sein Blick erlosch, seine Zunge lallte, seine Fusse schwankten. Und
wer mochte auch
errathen, welche Gedanken dabei uber Zarathustra's Seele liefen? Ersichtlich
aber wich sein Geist
zuruck und floh voraus und war in weiten Fernen und gleichsam ``auf hohem Joche,
wie
geschrieben steht, zwischen zwei Meeren,
-zwischen Vergangenem und Zukunftigem als schwere Wolke wandelnd.'' Allgemach
aber,
wahrend ihn die hoheren Menschen in den Armen hielten, kam er ein Wenig zu sich
selber zuruck
und wehrte mit den Handen dem Gedrange der Verehrenden und Besorgten; doch
sprach er nicht.
Mit Einem Male aber wandte er schnell den Kopf, denn er schien Etwas zu horen:
da legte er den
Finger an den Mund und sprach: ``Kommt!''
Und alsbald wurde es rings still und heimlich; aus der Tiefe aber kam langsam
der Klang einer
Glocke herauf. Zarathustra horchte darnach, gleich den hoheren Menschen; dann
aber legte er
zum andern Male den Finger an den Mund und sprach wiederum: ``Kommt! Kommt! Es
geht gen
Mitternacht!'' - und seine Stimme hatte sich verwandelt. Aber immer noch ruhrte
er sich nicht von
der Stelle: da wurde es noch stiller und heimlicher, und Alles horchte, auch der
Esel, und
Zarathustra's Ehrenthiere, der Adler und die Schlange, insgleichen die Hohle
Zarathustra's und
der grosse kuhle Mond und die Nacht selber. Zarathustra aber legte zum dritten
Male die Hand an
den Mund und sprach:
Kommt! Kommt! Kommt! Lasst uns jetzo wandeln! Es ist die Stunde: lasst uns in
die Nacht
wandeln!
3
Ihr hoheren Menschen, es geht gen Mitternacht: da will ich euch Etwas in die
Ohren sagen, wie
jene alte Glocke es mir in's Ohr sagt, -
so heimlich, so schrecklich, so herzlich, wie jene Mitternachts-Glocke zu mir es
redet, die mehr
erlebt hat als Ein Mensch:
-welche schon eurer Vater Herzens-Schmerzens-Schlage abzahlte - ach! ach! wie
sie seufzt! wie
sie im Traume lacht! die alte tiefe tiefe Mitternacht!
Still! Still! Da hort sich Manches, das am Tage nicht laut werden darf; nun
aber, bei kuhler Luft,
da auch aller Larm eurer Herzen stille ward, -
nun redet es, nun hort es sich, nun schleicht es sich in nachtliche uberwache
Seelen: ach! ach!
wie sie seufzt! wie sie im Traume lacht!
-horst du's nicht, wie sie heimlich, schrecklich, herzlich zu dir redet, die
alte tiefe tiefe
Mitternacht? Oh Mensch, gieb Acht!
4
Wehe mir! Wo ist die Zeit hin? Sank ich nicht in tiefe Brunnen? Die Welt schlaft
-
Ach! Ach! Der Hund heult, der Mond scheint. Lieber will ich sterben, sterben,
als euch sagen,
was mein Mitternachts-Herz eben denkt.
Nun starb ich schon. Es ist dahin. Spinne, was spinnst du um mich? Willst du
Blut? Ach! Ach! der
Thau fallt, die Stunde kommt -
die Stunde, wo mich frostelt und friert, die fragt und fragt und fragt: ``wer
hat Herz genug
dazu?
-wer soll der Erde Herr sein? Wer will sagen: so sollt ihr laufen, ihr grossen
und kleinen Strome!''
-die Stunde naht: oh Mensch, du hoherer Mensch, gieb Acht! diese Rede ist fur
feine Ohren, fur
deine Ohren was spricht die tiefe Mitternacht?
5
Es tragt mich dahin, meine Seele tanzt. Tagewerk! Tagewerk! Wer soll der Erde
Herr sein?
Der Mond ist kuhl, der Wind schweigt. Ach! Ach! Flogt ihr schon hoch genug? Ihr
tanztet: aber
ein Bein ist doch kein Flugel.
Ihr guten Tanzer, nun ist alle Lust vorbei, Wein ward Hefe, jeder Becher ward
murbe, die Graber
stammeln.
Ihr flogt nicht hoch genug: nun stammeln die Graber ``erlost doch die Todten!
Warum ist so
lange Nacht? Macht uns nicht der Mond trunken?''
Ihr hoheren Menschen, erlost doch die Graber, weckt die Leichname auf! Ach, was
grabt noch
der Wurm? Es naht, es naht die Stunde,
-es brummt die Glocke, es schnarrt noch das Herz, es grabt noch der Holzwurm,
der
Herzenswurm. Ach! Ach! Die Welt ist tief!
6
Susse Leier! Susse Leier! Ich liebe deinen Ton, deinen trunkenen Unken-Ton! -
wie lang her, wie
fern her kommt mir dein Ton, weit her, von den Teichen der Liebe!
Du alte Glocke, du susse Leier! Jeder Schmerz riss dir in's Herz, Vaterschmerz,
Vaterschmerz,
Urvaterschmerz, deine Rede wurde reif,-
reif gleich goldenem Herbste und Nachmittage, gleich meinem Einsiedlerherzen -
nun redest du:
die Welt selber ward reif, die Traube braunt,
-nun will sie sterben, vor Gluck sterben. Ihr hoheren Menschen, riecht ihr's
nicht? Es quillt
heimlich ein Geruch herauf,
-ein Duft und Geruch der Ewigkeit, ein rosenseliger, brauner Gold-Wein-Geruch
von altem
Glucke,
von trunkenem Mitternachts-Sterbeglucke, welches singt: die Welt ist tief und
tiefer als der Tag
gedacht!
7
Lass mich! Lass mich! Ich bin zu rein fur dich. Ruhre mich nicht an! Ward meine
Welt nicht eben
vollkommen?
Meine Haut ist zu rein fur deine Hande. Lass mich, du dummer tolpischer dumpfer
Tag! Ist die
Mitternacht nicht heller?
Die Reinsten sollen der Erde Herrn sein, die Unerkanntesten, Starksten, die
Mitternachts-Seelen,
die heller und tiefer sind als jeder Tag.
Oh Tag, du tappst nach mir? Du tastest nach meinem Glucke? Ich bin dir reich,
einsam, eine
Schatzgrube, eine Goldkammer?
Oh Welt, du willst mich? Bin ich dir weltlich? Bin ich dir geistlich? Bin ich
dir gottlich? Aber Tag
und Welt, ihr seid zu plump, -
habt klugere Hande, greift nach tieferem Glucke, nach tieferem Unglucke, greift
nach irgend
einem Gotte, greift nicht nach mir:
-mein Ungluck, mein Gluck ist tief, du wunderlicher Tag, aber doch bin ich kein
Gott, keine
Gottes-Holle: tief ist ihr Weh.
8
Gottes Weh ist tiefer, du wunderliche Welt! Greife nach Gottes Weh, nicht nach
mir! Was bin ich!
Eine trunkene susse Leier, eine
Mitternachts-Leier, eine Glocken-Unke, die Niemand versteht, aber welche reden
muss, vor
Tauben, ihr hoheren Menschen! Denn ihr versteht mich nicht!
Dahin! Dahin! Oh Jugend! Oh Mittag! Oh Nachmittag! Nun kam Abend und Nacht und
Mitternacht, - der Hund heult, der Wind:
-ist der Wind nicht ein Hund? Er winselt, er klafft, er heult. Ach! Ach! wie sie
seufzt! wie sie
lacht, wie sie rochelt und keucht, die Mitternacht!
Wie sie eben nuchtern spricht, diese trunkene Dichterin! sie ubertrat wohl ihre
Trunkenheit? sie
wurde uberwach? sie kaut zuruck?
-ihr Weh kaut sie zuruck, im Traume, die alte tiefe Mitternacht, und mehr noch
ihre Lust. Lust
namlich, wenn schon Weh tief ist: Lust ist tiefer noch als Herzeleid.
9
Du Weinstock! Was preisest du mich? Ich schnitt dich doch! Ich bin grausam, du
blutest -: was
will dein Lob meiner trunkenen Grausamkeit?
``Was vollkommen ward, alles Reife - will sterben!'' so redest du. Gesegnet,
gesegnet sei das
Winzermesser! Aber alles Unreife will leben: wehe!
Weh spricht: ``Vergeh! Weg, du Wehe!'' Aber Alles, was leidet, will leben, dass
es reif werde und
lustig und sehnsuchtig,
-sehnsuchtig nach Fernerem, Hoherem, Hellerem. ``Ich will Erben, so spricht
Alles, was leidet,
ich will Kinder, ich will nicht mich,'' Lust
aber will nicht Erben, nicht Kinder, - Lust will sich selber, will Ewigkeit,
will Wiederkunft,
will Alles-sich-ewig-gleich.
Weh spricht: ``Brich, blute, Herz! Wandle, Bein! Flugel, flieg! Hinan! Hinauf!
Schmerz!'' Wohlan!
Wohlauf! Oh mein altes Herz: Weh spricht: ``vergeh!''
10
Ihr hoheren Menschen, was dunket euch? Bin ich ein Wahrsager? Ein Traumender?
Trunkener?
Ein Traumdeuter? Eine Mitternachts-Glocke?
Ein Tropfen Thau's? Ein Dunst und Duft der Ewigkeit? Hort ihr's nicht? Riecht
ihr's nicht? Eben
ward meine Welt vollkommen, Mitternacht ist auch Mittag, -
Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne,
- geht davon
oder ihr lernt: ein Weiser ist auch ein Narr.
Sagtet ihr jemals ja zu Einer Lust? Oh, meine Freunde, so sagtet ihr Ja auch zu
allem Wehe. Alle
Dinge sind verkettet, verfadelt, verliebt, -
wolltet ihr jemals Ein Mal Zwei Mal, spracht ihr jemals ``du gefallst mir,
Gluck! Husch!
Augenblick!'' so wolltet ihr Alles zuruck!
- Alles von neuem, Alles ewig, Alles verkettet, verfadelt, verliebt, oh so
liebtet ihr die Welt, -
ihr Ewigen, liebt sie ewig und allezeit: und auch zum Weh sprecht ihr: vergeh,
aber komm
zuruck! Denn alle Lust will - Ewigkeit!
11
Alle Lust will aller Dinge Ewigkeit, will Honig, will Hefe, will trunkene
Mitternacht, will Graber,
will Graber-Thranen-Trost, will verguldetes Abendroth -
was will nicht Lust! sie ist durstiger, herzlicher, hungriger, schrecklicher,
heimlicher als alles
Weh, sie will sich, sie beisst in sich, des Ringes Wille ringt in ihr, -
sie will Liebe, sie will Hass, sie ist uberreich, schenkt, wirft weg, bettelt,
dass Einer sie nimmt,
dankt dem Nehmenden, sie mochte gern gehasst sein, -
so reich ist Lust, dass sie nach Wehe durstet, nach Holle, nach Hass, nach
Schmach, nach dem
Kruppel, nach Welt, - denn diese Welt, oh ihr kennt sie ja!
Ihr hoheren Menschen, nach euch sehnt sie sich, die Lust, die unbandige, selige,
- nach eurem
Weh, ihr Missrathenen! Nach Missrathenem sehnt sich alle ewige Lust.
Denn alle Lust will sich selber, drum will sie auch Herzeleid! Oh Gluck, oh
Schmerz! Oh brich,
Herz! Ihr hoheren Menschen, lernt es doch, Lust will Ewigkeit,
-Lust will aller Dinge Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!
12
Lerntet ihr nun mein Lied? Erriethet ihr, was es will? Wohlan! Wohlauf! Ihr
hoheren Menschen,
so singt mir nun meinen Rundgesang!
Singt mir nun selber das Lied, dess Name ist ``Noch ein Mal'', dess Sinn ist
``in alle Ewigkeit!'',
singt, ihr hoheren Menschen, Zarathustra's Rundgesang!
Oh Mensch! Gieb Acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
``Ich schlief, ich schlief -,
``Aus tiefem Traum bin ich erwacht: ``
Die Welt ist tief,
``Und tiefer als der Tag gedacht.
``Tief ist ihr Weh -,
``Lust - tiefer noch als Herzeleid:
``Weh spricht: Vergeh!
``Doch alle Lust will Ewigkeit
``will tiefe, tiefe Ewigkeit!''
Das Zeichen
Des Morgens aber nach dieser Nacht sprang Zarathustra von seinem Lager auf,
gurtete sich die
Lenden und kam heraus aus seiner Hohle, gluhend und stark, wie eine Morgensonne,
die aus
dunklen Bergen kommt.
``Du grosses Gestirn, sprach er, wie er einstmal gesprochen hatte, du tiefes
Glucks-Auge, was
ware all dein Gluck, wenn du nicht Die hattest, welchen du leuchtest!
Und wenn sie in ihren Kammern blieben, wahrend du schon wach bist und kommst und
schenkst
und austheilst: wie wurde darob deine stolze Scham zurnen!
Wohlan! sie schlafen noch, diese hoheren Menschen, wahrend ich wach bin: das
sind nicht meine
rechten Gefahrten! Nicht auf sie warte ich hier in meinen Bergen.
Zu meinem Werke will ich, zu meinem Tage: aber sie verstehen nicht, was die
Zeichen meines
Morgens sind, mein Schritt - ist fur sie kein Weckruf.
Sie schlafen noch in meiner Hohle, ihr Traum kaut noch an meinen Mitternachten.
Das Ohr, das
nach mir horcht, - das gehorchende Ohr fehlt in ihren Gliedern.''
-Diess hatte Zarathustra zu seinem Herzen gesprochen, als die Sonne aufgieng: da
blickte er
fragend in die Hohe, denn er horte uber sich den scharfen Ruf seines Adlers.
``Wohlan! rief er
hinauf, so gefallt und gebuhrt es mir. Meine Thiere sind wach, denn ich bin
wach.
Mein Adler ist wach und ehrt gleich mir die Sonne. Mit Adlers-Klauen greift er
nach dem neuen
Lichte. Ihr seid meine rechten Thiere; ich liebe euch.
Aber noch fehlen mir meine rechten Menschen!'' Also
sprach Zarathustra; da aber geschah es, dass er sich plotzlich wie von
unzahligen Vogeln
umschwarmt und umflattert horte, - das Geschwirr so vieler Flugel aber und das
Gedrang um sein
Haupt war so gross, dass er die Augen schloss. Und wahrlich, einer Wolke gleich
fiel es uber ihn
her, einer Wolke von Pfeilen gleich, welche sich uber einen neuen Feind
ausschuttet. Aber siehe,
hier war es eine Wolke der Liebe, und uber einen neuen Freund.
``Was geschieht mir?'' dachte Zarathustra in seinem erstaunten Herzen und liess
sich langsam auf
dem grossen Steine nieder, der neben dem Ausgange seiner Hohle lag. Aber, indem
er mit den
Handen um sich und uber sich und unter sich griff, und den zartlichen Vogeln
wehrte, siehe, da
geschah ihm etwas noch Seltsameres: er griff namlich dabei unvermerkt in ein
dichtes warmes
Haar-Gezottel hinein; zugleich aber erscholl vor ihm ein Gebrull, - ein sanftes
langes Lowen-
Brullen.
``Das Zeichen kommt,'' sprach Zarathustra und sein Herz verwandelte sich. Und in
Wahrheit, als
es helle vor ihm wurde, da lag ihm ein gelbes machtiges Gethier zu Fussen und
schmiegte das
Haupt an seine Knie und wollte nicht von ihm lassen vor Liebe und that einem
Hunde gleich,
welcher seinen alten Herrn wiederfindet. Die Tauben aber waren mit ihrer Liebe
nicht minder
eifrig als der Lowe; und jedes Mal, wenn eine Taube uber die Nase des Lowen
huschte, schuttelte
der Lowe das Haupt und wunderte sich und lachte dazu.
Zu dem Allen sprach Zarathustra nur Ein Wort: ``meine Kinder sind nahe, meine
Kinder'' -, dann
wurde er ganz stumm. Sein Herz aber war gelost, und aus seinen Augen tropften
Thranen herab
und fielen auf seine Hande. Und er achtete keines Dings mehr und sass da,
unbeweglich und ohne
dass er sich noch gegen die Thiere wehrte. Da flogen die Tauben ab und zu und
setzten sich ihm
auf die Schulter und liebkosten sein weisses Haar und wurden nicht mude mit
Zartlichkeit und
Frohlocken. Der starke Lowe aber leckte immer die Thranen, welche auf die Hande
Zarathustra's
herabfielen und brullte und brummte schuchtern dazu. Also trieben es diese
Thiere. -
Diess Alles dauerte eine lange Zeit, oder eine kurze Zeit: denn, recht
gesprochen, giebt es fur
dergleichen Dinge auf Erden keine Zeit -. Inzwischen aber waren die hoheren
Menschen in der
Hohle Zarathustra's wach geworden und ordneten sich mit einander zu einem Zuge
an, dass sie
Zarathustra entgegen giengen und ihm den Morgengruss boten: denn sie hatten
gefunden, als sie
erwachten, dass er schon nicht mehr unter ihnen weilte. Als sie aber zur Thur
der Hohle
gelangten, und das Gerausch ihrer Schritte ihnen voranlief, da stutzte der Lowe
gewaltig, kehrte
sich mit Einem Male von Zarathustra ab und sprang, wild brullend, auf die Hohle
los; die hoheren
Menschen aber, als sie ihn brullen horten, schrien alle auf, wie mit Einem
Munde, und flohen
zuruck und waren im Nu verschwunden.
Zarathustra selber aber, betaubt und fremd, erhob sich von seinem Sitze, sah um
sich, stand
staunend da, fragte sein Herz, besann sich und war allein. ``Was horte ich doch?
sprach er endlich
langsam, was geschah mir eben?''
Und schon kam ihm die Erinnerung, und er begriff mit Einem Blicke Alles, was
zwischen Gestern
und Heute sich begeben hatte. ``Hier ist ja der Stein, sprach er und strich sich
den Bart, auf dem
sass ich gestern am Morgen; und hier trat der Wahrsager zu mir, und hier horte
ich zuerst den
Schrei, den ich eben horte, den grossen Nothschrei.
Oh ihr hoheren Menschen, von eurer Noth war's ja, dass gestern am Morgen jener
alte Wahrsager
mir wahrsagte,
-zu eurer Noth wollte er mich verfuhren und versuchen: oh Zarathustra, sprach er
zu mir, ich
komme, dass ich dich zu deiner letzten Sunde verfuhre.
Zu meiner letzten Sunde? rief Zarathustra und lachte zornig uber sein eigenes
Wort: was blieb mir
doch aufgespart als meine letzte Sunde?''
-Und noch ein Mal versank Zarathustra in sich und setzte sich wieder auf den
grossen Stein
nieder und sann nach. Plotzlich sprang er empor, ``
Mitleiden! Das Mitleiden mit dem hoheren Menschen! schrie er auf, und sein
Antlitz
verwandelte sich in Erz. Wohlan! Das - hatte seine Zeit!
Mein Leid und mein Mitleiden - was liegt daran! Trachte ich denn nach Glucke?
Ich trachte nach
meinem Werke!
Wohlan! Der Lowe kam, meine Kinder sind nahe, Zarathustra ward reif, meine
Stunde kam: Dies
ist mein Morgen, mein Tag hebt an: herauf nun, herauf, du grosser Mittag!'' -
Also sprach Zarathustra und verliess seine Hohle, gluhend und stark, wie eine
Morgensonne, die
aus dunklen Bergen kommt.
¡¡
------------------------±Û Á¾·á----------------------------